• Aljenikow 1: Der Hafen des namenlosen Grauens (Roman aus den Jahren 2008/2009) (Teil 7/7)

    Vitali glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als aus dem Gewölbe vor ihnen plötzlich schnell wie der Blitz eine riesige Kreatur mit grauschwarzem Fell hervorstürzte und den Koch so schnell unter sich begrub, dass dieser nicht einmal wusste, wie ihm geschah. Das Wesen hatte einen gekrümmten Rücken, muskulöse Hinterläufe und einen spitzen Kopf. Mehr konnte Vitali in den wenigen Sekunden nicht erkennen, zumal das Tier ihm den Rücken zuwandte.

    Mit einem hässlichen Knacken brachen die Knochen des Wirtes und Blut spritzte im hohen Bogen gegen die Wände des Flurs. Die Arme, die als einzige Körperteile nicht unter dem unheilvollen Angreifer begraben waren, zuckten noch verzweifelt, bevor der Körper des Kochs entgültig erschlaffte.

    Dann richtete sich das Tier auf seine Hinterläufe auf und reckte sein blutgetränkte Schnauze so weit in die Höhe, dass das Ungeheuer fast die Decke des Flurs erreichte. Jetzt erst bemerkte Vitali, wie groß das Unwesen in Wirklichkeit war und begann haltlos zu zittern.

    Das Unwesen stieß einen schrecklich lauten, triumphalen Heullaut auf und trippelte dann rasch die Treppe hoch, um in die Küche zu gelangen. Kurz darauf erklang der panische Schrei einer Frau und Unruhe breitete sich in der Taverne aus.

    Vitali fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Das Erscheinen des unheilvollen Wesens hatte nur wenige Sekunden gedauert und erschien ihm jetzt wie ein wirrer Alptraum, aus dem er unvermittelt erwacht war. Doch gleichzeitig hatte er in dem monströsen Wesen, dass er zwar nur von der Seite und von hinten gesehen hatte, aber dennoch identifizieren konnte, das Abbild des Wesens erkannt, dass in dem Buch auf Gluschenkos Schreibtisch abgebildet worden war. Vitali war völlig geschockt! Der brutale Mörder war kein menschliches Wesen, nicht einmal ein Tier, sondern ein unheimliches Zwischending, das eigentlich überhaupt nicht existieren durfte.

    Der unheilvolle Killer war ein Wesen, von dem Vitali bisher nur aus gruseligen Märchen oder unrealistischen Sagen gehört hatte. Das Monstrum war ein Werwolf!

    Benommen taumelte Vitali aus seiner Deckung heraus und auf den Flur. Angewidert, aber gleichsam wie betäubt starrte er auf den entstellten Leichnam des Koches, dessen Knochen größtenteils gebrochen und dessen Kopf zur Hälfte weggerissen und abgebissen worden waren. Seltsam verrenkt waren fast alle Glieder des bedauerlichen Opfers.

    Plötzlich trat eine zweite Person schwer keuchend neben Vitali. Dieser dachte zunächst an seinen Kollegen Sergej, doch der hockte kopfschüttelnd wimmernd in dem Gewölbe und verstand die Welt nicht mehr. Der Neuankömmling neben Vitali war der Obdachlose, den er vor einer Viertelstunde noch auf einer Bank gesehen hatte! Vitali hatte also richtig vermutet, dass diese Person zu einer der Mafiagruppierungen oder der Polizei gehören könnte.

    Auch der in Lumpen gehüllte Mann, der zwei Maschinengewehre in seiner Hand hielt, zitterte wie Espenlaub, blickte Vitali lang und mit glasigen Augen an und stolperte dann wortlos an dem toten Koch vorbei und in die Küche hinauf.

    Vitali wusste nicht, warum er so reagierte, aber er torkelte dem Mann benommen hinterher, lief wie in Trance die Treppe hinauf und hörte hinter sich das panische Schreien seines Freundes und Kollegen, der ihn zurückhalten wollte, sich selbst aber nicht traute ihm zu folgen.

    Vitali überhörte die Schreie von Sergej und erreichte die Küche, in der das Wesen eine Spur der Verwüstung zurückgelassen hatte. Pfannen und Kochtöpfe lagen wild verteilt herum, eine dicke Köchin hockte wimmernd, aber offensichtlich unverletzt in einer Ecke und starrte Vitali entgeistert an, als ob er ebenfalls ein Monster wäre.

    Der Journalist folgte in einer Mischung aus Neugier, Instinkt und Realitätsverlust dem als Obdachlosen verkleideten Mafioso und trat in einen engen Flur mit getäfelten Wänden, der an einer Theke vorbei in den Essenraum des Pubs führte.

    Dort hatte sich das Wesen aufgerichtet und schlug wild mit seinen Pranken um sich. Auch hier hatte der Werwolf bereits ein heilloses Chaos angerichtet.

    Ein Großteil der Mafiosi war von den Stühlen aufgesprungen und überhastet aus dem Pub auf die Straße gerannt. Von dort waren vereinzelte Schüsse zu hören, da irgendjemand vom Dach des gegenüberliegenden Gebäudes in die aufgeregte Menge schoss. Drei Mafiosi wurden von einer Traube von Leibwächtern geschützt und zu ihren Wagen eskortiert. Von irgendwoher waren Polizeisirenen zu hören und wenige Augenblicke später fuhren drei Wagen der Polizei mit Blaulicht und quietschenden Reifen vor. Polizisten sprangen behände aus den Fahrzeugen und liefen entweder auf den Wohnblock zu, von dessen Dach die Schüsse aufgeklungen waren oder aber auf den Pub, wo sie mit herausstürmenden Mafiosi kollidierten und das Chaos noch vergrößerten.

    Etwa ein Dutzend Leute befanden sich noch in der Taverne. Zwei Mafiosi in schicken Anzügen waren von dem unheimlichen Werwolf wie Puppen zur Seite gedrückt worden und lagen bewusstlos auf dem Boden. Ein besonders mutiger Mafioso war auf einen der kreisrunden Tische gesprungen, hatte zwei Maschinenpistolen fest im Griff und feuerte eine gewaltige Salve in den aufgerichteten Werwolf, den er gar nicht verfehlen konnte.

    Vitali hielt den Atem an. Zwar wurde das riesige Wesen vom Druck der Einschläge zurückgetrieben und heulte gereizt auf, doch der Journalist sah keinerlei Blut und der Werwolf sank auch nicht zu Boden. Er schien die Kugeln einfach wegzustecken und sie störten ihn kaum mehr als lästige Mückenstiche.

    Gereizt sprang das Wesen vor und hol mit seiner linken Pranke zum Schlag gegen den verduzten Mafioso aus, der sein ganzes Magazin bereits leer geschossen hatte. Der Mann konnte nicht mehr ausweichen und wurde brutal an der Seite getroffen. Wie wahnsinnig schreiend wurde er von dem Werwolf durch die Luft katapultiert und flog durch eine Fensterscheibe, die unter ihm klirrend und in Hunderte von Einzelteilen zersplittert nachgab. Der Mafioso landete panisch schreiend auf dem Asphalt der Straße vor dem Pub, wo Mafiosi und Polizisten gleichermaßen auseinander stoben.

    Auch der verkleidete Obdachlose hatte inzwischen das Feuer eröffnet und jagte dem Werwolf eine Salve nach der anderen in den Rücken. Einige Querschläger schlugen in die Fensterscheiben und Wände des Pubs und auf dem Bürgersteig wurde ein Mafioso im Kugelregen an der Schulter getroffen und ging schreiend in die Knie.

    Der Werwolf jedoch wieselte erst nach einigem Zögern herum und sprang dann ansatzlos auf den Obdachlosen zu und somit auch in die Richtung von Vitali, der dem schrecklichen Schauspiel bislang nur untätig gebannt zugeschaut hatte.

    Der Obdachlose ließ instinktiv seine Waffen fallen und katapultierte sich mit einem Hechtsprung über die Theke. Doch seine Flucht war einen Tick zu langsam und er erreichte die schützende Deckung nicht mehr. Der Prankenschlag der Bestie traf ihn noch in der Luft und obwohl der Hieb den Mafioso nicht voll traf, sondern viel mehr streifte, wurde seine Flugbahn so unglücklich verlängert, dass er in das Regal mit den Spirituosen hinter der Theke krachte, das in einem Heidenlärm zerbrach. Flaschen prasselten wie ein Regen auf den Mafioso hinab, der hart auf dem Boden aufgeschlagen war. Der Geruch von Alkohol, Blut und den animalischen Ausdünstungen des Werwolfs schwebten wie ein höllischen Odem durch den Schankraum. Ein Kellner, der sich hinter der Theke versteckt gehalten hatte, wurde von einem zusammenbrechenden Regal am Kopf getroffen und sank mit einer Platzwunde zu Boden, wo er die Augen verdrehte und von einer tiefen Bewusstlosigkeit von dem Höllenszenario erlöst wurde, das er zuvor mit ansehen musste.

    Vitali spürte ein warnendes Brennen auf seiner Brust und wurde erst dadurch aus seiner gefährlichen Starre geweckt. Verwundert blinzelnd tastete der Journalist nach seinem Agnus Dei und realisierte jetzt erst richtig, dass er sich in höchster Lebensgefahr befand und sich die unheilvollen Vorgänge nicht nur einbildete. Zitternd ergriff er die Kette seines Talismans und zog sie über seinen Kopf hinweg. Verkrampft hielt er das Schmuckstück und dessen Kette mit zu Fäusten geballten Händen fest. Der junge Journalist kam sich mit so einem kleinen Schmuckstück mehr als lächerlich vor. Er fragte sich selbst, warum er in diesem Moment zu dem Talisman und nicht selbst zu einer richtigen Waffe griff. Vielleicht lag es daran, dass er als einer der Ersten verstanden hatte, dass dem Werwolf mit normalen Mitteln nicht beizukommen war.

