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    Kapitel 8: Mittwoch, 14 Uhr 44, Thomas Zimmer


    Thomas hatte soeben die letzten Anziehsachen in seinem Schrank verstaut und die leere Sporttasche unter sein Bett geschoben. Zufrieden ließ er sich auf sein Bett fallen und betrachtete sein Zimmer noch einmal eingehend.

    Der Hauptraum maß immerhin eine beachtliche Breite von etwa fünf Metern und eine Länge von gut sieben Metern und war sehr edel eingerichtet. In der Mitte befand sich ein einladendes Himmelbett, welches von einem gewaltigen roten Vorhang umhüllt war. Sogar ein indianischer Traumfänger hing an dem Gestänge des Vorhangs. Schräg gegenüber befand sich ein länglicher, flacher Holzschrank, auf dem neben einer Schüssel mit frischem Obst auch ein altes Radio mit altmodischem Kassettenlaufwerk und auf einem kleinen Podest sogar ein Fernseher stand. Ein großes Fenster ließ einen Blick auf den kleinen Hafen und die Sauna zu. Das gesamte Zimmer wirkte sehr gemütlich, was durch die warme Holzvertafelung und das edle Parkett, auf dem einige indische Teppiche lagen noch verstärkt wurde. Neben der Eingangstür befand sich ebenfalls ein kleines Badezimmer, bestehend aus einer Duschkabine und einer Toilette, sowie einem kleineren Waschbecken und einem überdimensional großen Spiegel. Allerdings strahlten alle Fliesen in einem grellen Weiß, das auf Thomas fast schon künstlich und steril wirkte und kaum zum Rest des Zimmers passen wollte.

    Er hatte sich gerade auf das Bett gelegt und probierte den Fernseher aus, allerdings war der Empfang durch den heranrückenden Sturm gestört, sodass er nur grauweiße Schlieren sah. Er stand auf und versuchte das Radio anzuschalten, doch auch diese Sender waren allesamt gestört. Schulterzuckend setzte sich Thomas auf die Bettkante zurück und gähnte herzhaft. Er hatte in den letzten Tagen kaum geschlafen und spielte mit dem Gedanken dies nun nachzuholen.

    Kaum hatte er diesen Entschluss gefasst, da klopfte es an seiner Zimmertür. Stöhnend stand Thomas auf und öffnete die Tür. Vor ihm stand Jeanette Rodin-Gagnon, die lediglich mit einem Bikini bekleidet war und ein Strandtuch über ihre Schulter gelegt hatte. Thomas kam nicht umhin die körperlichen Reize der Französin anzustieren. Der Bikini war sehr knapp bemessen und betonte ihre Körperrundungen perfekt. Sie schüttelte ihr offenes Haar und schenkte ihm ein spöttisches Lächeln, bevor sie selbstbewusst eintrat, die Tür hinter sich verschloss und ihre feingliedrigen Hände auf die kräftigen Schultern des Schotten legte.

    „Was hast du vor?“, fragte Thomas, der sich ein wenig überrumpelt fühlte.

    „Nun, ich wollte eigentlich mal die Sauna draußen testen und nicht sehr gerne allein dorthin.“, murmelte sie mit rauchiger Stimme und näherte ihr Gesicht dem seinen.

    „Und bei der Wahl hast du ausgerechnet an mich gedacht?“, stellte Thomas verwundert fest und musste an Hamit denken, mit dem sie vor einiger Zeit noch wild geflirtet hatte.

    Die Französin hatte den Hintergedanken dieser Frage längst erkannt und zum ersten Mal wirkte sie enttäuscht, beinahe schon wütend gereizt.

    „Du spielst auf Hamit an, nehme ich an? Der Kerl ist so fromm wie eine Klosterfrau. Er schaut mich nicht einmal an, wenn ich mit ihm rede. Er wollte mich nicht einmal mit auf sein Zimmer lassen. Er möchte wohl einen Mittagsschlaf halten. Ich habe noch nie einen so schüchternen und steifen Kerl erlebt.“, stellte sie fest und redete sich in Rage.

    „Und nun bist du auf mich zurückgekommen, weil es mit ihm nicht klappt.“, stellte Thomas spöttisch fest und erwartete eine überhitzte Reaktion der Französin, die allerdings ausblieb.

    „Thomas, ich will offen zu dir sein. Ich bin einfach keine Frau für längerfristige Beziehungen. Ich habe es oft versucht, mit den verschiedensten Leuten und es wollte nie klappen. Aber ich sehne mich nach Geborgenheit und Intensität und ich merke, dass du dies auch tust. Du warst in den letzten Jahren sehr einsam. Damals, als wir zusammen waren, hast du mir immer Nähe und Wärme geschenkt, auch wenn es mir schlecht ging oder ich Streit mit Freunden hatte. Du warst wie ein großer Bruder und Beschützer für mich. Ich will dir einfach nur etwas davon zurückgeben. Es ist deine freie Entscheidung darauf einzugehen oder nicht.“

    Jetzt war es Thomas, der wütend wurde und sein Ehrgefühl gefährdet sah.

    „Du willst mich aus Mitleid verführen? Du willst meine verzweifelte Situation ausnutzen, um dich körperlich zu vergnügen? Nur weil es bei jemand anderem nicht klappt, soll ich den billigen Ersatz spielen?“, begehrte er auf und näherte sich ihrem Gesicht bis auf wenige Zentimeter an und blickte ihr aus wütend funkelnden Augen entgegen.

    Doch mit dieser Methode konnte er die Französin kaum beeindrucken. Mit einem herzhaften Lachen strich sie mit ihrer rechten Hand über sein Kinn und tippte ihm mit dem Zeigefinger spitzbübisch auf die Nase, während sie mit der anderen Hand an seinem Hemd nestelte und sie schließlich auf seinen durchtrainierten Bauch legte. Mit Genugtuung sah die Französin wie Thomas wohlig erschauderte und tief Luft holte. Sie näherte ihr Gesicht und ihre Lippen den seinigen, doch Thomas sträubte sich noch und zog seinen Kopf zurück. Sein Widerstand war noch nicht ganz gebrochen, doch er begann immer schneller zu bröckeln.

    Mit einem süffisanten Lächeln ließ Jeanette ihre Hände über den Bauch des Schotten immer tiefer wandern und nestelte genüsslich an dem Gürtel seiner Hose, während sie ihn tiefgründig anblickte. Mit einem Klirren öffnete sie den Gürtel und nahm ihre zweite Hand zur Hilfe. Thomas wollte irgendetwas erwidern, doch Jeanette presste ihm ihre feuchten Lippen auf die seinen. Ein heißer Schauer durchfuhr ihn, als sich ihre Zungen berührten und er seine Augen schloss und sich nur noch diesem Gefühl hingab.

    Auch Thomas betastete nun den Körper der Französin und bemerkte in dem Moment, dass die Tür noch offen stand. Er tastete vorsichtig nach der Klinke, begleitet von dem glockenhellen Lachen der Französin, die ihr Ziel erreicht zu haben schien.

    „Komm her.“, rief sie euphorisch und stieß selbst wuchtig die Tür zu, bevor sie den Schotten langsam in Richtung des großen Himmelbettes schob. Langsam ließ dieser sich auf die weichen Decken fallen und nestelte an dem Verschluss des Bikinis. Jeanette half ihm dabei, öffnete ihr Oberteil und warf es achtlos über ihre Schulter nach hinten, während Thomas begann langsam und rhythmisch ihre Brüste zu massieren. Jeanette spreizte ihre Beine und drückte sich noch enger an den Körper des Schotten und öffnete langsam die letzten Knöpfe seines Hemdes, bevor dieser es abstreifte und ebenfalls achtlos zur Seite warf. Die Französin bedeckte seinen nackten Oberkörper mit feuchtheißem Küssen und massierte dabei die Schläfen ihres neuen Liebespartners. Dieser umfasste mit seinen Händen nun ihr gut geformtes Gesäß und half ihr langsam dabei auch das letzte Kleidungsstück auszuziehen. Mit einem lustvollen Lachen befreite auch Jeanette ihren Geliebten von dessen letzten Kleidungsstücken und gab ihm einen weiteren heißen Zungenkuss, während sie mit ihren Händen nun den unteren Bereich seines Körpers zu erkunden und zu liebkosen begann.

