• Kapitel 3

     

    Kapitel 3: Mittwoch, 11 Uhr 04, Hotelrestaurant


    Thomas Jason Smith stieß die robuste Glastür auf und fand sich in einer kleinen Empfangshalle wieder. Er sah eine unbesetzte Rezeption auf der rechten Seite und eine kleine Treppe, die auf einem rotschwarzen Teppichmuster steil in die Höhe führte. Auf der linken Seite der Eingangstür befand sich eine größere Sitzgruppe, auf der sich die Gruppe versammelt hatte, zu der er einst gehört hatte. Koffer und Rucksäcke standen neben oder auf den kleinen Glastischen und unweit des erloschenen Kamins.

    Der junge Schotte näherte sich behutsam der Gruppe, als eine kleine Frau mit stark gebräunter Haut und pechschwarzen Haaren aufstand und ihm freudig entgegentrat. Sie reichte ihm die Hand und begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln.

    „Herzlich willkommen, Herr Smith. Ich bin froh, dass sie so pünktlich zu uns gefunden haben. Es fehlen nur noch zwei weitere Gäste, die kleine Yacht liegt bereits sicher im Fischerhafen vertäut. Der Herr Direktor befindet sich noch auf unserem Schloss, es ging ihm heute Morgen nicht sonderlich gut, er hatte einen Migräneanfall.“, erklärte Magdalena Osario hastig und wies auf die Sitzgruppe, wo ihn alle Augenpaare aufmerksam musterten.

    Thomas ließ seine Sporttasche lässig zu Boden gleiten und bedankte sich bei seiner ehemaligen Lehrerin. Er hatte die strenge und anspruchsvolle Art seiner damaligen Tutorin in jungen Jahren als schrecklich erfunden und ihre oft sehr hastige Sprache, die sie mit wilden Gesten unterstrich, hatte ihm das ein oder andere Mal beinahe den Verstand geraubt. Doch privat hatte er sie als herzlich und offen empfunden und musste anerkennen, dass sie zudem stets eine Schönheit gewesen war. Alle männlichen Schüler hatten heimlich von ihr geschwärmt und auch die smarte Lehrerin war sich ihrer Anziehungskräfte bewusst gewesen und hatte gar manchmal ihre Reize bewusst spielen lassen.

    Thomas musste schmunzeln, als er daran dachte, wie er einmal mit seinem verstorbenen Freund heimlich in das Zimmer der Lehrerin eingestiegen war und sie ihre Dessous in Augenschein genommen hatten. Er konnte bis heute nicht verstehen, warum diese junge und hübsche Lehrerin dem höchstens latent vorhandenen Charme des alten und oft missgelaunten Direktors erliegen konnte.

    Der junge Polizist setzte sich in einen etwas wackligen Korbstuhl und griff nach einem Glas und einer Karaffe Wasser, die auf einem der Glastische stand. Gierig trank er einige Schlucke des kühlen Nasses.

    Mit einem Mal legte ihm jemand die Hand auf den Oberschenkel. Thomas stellte sein Glas ab und sah in das spitzbübische Gesicht der jungen Jeanette. Er musste unwillkürlich lächeln, als er sie sah. Er hatte einmal eine kurze, aber heftige Affäre mit ihr gehabt und ihr noch sehr lange nachgehangen. Jeanette Rodin-Gagnon war allerdings nie die Person gewesen, die viel Wert auf lange und treue Beziehungen gelegt hatte. Thomas hatte später sogar erfahren müssen, dass sie ihn betrogen hatte und mit fast jedem männlichen Mitschüler ein Verhältnis gehabt zu haben schien, angeblich sogar mit dem einen oder anderen Lehrer. Sein Ärger auf sie war über die Jahre verflogen und er hatte sich am Ende seiner Schulzeit wieder gut mit ihr verstanden, sie hatte vor allem versucht ihm nach dem Tod seines Freundes Trost zu spenden.