    Der Werwolf hatte sich bereits nach einem neuen Ziel umgesehen und blickte Vitali für den Bruchteil einiger Sekunden an. Zum ersten Mal sah der Journalist das Wesen frontal und blickte an seinem zerzausten und vor lauter Blut triefenden Maul mit den gebleckten Zähnen, die wie scharfe Säbel wirkten, direkt vorbei in die dunklen Augen des Wesens, die seltsam menschlich wirkten. Aus dem zwinkernden Blick sprach erst eine unglaublich fanatische Gier und eine böswillige Drohung, die Vitali noch mehr Angst machte, doch plötzlich las der Journalist noch etwas Anderes in den Augen des Werwolfs: Angst!

    Wie Vitali zuvor, so starrte nun der Werwolf völlig gebannt auf den Journalisten und wirkte wie versteift. Es dauerte eine Weile, bis Vitali realisierte, dass das Wesen nicht ihm in die Augen blickte, sondern auf das inzwischen glühend heiße Agnus Dei in den Händen des Mannes starrte.

    Vitali musste an die Worte des weisen Mönches denken, die sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt hatten. Er sah den alten Mann wieder vor sich, wie er ihm den Talisman überreichte. Nie hätte Vitali damals geglaubt, dass er das Agnus Dei wirklich einmal gebrauchen könnte, um damit gegen übersinnliche Kräfte anzukämpfen. Es erschien ihm unfassbar, dass dieses schicksalhafte Treffen mit dem Mönch kaum länger als sechs Stunden zurücklag.

    Die Zeit schien plötzlich eingefroren zu sein. Vitali bemerkte nicht, dass Polizisten in strenger Formation den Pub stürmten und den Journalisten und die Bestie einkesselten. Er merkte auch nicht, dass Oberkommissar Matafeev das Einsatzkommando leitete und ihm energisch zuschrie, dass er flüchten solle. Er registrierte nicht, dass sein verängstigter Begleiter Sergej in die Küche gekommen war und ihm voller Angst dabei zusah, wie er und die Bestie sich Auge in Auge gegenüberstanden.

    Plötzlich heulte der Werwolf auf, doch aus dem zuvor majestätischen Ruf des Wesens war ein klägliches Jaulen geworden. Dennoch riss dieses Geräusch Vitali aus seinem Bann. Plötzlich hatte er neuen Mut gefasst. Auf einmal war ihm klar, was er zu tun hatte.

    Der Werwolf warf sich herum, wollte durch eines der zerschmetterten Fenster flüchten, um den Mafiabossen nachzusetzen und den Journalisten mit dem bedrohlichen Talisman abzuhängen. Doch das Ungeheuer rechnete nicht mit der Entschlossenheit seines unerwarteten Gegenspielers.

    Vitali sprang aus dem Stand reflexartig und mit gestreckten Armen zuerst nach vorne. Eisern hielt er sein Agnus Dei umklammert und weitete seine Augen. Vitali kamen diese Momente wie in Zeitlupe vor, obwohl schon einige Sekunden vergangen waren. Der Journalist sandte ein Stoßgebet gen Himmel und schloss im letzten Moment die Augen.

    Da kollidierte er mit den Hinterläufen des Werwolfs und drückte seinen Talisman auf den struppig behaarten Rücken des Monsters. Plötzlich wurde Vitali von gleißendem Licht geblendet, während seine Hände anfingen zu glühen! Die himmlische Kraft ging unerklärlicherweise von seinem Talisman aus.

    Alle Anwesenden rissen reflexartig ihre Hände hoch, um sich vor dem Licht zu schützen, das die Umgebung mehr als taghell erleuchtete. Nur Vitali hielt seine Augen gebannt offen und wurde Zeuge eines unbegreiflichen Schauspiels.

     

    Gluschenko fluchte laut, als er die Streifenwagen hörte, die sich in rasendem Tempo dem Pub und seinem Hinterhalt näherten. Er fragte sich verärgert, wie es dazu kommen konnte, dass die Polizei bereits so früh auftauchte. Dann erinnerte er sich an die Prostituierte, in deren Wohnung er eingedrungen war. Vermutlich hatte die verängstigte Frau die Polizei gerufen, kurz nachdem er auf das Dach geklettert und seine zwei ehemaligen Mitstreiter erledigt hatte. Gluschenko dachte kurz daran in die Wohnung der Prostituierten zu stürmen und sie für ihr Fehlverhalten büßen zu lassen. Gnadenlose Wut flammte in Gluschenko auf und stieg ihm zu Kopf, doch dann entkrampfte er sich und verwarf den Rachegedanken wieder. Die Prostituierte war es seiner Meinung nach nicht wert, dass er wegen ihr noch mehr Zeit verlor und weiter in die Bredouille geriet.

    Stattdessen nahm Gluschenko noch einmal genau Maß und feuerte auf die davonfahrenden Wagen der Mafiosi, bis sein Magazin leer war. Er hörte das schaurige Heulen des Werwolfes, der inzwischen den Pub gestürmt und bereits ein heilloses Durcheinander angerichtet hatte. Jetzt kamen die Polizisten an und sprangen eilig aus ihren Wagen.

    Gluschenko wusste, dass man ihn bald entdecken und genauer ins Ziel nehmen würde und beschloss, dass er seinen Teil des Auftrages erfüllt hatte. Dennoch war er wutentbrannt und unzufrieden, als er sein Gewehr mit Zielfernrohr zurückließ und stattdessen eine handlichere Schnellfeuerwaffe in die Hand nahm und sich schnell in das Treppenhaus des Wohngebäudes begab. Gluschenko vermutete, dass trotz seines perfiden Plans und des erfolgreichen Vordringens des Werwolfes, den er erst vor weniger als eine Woche auf Anraten seiner Sektenbrüder beschworen hatte, einige der Mafiabosse in den Autos entkommen waren.

    Doch so sehr er auch mit seinem Schicksal haderte, Gluschenko blieb nichts weiter übrig, als sich jetzt selbst vorläufig in Sicherheit zu bringen und zu einer anderen Gelegenheit noch einmal zuzuschlagen. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, um seinen Fluchtweg zu nehmen.

    Mehrere Stufen auf einmal nehmend sprang Gluschenko in die Tiefe, bis er das unterste Stockwerk fast erreicht hatte. Hier traf er auf die ersten Polizisten, die sich im Erdgeschoss versammelt hatten und nun die Treppe stürmen wollten, die Gluschenko überhastet herunterhetzte. Der Gejagte nutzte den kurzen Augenblick der Überraschung aus, um dem Polizisten vor ihm eine Kugel zwischen die Augen zu platzieren und seinem Kollegen einen unpräziseren Streifschuss zu verabreichen. Sein erstes Opfer sackte sofort zusammen und rollte leblos die Treppe hinunter, während der zweite Polizist von der Wucht des Schusses nach hinten katapultiert wurde, gegen das eiserne Treppengeländer prallte, Übergewicht bekam und rücklings in die Tiefe und genau in die nächste Gruppe von Polizisten stürzte.

    Gluschenko aber lief gezielt weiter, erreichte das Erdgeschoss und rannte Haken schlagend auf den Hinterausgang zu, den er energisch aufriss. Gehetzt durchquerte er den weiträumigen Hinterhof, um zum nächsten Wohnblock zu gelangen. Dort riss er ebenfalls die Hintertür auf und hetzte geradewegs durch das Gebäude und die offenstehende Eingangstür auf die Ulitza Grafova. Rasend lief er über die menschenleere Straße und hetzte an Hinterhöfen vorbei, aus denen er das aggressive Bellen einiger Hunde vernahm, bevor er auf einen heruntergekommen Bauwagenplatz abbog, auf dem es mächtig stank und dreckig war.

    Mit rasselndem Atem und von schmerzhaften Seitenstichen geplagt lief Gluschenko an den rostigen und in Brand gesetzten Tonnen vorbei, um die sich einige angetrunkene Penner mit ihren Hunden versammelt hatten, um Karten oder Schach zu spielen. Verwirrt blickten sie hinter dem bewaffneten Gluschenko her und schüttelten mitleidig den Kopf. Sie hielten ihn für einen sonderbaren Spinner und unterschätzten die Gefahr. Dadurch machten sie auch keinerlei Anstalten den Flüchtenden in irgendeiner Form aufzuhalten.

    Der gejagte Rächer aber lief quer über den Bauwagenplatz und rannte blindlings auf die Beloostrovskaya Ulitza. Für einen Moment wurde Gluschenko durch das Licht eines heranrauschenden Autos geblendet, dessen Fahrer abrupt auf die Bremse trat und mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Sofort öffnete sich die Fahrertür und ein jüngerer Mann rief dem Flüchtenden böswillige Schimpfwörter hinterher. Auf der anderen Fahrspur hupten einige Autos, als Gluschenko auf die Serdobol’skaya Ulitza stürzte, die weniger befahren und von einige Bäumen am Straßenrand gesäumt war.

    Mit letzter Kraft hechtete Gluschenko noch gut einhundert Meter weiter und bog auf einen heruntergekommenen Schrottplatz ab, vor dem er noch vor der Ermordung von Sascha und dem Zusammentreffen mit Sergej bereits seinen Fluchtwagen im Voraus platziert hatte.