    Thomas fühlte sich wie in Ekstase, als er gierig das Gesäß der Französin umklammerte und es lustvoll gegen seinen Unterleib presste. All sein rationales Denken war inzwischen einer unbändigen Gier, einem immer stärker werdenden Trieb gewichen, der auch seine Sehnsucht nach Nähe beinhaltete, die er über so viele Jahre hinweg nicht mehr bekommen hatte und unterbewusst daran gelitten hatte.

    Die Französin verdrehte die Augen und stöhnte genussvoll als sich ihre Körper vereinigten und sie die Hitze ihres Partners in sich spürte. Hemmungslos und entfesselt gaben sich die beiden ihren Begierden hin. Thomas umfasste den grazilen Rücken der Französin, während diese sich mit rhythmischen Drehungen sanft auf ihm bewegte und langsam schneller wurde. Ihre Hände drückte sie sanft gegen den Bauch und den Brustkorb ihres Partners, während ihre langen Haare in dessen Gesicht peitschten.

    Beide vergaßen ihre Umgebung und Thomas schloss stöhnend die Augen, während die Französin das Tempo anzog und noch verlangender wurde. Sie massierte nun ihre eigenen Brüste und warf den Kopf in den Nacken und stieß einen spitzen Schrei aus, als beide sich dem Höhepunkt annäherten. Auch sie schloss genüsslich ihre Augen und fühlte nur noch die vibrierende Hitze in ihrem Körper, die sie fast wahnsinnig zu machen drohte.

    Keiner der beiden bemerkte wie sich die Zimmertür einen Spalt breit öffnete und nach einigen Sekunden bereits wieder lautlos schloss, während Jeanettes gewaltiger Lustschrei den Höhepunkt ihres erotischen Spiels ankündigte, in dem sie beide jegliche Grenzen vergessen hatten.

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    Kapitel 9: Mittwoch, 15 Uhr 39, Sauna

     

     

     Thomas und Jeanette hatten sich inzwischen umgezogen, waren unbemerkt nach draußen gegangen, wo die Temperatur bereits ein wenig gefallen war, da graue Wolken sich zwischen der Insel und die milchig wirkende Sonne geschoben hatten, und liefen hastig in Richtung Sauna. Hastig öffneten die beiden die Tür, um der Kälte von draußen zu entfliehen. Zwei Gestalten, die eng umschlungen auf einer der Holzbänke saßen, schreckten bei ihrem Hereinkommen überrascht hoch und distanzierten sich rasch voneinander. Thomas trat verwirrt ein und wollte sich stammelnd entschuldigen, als er überhaupt erst bemerkte, wer dort saß.

     Es handelte sich um einen etwas finstrer dreinblickenden Björn Ansgar Lykström und um Magdalena Osario, die beschämt wegguckte und ihr Handtuch bis unter ihr Kinn geschoben hatte, als ob sie alle Blöße verbergen wollte. Auch Jeanette, die jetzt eintrat und sich erstaunt umsah, wirkte sehr beschämt.

     Thomas musste zugeben, dass er nicht sonderlich überrascht war. Es hatte genug Anzeichen gegeben, dass die beiden Lehrer eine Affäre führten und nun hatte er die beiden praktisch in flagranti ertappt. Er hatte sowieso nie verstanden, wieso Magdalena Osario den Direktor geheiratet hatte und sich vor allem mit ihm noch auf eine einsame Insel zurückgezogen hatte, wo sie praktisch nur ihm und dem Koch, sowie dem merkwürdigen Butler ausgeliefert war.

     „Sie hätten ja wenigstens anklopfen können.“, kritisierte der mürrische Schwede, der seine Betroffenheit und Scham mit diesem Vorwurf überspielen wollte.

     Thomas wusste nicht so recht, wie er sich jetzt verhalten sollte und zog es vor sich lieber in die andere Ecke der Sauna zu setzen, wo die Nebelschleier so sehr wallten, dass er den stechenden Blicken seines ehemaligen Englischlehrers entgehen konnte. Seine Begleiterin Jeanette wollte bereits betreten die Sauna wieder verlassen und sah sich nervös nach ihrem Geliebten um, als Magdalena Osario sie ansprach.

     „Bleiben Sie ruhig hier, machen Sie sich keine Vorwürfe.“, sagte sie niedergeschlagen und wurde auf Grund dieses Kommentars sofort von ihrem Geliebten angeraunzt.

     „Es tut uns Leid, dass wir Sie beide so überrumpelt haben.“, meinte Thomas verlegen und blickte Hilfe suchend zu Jeanette, die zum ersten Mal ihre Sicherheit ein wenig verloren hatte und unentschlossen in der Tür stand.

     „Das muss Ihnen nicht leid tun. Wir beide sollten unsere Beziehung besser geheim halten. Es dürfen nicht noch mehr Leute davon erfahren.“, stellte Magdalena Osario fest und hatte ihre Sicherheit wieder ein wenig zurückgewonnen.

     Björn Ansgar Lykström stand drohend auf und bedachte die Spanierin mit einem bösen Blick, bevor er langsam auf Thomas zuschritt, mit verkniffenen Lippen und geröteten Wangen. Der sonst so gelassene Schwede, der immer umgänglich und beliebt gewesen war, schien auf unheimliche Art und Weise verändert und wirkte beinahe furchteinflößend auf Thomas, der gar nicht wusste wie ihm geschah. Langsam legte der Schwede seine Hand auf die Schulter seines Gegenübers, der ein Zittern unterdrücken musste. Wie eine eiserne Totenklaue lag die Hand des Schwedens nun auf seinem Oberarm und packte erbarmungslos zu.

     „Kommen Sie niemals auf den dummen Gedanken irgendjemandem von unserer Beziehung zu erzählen.“, flüsterte er drohend und Magdalena Osario rief ihn entsetzt zurück, doch der Schwede beachtete sie nicht und blickte nur fest in Thomas Augen, der dem Blick nicht standhielt und wegschauen wollte.

     Lykström packte ihn noch fester am Arm und blickte ihm noch einmal tief in die Augen, bevor er seine Umklammerung löste und wie in Zeitlupe von ihm zurücktrat. Thomas rieb sich seinen schmerzenden Arm und trat langsam zu Jeanette herüber, die das Szenario zitternd beobachtet hatte. Beide wollten die Sauna schon verlassen, als sich Magdalena Osario überraschend wieder zu Wort meldete.

     „Wohlfahrt ist ein verdammter Mistkerl, das müssen Sie beide verstehen. Er hält mich wie eine Gefangene auf dieser gottverdammten Insel fest. Aber meine Liebe zu Björn ist stärker und wird mir helfen, von hier fliehen zu können. Auf dem Rückweg mit der Fähre werden wir uns aus dem Staub machen. In fünf Tagen ist dieser Alptraum vorbei. Ich halte das alles nicht mehr aus.“

     „Ich nehme an, dass somit eher Sie hinter diesem Kurstreffen stecken, als Ihr Gatte?“, vermutete Thomas, der durch dieses Geständnis wieder ein wenig mehr Mut gefasst hatte.

     Er blickte auf Lykström, dem es gar nicht zu passen schien, dass Magdalena Osario so offen sprach und bedachte sie mit finsteren Blicken und wandte ihr schließlich sogar demonstrativ den Rücken zu, was diese mit einem verzweifelten Schluchzen registrierte. Die angestauten Gefühle mussten sich nun bei ihr Platz verschaffen.

