Eklablog
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by Sebastian Kluth

Kapitel 85

 

 

Kapitel 85: Samstag, 03 Uhr 15 Bibliothek

Mit einem Mal herrschte wieder eine ehrfürchtige Stille in der Bibliothek. Alle Anwesenden drehten sich wie auf Kommando um, betrachteten argwöhnisch die Wände der Bibliothek, die hohen Regale, die Kerzenständer und Fackelhalter, die kleinen Tische und Sitzkissen, den verwaisten Kamin, die edlen Holzvertäfelungen und die alten Gemälde, von denen an jeder Wand genau ein Exemplar hing und verschiedene Landschaften des Planeten zeigte.

Auch Thomas hatte schon einen prüfenden Blick auf den Kamin geworfen, doch ein direkter Mechanismus war nicht sofort zu erkennen. Sein Eifer und Entdeckungsdrang waren jedoch geweckt und er versuchte beides auf die wie gelähmt wirkenden Gäste zu übertragen.

„Der Koch hat mir gesagt, dass irgendwo hinter diesem Kamin ein geheimer Gang sein soll. Den Mechanismus kennt er nicht, aber wenn wir jetzt gemeinsam gezielt vorgehen, dann werden wir auch dieses Rätsel lösen.“, motivierte der junge Schotte den Rest der Gruppe.

Seine neue Geliebte Elaine Maria da Silva stand als Erste auf, trat demonstrativ zu dem Polizisten und blickte erwartungsvoll und herausfordernd die anderen Gäste an. Nach ihr erhob sich Mamadou, dessen Eifer ebenfalls wieder geweckt worden war. Die drei stellten sich zusammen und warteten auf die anderen Gäste, die noch sehr zögerlich wirkten. Thomas wurde zunehmend ungeduldiger.

„Steht auf und helft uns! Wenn wir nur planlos herumsitzen, dann werden wir den Killer niemals schnappen. Wir bleiben einfach zusammen und gehen gemeinsam in dieses Gewölbe, niemand muss Furcht haben allein zu sein. Wo also liegt euer Problem?“, argumentierte Thomas und lief aufgeregt hin und her, wobei er jeden der Gäste abwesend und eindringlich musterte.

„Ich möchte dich daran erinnern, dass wir in unserem letzten Geheimgang auf einen Toten gestoßen sind. Das Ganze macht mir immer noch zu schaffen. In so einen Gang kriegen mich keine zehn Pferde mehr hinein.“, stellte sich Björn Ansgar Lykström quer.

„Ich würde auch lieber hier oben bleiben. Ich fürchte mich vor dunklen Räumen. Ich kann hier auf euch warten.“, warf nun auch Marilou ein.

„Ich würde auch lieber mit Marilou warten.“, bemerkte Abdullah Gadua leise und sah seine Partnerin gleichzeitig liebevoll, aber auch besorgt an.

„Nein, das brauchst du nicht. Du kannst dich ruhig an der Suche beteiligen. Mir wird schon nichts passieren.“, entgegnete die Kanadierin sanft, aber erstaunlich bestimmt.

„Macht euch darum keine Sorgen. Ich werde ebenfalls hier oben bleiben und auf die restlichen Anwesenden aufpassen.“, griff Mamadou plötzlich hektisch ein und erntete den verständnislosen Blick seines Kollegen.

„Wir brauchen dich aber dort unten. Du hast eine erstaunliche Beobachtungsgabe und das könnte sich für uns im Endeffekt als sehr nützlich erweisen.“, versuchte Thomas seinen Partner zu überreden.

Doch der Afrikaner blieb beharrlich bei seiner Meinung und schüttelte den Kopf. Thomas verstand die ungewöhnliche Reaktion seines sonst so kooperativen und freundlichen Kollegen nicht, zumal der Afrikaner ihn nicht direkt ansah und stattdessen mit einem Mal sehr grimmig und introvertiert wirkte. Schließlich konnte er die auf ihn ruhenden Blicke nicht mehr ertragen und schritt steif auf den Kamin zu, den er suchend umschritt und dabei die nähere Holzvertäfelung abklopfte.

Thomas blickte Elaine Maria da Silva an, die gleichgültig mit den Schultern zuckte und dann auf eines der übergroßen Bücherregale zutrat. Thomas blieb nachdenklich zurück und nahm sich vor mit seinem Kollegen bald ein Wort unter vier Augen zu wechseln.

Nach einigem Zögern trat auch der junge Schotte in die Nähe des Kamins und betrachtete gedankenverloren die alten und staubigen Bücher. Dabei beobachtete er aus den Augenwinkeln heraus Mamadou, der sich immer wieder umwandte und die restlichen Gäste, die nur zögernd an der Suche teilnahmen, grimmig im Auge behielt. Er war kaum bei der Sache und wirkte sehr unruhig.

Thomas versuchte sich auf andere Dinge zu konzentrieren und dachte darüber nach, wo sich der Geheimgang befinden könnte. Er beobachtete zunächst, wie seine Begleiter bei der Suche vorgingen, um sich auf diese Weise selbst zu inspirieren.