    Erst hier wagte der flüchtende Massenmörder einen Blick über die Schulter. Er hatte vor zwei heranrennenden Polizisten immerhin einen Vorsprung von einhundert Metern erarbeiten können.

    Mit flinken Fingern riss Gluschenko die Tür des alten gelben Wolgas auf. Die eigentlichen Autoschlüssel hatte er unter dem Beifahrersitz versteckt und holte sie jetzt rasch hervor. Endlich bekam er den Schlüsselbund zu fassen und konnte den Wagen starten.

    Gluschenko riss die Fahrertür zu, während er auf das Gaspedal drückte und auf die Einfahrt zur Straße zujagte. Da tauchte unvermittelt der erste der beiden Polizisten auf und wollte sich ihm mit erhobener Waffe in den Weg stellen. Gereizt trat der fluchende Gluschenko das Gaspedal durch und jagte erbarmungslos auf den Polizisten zu, der sich in Sekundenschnelle überlegen musste, ob er lieber schießen oder flüchten sollte.

    Der heranstürmende Polizist entschied sich für sein eigenes Wohl und machte im letzten Moment einen gewaltigen Hechtsprung, der ihn gegen einige ausrangierte Autoreifen prallen ließ, auf denen er immerhin verhältnismäßig weich landete. Sein Kollege, der ein wenig zurückhing, jagte dem gelben Fluchtwagen von der Straßenecke aus einige Schüsse entgegen, die aber nicht trafen, da der Wolga bereits eine extreme Geschwindigkeit aufgenommen hatte, mitten auf der Straße mit quietschenden Reifen eine Drehung um fast einhundertachtzig Grad hinlegte und dann unkontrolliert weiter herunterraste.

    Auf der Gegenseite musste ein empört hupender Autofahrer dem Verrückten ausweichen und fuhr im letzten Moment schlingernd auf den schmalen Bürgersteig und dann frontal gegen eine der spärlich gesäten Straßenlaternen.

    Gluschenko aber konnte vorerst entkommen und wollte sich endlich dorthin zurückziehen, wo er die gefangene Französin als letzten Trumpf ausspielen konnte.

     

    Vitali sah wie der Werwolf mitten im Lauf erstarrte, seinen Schädel gequält in die Luft reckte und ihn auf unheimliche Weise fast um einhundertachtzig Grad zu ihm herumdrehte, um ihn aus hervorquellenden Augen fiebrig anzustarren. Das vor Geifer und Blut triefende Maul hatte das düstere Wesen weit aufgerissen und entsandte ein schauriges Heulen durch die Taverne, das Vitali bis ins tiefste Mark traf. 

    Längst war der Journalist zu Boden geprallt und hielt sein Agnus Dei wie einen Rettungsanker umklammert, den er dem Werwolf trotzig entgegenreckte. Das Wesen starrte wie gebannt auf den Talisman, als das gleißende Licht auf einmal noch heller wurde und sich um die Konturen des Werwolfes schmiegte, der plötzlich kraftlos zusammenbrach und verschreckt aufheulte.

    Dann schien das unheilvolle Wesen zu implodieren. Es begann an der Stelle am Rücken, wo Vitali das Monstrum mit seinem Talisman touchiert hatte. Dort breitete sich ein rötliches Licht aus und plötzlich zerfielen die Konturen des Wesens einfach an dieser Stelle, ein fluoreszierendes Licht breitete sich aus und verwandelte das dämonische Gewebe in Staub, der zu Boden rieselte.

    Erst fing dieser unvorstellbare Prozess langsam an, dann weitete er sich immer schneller aus, umfasste die Hinterläufe des Wesens, plötzlich aber auch den vorderen Teil des Körpers und machte auch nicht vor dem Gesicht des Werwolfes Halt, dessen Geheule abrupt verstummte, in ein schauriges Winseln überging und schließlich völlig abbrach. Einen letzten, gepeinigten und wässrigen Blick warf das Monstrum seinem Vernichter noch zu, bevor beide Gestalten ein noch gleißenderes Licht blendete.

    Vitali warf sich mit krampfhaft verschlossenen Augen zu Boden, verharrte dort und betete so inbrünstig zu Gott, wie er es nie zuvor in seinem Leben getan hatte. Er spürte, dass ihm diese Spiritualität in Verbindung mit der magischen Wirkung des Agnus Dei unvorstellbare Kräfte verlieh, die er nicht in Worte fassen konnte. Vitali fühlte sich seltsam euphorisiert und frei.

    Nach wenigen Sekunden war das faszinierende Spektakel dann vorbei. So urplötzlich das Licht aufgetaucht war, so unvermittelt brach es ab und Vitali hob überrascht den Kopf, um die Augen zu öffnen.

    Mit einem Mal herrschte eine gespenstische Stille im Pub und auf der Straße. Vitali starrte fassungslos auf sein Agnus Dei, das seine Hitze im selben Augenblick verloren hatte, als auch das gleißende Licht verschwunden war. Dann blickte er auf die Überreste dessen, was vor wenigen Augenblicken noch eine furchteinflößende und erbarmungslose Kreatur dunkler Mächte dargestellt hatte. Nur noch grauer Staub auf dem Holzboden zeugte davon, dass hier zuvor noch das Monstrum gestanden hatte. Alle Anwesenden rieben sich die Augen und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Bestie war in Sekundenschnelle zu Staub zerfallen, nachdem Hunderte von Pistolenkugeln ihr fast keinen Kratzer beigefügt hatten. Mit dem Verstand war dieses Phänomen überhaupt nicht zu erklären.

    Vitali tastete nach dieser seltsamen Asche, um sich zu überzeugen, dass sie echt war und er nicht irgendeinen Fiebertraum durchlebte. Die merkwürdige Asche rieselte durch seine Hände und fühlte sich fast wie der Sand an der Newa an.

    Vitali blickte auf und traf das fassungslose Gesicht des Oberkommissars Matafeev. Ihm näherte sich von draußen gerade ein Polizist, der ihn keuchend ansprach und erst dann verdattert auf Vitali starrte, der mitten im Raum erschöpft in der Asche des Werwolfs hockte.

    „Herr Oberkommissar, Gluschenko konnte entkommen. Er ist gen Norden geflüchtet, zwei Männer verfolgen ihn!“, teilte der junge Polizist mit und salutierte auf alberne Weise.

    Mühsam erhob sich Vitali, wischte sich die Asche benommen von seiner Kleidung und hängte sich seinen Talisman wieder um den Hals. Sein Blick traf Sergej, der völlig entgeistert hinter ihm im Flur stand und ihn wie einen unbekannten Magier mit übermenschlichen Fähigkeiten betrachtete.

    Doch Vitali kümmerte sich nicht um die Verwunderung der Polizisten, Mafiosi und seines Partners, sondern trat zielstrebig auf Matafeev zu, dem es die Sprache verschlagen hatte und der ihn in einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht anstarrte. Energisch griff Vitali dem zusammenzuckenden und respektvoll zurückweichenden Oberkommissar an die Schultern und schüttelte ihn durch.

    „Herr Matafeev, wohin könnte Gluschenko geflohen sein? Los, sagen Sie es mir, es könnte um Leben und Tod gehen.“, forderte Vitali sein Gegenüber erregt auf und verhielt sich so, als ob überhaupt nichts vorgefallen sei, während Matafeev ihm direkt und starr in die Augen blickte.

    Der Oberkommissar brauchte drei Anläufe, bis endlich einige Silben über seine Lippen kamen und er dem mysteriösen Retter eine Antwort geben konnte. Diese Sprachlosigkeit war man von dem sonst so selbstbewussten Oberkommissar überhaupt nicht gewohnt.

    „Vielleicht will er zur stillgelegten Fabrikanlage vom alten Dostojewski in der Ulitza Petrovskaya Kosa. Da hat er früher gearbeitet.“, brachte Matafeev schließlich hervor und starrte nun betreten zu Boden.

    „Wo zur Hölle ist das? Ich bin neu in der Stadt! Verdammt, ich kenne mich hier nicht aus!“, fluchte Vitali voller Ungeduld, als er plötzlich unmittelbar hinter sich eine Stimme vernahm.

    „Ich weiß es aber. Lass uns meinen Lada nehmen.“, brachte Sergej mit belegter Stimme hervor und Vitali drehte sich überrascht zu ihm herum.

    Sein Freund hatte sich aus seiner Starre gelöst und blickte ehrfürchtig zu Boden, als Vitali ihn so verblüfft anblickte. Doch dieser packte ihn an den Schultern, blickte ihn hektisch an und drängte ihn an einer Horde ehrfurchtsvoll zurückweichender Polizisten durch den Ausgang auf die Straße. Endlich kam wieder Bewegung in die Leute und auch Sergej bewegte sich jetzt von allein.

    „Lass uns keine Zeit verlieren. Schnell!“, forderte Vitali seinen Kollegen auf und sprintete los. Er dachte dabei nur noch an seine bildschöne französische Nachbarin, die er erst seit vierundzwanzig Stunden kannte und in die er sich doch irgendwie auf den ersten Blick verliebt zu haben schien.

    Sein eigenes Ansehen war ihm völlig gleichgültig geworden und auch die Anerkennung der von ihm und den weißmagischen Kräften seines Talismans geretteten Menschen, welche die Welt nicht mehr verstanden, interessierten ihn in keiner Weise.

    Vitali holte trotz der nervenzehrenden letzten Minuten noch einmal alles aus sich heraus.