     „Es war die einzige Möglichkeit überhaupt andere Menschen zu Gesicht zu bekommen. Zudem war es auch die einzige Möglichkeit Björn endlich wieder ungestört zu sehen. Wir konnten uns ja nicht einmal heimlich Briefe schreiben oder Ähnliches. Ich hatte ihm mein Leid geklagt, als ich ihn vor zwei Jahren wieder an unserer alten Schule getroffen habe, in der ich seit meiner Heirat praktisch kaum noch bin. Wir haben uns sofort zueinander hingezogen gefühlt und ich habe diese Freiheit genossen. Seitdem ich und Marcel Wohlfahrt verheiratet sind, ist mein Leben zur Hölle geworden. Nicht einmal mehr unterrichten durfte ich. Wie eine Sklavin hält er mich hier.“, berichtete Magdalena Osario und ließ ihren Tränen freien Lauf.

     Thomas schaute betreten zu Boden. Nie hätte er gedacht seine ansonsten so selbstsichere und moderne Lehrerin einmal so hilflos zu sehen. Sein Hass auf den ehemaligen Direktor wuchs mehr und mehr, als er sah, dass die einst so stolze Lehrerin sich in ein seelisches Wrack zu verwandelt haben schien. Er ballte die Hände zu Fäusten und stellte mit einem Seitenblick auf Jeanette fest, dass diese ebenso entsetzt und betroffen war. Sie näherte sich Magdalena Osario, setzte sich neben sie und legte ihre Hand um die Schulter der Spanierin. Die Lehrerin nahm den Trost dankbar an und drückte ihr verweintes Gesicht gegen die Schulter der jungen Französin, während Lykström die Szene fast schon abschätzig beobachtete.

     „Ich konnte nie verstehen, warum Sie dieses Ekelpaket geheiratet haben.“, gab Thomas unumwunden zu und Magdalena Osario löste ihr Gesicht von der Schulter der Französin und schüttelte verzweifelt den Kopf.

     „Er war damals so liebenswert und charmant. Wir hatten so viele gemeinsame Interessen und Träume und er hat mich wie ein Kavalier behandelt. Ich war ja vollkommen überrumpelt, als er mir den Heiratsantrag gemacht hat. Ich weiß bis heute nicht genau, warum ich ihn angenommen habe, denn es kam einfach so plötzlich und ich musste spontan antworten. Nach der Hochzeit hat er dann seine Maske fallen lassen und sein anderes Ich gezeigt.“, stammelte Magdalena Osario und verfiel wieder in ein Schluchzen.

     „Es gab immer nur dieses eine Ich. Das andere war alles nur Fassade, er war niemals ein guter Mensch. Ich habe über die Zeit hinweg vieles über ihn erfahren.“, fügte Lykström mit brutaler Stimme hinzu und wirkte mit einem Mal selbst ernüchtert und traurig, als er seine Hand sanft auf den Oberschenkel seiner Geliebten legte.

     „Der Typ war uns selbst immer unsympathisch. Machen sie sich keine Gedanken, von uns wird niemand etwas erfahren.“, warf Jeanette ein und der Schwede registrierte dies mit einem grimmigen Nicken. 

     Dann klopfte er der Spanierin auf die Schulter und stand auf. Er näherte sich dem Ausgang und wandte sich kurz vorher noch einmal zu seiner Geliebten um.

     „Lass uns gehen, bevor uns noch mehr Leute so sehen.“, erwiderte er und trat zielstrebig aus der Sauna, wo er beinahe mit einem weiteren Ankömmling zusammenstieß, der überrascht zusammenfuhr. Lykström warf dem Kerl einen abschätzigen Blick zu und verschwand nach draußen. Auch die junge Lehrerin hatte sich mittlerweile erhoben und wurde von Jeanette begleitet, die ihren Arm fürsorglich um die zierlichen Schultern der Spanierin legte. Diese verließ immer noch schluchzend die Sauna und dafür trat der Neuankömmling näher, den auch Thomas und Jeanette nun mit leichtem Erschrecken erkannten.

     Es war Malcolm McCollaugh, der die beiden abschätzig und frustriert anschaute. Verächtlich nickend blickte er zu Jeanette und spuckte wütend auf den Boden.

     „Du scheinst ja einen guten Ersatz für mich gefunden zu haben, du miese Schlampe.“

     „Malcolm, es tut mir leid, ich wollte nicht...“

     „Leid, sagst du? Dir tut das leid? Du Drecksstück spielst doch mit meinen Gefühlen und machst das alles ganz bewusst! Du hast es nur auf mich allein abgesehen. Provozieren willst du mich.“, herrschte Malcolm sie an und Thomas sah sich gezwungen einzugreifen.

     „Malcolm, du bist nicht der Mittelpunkt der Welt. Lass sie einfach in Ruhe.“, sagte er beschwichtigend und näherte sich dem Schotten, der sein Näherkommen mit einer wirschen Handbewegung erwiderte und ihn wütend ansah.

     „Halt bloß dein Maul, du Hurenbock.“, gab er angespannt zurück und machte eine drohende Geste in die Richtung seines Konkurrenten.

     „Malcolm, du machst dir falsche Hoffnungen. Es war und ist vorbei.“, mischte sich Jeanette ein und sah den überzeugten Schotten beinahe flehend an.

     „Ich werde mir von dir besorgen was mir zusteht, Miststück!“, gab dieser gereizt zurück und wollte sich auf sie stürzen, als Thomas hervortrat und ihm einen gezielten Schlag gegen das Kinn verpasste.

     Malcolm taumelte verwundert nach hinten und prallte gegen die Eingangstür, schüttelte sich und raffte sich erneut auf. Mit einem Hechtsprung sprang er sein Gegenüber an und Thomas konnte in der engen Kabine nicht mehr ausweichen und rutschte zudem auf dem feuchten Holzboden aus. Beide fielen eng umschlungen zu Boden und Jeanette stieß einen entsetzten Schrei aus.

     Thomas versuchte sich aus dem Klammergriff seines Gegners zu befreien. Malcolm presste seine kräftige rechte Hand erbarmungslos an die Kehle seines Gegners und drückte zu. Thomas versuchte sich röchelnd zu befreien, doch Malcolm hatte ihm gleichzeitig sein Knie in die Magengrube gerammt, sodass im die Luft ausging. Mit einer hektischen Bewegung rammte er seinem erbarmungslosen Gegenspieler den Kopf gegen die Nase und Malcolm fuhr mit einem Schmerzensschrei zurück und lockerte die Umklammerung ein wenig.

     Röchelnd holte Thomas Luft, rollte sich ein wenig zur Seite und setzte mit einem Tritt in das Gesicht des Gegners nach, der das Gleichgewicht verlor, rudernd nach hinten stolperte und der Länge nach hinfiel. Jeanette wich ihm mit einem spitzen Schrei aus und Thomas rappelte sich mühsam auf. Mit hochrotem Gesicht hielt er sich seinen Hals und wollte erneut nachsetzen, als Malcolm ihm im Liegen einen schnellen Tritt gegen das linke Schienbein verpasste, der Thomas schmerzhaft in die Knie zwang. Immerhin gelang es ihm noch den zweiten Tritt, der sein Gesicht treffen sollte, mit seinem rechten Arm abzublocken, wonach jedoch sein gesamter Unterarm höllisch schmerzte, als ob er in Flammen aufgehen würde.

     Malcolm erhob sich ächzend und wollte nun wieder selbst in die Offensive gehen, als sich die Tür der Sauna öffnete, die er prompt in den Rücken gerammt bekam und somit ins Stolpern geriet. Im Eingang der Tür standen zwei verwunderte Männer, die das Szenario noch nicht so recht erfassten. Jeanette jedoch packte den erstbesten Ankömmling ängstlich am Unterarm und wies auf Malcolm.