    „Ich bin erstaunt, dass du gekommen bist. Wir haben sehr lange nichts mehr von dir gehört. Ich hatte dir ein oder zwei Briefe geschickt, aber du hast nie geantwortet.“, stellte Jeanette fest und blickte ihn eindringlich mit ihren blaugrünen Augen an.

    „Das tut mir Leid. Ich hatte nach der Schule eine schwere Zeit und bin oft umgezogen. Ich habe deine Briefe nicht erhalten.“, erwiderte Thomas leise und blickte betreten zu Boden. Die grausamen Szenen der schicksalhaften Nacht, in der sein Freund gestorben war, liefen jetzt automatisch wieder wie ein schrecklicher Film in seinem Kopf ab. Er hatte geglaubt diesen Schock überwunden zu haben, doch jetzt fühlte er sich an all diese Dinge wieder erinnert. Vielleicht war es doch nicht die richtige Entscheidung gewesen zu diesem Treffen zu kommen.

    „Ich nehme dir das nicht übel. Ich bin froh, dass du jetzt hier bei uns bist. Das Treffen wird dich bestimmt von diesen Dingen ablenken und es wird dir gut tun wieder unsere Gesellschaft zu genießen.“, erwiderte Jeanette mit einem zarten Lächeln und strich mit ihrer Hand sanft über sein Bein.

    Thomas konnte eine gewisse wohlige Erregung nicht verheimlichen und versuchte rasch das Thema zu wechseln.

    „Was ist mit dir? Was hast du nach der Schulzeit gemacht?“

    Jeanette nahm ihre feingliedrige und sehr gepflegte Hand von seinem Bein, lehnte sich zurück, legte ihr rechtes Bein auf das Knie des linken und griff zu einem Glas Sekt, das sie elegant an ihren Mund führte und Thomas dabei spitzbübisch zuzwinkerte. Langsam setzte sie das Glas ab, spreizte kurz die Beine und beugte sich wieder zu ihm vor.

    „Ich habe in Paris und Glasgow Biologie studiert und habe über einen Bekannten meines Vaters eine Stelle im zoologischen Garten in Paris bekommen. Ich arbeite dort seit letztem Jahr als Biologin und gleichzeitig als Tierärztin. Es ist ein spannender Beruf und das Umfeld ist sehr nett.“, berichtete sie mit süffisanter Stimme.

    „Das freut mich wirklich für dich.“, erwiderte Thomas mit einem Lächeln, nachdem er seine kurzen emotionalen Ausbrüche überwunden hatte. Dennoch fühlte er sich noch immer ein wenig unbehaglich und wusste nicht so recht, wie er ein vernünftiges Gespräch mit der immer noch verführerischen Französin aufbauen sollte.

    Thomas hörte, dass sich ein weiterer Ankömmling neben ihm auf einen schlichten Holzstuhl fallen ließ. Der junge Mann, dem man seine asiatische Abstammung ansah und sich gelangweilt umsah, unterschied sich deutlich von den anderen Leuten im Raum. Er trug eine zerfetzte, schwarze Lederjacke und hatte drei Piercings an seiner linken Augenbraue. Seine Jeans wirkte verwaschen und er trug einfache, alte Sportschuhe. Er zündete sich gerade unter Protest einiger Anwesender eine Zigarette an und ignorierte die Beschwerden völlig. Lächelnd wandte er sich Thomas zu und schüttelte den Kopf.

    „Immer noch dieselben alten Spießer hier, nicht wahr?“, meinte er mit einem hämischen Lachen und unterstrich seine Geste, indem er den Zigarettenrauch kräftig in Richtung einiger Gäste ausblies.

    „Du warst schon immer ein Rüpel gewesen.“, stellte Jeanette fest und ihr fröhliches und lockeres Verhalten hatte einer ablehnenden und fast gehässigen Haltung Platz gemacht.