     

    Gluschenko raste wie ein Wahnsinniger durch die Innenstadt von Sankt Petersburg. Er wusste, dass sein Vorsprung nur knapp war und ihm bald die halbe Stadt auf den Fersen war. Mafiosi und Polizisten würden ihre Fühler nach ihm ausstrecken, doch er hatte bereits einen Fluchtplan. Am Fluss Malaya Neva, auf der Rückseite der Chemiefabrik, hatte er ein Motorboot stehen, mit dem er bis ins offene Meer hinausfahren würde. Die französische Geisel sollte dabei seine Lebensversicherung sein und ihn vor möglichen Angriffen der Küstenwache oder eines Polizeihelikopters schützen, bis er Kronstadt erreichte und sich dort mit einem der Boote seiner Sektenbrüder bis nach Finnland absetzen konnte. Sein weiteres Ziel war die finnische Hafenstadt Hamina.

    Doch bis dahin war es noch ein beschwerlicher Weg für ihn. Im schnellen Tempo ratterte er soeben über die Novoladozhskaya Ulitza und überquerte die unspektakuläre und kleine Brücke über den kleinen Fluss Zhdanovka. Der Verkehr hatte hier nachgelassen und so kam der Flüchtende auch erstaunlich schnell über die Remeslennaya Ulitza bis zum Petrovskiy Prospekt, auf dem die alte Chemiefabrik bereits lag.

    Gluschenko jubilierte, als er die alten Schlote und die grauen Gebäudefassaden des Ortes sah, an dem er sich fast fünfzehn Jahre lang die Seele aus dem Leib geschuftet hatte, nachdem er die Schule abgebrochen hatte und bevor er über den Kontakt eines Schichtarbeiters in die organisierte Kriminalität eingestiegen war.

    Mit quietschenden Reifen hielt Gluschenko am Straßenrand und lief eilig über den Asphalt hinweg auf den Eingang der stillgelegten Fabrik zu, die zu dieser späten Stunde wie ein unheimlich düsteres Labyrinth aus uneinladenden Plattenbauten und verrußten Schornsteinen wirkte. Gluschenko machte sich nicht einmal die Mühe seinen Wagen vernünftig zu parken, den Motor abzustellen oder die Wagenschlüssel mitzunehmen. Für solche Lappalien blieb ihm jetzt keine Zeit mehr, denn jede Minute konnte entscheidend sein.

    Plötzlich aber ertönte ein überlauter Knall und Gluschenko schrak überrascht für den Bruchteil einiger Sekunden zusammen, bevor ein wuchtiges Geschoss seine rechte Kniescheibe zertrümmerte und ein flammender Schmerz den schreienden Massenmörder quälte. Mit Tränen in den Augen sackte Gluschenko zusammen, da das rechte Bein sein Gewicht nicht mehr halten konnte. Wie ein hilfloser Krüppel fiel er auf den staubigen und von Unkraut überwucherten Boden vor der Fabrikhalle und starrte auf den Mann, der mit einem Gewehr auf dem Dach hockte und sich eine Zigarre angezündet hatte.

    Die Person starrte lässig auf Gluschenko herab und visierte den Entführer erneut an, bevor sie die Zigarre geräuschvoll ausspuckte.

    „Nein, bitte nicht, Erbarmen! Wer immer du bist, ich kann dir alles geben, was du brauchst. Macht, Drogen, Geld, ich kann dir leichte Mädchen beschaffen, die schönsten, die es gibt, wenn du mich nicht hier abknallst!“, flehte Gluschenko mit weinerlicher Stimme und Tränen traten ihm in die Augen in dem Gewissen kurz vor seinem Ziel nun gescheitert zu sein.

    Er rechnete nicht einmal mehr mit einer Antwort des unbekannten Schützen, der jeden Moment abdrücken und Gluschenko ins Jenseits befördern konnte, doch dann rang sich sein unbekannter Gegner doch noch zu einem Kommentar durch.

    „Leck mich am Arsch, Gluschenko! Das alles kann ich mir auch ohne deine Hilfe besorgen!“, rief sein Gegner aggressiv und Gluschenko erstarrte. Er kannte die Stimme irgendwoher, konnte sie in seiner Panik aber überhaupt nicht mehr einordnen. Er hatte generell Probleme jetzt noch klar zu denken.

    Er wusste, dass es für ihn nun keine Fluchtmöglichkeit mehr gab. Hastig fingerte er in seiner Jackentasche nach dem Fernzünder für die Bombe unter dem Stuhl der gefesselten Französin. Endlich bekam er ihn zu fassen und drückte mit einem morbiden Grinsen den Knopf, der den tödlichen Mechanismus in Gang setzte, der die Französin mitsamt der halben Fabrikanlage in die Luft jagen würde. Der Zünder gab einen Pfeifton von sich, der Zerstörungsmechanismus war erfolgreich aktiviert! Wild lachte Gluschenko auf.

    „Wenn ihr mich umlegen wollt, sollt ihr auch alle zur Hölle fahren! Ich nehme so viele von euch Bastarden mit, wie ich nur kann!“, flüsterte er sich selbst grimmig zu und musste gleichzeitig mit ansehen, wie sein Gegner vom immerhin gut vier Meter hoch gelegenen Vordach des Fabrikeingangs heruntersprang, federnd aufkam und sich mit seiner Waffe im Anschlag langsam wie ein Westernheld dem regungslosen Gluschenko näherte.

    Angestrengt starrte der verletzte Rächer seinem Gegenspieler entgegen, der endlich in das Licht einer Straßenlaterne geriet. Gluschenko erkannte den bulligen, kräftig gebauten Mann mit dem Narbengesicht jetzt endlich wieder.

    Es war Lukianenko!

     

    Im Eilschritt waren Vitali und Sergej durch die Straßen zum Lada gerannt. Gehetzt hatte Sergej seine Wagen gestartet, gewendet und raste nun wie ein Verrückter durch Sankt Petersburg. Um seine Nervosität ein wenig zu mindern, hatte er erneut eine alte Kassette der russischen Band Aria eingeworfen, doch er konnte sich auf ihr letztes Erfolgsalbum aus den Achtzigern, bei dem er jedes Lied mitsingen konnte, leider nicht konzentrieren.

    Vitali hockte angespannt neben ihm und hatte sich nicht einmal angeschnallt. Er stand unter Strom und starrte gebannt auf den Verkehr der stets lebendigen Innenstadt. Nervös kaute er ans einen Fingernägeln. Schließlich hielt er das Schweigen nicht mehr aus.

    „Sergej, wie weit ist es noch?“, wollte er krächzend wissen.

    „Wir sind jetzt schon auf dem Bol’schoy Prospekt, es kann nicht mehr weit sein!“, gab Sergej, der verbissen das Lenkrad umklammerte und seinem altersschwachen Lada noch einmal alles abverlangte, eifrig zurück.

    „Wir müssen Eva retten, um jeden Preis.“, hauchte Vitali atemlos.

    „Willst du mir nicht mal verraten, was das eben für eine gottverdammte Aktion in diesem Pub war?“, wollte Sergej wissen und wandte seine Blick dabei nicht von der Straße ab.

    „Ich kann es mir selbst kaum erklären. Es ist dieses Agnus Dei, das mir der Mönch heute Nachmittag gegeben hat. Es hat irgendetwas damit zu tun.“, gab Vitali zurück. Er hatte seinem Kollegen schon nach der Entführung der Französin in ein paar Sätzen von dem Zusammentreffen mit dem Mönch erzählt, ursprünglich eigentlich, um seinen Partner und vor allem sich selbst von den schrecklichen Ereignissen des späten Nachmittags abzulenken.

    „Es ist also so eine Art magische Wunderwaffe? Wie aus Herr der Ringe oder Harry Potter? Und dieser Mönch ist ein weißer Magier?“, fragte Sergej in einer Mischung aus Unverständnis und Spott, woraufhin Vitali ernüchtert seufzte.

    „Ich weiß es doch auch nicht. Es könnte so etwas in der Art sein, möglicherweise.“, gab Vitali zurück und kam sich dabei selbst irgendwie lächerlich vor.

    „Und was zur Hölle war das für ein Monstrum, das all die Leute im Pub umgebracht hat?“, wollte Sergej entgeistert wissen und raste über eine rote Ampel, ohne sich um das Hupen der anderen Verkehrsteilnehmer zu scheren.

    „Ich bin mir nicht sicher. Ich denke, es war eine Art Werwolf.“, meinte Vitali kleinlaut und Sergej musste schallend lachen und warf seinem Partner zum ersten Mal während der Fahrt einen Seitenblick zu.

    „Willst du mich auf den Arm nehmen?“, fragte Sergej schließlich fassungslos und bog mit erhöhter Geschwindigkeit auf eine Seitenstraße ab.

    „Habe ich das jemals getan? Ich kann es doch selbst kaum fassen. Aber das Wesen sah exakt so aus wie das Ungetüm aus dem Buch mit den satanistischen Beschwörungsformeln auf dem Schreibtisch in Gluschenkos Wohnung.“, gab Vitali entnervt und auch verzweifelt zurück, weil sein Partner sich über ihn lächerlich zu machen drohte. Der junge Journalist konnte nur hoffen, dass er seinen Kollegen und auch sich selbst irgendwann von der diffusen Wahrheit überzeugen konnte. Noch lieber hätte er den gesamten Tag gänzlich aus seinem Gedächtnis verbannt, doch er wusste, dass dies nicht gehen würde. Es hatte Dutzende von Zeugen gegeben, die dieselbe unglaubliche Geschichte in der Taverne erlebt hatten wie er selbst.