     „Dieses Schwein will uns zusammenschlagen!“

     Wie zur Bestätigung stürzte sich Malcolm erneut auf Thomas, der sich gerade erst von dem Tritt erholt hatte und in eine Hockposition gegangen war. Die brutal geführte Handkante konnte Thomas gedankenschnell abblocken, doch die Wucht des Angriffs ließ in nach hinten taumeln und auf eine Sitzbank der Sauna fallen. Mit einem Sprung setzte Malcolm ihm nach und Thomas hechtete im letzten Moment zur Seite, wobei er dabei hart auf den Boden prallte. Malcolm hatte mit dem Wucht seines Schlages seinen Konkurrenten um Haaresbreite verfehlt und stattdessen das Holz der Sitzbank durchschlagen und heulte vor Schmerz auf.

     Dennoch wollte er nicht aufgeben und versuchte den wieder auf dem Boden liegenden Thomas nun mit einem Tritt zu treffen. Er verfehlte den Schotten, der sich rasch zur Seite rollte, wieder knapp, sprang aber stattdessen auf ihn und griff mit einem Wutschrei in die halblangen Haare des Polizisten, der sich zuckend aus dem schmerzhaften Griff befreien wollte.

     In diesem Moment griffen die beiden Ankömmlinge ein und packten jeweils einen Arm des wild gewordenen Schotten, der fluchend um sich trat und von den beiden Kerlen mühsam Richtung Ausgang gezerrt wurde. Malcolm versuchte sich mit allen Mitteln aus der Umklammerung zu befreien, was ihm jedoch nicht gelang. Draußen angekommen stieß ihn einer der Helfer nach vorne. Malcolm konnte sich mit einem unpräzisen Tritt endlich befreien und rannte Hals über Kopf davon. Der zweite der Ankömmlinge wollte ihm zunächst noch nachsetzen, doch der andere Mann klopfte ihm auf die Schulter und schüttelte den Kopf. Im aufkommenden Dunst verschwand der cholerische Schotte und die beiden Ankömmlinge wandten sich nun wieder Jeanette und Thomas in der Sauna zu.

     Die Französin hatte dem lädierten Thomas inzwischen wieder auf die Beine geholfen und dieser fasste sich mit verzerrtem Gesicht an sein schmerzendes Schienbein.

     Jeanette bedankte sich bei den beiden unerwarteten Helfern und nahm diese erst jetzt richtig war. Es handelte sich um Abdullah und Mamadou, die ein wenig grimmig guckten und sich nach Thomas Wohlbefinden erkundigten.

     „Wenn ihr beiden nicht gekommen wärt, hätte Gott weis was passieren können. Wir sind euch sehr dankbar.“, sagte Jeanette hastig und schmiegte sich immer noch verängstigt an Thomas, dem es dadurch sofort wieder ein wenig besser ging. Nachdenklich strich er durch ihre prachtvollen Haare.

     „Ich habe immer mehr den Eindruck, dass dieses Treffen zu einem großen Desaster wird. Wir scheinen hier nur mit potentiellen Gewaltverbrechern auf dieser Insel zu sein. Erst dieser Koreaner und nun auch noch Malcolm.“, meinte Mamadou mit düsterer Stimme zu verstehen und schüttelte grimmig den Kopf.

     „Ich habe gehofft, dass dieses Treffen meine Frau ein wenig von ihren Problemen ablenkt, aber jetzt isoliert sie sich auch noch von mir. Diese ganzen Konflikte sind wie Gift für sie.“, warf der nur mit einem weißen Badelaken bekleidete Abdullah ein und setzte sich stöhnend in eine besonders heiße und nebelumhangene Ecke der Sauna.

     Thomas überlegte, ob er sich geschlossen halten sollte, doch da er stets ein offener und direkter Mensch war, wollte er jetzt die Gelegenheit nutzen und vorsichtig auf diesen Kommentar eingehen.

     „Verzeih mir die Frage, Abdullah, aber was ist eigentlich mit Marilou los? Sie wirkt so niedergeschlagen und pessimistisch, als ob sie sich von allem und jedem abgrenzen möchte.“

     Abdullah seufzte und wirkte in diesen Momenten fast genauso verzweifelt, wie kurz zuvor noch die spanische Lehrerin, die an derselben Stelle wie er gesessen hatte. Seine Gesichtsmuskeln begannen zu zucken und er verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Er schien nachzudenken und entschied sich letztlich für eine ausführliche Antwort.

     „Marilou hat eine verdammt schwierige Zeit hinter sich. Wie ihr wisst, hatte sie oft schulische Probleme, hat sich immer als Außenseiterin gefühlt und war in ihrer Jugendzeit drogenabhängig geworden. Sie hat inzwischen zwei schwere Entziehungskuren hinter sich, die letzten Endes Gott sei dank gefruchtet haben. Kaum hatte sie sich davon erholt, da hat sie der nächste Schlag getroffen. Ihre Eltern sind bei einem Autounfall in Québec ums Leben gekommen. Sie hatten die Kontrolle über den Wagen nach einer Feier verloren und einen Laster gerammt, der den Wagen komplett eingequetscht und zerstört hatte. Sie haben den Unfall beide nicht überlebt. Marilou hat sich große Vorwürfe gemacht, da sie normalerweise bei den Feierlichkeiten dabei gewesen wäre und den Wagen wohl gefahren hätte. Sie hatte auf Grund einer schweren Lungenentzündung die Reise in ihr Heimatland absagen müssen und war bei mir geblieben. Seitdem ist sie noch depressiver als vorher und niemand schafft es sie daraus zu holen. Weder ich, noch irgendwelche Psychologen. Ich habe in die Abgründe einer Seele geblickt. Sie hat vor zwei Jahren sogar versucht sich die Pulsadern aufzuschneiden und konnte im letzten Moment erst gerettet werden. Unsere Beziehung ist mittlerweile total zerstört, sie besteht sogar darauf in einem anderen Bett zu schlafen als ich.“, erklärte Abdullah, dessen sonstige Fröhlichkeit wie weggeblasen war.

     Thomas konnte es ihm gut nachfühlen. Er hatte selbst in seinen schwersten Zeiten sehr gelitten und sich von allen Bekannten abgeschottet. Er musste auch an seinen Freund Fatmir Skola denken, der sich ebenfalls die Schuld am Tod seiner Eltern gab. Doch im Gegensatz zu dem Fall der Frankokanadierin gab es bei ihm Hoffnung auf Besserung, da er sich nicht völlig isolierte und zudem versprochen hatte eine Entziehungskur zu machen. Thomas wusste nicht so recht wie er auf diese Enthüllungen reagieren sollte. Jeanette nahm ihm die Entscheidung ab und schaltete sich ein.

     „Das ist sehr schrecklich. Aber Abdullah, du darfst nie die Hoffnung aufgeben. Sie braucht dich mehr denn je zuvor, auch wenn sie abweisend wirken mag. Nur du kannst sie aus dieser Finsternis ziehen und ihr neuen Mut geben. Sie hat dich ja nicht ohne Grund geheiratet.“, sagte Jeanette überzeugt, doch der verzweifelte Abdullah antwortete nur mit einem bitteren Lachen und schüttelte den Kopf.

     „Ich habe schon so viel versucht. Manchmal glaube ich, dass sie mich nur des Geldes wegen geheiratet hat.“, gab er unumwunden zu.

     Jeanette hielt entsetzt die Luft an und trat auf Abdullah zu, packte sein Gesicht in ihre Hände und starrte ihn mit geweiteten Augen an.

     „So darfst du nicht denken! So kenne ich dich gar nicht von früher.“, stammelte sie entsetzt.