    „Darauf stehst du doch, meine Süße.“, erwiderte der junge Asiat und sah mit großem Vergnügen, wie Jeanette puterrot wurde und empört nach Luft schnappte.

    Thomas hatte Gwang-jo Park nie wirklich leiden können. Er war zwar ebenso ein Rebell gewesen wie er, allerdings waren sie ansonsten grundverschieden. Der Koreaner hatte sich nie um die Meinung der Lehrer oder Mitschüler geschert und war immer ein Außenseiter gewesen. Er war immer grundsätzlich zu spät zum Unterricht gekommen, hatte an keinerlei Freizeitaktivitäten teilgenommen und hatte eine überhebliche und arrogante Ader. Zudem war er geradezu sadistisch veranlagt und hatte versucht einigen Schülern das Leben schwer zu machen. Ohne den Einfluss seines reichen Vaters, Vorsitzender eines koreanischen Automobilherstellers in Schottland, wäre er der Eliteschule verwiesen worden. Thomas glaubte insgeheim, dass es auch sein Vater gewesen war, der die Lehrer bestochen hatten, um seinen Sohn nicht durchfallen zu lassen und sein Diplom auszuhändigen, da er bei vielen Prüfungen gar nicht anwesend gewesen war und zudem fast niemals irgendwelche Aufgaben oder Referate erledigt hatte. Thomas fragte sich, wer letztlich die Ausstellung des Diploms gebilligt hatte und schätzte, dass es sich um den österreichischen Direktor handeln musste, da Magdalena Osario Gwang-jo ebenfalls nie leiden konnte und auch nicht bestechlich war. Auch jetzt hatte Thomas das ungute Gefühl, dass der provokante Koreaner nur mitgekommen war, um seine Kollegen zu ärgern.

    „Lass sie einfach in Ruhe.“, sagte Thomas ganz ruhig, als der Koreaner zu einer weiteren spöttischen Bemerkung ansetzen wollte.

    „Du hast mir gar nichts zu sagen. Du weist selbst ganz genau, dass dieses Luder mit jedem männlichen Mitglied aus unserer Gemeinschaft gevögelt hat. Da bin ich gewiss keine Ausnahme. Jetzt tut sie so vornehm und abschätzig, diese falsche Schlange.“, erzürnte sich Gwang-jo Park und warf der jungen Französin giftige Blicke zu.

    „Hör auf so über sie zu reden.“, erwiderte ein kräftig gebauter Hüne mit blonden Haaren und trotzigen blauen Augen, der sich von der Seite der Gruppe angenähert hatte.

    Thomas erkannte ihn sofort. Es handelte sich um Malcolm McCollaugh, der lange Zeit eine intensive Beziehung mit Jeanette geführt hatte und ihr eines Tages gar einen Heiratsantrag gemacht hatte, wie Thomas von ihr selbst erfahren hatte. Daraufhin hatte sie die Beziehung mit ihm beendet, da er ihr zu aufdringlich wurde und sie niemals eine feste Bindung eingehen wollte. Jeder wusste insgeheim, dass er dies nie überwunden und akzeptiert hatte und der jungen Französin beinahe krankhaft nachlief. Auch Gwang-jo Park wusste bestens über die Situation des Schotten Bescheid, der, wie bereits auf diversen Feiern und Ausflügen zu denen man keine Schuluniform tragen musste, auch heute einen traditionellen Schottenrock und eine graue Baskenmütze trug.

    „Du läufst ihr wohl noch immer hinterher, nicht wahr? Vergiss es, sie kann ihren Körper nicht nur einem einzigen Mann schenken. Ich schätze, da müssen wir teilen.“, erwiderte Gwang-jo auf den Kommentar, doch er war dieses Mal einen Schritt zu weit gegangen.