    Bevor Sergej eine Erwiderung aussprechen konnte, ertönte plötzlich ein lauter Knall, der Lada wurde hart durchgerüttelt und aus der Motorhaube zog ein schwarzer Qualm auf, der ihre Sicht auf die Fahrbahn fast völlig einschränkte. Hart fuhr Sergej an den Straßenrand der Zhdanovskaya Ulitza, auf der sie sich mittlerweile schon befanden. Hinter ihnen bremsten einige Wagen quietschend ab, ein empörtes Hupen ertönte und zwei Passanten stoben entsetzt auseinander, als Sergej auf den Bürgersteig jagte und sein Lada endlich zum Stehen kam.

    Wütend schlug der leidenschaftliche Fahrer auf die Hupe seines Wagens, die mehr nach einem heiseren Entengeschrei klang. Dann schlug er seine Faust grimmig gegen das Armaturenbrett, riss die Fahrertür auf und trat wütend auf den Bürgersteig.

    „Verdammt, warum muss diese alte Schrottkarre ausgerechnet jetzt schlapp machen!“, ließ nun auch Vitali seinen Unmut heraus und stieg schwungvoll aus dem Wagen auf.

    „Das ist nicht irgendeine Schrottkarre, du Idiot! Sie hat mir immer treue Dienste geleistet, wie meinem Onkel und meinem Großvater zuvor auch!“, giftete Sergej angespannt zurück und beugte sich hustend über die qualmende Motorhaube.

    „Es wird Zeit, dass die alte Rostlaube ins Museum kommt. So ein gottverdammter Scheißdreck!“, schrie Vitali seine Wut weiter aus sich heraus und trat unbeherrscht gegen einen Mülleimer auf dem Bürgersteig, während die Passanten ihn und Sergej kopfschüttelnd und verächtlich anblickten oder gar beschimpften.

    „Leckt mich doch alle am Arsch“, fluchte Sergej aufgebracht, als plötzlich Polizeisirenen aufheulten, die immer näher in ihre Richtung kamen.

    „Jetzt kreuzen auch noch die Bullen auf!“, fluchte Vitali und dachte mit Tränen in den Augen an seine französische Freundin. Er malte sich bereits die grässlichsten Bilder in seinem Kopf aus. Er sah die strahlende Schönheit gepeinigt in einem düsteren Keller hocken, nackt und dreckig, halb verhungert und völlig ausgelaugt. Er sah den verschwitzten, schmierigen Gluschenko vor seinen inneren Augen und wie er sich an der Französin vergriff, ihr eine Waffe an den Kopf hielt... Verzweifelt schrie Vitali seine Wut und Angst in den Nachthimmel von Sankt Petersburg. Ihm war es völlig egal, was die umstehenden Leute von seinem Gefühlsausbruch hielten. Vitali war mit den Nerven völlig am Ende.

    „Unter diesen Umständen hängen wir morgen früh noch hier ab, falls man uns dann nicht schon längst eingebuchtet hat!“, nörgelte Sergej, dem die Sache auch wegen seines kaputten Ladas sehr nahe ging.

    Da hielt plötzlich mit quietschenden Reifen ein Streifenwagen neben ihnen und vom Beifahrersitz sprang ein Polizist mittleren Alters eifrig auf und kletterte mühsam aus dem Auto. Vitali und Sergej erkannten den Mann im gleichen Moment und konnten ihr Glück kaum fassen!

    „Steigt hinten ein. Nun macht schon, die Zeit wird knapp!“, forderte Matafeev die beiden Journalisten auf, die sich dies nicht zweimal sagen ließen.

     

    Eva Maelle Lavoie schreckte aus ihrem Halbschlaf hoch, als sie den schrillen Pfeifton unter ihrem Stuhl vernahm. Halb benommen nahm sie ein seltsames Ticken war, das sie an eine Uhr erinnerte.

    Dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht. Sofort war die Französin hellwach und schreckte ängstlich hoch. Entsetzt vor sich hinmurmelnd schossen ihr Tränen in die Augen. Sie wusste, dass ihre letzten Minuten geschlagen hatten, denn die Bombe unter ihrem Stuhl war soeben aktiviert worden!

    Fünfzehn Minuten Zeit verblieben ihr noch. Fünfzehn Minuten in einem kalten Raum, den sie sich mit Ratten und anderem Ungeziefer teilen musste. Eine Viertelstunde in unheilvoller Dunkelheit, in grausamer Einsamkeit. Fünfzehn Minuten der Bedeutungslosigkeit, um sich mental noch ein letztes Mal zu sammeln, da die Französin physisch nach wie vor an den Holzstuhl gefesselt war.

    An wen oder was sollte sie in den letzten Minuten ihres Lebens denken? An ihre besorgten Eltern? An ihre Jugendfreunde? An ihre erste große Liebe? An ihre russische Theatergruppe? An Vitali, in den sie sich verliebt hatte? An den Mann, der ihr all dies angetan hatte?

    Gesichter huschten durch den melancholischen Geist der Französin, die stumm zu beten begann, während wirre Gedankefetzen panisch durch ihren Kopf gingen. Monoton und erbarmungslos lief ihre Zeit ab.

    Da hörte die Französin erneut einen Pfeifton. Eine Minute war bereits seit der Aktivierung der Bombe über den Fernzünder vergangen.

    Eva dachte angestrengt nach. Warum hatte ihr Peiniger die Bombe aktiviert? War ihm etwas zugestoßen? War er von der Polizei erwischt worden? War er auf der Flucht aus der Stadt heraus? Hatte er die Bombe bewusst aktiviert oder war er versehentlich auf den Auslöser gekommen? Würde er noch einmal zu ihr zurückkehren, um sie zu verhöhnen, sie zu erniedrigen oder doch um sich ihr gegenüber zu erbarmen?

    Die Französin war in diesen Momenten der absoluten Erniedrigung bereit ihrem Entführer alles zu geben, was dieser verlangen würde. Sie würde sich ihm sexuell hingeben, um ihn zu beschwichtigen, sie würde ihm alle Kreditkarten und Geheimnummern übergeben, damit er sie bis auf den letzten Cent ausbeuten konnte.

    Erneut ertönte ein schriller Pfeifton. Es waren noch dreizehn Minuten bis zum entgültigen Ende. Bald war alles vorbei.

    Eva verwarf die erniedrigenden Gedanken. Sie wollte in Würde sterben. Lieber ging sie ehrenvoll in den Tod, als sich ihrem abartigen geisteskranken Entführer hinzugeben. Sie verfluchte ihren Mitbewohner, der Mann, mit dem sie unter einem Dach gelebt hatte und der zu ihrem tödlichen Schicksal geworden war. War es tatsächlich Schicksal? Warum war sie von Millionen von Bürgern in Sankt Petersburg in die Fänge dieses Wahnsinnigen gegangen? Womit hatte eine junge, unschuldige Immigrantin dies verdient?

    Da kam der nächste Pfeifton. Zwölf Minuten verblieben ihr noch.

    Gab es vielleicht doch noch Hoffnung? Eva erinnerte sich an die Schritte, die sie vor ihrer Tür gehört hatte. Könnte diese Person sie retten? Sie wusste, dass diese Person nicht ihr Peiniger gewesen war. Sie hatte eine ganz andere Schrittfolge gehabt, das hatte Eva mit ihrem feinen und gut geschulten Gehör sofort ausgemacht. Wer aber konnte der Unbekannte sonst sein? Handelte es sich um einen Landstreicher oder Obdachlosen? War es ein Krimineller gewesen, der sich für zwielichtige Geschäfte an diesen Ort zurückgezogen hatte? Wo lag dieser Ort, möglicherweise eine stillgelegte Fabrik, überhaupt? War sie in einem Außenbezirk der Stadt oder gar schon an einem anderen Ort gefangen? Oder lag die Fabrik in der Hafengegend, möglicherweise nur wenige Meter von ihrer Wohnung entfernt? Schlug Gluschenko nur im Hafenviertel zu und trieb dort seinen grausigen Terror? Was war sein ultimatives Ziel, falls er überhaupt ein solches besaß?

    Der neue Pfeifton läutete die elfte Minute ein. Die Französin zuckte nicht einmal mehr ängstlich zusammen. Sie hatte sich mit ihrem desolaten Schicksal abgefunden. In ihr steckte kaum mehr Lebensmut, kein Aufbäumen und keine übermenschliche Kraft. Sie hatte den Kampf aufgegeben, denn gegen die höheren Mächte des Schicksals hatte sie allein einfach keine Chance. Selbst zum Weinen hatte sie keine Energie mehr.

    Benommen lag Eva auf dem kalten Boden. Ihre aufgeregten Gedanken waren verklungen. Eine bedrohliche Leere hatte sich in ihr breit gemacht. Sie wollte einfach einschlafen, doch irgendein letzter Funke Widerstand in ihrem Körper und Geist wehrte sich dagegen. Apathisch blieb sie wach und harrte aus.

    Der nächste Pfeifton erklang noch früher als erwartet. Die Zeit schien wie im Fluge zu vergehen. Zehn mickrige Minuten blieben Eva noch.

    Stöhnend wälzte sich die Französin auf dem Boden herum und hörte das Quieken einer Ratte, die erschrocken von ihr weghuschte. Würde die Französin als Fraß der Nagetiere enden? Würde man sie überhaupt in diesem Drecksloch finden und ihren Leichnam beerdigen? Sie verwarf den Gedanken wieder. Die Bombe würde sie bis zur Unkenntlichkeit zerfetzen. Und ebenso die Ratten, die sie dann auch nicht mehr anrühren konnte. Wenigstens diese Ehre konnte Eva noch wahren.