     „So kenne ich mich selbst ja nicht einmal. Sie vertraut mir nicht und ich kann mir selbst kaum mehr vertrauen. Verdammt, ich glaube ich werde noch wahnsinnig!“, rief er aus und hämmerte seine geballte Faust auf die Sitzbank.

     Abdullah bebte vor Wut, doch er reagierte sich nicht ab und verfiel stattdessen in einen Schluchzen, während die Umherstehenden ihn mitfühlend und betreten betrachteten. Schließlich erhob sich der Katarer und wankte in Richtung des Ausgangs. Mamadou wollte ihm folgen, doch da wandte sich Abdullah noch einmal um und schüttelte den Kopf.

     „Ich will einfach nur mal allein sein. Ich denke, ich werde mich auf mein Zimmer zurückziehen und duschen. Wir sehen uns dann beim Abendessen.“, erwiderte er und verließ mit hängenden Schultern die Sauna.

     Mamadou schüttelte seufzend den Kopf und ließ sich auf einer der Bänke nieder. Jeanette und Thomas taten es ihm gleich und schwiegen für eine Weile.

     In dieser Haltung verharrten sie einige Minuten, bis sie wieder Schritte hörten und die Eingangstür der Sauna ruckartig aufgerissen wurde. Alle drei Anwesenden waren erstaunt, als sie einen völlig entsetzten Gwang-jo Park erblickten, der seine ganze Arroganz verloren zu haben schien. Panisch blickte er sich um und zog die Tür wuchtig hinter sich zu. Im Gegensatz zu den anderen Anwesenden war er noch vollkommen angezogen, so als ob er eher unplanmäßig in die Sauna gestürzt käme. Seine rechte Hand, hielt zitternd seine noch angezündete Zigarette umklammert, die er unbewusst fast vollständig zerdrückt hatte.

     Thomas war zunächst misstrauisch und befürchtete einen weiteren, hinterhältigen Trick des Koreaners, der ihnen vielleicht irgendetwas vorspielte. Auch Mamadou, der beinahe eingeschlafen war, blickte dem Störenfried mürrisch und ablehnend entgegen.

                Der Koreaner war völlig außer sich, rannte wild umher, drehte sich im Kreis und schien nicht zu wissen, wen er ansprechen sollte. Schließlich entschied er sich für Thomas packte ihm an den Schultern und stammelte bruchstückartige Sätze hastig vor sich her. Thomas kam zu dem Schluss, dass sein Gegenüber ihm nichts vorzuspielen schien und tatsächlich in heller Aufregung war. Jetzt war er doch neugierig geworden. Was konnte den selbstsicheren und brutalen Koreaner so aus der Bahn geworfen haben?

     „Was ist los, Gwang-jo?“, fragte Thomas ruhig.

     Der Koreaner starrte ihn aus schreckgeweiteten Augen an und antwortete erst, als Thomas ihn nun seinerseits an den Schultern packte und diese heftig schüttelte. Im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit ließ Gwang-jo dies zu und suchte keine Provokation. Das was Thomas jetzt zu hören bekam, ließ ihn gleichzeitig schrill lachen und nervös werden, da er sich des Wahrheitsgehaltes nicht sicher war. Als er jedoch die entsetzte Mimik des Koreaners wieder wahrnahm, wurde ihm selbst sehr mulmig. Der Kerl schien nicht zu lügen und er wollte sich noch einmal versichern, dass er sein Gestammel richtig verstanden hatte. Auch Mamadou und Jeanette waren jetzt aufgestanden und standen um Thomas und Gwang-jo herum und glaubten ihren Ohren nicht zu trauen.

     „Wolf... draußen... da ist ein gottverdammter – Wolf.... Das beschissenen Vieh hat mich einfach so angefallen... aus dem Nichts... war gerade bei einem Spaziergang zu den... Vogelhäusern... hinter dem Schloss...mitten aus dem Dickicht... Zähne... triefendes Maul... gelbe Augen... bin um mein Leben gerannt – konnte entkommen... verdammt...“, stotterte der Koreaner, der immer noch ganz außer Atem war.

     „Auf dieser Insel soll es einen Wolf geben?“, fragte Mamadou ungläubig.

     „Verdammt, ich lüge euch nicht an.“, schrie Gwang-jo und ließ sich nun ebenfalls auf eine Bank fallen. Die Hitze der Sauna hatte sich inzwischen mit seinem Angstschweiß vermischt und perlte von seinem Gesicht.

     „Das wird sich sehen. Ich habe immer meine Pistole dabei. Ich werde mich umziehen und in der Umgebung umschauen.“, erwiderte Mamadou entschlossen.

     „Ich werde dich begleiten.“, entschloss sich Thomas spontan und sah wie Mamadou protestieren wollte, doch schließlich überlegte er es sich anders und nickte.

     „Sehr gut. Vier Augen sehen mehr als zwei.“, gab Mamadou zurück.

     Dieser Satz war für die beiden gleichzeitig ein indirektes Startsignal gewesen, denn sie packten schnell ihre Sachen zusammen und verließen ohne zu zögern die Sauna, während Gwang-jo ängstlich hinter ihnen herschlich und ins Schloss zurückkehren wollte.

     Nur die junge Jeanette befand sich noch in der Sauna, schloss ihre Augen und versuchte sich von dem Stress der letzten Minuten zu erholen. Auch sie hatte gehofft auf dem Ausflug die Seele ein wenig baumeln lassen zu können und war bereits jetzt eines besseren belehrt worden. Seufzend hing sie ihren Gedanken nach und vergaß dabei Zeit und Raum.

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    Kapitel 10: Mittwoch, 16 Uhr 57, Vogelhäuser


    Ein wildes Kreischen ließ Thomas mitten im Schleichgang herumfahren. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und seine Augen weiteten sich. In seiner Hand trug er nichts als sein Taschenmesser, von dem er wusste, dass es ihm beim Kampf kaum helfen würde. Er hatte es nur mitgenommen, um sich selbst Mut zu machen und zu beruhigen, obwohl es eigentlich nahezu lächerlich naiv war.

    Er blickte nervös in die graue Dunkelheit, die sich wie ein unheilvoller Schatten über die Insel gelegt hatte. Er sah in der Nähe des Dickichts bereits erste Nebelschwaden, die sich dem Schloss wie Klauen aus dem Jenseits zu nähern schienen. Thomas stellte entsetzt fest, dass der ominöse Wolf ihn jederzeit aus einem der zahlreichen uneinsehbaren Hinterhalte anfallen konnte.

    Thomas duckte sich leicht und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die beinahe undurchdringliche Dunkelheit, doch da war nichts. Erneut zuckte er zusammen, als er das bedrohliche Kreischen hörte, welches sich jetzt mit einem Flattern verband. Dieses Mal war es von seiner linken Seite gekommen.

    Er erblickte dort einen morschen Baumstumpf, der mit Moos und anderem Unkraut überwuchert war. Auf einem kargen Ast hockte ein schwarzer Rabe, der nun erneut das düstere Kreischen ausstieß, seine pechschwarzen Flügel ausbreitete und plötzlich auf Thomas zuflog.

    Der Schotte warf sich mit einem Hechtsprung zur Seite und spürte noch den Hauch des Windes, als der Vogel haarscharf über seinen Kopf hinwegstrich und irgendwo in die Dunkelheit entschwand. Thomas rappelte sich auf und wartete auf eine Rückkehr des unheimlichen Vogels. Schweißgebadet harrte er in geduckter Stellung aus, doch der Rabe kehrte nicht mehr zurück. Thomas Blick fiel auf eine schwarze Feder, die auf einem Felsen lag und mit der nächsten Windböe fortgeweht wurde.