    Malcolm packte die Lederjacke des verdutzten Großmauls und verpasste ihm ansatzlos einen gewaltigen Schlag in die untere Gesichtshälfte. Der Koreaner hatte keine Zeit mehr gehabt, den Schlag irgendwie abzuwehren. Er flog im hohen Bogen nach hinten und prallte gegen seinen eigenen Stuhl, der rasch Übergewicht bekam und nach hinten kippte. Schmerzhaft prallte der Koreaner mit dem Stuhl zu Boden und tastete mit schmerzverzerrtem Gesicht an seine Unterlippe, die durch den Schlag aufgeplatzt war. Mühsam rappelte er sich auf, denn er wollte diese Aktion nicht auf sich sitzen lassen und griff nun seinerseits an.

    Der Koreaner täuscht einen Haken mit der linken Faust an, nur um im selben Moment zu einem trockenen Tritt mit seinem rechten Bein auszuholen, der sein Gegenüber in der Magengrube traf. Mit verzerrtem Gesicht beugte sich der schottische Hüne nach vorn und kassierte einen kräftigen Kinnhaken, der ihn nach hinten taumeln ließ, wo er erst von der Kante eines Glastisches gestoppt wurde.

    Gwang-jo, dessen Augen wütend und erbarmungslos aufblitzten, setzte sofort mit einem weiteren brutalen Schlag in die Magengrube nach, der seinen Kontrahenten auf den Glastisch katapultierte, der klirrend zerbarst und in endlos viele Glasteile zersprang. Erschrocken sprangen einige der Anwesenden auf, doch Gwang-jo fühlte sich dadurch nur noch mehr angestachelt und setzte zu einem Hechtsprung in Richtung des Schotten an, als ihm ein etwas älterer Mann am Kragen seiner Lederjacke packte und wuchtig zurückschubste, sodass der Koreaner um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte und sich erst im letzten Moment fangen konnte. Der neue Angreifer setzte aber sofort nach, packte den Koreaner am Kragen und zog ihn ganz nah zu sich heran.

    „Sie werden sich sofort für ihre unflätigen Beleidigungen entschuldigen.“, befahl er in einem harschen Ton, der keinen Widerspruch duldete.

    „Er hat angefangen. Dieser irre Rockträger hat einfach auf mich eingeschlagen. Er soll herkommen und sich entschuldigen.“, erwiderte Gwang-jo trotzig, doch sein Gegenüber zerrte ihn zur Seite und blickte ihn eindringlich an.

    „Entweder Sie entschuldigen sich sofort oder ich schließe sie hiermit umgehend von unserem Treffen aus.“, stellte er klar.

    „Ich...“

    „Wollen Sie das?“

    „Ich wollte nur...“

    „Wir können auch anders. Ich könnte Sie wegen Körperverletzung anzeigen!“

    „Nein. Ich meine, ich wollte....“

    „Wie bitte?“, hakte der Mann drohend nach und unterbrach den rebellischen Koreaner bewusst erneut, um dessen Machtgefühl zu brechen.

    „Ich möchte mich bei ihm entschuldigen.“, murmelte der Koreaner ziemlich missmutig und kleinlaut, da ihm die Situation nun doch ein wenig unangenehm war.

    „So ist es schon besser.“, erwiderte sein Gegenüber grimmig.

    Der Mann ließ ihn los und gab ihm einen Stoß nach vorne. Der junge Schotte hatte sich bereits mit der Unterstützung einiger Anwesender wieder erhoben und hielt sich immer noch seine Magengrube, doch ansonsten schien er unverletzt geblieben zu sein.