    Mit diesen wirren Gedanken schloss Eva die Augen in dem Moment, als durch den nächsten und unerbittlichen Pfeifton die neunte Minute eingeläutet wurde. Die Hälfte der Zeit war beinahe schon vorbei und an ihrer misslichen Lage hatte sich nichts verändert.

    Eva fing benommen an zu beten. Flüsternd sagte sie das Vater Unser auf. Nicht einmal nur, sondern immer wieder. Gebetsmühlenartig kamen die Verse über ihre Lippen. Sie sprach dabei immer lauter und schneller, nicht wegen ihres starken Glaubens, sondern um das monotone Ticken der Bombe zu übertönen. Sie wollte auch ihre eigene Stimme hören. Sie konnte sich nicht sehen, ihre Glieder waren so taub geworden, dass sie sich auch kaum mehr fühlen konnte und somit wollte sie sich wenigstens noch ein letztes Mal hören. Sie wollte etwas Menschliches an ihr selbst zurück in ihr Gedächtnis rufen. Sie wollte sich sprechen hören, um zu spüren, dass sie keinen Alptraum durchlebte, sondern ihr Schicksal bittere Realität war.

    Der nächste Pfeifton ertönte. Es blieben ihr noch acht Minuten. Was konnte man in acht Minuten bewerkstelligen? Eine E-Mail schreiben vielleicht.Eine Portion Spaghetti essen.Ein Gedicht schreiben. Geschlechtsverkehr haben. Ein Spiegelei mit Speck zubereiten. Mit der Petersburger Metro von ihrer Wohnung aus bis kurz vor die Innenstadt fahren. Einem kleinen Kind ein Märchen vorlesen.

    Eva hätte gerne Kinder gehabt, vielleicht eine Tochter, die sie nach ihrer Großmutter benannt hätte, die sie so geliebt hatte. Jetzt war sie froh keine Angehörigen zurückzulassen. Vielleicht war es doch besser so einsam zu sterben, als in irgendeinem Krankenhaus, wo ihre Freunde und ihre Familie am Krankenbett ausharrten und verzweifelt weinten oder zu ihr sprachen. Möglicherweise war ihr Schritt nach Sankt Petersburg zu gehen die richtige Wahl gewesen, um sich von all dem loszueisen, was sie mit ihrem früheren Leben verbunden hatte. Hatte Gott sie bewusst auf diesen Weg geführt? Gab es einen Gott? War es von irgendeiner Bedeutung, ob es ihn gab oder nicht? Würde Eva in acht Minuten in den Himmel kommen und Petrus treffen? Oder sollte sie in der Hölle schmoren? Wie konnte darüber entschieden werden?

    Da ertönte der Pfeifton wieder. Sieben Minuten waren noch übrig. Übrig wovon? Wie viele Minuten hatte sie gelebt? Wie viel Zeit hatte sie geschlafen oder mit Lernen, Essen oder Schlafen vergeudet? Was hatte ihr Leben wirklich lebenswert gemacht? Warum fiel ihr auf Anhieb einfach nichts ein?

    In tiefer Melancholie versunken brachen die Gedanken der Französin wieder ab, bis sie der nächste Pfeifton wieder aus der Lethargie riss. Sechs Minuten blieben ihr noch. Und sie wollte leben! Sie wollte frei sein! Sie hatte ein Grundrecht darauf, wie jeder andere Bürger des Planeten auch! Sie wollte sich gegen ihr Schicksal stellen! Sie wollte sich nicht unterkriegen lassen! Sie wollte als energische Kämpferin zugrunde gehen und nicht als melancholische und verwirrte Immigrantin mit Hang zum Pessimismus!

    Eva gab sich wieder ein Ruck. Sie öffnete ihren Mund so weit es ging, holte tief Luft und schrie so laut sie nur konnte! Obwohl der Knebel ihren Hilferuf dämpfte, so klang er in ihren Ohren doch lauter und deutlicher, als beim letzten Mal, als sie die seltsamen Schritte gehört hatte. Möglicherweise war diese unbekannte Person ja tatsächlich noch irgendwo in der Nähe.

    Mit neuem Mut übertönte Eva den Pfeifton, der ihr die letzten fünf Minuten signalisierte.

     

    Lukianenko blickte den geschlagenen Gluschenko aus seinen kalten Augen erbarmungslos an und hob seine Waffe. Im selben Moment hörte er aus der Ferne aufheulende Polizeisirenen und auf dem Gesicht des am Boden liegenden Gegners tauchte ein kurzer und hoffnungsvolles Lächeln auf. Doch da lachte Lukianenko dreckig und trat noch näher an seinen Feind heran, der sich zur Seite robbte und ihm ausweichen wollte.

    „Wenn du meinst, dass ein paar Polizeiwagen mich daran hindern könnten dir dein dreckiges Gehirn aus dem Schädel zu pusten, dann täuschst du dich gewaltig! Bevor die Kerle mich schnappen können, bist du tot!“, drohte Lukianenko in eiskaltem Flüsterton und raubte Gluschenko die letzte Illusion auf eine Flucht aus seiner prekären Lage.

    Mit angezogener Handbremse und quietschenden Reifen schoss ein Polizeiwagen auf den Vorplatz der alten Chemiefabrik, doch Lukianenko ließ sich von der plötzlichen Hektik nicht im Geringsten stören und registrierte das Erscheinen weiterer Polizeiwagen nur beiläufig. Er hatte sich von Gluschenko düpieren lassen und er wollte diese Schmach rächen, selbst wenn er dafür ins Gefängnis gehen musste. Eiskalt zog er seinen Racheplan durch.

    Gluschenko blickte noch einmal zu ihm auf, nachdem er einen hektischen Blick über die Schultern geworfen hatte und gerade überlegte, ob er um Hilfe schreien sollte, damit die Polizisten wenigstens sein Leben retteten.

    Hektisch riss Oberkommissar Matafeev im vordersten Wagen die Beifahrertür auf und zückte seine Waffe. Von der Rückbank standen die beiden Journalisten auf, die wider Willen in eine verrückte und unheilvolle Odyssee geraten waren, aus der sie bis hierhin nur mit viel Glück heil herausgekommen waren.

    „Lukianenko, lassen Sie die Waffe fallen! Überlassen Sie Gluschenko uns! Er wird seine gerechte Strafe erhalten!“, schrie Matafeev zu ihm herüber und der Angesprochene lächelte knapp, während er seine Waffe auf den zitternden Gluschenko richtete.

    „Ja, seine gerechte Strafe wird er genau jetzt erhalten!“, flüsterte er gerade so laut, dass Gluschenko ihn vernahm und aus ängstliche Augen anblickte.

    Da drückte Lukianenko entgültig ab.

     

    Sergej und Vitali mussten mit ansehen, wie der Kopf von Gluschenko wie eine reife Frucht zerplatzte, als Lukianenko seinen Gegner ohne eine Gefühlsregung liquidierte. Verzweifelt schrie Vitali auf. Mit dem Tod des Wahnsinnigen schien auch das Schicksal seiner französischen Freundin besiegelt, von der er nicht wusste, wo sie sich befand und ob sie in Lebensgefahr schwebte.

    Matafeev ging hinter der aufgestoßenen Beifahrertür in Deckung und erwartete einen Angriff von Lukianenko, der sich möglicherweise an einer Flucht versuchen würde. Doch zum großen Erstaunen des Oberkommissars blickte Lukianenko zufrieden grinsend auf, nachdem er seine Tat begutachtet hatte und starrte fast amüsiert auf die zahlreichen Polizisten, die inzwischen eingetroffen waren und den linken Arm der stählernen Maske ins Visier genommen hatten.

    Lachend ließ Lukianenko lässig seine Waffe auf den staubigen Boden fallen und trat den Polizisten mit erhobenen Händen, aber ebenso erhobenen Hauptes, entgegen.

    Jetzt reagierte Matafeev, fuhr aus seiner Deckung hoch und lief auf Lukianenko zu. Auch Sergej und Vitali sahen dies als ihr Startsignal und liefen los, steuerten aber den entstellten Leichnam von Gluschenko an, dessen Gesicht kaum mehr identifizierbar war. Lukianenko warf dem vorbeilaufenden Vitali einen grimmigen Blick zu und spuckte verächtlich zu Boden, während Matafeev dem Mafioso Handschellen anlegte, wogegen dieser sich nicht einmal mehr wehrte.

    Vitali sank verzweifelt vor dem Toten auf die Knie, in der Hoffnung bei ihm irgendeinen Hinweis auf den Verbleib seiner französischen Nachbarin zu finden. Hastig durchwühlte er die Jackentaschen des Massenmörders, doch sie waren allesamt leer. Auch in den Hosentaschen, die Sergej mühevoll durchforstete, fand sich keine Spur. Da stürmten auch schon die ersten Polizisten heran, welche die beiden Journalisten von dem Leichnam wegdrängen wollten.

    Todtraurig und geschlagen rappelte sich Vitali auf und wollte stumm den Forderungen der Beamten nachkommen, als sein Blick auf die geballte rechte Faust des Toten fiel. Ein blinkendes, kleines Gerät hielt dieser fest umklammert.