    Die Äste des Dickichts zu seiner linken Seite knarrten und gaben bedrohliche Geräusche von sich, als würden sich dort gepeinigte Seelen aus einem makabren Totenreich aufhalten. Thomas schüttelte sich und schauderte. Er versuchte sich von seinen Gedankengängen zu lösen. Der Wind wurde immer stärker und eine tiefgraue Wolkenbank hatte inzwischen den Blick zum Himmel versperrt. Selbst der helle Vollmond war bestenfalls zu erahnen und spendete kaum Licht. Von weitem hörte Thomas wie die Wellen an den Klippen brachen.

    In diesem Moment öffnete sich die nur angelehnte Tür des Vogelhauses, aus dem Mamadou behutsam schlich. Langsam bewegte er sich auf Thomas zu. Dieser las an seinem niedergeschlagen wirkenden Gesichtsausdruck ab, dass auch er keinerlei Spuren eines Wolfes gefunden hatte. Er hatte in seiner Ratlosigkeit sogar das Innere der Vogelhäuser vergebens abgesucht.

    Kaum war Mamadou bei Thomas angekommen, da hörten sie beide ein unheimliches Geräusch, das ihnen durch Mark und Bein ging. Es war ein lautes, schreckliches und klagendes, langgezogenes Heulen, das kaum mehr aufzuhören schien. Beide fuhren instinktiv in Richtung des Dickichts herum. Nebelschleier bedeckten einen zugewachsenen Pfad. Thomas starrte genau hin und sah einen Schatten, der im Eiltempo vorbeihuschte und im dichten Geäst geradezu lautlos verschwand. Der Schotte blinzelte verschreckt. Konnte er seinen Augen trauen oder hatte er lediglich ein Phantom gesehen?

    Ein Knacken im Geäst bewies ihm das Gegenteil. Eine weitere kräftige Windbö peitschte durch das undurchdringliche Dickicht. Ein Zweig löste sich von einem der verkrüppelten Bäume und fiel dumpf zu Boden. Eine Maus huschte unter einem Busch hervor und quer über die Wiese. Mamadou entsicherte seine Pistole und schritt langsam auf den düsteren Pfad zu.

    Thomas starrte zu den zwei dunkel wirkenden Vogelhäusern, die sich trotz der geringen Distanz nur noch schemenhaft von der bedrohlichen Dunkelheit abhoben. Die Vögel waren längst allesamt verstummt. Sie schienen die gefährliche Atmosphäre noch intensiver zu spüren.

    Thomas folgte seinem afrikanischen Begleiter mit zitternden Knien. Keiner von ihnen hatte eine Taschenlampe mitgenommen, denn sie hatten sich nicht getraut den Schlossherrn danach zu fragen. Zunächst wollten sie mit niemandem über den Bericht des Koreaners sprechen, um eine Panik zu vermeiden, die sich womöglich als unbegründet herausstellen sollte. Auch Gwang-jo selbst hatten beide eingeschärft unter keinen Umständen öffentlich von seinen Beobachtungen zu erzählen. Sie konnten nur hoffen, dass der verschreckte Koreaner ihren Instruktionen Folge leisten würde.

    Mamadou hatte inzwischen den Beginn des verwucherten Pfades erreicht und schob eine Dornenranke zur Seite. Thomas folgte ihm ein wenig zögerlich. Mamadou hatte gerade einen niedergestürzten Baumstumpf umgangen, als sie beide wieder das qualvolle Heulen hörten. Dieses Mal schien es noch näher zu sein.

    Plötzlich hörten beide in nächster Nähe ein Rascheln und dann von ihrer rechten Seite her auf einmal ein bedrohliches Knurren. Mamadou fuhr herum und erspähte im selben Augenblick zwei graugelbe Punkte zwischen einigen Dornenranken. Darunter glaubte er schattenrissartig ein weißes Blitzen zu sehen. Es konnte sich nur um die Bestie handeln!

    Thomas zuckte zurück, als er das Tier ebenfalls entdeckte, doch Mamadou reagierte intuitiv. Er richtete seinen Revolver mutig ins Dunkel und drückte ab.

    Der Krach war ohrenbetäubend. Die Kugel schoss durch Geäst und Dornenranken und schlug irgendwo dumpf ein. Das Wesen winselte laut auf und sprang zur Seite und entfloh in die schützende Schwärze des Dickichts. Im selben Moment ertönte abrupt das gewaltige Krachen eines Blitzes, der sich deutlich oberhalb des Schlosses abzeichnete und die Umgebung für wenige Augenblicke erhellte. Thomas blickte in das schweißgebadete Gesicht seines Begleiters, der die Helligkeit nutzte um einen kurzen Rundblick zu werfen, bevor sich wieder Dunkelheit über das Dickicht legte. Von der Bestie war allerdings nichts mehr zu sehen.

    Mamadou schüttelte den Kopf und steckte seine Pistole ein. Grimmig warf er einen letzten Blick den Pfad entlang, der nach einiger Zeit durch ein abartiges Wirrwarr aus Ranken, Büschen und umgestürzten Baumstämmen versperrt wurde. Von dem Wolf fand sich keine Spur. Ein Kauz stieß irgendwo einen klagenden Laut aus.

    Mamadou und Thomas verließen langsam aber zielstrebig das Dickicht und blickten sich an.

    „Es hat keinen Sinn das Vieh in diesem Dickicht zu verfolgen.“, stellte Mamadou fest.

    „Wir sollten am nächsten Morgen weitersuchen. Vielleicht hatten wir Glück und du hast die Bestie verwundet. Dann könnten wir eine Spur oder Fährte finden.“, meinte Thomas eifrig.

    „Das glaube ich kaum. Der Regen, der heute Nacht fallen wird, wird alle Spuren verwischen.“, stellte der ghanaische Polizist nüchtern fest.

    Wie zu seiner Bestätigung fing es nach einigen harmlosen Tropfen plötzlich sintflutartig an zu regnen. Der Himmel schien all seine Schleusen geöffnet zu haben. Mamadou rannte fluchend in Richtung des Schlosses, doch Thomas drehte sich noch einmal zu dem Dickicht um. Täuschte er sich oder war dort in der Ferne wieder ein dunkelgelbes Augenpaar zu erkennen?  

    Verschreckt wandte sich Thomas ab und lief seinem afrikanischen Begleiter hinterher. Ihre Rückkehr in das Schloss wurde von einem letzten unheilvollen Heulen des mysteriösen Wolfes begleitet, bevor ein infernalisch lauter Blitz wie in einer Symphonie der Zerstörung alles zu übertönen schien.

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    Kapitel 11: Mittwoch, 17 Uhr 12, Eingangshalle


    Thomas hatte Mamadou sogar noch überholt und riss das Portal zur Eingangshalle auf, in die er mit vor Wasser triefenden Anziehsachen eintrat. Der Afrikaner folgte ihm auf den Versen, schloss das Portal und ließ sich mit einem befreienden Stöhnen gegen selbiges fallen.

    „Wie mir scheint, sind Sie beide vom Sturm überrascht worden.“, sprach plötzlich eine trockene, höhnisch klingende Stimme und Thomas und Mamadou fuhren erschrocken herum.

    Der Schlossherr Doktor Marcel Wohlfahrt kam die dunkle Treppe aus dem Keller hinauf, hinter ihm befand sich Elaine Maria da Silva, die beide Ankömmlinge belustigt von Kopf bis Fuß musterte. Die Brasilianerin hatte sich offenbar frisch geschminkt und war in einen schwarz-rosafarbenen Pulli gekleidet. Sie trug ein dunkles schwarzes Halsband, an dem mehrere miniaturartige Metallketten zu hängen schienen. Sie hatte ihr langes, pechschwarzes Haar zu einem Zopf zusammengebunden, sodass sie ihre Ohren, die mit diversen silbernen, metallischen Ohrringen verziert waren, frei lagen. Ihre Fingernägel waren blutrot lackiert und sie musterte Thomas eingehend. Dieser schauderte unter dem Anblick der mysteriösen Brasilianerin, doch irgendwie fühlte er sich auch magisch von ihr angezogen. Gerade weil sie so anders und unheimlich wirkte. Ihr Blick schien bis auf seine Seelengründe hinabzureichen und sie lächelte wissend, als ob ihr genau klar wäre, was er eben durchgemacht hatte. Thomas verfluchte sich dafür, dass er Frauen gegenüber so willenlos war und diese ihn so einfach durchschauen konnten. Diese Schwäche hatte er auch in den Zeiten seiner Isolation dem weiblichen Geschlecht gegenüber nicht abstellen können und er war ein wenig von sich selbst enttäuscht. Er hatte sich für härter und erfahrener als früher betrachtet, aber offenbar hatte er sich kaum geändert, wie ihm auch das pikante Intermezzo mit Jeanette bewiesen hatte.