    Thomas hatte mit Erstaunen registriert wer da eingegriffen hatte. Es handelte sich um Björn Ansgar Lykström, einem Lehrer, der in der Eliteschule sowohl Englisch, als auch Geographie unterrichtet hatte. Er war in etwa in demselben Alter wie Magdalena Osario und es gab Gerüchte, dass beide kurz bevor die rassige Spanierin den Bund des Lebens mit dem alternden Direktor eingegangen war, eine kurze Beziehung geführt hatten. Thomas hatte Lykström trotz seines strengen Unterrichts sehr gemocht, da er Leute wie Gwang-jo nie akzeptiert hatte und hart durchgegriffen hatte. Privat war er aber stets eine zugängliche Person gewesen und hatte sogar einige Zeit lang mit Thomas, seinem toten Freund und Fatmir Skolin, einem albanischen Mitschüler, der ebenfalls unter den Gästen war, in einer Schulband gespielt, wobei sie vor allem härtere Rockmusik gespielt hatten. Eines Tages hatte der Direktor dies unterbunden, da er nicht wollte, dass ein Lehrer enge und freundschaftliche Beziehungen zu Schülern aufbauten, da darunter die Objektivität und die Erziehungsmethoden leiden würden. Zudem hatte er die Musik nie leiden können und war lediglich auf klassische Musik fixiert gewesen und hatte die Probezeiten der Band bereits zuvor absichtlich stark eingeschränkt.

    Gwang-jo trat nun zu seinem schottischen Kontrahenten und reichte ihm missmutig die Hand. Dieser hob kurz den Blick und warf seinem Gegenüber böse Blicke zu, die Hände zu Fäusten geballt.

    Mit einem Mal war es wieder ganz still im Empfangszimmer, alle Gespräche brachen ab, alle Augen beobachteten die Szene. Es lang eine bedrohliche Stimmung, eine knisternde Spannung in der Luft. Nach einigen Sekunden absoluten Schweigens gab Malcolm seinem ehemaligen Mitschüler hastig die Hand und drehte sich dann unter Schmerzen wieder weg.

    Björn Ansgar Lykström schien für den ersten Moment zufrieden zu sein, als sich eine junge Dame von der Rezeption näherte, die jetzt erst den angerichteten Schaden bemerkt hatte, da sie vorher in einem Hinterzimmer gewesen war. Entsetzt wies sie auf die Scherben und blickte vorwurfsvoll in die Runde, als Magdalena Osario souverän einschritt und die Verantwortung übernahm. Sie zog sich mit der entsetzten Dame für einige Minuten zurück, um mit ihr über das Problem zu reden und ihr einen Entschädigungsscheck auszuhändigen. Die spanische Lehrerin war schon immer ein verantwortungsvolles Improvisationstalent gewesen.

    Thomas schüttelte den Kopf und beobachtete, wie sich Gwang-jo grollend in eine Ecke in der Nähe des Kamins verzog, während Malcolm von vielen Gästen umringt wurde, die sich nach seinem Wohlbefinden erkundigten.

    „Er läuft dir immer noch hinterher.“, konstatierte Thomas mit einem Blick auf seinen schottischen landsmann und schaute nun Jeanette tief in die Augen und merkte, dass sie seltsam ratlos wirkte.

    „Glaubst du?“, fragte sie nachdenklich.

    „Natürlich. Sonst hätte er sich nicht in der Weise für dich eingesetzt.“, erwiderte Thomas mit einem lockeren Lachen.

    „Er verrennt sich da in etwas. Er sollte einfach wissen, dass ich für eine langfristige Beziehung mit ihm nicht bereit bin. Ich würde niemals mit einem Kerl etwas anfangen, mit dem ich bereits zusammen gewesen war.“, sagte sie bestimmt.

    „Mit niemandem?“, fragte Thomas überrascht und fast ein wenig enttäuscht und biss sich sofort auf die Lippen, als er seine verräterische Aussage realisierte.

    Jeanette hatte seine Reaktion sofort bemerkt und mit einem süffisanten Lächeln quittiert. Zärtlich näherte sie sich ihm und flüsterte ihm ihre Antwort ins Ohr.