    Erregt warf sich Vitali noch einmal zu Boden, öffnete die klamme Hand des Toten und erspähte voller Schreck einen Fernzünder. Er verstand sofort, was er dort in seinen Händen hielt und wozu es diente, denn er sah die roten Zahlen, die erbarmungslos heruntertickten. Der Countdown war unlängst gestartet worden und es blieben nicht einmal mehr zehn Minuten bis zur Detonation.

    „Verdammt, dieses Schwein hat hier irgendwo eine Bombe gezündet!“, schrie Vitali panisch und Speichel flog hektisch über seine Lippen.

    Die Polizisten um ihn herum starrten ihn an wie ein Gespenst, während Matafeev ungläubig näher trat, nachdem er Lukianenko in die Obhut eines Kollegen überreicht hatte.

    „Was sagst du da?“, fragte der Oberkommissar mit tonloser Stimme.

    „Er hat eine Bombe aktiviert. Irgendwo in dieser Chemiefabrik. Vermutlich wird er Eva damit umbringen!“, schrie Vitali vor Schmerz und Angst und Tränen kullerten in Strömen über seine geröteten Wangen.

    „Verdammt, dieser Gebäudekomplex ist riesig! Wie sollen wir da in neun Minuten die Bombe finden?“, fragte Sergej, der entsetzt hinter seinem Kollegen stand.

    „Wir haben auch gar keine Bombenexperten dabei. Selbst wenn wir das Ding finden, würden wir es nicht entschärfen können und vermutlich alle dabei draufgehen.“, bemerkte Matafeev düster und zerstörte die letzten Hoffnungen des zitternden Journalisten, dessen Herz bis zum Hals schlug.

    „Wenn wir das Gelände nicht evakuieren, gehen wir selbst alle drauf.“, warf Sergej ein, in der vagen Hoffnungen seinen Kollegen zur Vernunft zu bringen, der sich mit dieser Hiobsbotschaft allerdings absolut nicht abfinden wollte.

    „Gibt es denn keine gottverdammte Lösung?“, schrie Vitali fragend seine Wut aus sich heraus, doch die umstehenden Polizisten schwiegen ihn nur betreten an.

    Da meldete sich plötzlich Lukianenko zu Wort, mit dem niemand mehr gerechnet hatte. Mit einem grimmigen Lächeln trat er vor und konnte auch von zwei Polizisten und den Handschellen nicht aufgehalten werden.

    „Ich könnte eine Lösung anbieten.“, sprach Lukianenko ruhig und ohne Häme oder Triumph in seiner Stimme. Alle Blicke wandten sich ihm zu.

    „Was wollen Sie damit andeuten?“, fragte Matafeev lauernd und misstrauisch.

    „Ich kenne mich mit Bomben aus. Ich könnte sie vermutlich entschärfen.“, meinte Lukianenko und nun stahl sich doch ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht.

    „Das ist unsere einzige Chance! Worauf warten wir denn noch?“, herrschte Vitali die Menschen um ihn herum an, als diese Lukianenko keine Antwort gaben.

    Matafeev kraulte sich nachdenklich am Kinn und wog die Argumente ab, doch auch er war zu einer schnellen Entscheidung gezwungen. Schließlich bezwang er seinen inneren Schweinehund.

    „Na gut, Lukianenko. Wir nehmen Ihre Hilfe an.“, meinte er schließlich mit Seitenblick auf Vitali und Sergej kleinlaut und einige Polizisten blickten ihn entsetzt an.

    „Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Wir müssen sofort in das Gebäude!“, rief Vitali energisch und stand nahe der Hyperventilation. Ihm war mittlerweile völlig egal, wer ihm bei der Rettung der Französin half, für ihn zählte einzig und allein das erfolgreiche Ergebnis.

    „Moment, so einfach ist es nicht. Eine Hand wäscht die andere!“, warf Lukianenko schnarrend ein und Vitali starrte ihn verwundert an.

    „Was meinst du damit?“, wollte der Journalist mit einem unguten Gefühl wissen. 

    „Ich helfe euch und bekomme dafür eine Gegenleistung. Von reiner Nächstenliebe kann man schließlich nicht leben!“, erklärte Lukainenko und verschränkte seine in Handschellen gelegten Arme vor seiner breiten Brust.

    „Verdammt Lukianenko, wir verhandeln hier jetzt nicht!“, rief Matafeev bebend vor Wut und Lukianenko wandte sich schulterzuckend und demonstrativ ab.

    „Na schön, es ist eure Entscheidung.“, brummte er arrogant und wusste genau, dass die Diskussion damit noch einmal richtig angeheizt wurde.

    „Verdammt, was willst du von uns haben?“, rief Matafeev cholerisch und geriet völlig aus der Fassung. Triumphierend grinsend wandte sich Lukianenko erneut um, bevor sein Gesicht wieder zu einer eisigen Maske wurde.

    „Ihr lasst mich gegen eine Geldstrafe und ein paar Sozialstunden laufen. Ich komme nicht in den Knast.“, forderte der Mafioso hart und blickte auf Matafeev, der grimmig den Kopf schüttelte.

    „Wie zur Hölle sollen wir das den Haftrichtern erzählen? Du hast hier einen Menschen hingerichtet und ein heilloses Chaos veranstaltet!“, argumentierte Matafeev gereizt.

    „Unsinn. Ihr habt doch alle gesehen, dass ich in Notwehr gehandelt habe oder etwa nicht? Wenn ihr das gesehen habt, wird es auch der Haftrichter so sehen müssen!“, meinte Lukianenko unverschämt und sah wie Matafeev seine Hände zu Fäusten ballte.

    „In Ordnung. Männer, nehmt ihm die Handschellen ab. Nun macht schon! Und Lukianenko, ich schwöre dir, dass du lebenslänglich bekommst, sobald du hier irgendeine Harakiriaktion veranstaltest oder dich zukünftig noch einmal unauffällig verhältst!“, drohte Matafeev, der vor lauter Wut dazu übergegangen war sein Gegenüber zu duzen. Lukianenko nickte grinsend, während ein verdatterter Polizist ihm mit zitternden Händen die Handschellen aufschloss.

    Grimmig fuhr Matafeev herum und ging an vorderster Front auf den Eingang der Chemiefabrik zu. Der überraschte Vitali hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten.

    „Danke, Herr Matafeev, ich danke Ihnen!“, sprach Vitali gerührt, doch der Angesprochene stürmte grimmig auf das Eingangsportal zu und bebte immer noch vor Wut und Ohnmacht., während Lukianenko zufrieden und fast gemächlich hinter ihnen herschlenderte.

     

    Irgendwann hatte Eva das Schreien wieder aufgegeben. Die Götter schienen sie nicht zu erhören, ihr Schicksal schien besiegelt. Ein schriller Pfeifton läutete die letzten zwei Minuten ihres bewegten Lebens ein.

    Da hörte sie plötzlich Schritte. Erst aus weiter Ferne, dann kamen sie immer näher. Sie hörte Stimmengemurmel und merkte, dass es sich um mehrere Personen handeln musste. Bildete die Französin sich die Geräusche in einem Anflug von Wahnsinn nur ein? Hatte das Wunschdenken Besitz von ihrer Gedankenwelt ergriffen? Gaukelten die Sinne ihr eine Täuschung vor?

    Eva zögerte, lauschte in fiebrigem Schweiß den gedämpften Geräuschen. Mühsam rappelte sie sich noch einmal auf. Dann nahm sie ihre letzte Kraft zusammen und schrie wieder nach Hilfe. Zunächst war ihr Rufen durch den Knebel gedämpft, doch dann schrie sie mit aller Entschlossenheit, drückte den weich gewordenen Knebel mit ihrer Zunge nach unten, riss ihren Mund weit auf und schrie immer wieder.

    Die Schritte im Gang verstummten abrupt. Hatte man sie gehört?

    „Eva?“, rief da eine männliche Stimme in einer bizarren Mischung aus Angst und Freude fragend. Eva hatte sie sofort erkannt. Es war die Stimme von Vitali!

    Da ertönte ein schriller Pfeifton, der die allerletzte Minute ankündigte. Die Zeit rann erbarmungslos davon.

     

    Matafeev wollte gewaltsam die klemmende Tür zu dem alten Versuchslabor öffnen, in dem Eva gefangen war. Doch die solide Tür war abgeschlossen.

    Da verlor Matafeev die Nerven, zückte seine Dienstwaffe und jagte eine Kugel nach der anderen auf das Türschloss, bis dieses beim dritten Versuch zersprang und die Tür grob aufklappte. Matafeev hatte einen schmerzhaften Tinnitus, da er aus ziemlich kurzer Distanz gefeuert hatte, doch dies war ihm völlig egal. Hektisch trat er die zerstörte Tür auf, fand zielsicher den Lichtschalter und stürzte in den Raum, der nur durch eine billige Funzel beleuchtet war und wie ein Kerker wirkte. 

    Vitali sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Sie hatten die Suche schon abbrechen wollen, als ihnen nur noch drei Minuten geblieben waren und er hatte im letzten Moment die Rufe seiner Freundin gehört. Jetzt drängte er sich an Matafeev vorbei, erblickte die weghuschenden Ratten und vor allem die geblendet blinzelnde Französin, die schräg an einen Stuhl gefesselt auf dem Boden hockte und ihren Freund ungläubig anblickte. Doch der Anblick der gefesselten, geknebelten und gepeinigten Französin wirkte auf Vitali wie ein Stich in sein Herz. Er taumelte benommen um seine Nachbarin herum und erblickte die Bombe unter dem Stuhl. Die kleine Anzeigetafel zeigte noch fünfundzwanzig Sekunden an.