    Mamadou wirkte weniger abgelenkt und versuchte die drängenden Fragen des Direktors irgendwie zu beantworten, indem er ihm eine Ausrede vorlog. Thomas bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, wie der Schlossherr hin und wieder die Stirn runzelte und amüsiert lächelte. Er schien ihm offensichtlich kein einziges Wort zu glauben.

    „Ja, wir waren noch draußen bei den Vogelhäusern und dann hat uns dieser Regen überrascht.“, erwiderte Mamadou hastig.

    „Nun, das Unwetter hatte sich ja bereits seit einiger Zeit angekündigt. Sie hätten bis zum nächsten Morgen warten sollen.“, warf der Schlossherr höhnisch ein und legte beiläufig seine dürre Hand auf die Schulter seiner brasilianischen Begleiterin.

    „Wir hatten nicht so rasch damit gerechnet und es im Vogelhaus gar nicht bemerkt.“, wandte Mamadou unruhig ein.

    „Sie beide wirken irgendwie so gehetzt und geschockt, wenn ich das mal so sagen darf. Haben Sie sich vor irgendetwas erschreckt?“, fragte der Österreicher mit stechendem Blick.

    „Nein, ich bin nur noch aus der Puste, weil wir so schnell gerannt sind.“, gab der Ghanaer schnell zurück.

    „Nun ja, Afrikaner sind an solche Regenfälle auch nicht gewöhnt.“, meinte Wohlfahrt lapidar und ein wenig beleidigend, wovon sich der Afrikaner seinerseits nun jedoch nicht zur Provokation verleiten ließ.

    „Da täuschen Sie sich. Auch bei uns gibt es einmal im Jahr solche sintflutartigen Regenfälle, die der Boden kaum aufzunehmen vermag.“, gab er stattdessen ruhig und belehrend zurück.

    „Wie dem auch sei. Eine Dusche täte Ihnen jetzt gut. Es gibt ja bald schon Abendessen.“, stellte der Direktor mit einem Blick auf seine goldene Rolex fest.

    Mit diesen Worten wandte sich der Schuldirektor ab und würdigte die beiden Gäste keines Blickes mehr. Stattdessen verabschiedete er sich nun von seiner brasilianischen Begleiterin mit einem galanten Handkuss und lächelte ihr unecht entgegen. Mit einer entschuldigenden Floskel ging er in den großen Saal und wollte sich auf sein Arbeitszimmer zurückziehen. Die Brasilianerin wandte sich mit einem selbstbewussten Lächeln ab und betrachtete Thomas von Kopf bis Fuß. Langsam trat sie näher und strich ihm mit ihrer feinen Hand einige Haarstränen aus der Stirn.

    „Mir ist schon klar, dass ihr euch nicht für die Vögel interessiert habt. Ich weiß auch, dass ihr jetzt nicht die Wahrheit ausplaudern wollt. Aber ich werde sie bestimmt bald herausfinden.“, erwiderte sie mit fast drohender Stimme und strich ihrem Gegenüber mit ihren Fingerspitzen sanft und genüsslich über das Kinn und blickte ihm tief in die Augen. Thomas spürte ihren heißen Atem in seinem Gesicht und wandte sich leicht ab.

    „Mir scheint, dass du nicht nur der Haie wegen mit dem Professor im Keller warst.“, warf Mamadou spöttisch ein.

    „Das sind drei possierliche Tierchen. Zwei Männchen und ein Weibchen. Wir haben sie gemeinsam gefüttert. Ich interessiere mich dafür und suche immer neue Inspirationen, das ist alles. Wenn ihr mich nun entschuldigen wollt.“, gab Elaine unbeeindruckt zurück und wandte sich der Treppe zu, die sie gemächlich und fast hochnäsig hinaufstieg.

    Mamadou blickte ihr kopfschüttelnd hinterher. Thomas stand immer noch starr auf seinem Fleck und musste sich nach all den bewegenden Ereignissen der letzten Stunden erst mal ein wenig beruhigen und mit seinen Gefühlen ins Klare kommen.

    „Mit einer Sache hatte der Direktor recht. Eine Dusche würde uns jetzt verdammt gut tun.“, warf Mamadou in diesem Moment ein und die beiden Männer blickten sich langsam nickend an.

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    Kapitel 12: Mittwoch, 18 Uhr 30, Thomas Zimmer


    Thomas war eben erst aus der Dusche gestiegen, die ihm richtig gut getan hatte. Er hatte fast eine Stunde lang das Wasser mal eiskalt, mal glühend heiß über seinen Körper laufen lassen und so seine Müdigkeit und Erschöpfung ein wenig verdrängt. Dabei hatte er sich einige Gedanken zu den letzten Ereignissen gemacht und versucht mit sich selbst ins Reine zu kommen, was ihm dennoch irgendwie schwer gefallen war.

    Zunächst war da Jeanette. Wie stand er zu ihr? Er hatte trotz ihren diversen Liebeserfahrungen geglaubt, eine gewisse Aufrichtigkeit oder Leidenschaft in ihrer Liebe zu ihm zu verspüren. Sie hatte nie zuvor mit einem verflossenen Liebhaber wieder eine Beziehung angefangen oder war zu ihm zurückgekehrt. Das ließ sie ja auch Malcolm deutlich spüren, der vor Neid und Wut fast platzte. Doch was wollte Thomas selbst? Stand ihm nach all den Jahren der Isolation überhaupt der Sinn nach einer Beziehung? Wenn ja, sollte sie lediglich oberflächlich und sexuell bleiben oder doch tiefer gehender sein? Wäre es nicht vielleicht das Beste, wenn er und Jeanette damit aufhören würden, bevor es überhaupt wieder angefangen hatte? Spielte sie nur mit ihm, um einen anderen potentiellen Lover zu reizen? Und was war da mit Elaine? Er fühlte sich auf unerklärliche Weise von ihr angezogen. Doch sie machte gleichzeitig den Eindruck, als wüsste sie mehr über die mysteriösen Ereignisse. Wusste sie von dem erscheinen des Wolfes Bescheid? Warum hatte oder wollte sie sich mit dem unsympathischen Direktor einlassen? Er dachte an Lykströms Warnung und Magdalena Osarios düstere Berichte. Schwebte Elaine womöglich auch in Gefahr? Überschätzte sie sich vielleicht?

    Thomas kam zu dem Schluss, dass er sich zunächst besser zurückhalten sollte, denn er fand keine Lösung auf seine Fragen. Er redete sich ein, dass die selbstbewusste Elaine selbst wissen müsste, was sie tat und wollte ihr zunächst aus dem Weg gehen, da er ihrem seltsamen Verhalten nicht über den Weg traute. Dasselbe galt aber auch für Jeanette. Er musste aufpassen, dass er nichts Tiefergehendes für sie empfinden würde, da er sich sonst in eine Illusion verrannte. Zudem zeigten die Attacken Malcolms ihm deutlich, dass er sich praktisch auch in Gefahr befand. Er war sich sicher, dass der Schotte ihn nicht zum letzten Mal provoziert hatte. Auf der anderen Seite fühlte er sich dafür verantwortlich, Jeanette vor diesem eifersüchtigen Psychopathen zu schützen. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass er sie handgreiflich fertig machen würde in seiner blinden Hassliebe.