    „Sag niemals nie.“

    Mit einem Mal legte sich eine Hand auf Thomas Schulter und er fuhr herum. Die letzten beiden Gäste waren angekommen, nämlich Abdullah Gadua, der aus Katar stammte, sowie Marilou Gauthier, eine junge Frankokanadierin, die sich mit großem Interesse umblickte. Dabei hatte sie die Hand ihres Begleiters umfasst, der wiederum Thomas seine Hand auf die Schulter gelegt hatte.

    „Ihr beiden Turteltäubchen, was ist denn hier passiert?“, fragte er halb beunruhigt, halb belustigt.

    Thomas hatte Abdullah als oft gut gelaunten Menschen in Erinnerung, der stets hilfsbereit gewesen war. Einige Mitschüler hatten zu ihm ein etwas distanzierteres Verhältnis gehabt, da der überzeugte Turbaträger seine islamische Religion nicht aufgeben wollte, obwohl er sich in einer christlichen Eliteschule befand. Sein Vater, ein reicher Ölbaron, hatte allerdings so viel Geld springen lassen, dass er trotz dieses Mankos aufgenommen worden war, zumal er bereits im Voraus die besten Schulnoten erzielt hatte. Zudem waren die Begründer der Eliteschule in ihrer Anfangszeit von solchen Zahlungen extrem abhängig gewesen.

    Marilou Gauthier, seine Begleiterin, hatte er schon damals umworben und schien nun erfolgreich gewesen zu sein. Sie war stets ein wenig arrogant und zurückhaltend gewesen und man hatte ihr deutlich angemerkt, dass sie die Schulzeit gehasst hatte und lediglich unter dem Zwang ihrer Eltern dorthin gegangen war. Sie hatte ihre Unzufriedenheit nicht so extrem ausgedrückt wie Gwang-jo oder auch Thomas von Zeit zu Zeit, aber sie hatte stets ein wenig lustlos gewirkt und hatte vor allem mit Jeanette oft Streiterein gehabt. Sie hatte sich mehr und mehr zurückgezogen und war gar drogenabhängig geworden, was sich bei ihren Noten und ihrem Gesundheitszustand deutlich bemerkbar gemacht hatte. Dies hatte sich auch kaum verändert, als sie mit Abdullah bereits zusammen gewesen war. Die beiden hatten sich oft gestritten, doch gegen Ende der Schulzeit hatte sich ihr Verhalten gebessert und sie waren wieder fest zusammengewesen und dies schien bis zum heutigen Tage gehalten zu haben, wie Thomas nun feststellte.

    „Es gab eine Schlägerei zwischen Gwang-jo und Malcolm.“, erwiderte der Schotte.

    „Die beiden konnten sich ja noch nie leiden. Schlimm, dass das nun ausgerechnet heute passieren muss, wo wir uns endlich alle wiedersehen.“, stellte Abdullah kopfschüttelnd fest.

    „Es ging um mich. Malcolm läuft mir wohl immer noch nach und hat eingegriffen, als Gwang-jo mich dumm angemacht hat.“, erklärte Jeanette nicht ohne Stolz und warf dem Neuankömmling ein offenes Lächeln zu.  

    „Wer würde sich nicht für dich schlagen?“, rutschte es Abdullah heraus und bekam dafür einen bitterbösen Blick von seiner Frau zugeworfen, die sofort ihre Hand von der seinigen löste und sich von den Gästen abwandte. Bei der hektischen Bewegung rutschte ihre braune Baskenmütze leicht zur Seite und gab einen Blick auf ihre lockige, brauen Haarpracht preis.

    „Es war ein Scherz, Chérie, einfach nur so dahergesagt.“, meinte Abdullah und ging ihr hinterher, wobei er beschwichtigend die Hände hob.

    Von der anderen Seite kam Fatmir Skola auf Thomas und Jeanette zu. Er wirkte seltsam gealtert, hatte kaum Haare mehr auf dem Kopf und dunkle Ringe unter den Augen. Sein Lächeln konnte seine tiefen Sorgenfalten auf der Stirn kaum wettmachen. Thomas fragte sich nach dem Grund für sein Erscheinungsbild. Er hatte ihn in ihrer damaligen Band als sehr frischen und motivierten Menschen kennen und schätzen gelernt, doch jetzt wirkte er seltsam ausgelaugt. 