    Endlich kam Lukainenko in den Raum, ging sofort zu der Unterseite des Stuhls und starrte mit wachen Augen auf das Durcheinander von bunten Kabeln und Drähten. Zögernd inspizierte er die Apparatur und versuchte sich verbissen zu konzentrieren. Der Mafioso atmete tief und ächzend durch.

    „Verdammt, was ist los?“, schrie Vitali ihn an und glaubte plötzlich, dass Lukianenko sie absichtlich bis hierhin gelockt hatte, um sie alle mit in den Tod zu reißen. Der Schrecken dieser Hypothese umklammerte Vitali wie eine eiserne Klaue.

    „Das ist ein verdammt gerissener Mechanismus. Man muss drei Kabel gleichzeitig ziehen. Ich bräuchte eine helfende Hand!“, gab Lukianenko mürrisch zurück und wirkte noch erstaunlich ruhig und besonnen. Vermutlich hatte er schon viele lebensbedrohliche und haarsträubende Situationen erlebt und wurde deswegen als Einziger der Anwesenden einigermaßen mit dem Druck fertig.

    Vitali ging neben Lukianenko zu Boden und starrte ihn fragend an.

    „Ich nehme das blaue und das grüne Kabel. Du nimmst das Gelbe. Wir ziehen gleichzeitig auf drei!“, forderte Lukianenko, während die roten Lettern der Bombe auf fünf verbleibende Sekunden umsprangen.

    Mit zitternden Händen ergriff Vitali das gelbe Kabel und schloss verkrampft die Augen, während Lukianenko, den er vor wenigen Stunden noch fast zu Tode prügeln wollte und der jetzt das Leben der Französin retten sollte, den Countdown einläutete. Es war eine Art Ironie des Schicksals.

    „Drei... zwei... eins... jetzt!“, schrie Lukianenko und Vitali riss blind an dem gelben Kabel und verkrampfte.

    Er erwartete irgendeine riesige Explosion, panische Schreie, eine glühende Hitze, doch nichts von all dem passierte. Schweißgebadet schlug Vitali die Augen auf. Die Anzeigetafel war bei einer Sekunde stehen geblieben. Eva war gerettet!

    Lukianenko klopfte Vitali hart auf die Schulter und erhob sich schwerfällig.

    „Da hast du gut gemacht, kleiner Scheißer!“, knurrte er zufrieden, während Vitali ausgelaugt zurück auf den kalten Boden sank und krampfhaft das Agnus Dei unter seinem Hemd umklammerte.

    Die Rivalität zwischen dem Journalisten und dem Mafioso schien fast schon vergessen, als Lukianenko selbstbewusst zu den Polizeibeamten schritt und einen überglücklichen Vitali mit seiner Freundin allein ließ.

     

    Die nächsten Minuten erlebte Vitali wie in einem wirren Traum. Er nahm die Befreiung Evas kaum zur Kenntnis, fühlte sich wie in einem Film, als die Französin ihm um den Hals fiel und sich an seiner Schulter bitterlich ausweinte, wobei sie nicht nur Tränen der Pein, sondern auch die ein oder andere Freudenträne vergoss.

    Vitali bemerkte, wie Lukianenko abgeführt wurde. Man wollte ihn auf das Revier bringen, doch Matafeev hatte sich verlegen bei ihm bedankt und versprochen, dass er sein Wort halten und auf die utopischen Forderungen des Mafioso eingehen werde.

    Vitali, Sergej und Eva wurden ebenfalls in einem der Streifenwagen mitgenommen und auf eine Polizeistation mitgenommen, wo man sie kurz befragte und ihre Adressen und Personalien aufnahm. Auf die Frage des Oberkommissars nach der magischen Wirkung des Agnus Dei in dem Pub hüllte sich Vitali in Schweigen, bis Matafeev das kurze Verhör aufgab und murmelte, dass es vielleicht sogar besser sei, wenn er nicht die Wahrheit erfahren würde.

    Es war ziemlich genau Mitternacht, als ein Polizeibeamter Vitali und Eva nach Hause fuhr, nachdem sie sich von Matafeev und auch von Sergej erschöpft verabschiedet hatten.

    Als die beiden ausstiegen, da ging ein Licht im Wohnhaus an und die Vermieterin Ekatarina Alexandrowna Kolodina trat ihnen aufgeregt entgegen und erkundete sich emotionsgeladen und vor Glück und Angst weinend nach ihrem Wohlbefinden. Doch Vitali winkte nur noch ab. Er war völlig erschöpft und musste die chaotischen Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden erst einmal verarbeiten. Dieser grausame Apriltag in seiner neuen Heimat Sankt Petersburg hatte ihn für immer geprägt und verändert.

    „Frau Kolodina, bitte nicht jetzt. Ich will einfach nur meine Ruhe haben.“, ächzte Vitali mit matter Stimme und erstaunlicherweise zeigte die herzhafte Vermieterin dafür Verständnis und war nicht einmal eingeschnappt. Allerdings wies sie vehement darauf hin, dass sie am nächsten Tag ein Frühstück für das Pärchen machen würde, bevor sie in ihrer Wohnung verschwand.

    Eva hatte sich bei Vitali untergehakt, als sie fröstelnd an der Wohnung von Gluschenko vorbeitraten und das oberste Stockwerk erreichten. Eva blickte Vitali lange und eindringlich an, bevor sie sanft zu ihm sprach.

    „Willst du wirklich jetzt allein sein oder darf ich mit zu dir kommen?“, hauchte sie fragend.

    Wortlos wandte sich Vitali um und schloss mit einem leichten Grinsen seine Wohnungstür auf, bevor er sich theatralisch einladend in Richtung der Französin verneigte, die ihn strahlend anstarrte, auf ihn zuging und ihm einen heißen Kuss auf die Lippen hauchte, der dem jungen Russen fast die Sinne raubte und doch wie eine Wiederbelebung nach seiner enormen Erschöpfung auf ihn wirkte.

    Überschwänglich genossen sie ihre gegenseitige Nähe in dem Flur. Dann traten sie glücklich vereint in seine Wohnung. Sie waren sich einig, dass die folgende Nacht für viele Dinge des chaotisch verlaufenen Tages entschädigen würde, als sie sich wortlos in die Augen blickten und realisierten, dass der Tag trotz allem Schrecken auch eine gute Sache für sich gehabt hatte. Die beiden waren in den letzten vierundzwanzig Stunden unglaublich zusammengeschweißt worden und wussten, dass dies der Anfang einer wunderbaren Zeit für sie beide darstellen sollte.

     

    Geduldig blickten die beiden Männer in den scharlachroten Umhängen mit dem aufgestickten schwarzen Kolkraben auf den alten Fischkutter, der langsam in den Hafen von Kronstadt einfuhr. In der allgemeinen geschäftigen Hektik kümmerte sich niemand um die beiden seltsamen Gestalten.

    Es war der ältere, hagere Mann, der den Jüngling nur ansprach, um das drückende Schweigen des frostigen Aprilmorgens zu durchbrechen.

    „Das ist unser Schiff. Es wird uns bis jenseits der finnischen Grenze bringen.“, bemerkte der ältere Mann, obwohl er sich darüber im Klaren war, dass der Jüngling dies auch wusste.

    „Ich finde es feige, dass wir uns zurückziehen.“, gab das jüngere Sektenmitglied mit gepresster Stimme zurück.

    „Es ist kein Rückzug bis in alle Ewigkeit. Wir werden neu konzipieren und wieder zuschlagen. Möglicherweise mit der Werwolf-Liga. Vielleicht wieder hier, aber vielleicht auch anderswo.“, orakelte der ältere Mann, doch auch aus seiner weisen Stimme sprach eine gewisse Enttäuschung.

    „Dieser Gluschenko war ein Versager“, knurrte der Jüngling und spuckte verächtlich in das dreckige Hafenbecken.

    „Er ist weit gekommen für seine erste große Mission. Viele Andere wären noch vor ihm erwischt worden.“, bemerkte der Ältere besänftigend.

    „Woher willst du das alles so genau wissen? Wir wissen lediglich, dass er von einem Mafioso in Notwehr erschossen wurde, auch wenn ich dieser Version eher wenig Glauben schenken möchte“, fragte der Jüngling grimmig.

    „Ich habe halt so meine Kontakte. Es ist aber besser diese erst einmal ruhen zu lassen, bis sich die Lage in der Stadt entspannt hat.“, gab der Ältere zurück und trat auf das Pier, an dem der Fischkutter soeben anlegte.

    „Meinst du, sie können uns finden?“, fragte der Jüngling nervös, doch da blieb der Ältere stehen und blickte ihn mit stechendem Blick geradewegs in die Augen.

    „Glaubst du an die Bruderschaft?“, wollte der Ältere mit schneidender Stimme wissen.

    „Ja, sicherlich.“, gab der Jüngling zurück und versuchte seiner Stimme einen festen Klang zu geben, doch ein leichtes Zittern war nicht ganz zu überhören. Der Ältere starrte ihn lange an und der Jüngling fühlte sich immer unwohler in seiner Haut.

    „Lass uns gehen.“, meinte der Alte schließlich knapp und wandte sich abrupt um. Für ihn war die Diskussion beendet, doch der Jüngling wusste nicht, wie er mit dem fragwürdigen Ergebnis umgehen sollte.

    Mit gemischten Gefühlen betrat er nach seinem älteren Sektenbruder den alten Fischkutter und nahm mental längst schon Abschied von Sankt Petersburg.

     

    Ende von Band 1

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