    Der erschöpfte Schotte dachte auch über den unheimlichen Wolf nach. Wie kam dieses Wesen überhaupt auf die abgeschottete Insel? Wovon ernährte sich das Tier in dieser kargen Vegetation? Gab es noch andere Wölfe in der Nähe? Thomas kam zu dem Schluss, dass Marcel Wohlfahrt oder auch Magdalena Osario mehr darüber wissen mussten. Vermutlich hatte der österreichische Direktor nicht nur ein Faible für Haie und Vögel, sondern auch für Wölfe. Warum ließ er diesen aber frei herumlaufen? Warum riskierte er es, dass seine Gäste von der Bestie angefallen und zerfleischt wurden? Was hatte der obskure Schlossherr an diesem verlängerten Wochenende noch mit ihnen vor? Wollte er sie unter Stress setzen oder irgendwelche abartigen Versuche durchführen? Thomas traute diesem Kerl überhaupt nicht über den Weg und hatte fast schon Angst vor der anstehenden Nacht. Er war sich sicher, dass der Österreicher irgendein sadistisches Spiel mit seinen Gästen führen wollte und auf Gefühle schien er ohnehin grundsätzlich keine Rücksicht zu nehmen. Vermutlich steckten der Koch und der Butler dann mit ihm unter einer Decke.

    Thomas fasste den Entschluss mit Magdalena Osario irgendwie über die Vorkommnisse zu reden. Nachdem sie ihm von ihren Geheimnissen und Gefühlen berichtet hatte, konnte er dies vielleicht ebenso handhaben. Beide würden den Mund halten und ihre Pläne und Erfahrungen niemandem mitteilen. Zudem wäre sie wohl die einzige Person, die noch in etwa wissen oder ahnen könnte, was ihr Gatte genau vorhatte. Vielleicht wusste sie sogar über den Wolf Bescheid.

    All diese Gedanken schwirrten durch Thomas Kopf, als er das kleine Badezimmer verließ und in die frische Wäsche schlüpfte, die er zuvor auf sein Bett gelegt hatte. Er verstaute die dreckige Wäsche in einem Plastiksack, kehrte zurück ins Badezimmer und kämmte sich dort gründlich. Seine Haare waren bereits länger geworden und hingen ihm manchmal störend wirr ins Gesicht. Er beschloss nach diesem Wochenende zum Friseur zu gehen.

    Nachdem er sich das Gesicht eingekremt hatte, kehrte Thomas zu seinem Bett zurück, zog seine Schuhe an und warf einen Blick auf die Uhr. Er beschloss nun bereits zum Abendessen zu gehen, obwohl er noch zwanzig Minuten Zeit hatte. Er hoffte dort vielleicht schon jemanden zu treffen, mit dem er reden konnte.

    Er hatte kaum sein Zimmer verlassen und die Tür abgeschlossen, als er leicht von der Seite angerempelt wurde. Er fuhr herum und blickte in das feixende Gesicht von Malcolm McCollaugh. Dieser trug mit stolz geschwellter Brust das Trikot der schottischen Fußballnationalmannschaft. Es trug die Nummer zehn und zudem war sein eigener Name aufgeflockt worden.

    „Du hast wohl verloren, mein Freund. Sie hat sich mit mir vertragen und mir zum Beweis ihrer Liebe dieses Trikot geschenkt.“, prahlte er höhnisch und Thomas wollte seinen Augen und Ohren nicht trauen, denn er wusste sofort, dass sein Konkurrent auf die junge Französin angespielt hatte.

    „Was erzählst du da?“, fragte er halb entsetzt, halb verwundert.

    „Sie hat es vor meiner Zimmertür abgelegt, mit einem kleinen Brief dabei. Darin hat sie mir gestanden, dass sie mit dir nur herumgemacht hat, um mich neidisch zu machen und um zu sehen, ob und wie vernarrt ich in sie bin.“, fuhr Malcolm triumphierend fort und konnte sich ein schadenfrohes Lachen nicht verkneifen, als er dem starren Thomas heftig auf die Schultern klopfte.

    „Das glaubst du doch selbst nicht.“, erwiderte Thomas barsch, obwohl er längst nicht mehr so selbstsicher war, wie er vorgab.

    „Sicherlich. Nur sie hat gewusst, dass mein Lieblingsspieler die Nummer 10 trug. Ich hatte es ihr damals gestanden, als wir ein Paar waren. Von euch Anderen hat sich doch ohnehin nie jemand für mich und meine Hobbys interessiert. Ihr habt mich immer abschätzig behandelt, ihr saht in mir immer einen Fremden, einen Minderwertigen.“, fauchte er mit vor Bitternis triefender Stimme.

    Höhnisch lachend ließ er den überrumpelten Thomas stehen, der sich in diesen Minuten wie der sprichwörtlich begossene Pudel fühlte. Sein Gegenüber hatte ihn nicht angelogen, das hätte er gemerkt, denn seine neue Selbstsicherheit und Freude waren nicht gespielt. Thomas fühlte eine unterschwellige Wut in sich aufsteigen, einen bitteren Hass. Er kniff die Lippen zusammen und stieß einen lauten Fluch aus. Ihm wurde klar, dass Jeanette ihn doch wieder nur benutzt hatte. Nie hätte er ihr zugetraut, dass sie auf Malcolm eingehen würde. Er hatte für sie den Kopf hinhalten müssen und war hinterrücks getäuscht worden. Er verfluchte sich für seine eigene Naivität und dass er der Französin vertraut hatte.

    Mit geballten Fäusten schritt er die breite Treppe zur Eingangshalle hinunter und steuerte auf den Speisesaal zu. Missmutig ließ er sich auf seinen angestammten Platz fallen und schüttelte wütend den Kopf. Noch war der Raum spärlich besucht, doch langsam kamen immer mehr Gäste und er fand unter ihnen auch Jeanette, der er einen bitterbösen Blick zuwarf, den diese verdutzt oder sogar verständnislos erwiderte. Thomas schwor sich sie lieber den ganzen Abend über nicht zu beachten, anstatt eine Privatfehde vor versammelter Mannschaft mit ihr auszutragen. Er merkte wie die Französin, die zunächst noch in ein Gespräch mit Hamit Gülcan versunken war, Anstalten machte sich Thomas zu nähern, doch in diesem Moment betrat der Schlossherr von der anderen Seite den Raum, bat um Aufmerksamkeit und darum, dass die Anwesenden sich setzen mögen. Jeanette warf Thomas einen hilflosen Blick zu und kam der Aufforderung nach.

    Die Stimmung in der Gruppe hatte sich im Vergleich zur Zeit des Mittagessens noch einmal verschlechtert. Die Konflikte hatten sich vertieft, das gesäte Misstrauen war gewachsen. Im Kontrast dazu wirkte der Schlossherr provokant fröhlich, hob sein Weinglas und genoss die Aufmerksamkeit, die man ihm notgedrungen schenkte, bevor er zu einer gestenreichen Rede ansetzte.

    „Ich hoffe, dass Sie alle einen entspannenden und erkenntnisreichen Nachmittag verbracht haben und vielleicht die Schlossanlagen näher erkundet haben. Heute Abend wird es ein vorzügliches Vier Gänge Menü geben, von meinem Koch persönlich kreiert. Lassen Sie sich überraschen und lassen Sie es sich schmecken. Ich bitte sie bereits jetzt herzlich darum nach der Beendigung des Essens noch eine Weile hier zu verweilen mit der Ankündigung, dass sich der sehr geehrte Malcolm McCollaugh dankenswerterweise bereit erklärt hat uns einige Stücke aus seinem Repertoire auf Dudelsack vorzuspielen.“

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