    „Du scheinst deine Wirkung auf die Männerwelt nicht verloren zu haben.“, meinte der Albaner in Richtung der jungen Französin und schob sich einen flachen Hocker heran, auf den er sich schwerfällig setzte.

    „Das musst du ja wissen.“, erwiderte Jeanette mit einem spöttischen Unterton.

    Thomas wusste, dass auch Fatmir eine kurze Beziehung mit ihr geführt hatte, kurz bevor er selbst mit ihr zusammen gekommen war. Beide hatten sich nach Thomas Trennung von ihr oft über die Französin unterhalten, doch Fatmir hatte sich nie große Hoffnungen gemacht und war nie nachtragend gewesen und hatte versucht Thomas mit der Übermittlung dieser Einstellung Verständnis, Mut und Gelassenheit einzuimpfen, was ihm letztlich auch größtenteils geglückt war.

    „Ich habe lang nichts mehr von dir gehört seit der Schule. Hast wohl eine schwere Phase durchgemacht, mein Freund?“, fragte Fatmir Thomas mit echter Anteilnahme.

    „Ich habe einfach Abstand gebraucht und mich zurückgezogen, doch heute bin ich wieder bereit ins richtige Leben zurückzukehren.“

    „Sicherlich. Ich wusste, dass du eine starke Moral hast.“

    „Entschuldige das so offen zu sagen, aber du siehst auch aus, als hättest du jede Menge durchgemacht.“, erwähnte Thomas nach einer kurzen Schweigepause mit einem etwas unbehaglichen und schüchternen Blick, den sein Freund mit einem sarkastischen Lachen beantwortete, bevor er sich umschaute und langsam zu Thomas nach vorne beugte.

    „Lass uns später darüber reden, auf dem Schiff vielleicht.“, flüsterte er und Thomas antwortete mit einem kurzen, neugierigen Nicken.

    Inzwischen war Magdalena Osario zurück zur Gruppe gekehrt, nachdem alle Probleme mit der Dame von der Rezeption geregelt worden waren. Sie stellte sich mutig und entschlossen in die Mitte der anwesenden Gäste.

    „Es ist alles geklärt worden. Ich hoffe, dass sich solch ein Vorfall nicht ein weiteres Mal ereignet, sonst werde ich die entsprechenden Personen von der Veranstaltung ausschließen. Ich appelliere an Sie, dass wir uns zusammengefunden haben, um uns friedlich miteinander auszutauschen und ein wenig Abstand vom Alltag zu gewinnen, um alten Erinnerungen nachzuhängen und gleichzeitig Neues voneinander zu erfahren. Streitereien sind da wirklich unangebracht.“, schloss sie ab und erntete zustimmendes Nicken und sogar vereinzelten Applaus.

    „Wie ich sehe sind auch unsere letzten Gäste eingetroffen.“, konstatierte sie mit einem Blick auf Abdullah, der seiner Gattin Marilou die Hände auf die Schulter gelegt hatte, während diese sich abweisend zur Seite gedreht hatte und zornig ins Leere blickte.

    „Die Yacht steht bereit. Die Reise kann losgehen.“, stellte Magdalena Osario fest und ging zielstrebig auf die Eingangspforte zu, während die umherstehenden Gäste ihr Gepäck sammelten, wieder aufnahmen und ihr langsam folgten.

    Auch Thomas griff nach seiner Sporttasche und verließ, begleitet von Fatmir und Jeanette, das Hotel mit gemischten Gefühlen. Nach dem unglückseligen Streit hatte er ein weniger gutes Gefühl für die nächsten Tage und befürchtete weitere Auseinandersetzungen.

    Er sollte tatsächlich Recht behalten.

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