by Sebastian Kluth
Genre: Industrial Rock / Electro Rock / Dark Wave Label: Sony Music Spielzeit: 60:59 Band homepage: - Tracklist:
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Das neue Album „Des Wahnsinns fette Beute“ der Neue Deutsche Härte Legende OOMPH! ist ein Album, dem ich mit einer gehörigen Portion Skepsis entgegen sah. Die Gruppe hatte schon immer polarisiert und provoziert, aber das neue Machwerk schien gerade die Fangemeinde noch mehr zu spalten als je zuvor. Die erste Single „Zwei Schritte vor“ setzte direkt ein radikales Zeichen. Jazzig-bluesige Big Band Anleihen treffen auf einen vertrackten gesellschaftskritischen Text und ein ziemlich experimentierfreudiges und freizügiges Video dazu. Der Bonustrack „Der Tod ist nur ein Herzschlag entfernt“ geht übrigens in eine ganz ähnliche Richtung und klingt streckenweise nach dem Titelsong der legendären James Bond Reihe, der in den frühen Sechzigern entstand, ohne diesen jedoch plump zu kopieren. Die Band lotet also Stile aus, mit denen sie vorher rein gar nichts zu tun hatte und man wusste noch nicht so ganz, was man davon halten sollte. Als ich die Band kurze Zeit später live auf dem Blackfield Festival in Gelsenkirchen sah, wurde ich noch kritischer, denn die neuen Stücke wirkten so experimentierfreudig und ungewohnt, dass sie geradezu wie Fremdkörper in der restlichen Setlist wirkten. Besonders die altmodische Schlagerschunkelnummer „Seemannsrose“, die wie eine Mischung aus ERSTE ALLGEMEINE VERUNSICHERUNG, DIE APOKALYPTISCHEN REITER und HANS ALBERS klingt, sorgte bei mir für Sorgenfalten. Ich zögerte daher lange dieses Album anzutesten und kann nach einigen Hördurchgängen nun Entwarnung geben. Und nicht nur das: das neue Machwerk ist gar mein neues Lieblingsalbum der Gruppierung geworden. Die sechzehn neuen Lieder werden sicherlich auf Konzerten nicht sehr gut funktionieren, aber auf dem Studioalbum wirken sie besser. Allerdings braucht man einen ziemlich weit gesteckten Musikgeschmack und ein wenig Geduld, um sich mit der Scheibe anzufreunden, die sich danach aber umso mehr entfaltet. Fast jedes Stück wagt ein Experiment und doch klingt das Ganze immer einhundert Prozent nach OOMPH!, wenn auch der rote Faden hin und wieder verloren wird, falls es überhaupt einen gibt. Insgesamt geht das Album wieder mehr in Richtung Dark Wave und beinhaltet neben jazzigen und bluesigen Einflüssen auch verstärkt elektronische Elemente wie in der Anfangszeit der Band. Im Gegenzug sind viele Stücke aber auch sehr eingängig und poppig geraten. Normalerweise kann man die Hits auf den Alben der Band recht schnell herausfiltern und bei der Singlewahl haben die drei Herren aus Wolfsburg eigentlich immer ein sehr gutes Händchen gehabt. Hier jedoch hat fast jedes Stück Ohrwurmcharakter und einen leicht poppigen Anstrich. Auch textlich gibt es Veränderungen. Ging es auf den letzten Werken der Band vermehrt um Geschlechtskrankheiten, Medienkritik, Pädophilie, Racheakte und ähnlich negative Themen, so wirkt das neue Album textlich sehr viel lebensbejahender. Die musikalische Eingängigkeit und Fröhlichkeit findet man in Stücken à la „Bonobo“ wieder, in denen es um ungezügelte animalische Sexualpraktiken geht, die der Mensch auch begehrt. Ohnehin ist die Thematik rund um Liebe und Triebe in diesem Album sehr präsent. Aber auch das augenzwinkernde BRONSKI BEAT Cover „Kleinstadtjunge“ lässt mit seinem beißenden Humor unterlegt von deftigen Beats kein Auge trocken. Die Band schafft es tatsächlich ein inzwischen viel zu oft gecovertes Stück, beispielsweise zuletzt von DELAIN, AND ONE und ATROCITY, eigenständig und frisch klingen zu lassen. Viele Kritiker mögen anmerken, dass die Texte eben etwas oberflächlicher klingen als gewohnt, aber gerade dieses Ausbrechen aus gewohnten Strukturen steht der Band anno 2012 unglaublich gut zu Gesicht. Die drei Herren befreien sich von jeglichen Erwartungen der Fans und Kritiker und lassen hier so richtig die Zügel schleifen. Natürlich gibt es auch ein paar Lieder, die Fans der alten Schule gefallen dürfen, beispielsweise die etwas deftigeren und doch sehr abwechslungsreichen Genrestampfer „Unzerstörbar“ und „Fütter mich“ oder das textlich sehr düstere, kritische und traurige kleine Meisterwerk „Unendlich“, das für ein sensibles Thema behandelt und für Gänsehaut sowie einen großen Kloß im Hals sorgt. Insgesamt aber beschreitet die Band hier vollkommen neue Wege und jeder Kenner sollte sich das neue Machwerk erst einmal ganz vorsichtig und in Ruhe anhören, bevor er oder sie die Scheibe blind im Laden kauft. Meiner Meinung nach steht die neue Frische der Band extrem gut zu Gesicht und ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass dieses Album möglicherweise zu meinem absoluten Liebling in ihrer Diskografie mutieren könnte. Jeder musikalische Freigeist sollte sich dieses Werk definitiv einmal anhören und dürfte an vielem hier seine oder ihre Freude haben. (Online 9. September 2012) |