Elaine Maria da Silva nahm zunächst die Fackelhalter und Kerzenständer in Augenschein, die allerdings alle fest verankert waren und um keinen Zentimeter nachgaben. Thomas hätte es auch erstaunt, wenn der Mechanismus für die Geheimgänge immer derselbe gewesen wäre. Seine neue Liebhaberin bückte sich nun und kroch langsam, aber ohne Ekel oder Verlegenheit in den rußigen Kamin, dessen Wände sie prüfend abklopfte. Sie fand einen verrosteten Schürhaken, mit dem sie jeden einzelnen Stein abklopfte, doch sie blieb dabei ohne Erfolg. Ernüchtert kroch sie rückwärts wieder aus dem engen Kamin heraus und Thomas bekam ein heißes Schaudern, als der Rock der Brasilianerin dabei leicht in die Höhe rutschte und ihre makellosen Beine entblößte. Langsam und lasziv zog sie sich den Saum wieder in die Tiefe und warf dem schottischen Polizisten einen spöttischen Blick zu. Thomas fühlte sich ertappt, wandte sich verlegen um und tat so, als wäre er selbst eifrig auf der Suche nach einem Mechanismus.

Mamadou untersuchte neben ihm einige Holzvertäfelungen und nahm nun eines der großen Gemälde vorsichtig von der Wand, nachdem er sehr grazil und schnell auf eines der hohen Regale geklettert war, welches unter seinem Gewicht ordentlich knarrte. Das Holz bog sich bereits leicht durch und der Afrikaner beeilte sich einen Blick hinter das Gemälde zu werfen, doch er fand dort nichts als Spinnweben und Staub.

Ernüchtert sprang er mit einem raschen Satz von dem Regal und kam federnd auf den Knien auf. Sein nächstes Ziel waren die anderen drei Gemälde. Abdullah Gadua kam ihm jetzt aber auch entgegen und half dem Polizisten bei dessen Klettereien, indem er ihm eine Räuberleiter machte oder ihn in einer enormen Kraftanstrengung in die Lüfte drückte.

Selbst Marilou Gauthier war jetzt aktiv geworden und schaute unter diversen Teppichen der Bibliothek nach einer versteckten Klappe oder Falltür und schob dafür auch einige der zahlreichen Sitzgelegenheiten beiseite.

Auch Björn Ansgar Lykström hatte sich schließlich willenlos erhoben und suchte erst die Decke mit ihren Lüstern ab, um sich dann in den kleinen Tunnelgang zwischen der Eingangshalle und der Bibliothek zu begeben, wo auch noch jede Menge Gemälde hingen. Versehentlich warf er sogar eine dort stehende Ritterrüstung um, die scheppernd auseinanderbrach und alle Anwesenden verschreckt zusammenzucken ließ. Der Schwede entschuldigte sich kleinlaut und baute die Rüstung behutsam wieder zusammen. Die Nerven waren bei allen extrem angespannt.

Einzig und allein Gwang-jo saß isoliert und grimmig auf seiner Couch und beobachtete die anderen Gäste mit stechenden Blicken. Manche erwiderten seine mürrische Art und blickten den Koreaner verachtungsvoll an. Schließlich konnte sich Abdullah Gadua nicht mehr zusammenreißen und stellte den Boykottanten zur Rede.

„Hör endlich auf eine solche Fresse zu ziehen und pack lieber mit an!“, herrschte er den Koreaner an und mit einem Mal hielten alle in ihrer Suche inne und wandten sich verschreckt zu den beiden Streithähnen um. Doch Gwang-jo blieb dieses Mal provokant ruhig und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

„Wofür sollte ich mit anpacken? Erst schlägt man mich grob zusammen und schenkt mir keinen Glauben und jetzt soll ich mir den Arsch für euch aufreißen? Sucht euch einen anderen Idioten!“, konterte Gwang-jo kalt und offensiv wie immer.

Abdullah Gadua ließ einen Kerzenständer, den er gerade in der Hand hielt, achtlos zu Boden fallen. Das aggressive Scheppern begleitete den forschen Gang des Provozierten, der grimmig auf Gwang-jo zutrat und wenige Zentimeter vor ihm mit bebender Stimme und zitterndem Körper stehen blieb.

„Hör mir zu, du arroganter Bastard! Es geht hier nicht um mich, sondern um uns alle. Irgendein krankes Hirn bringt uns hier systematisch der Reihe nach um. Wenn wir zusammen dagegen vorgehen, dann können wir überleben. Aber ich habe keine Lust wegen deinem Ego und deiner blinden Arroganz mein Leben leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Du hast alle gegen dich aufgebracht und wenn du nicht mitziehst, wird das fürchterlich für dich enden, das verspreche ich dir.“, drohte Abdullah ihm mit geballter Faust.

Plötzlich schnellte Gwang-jo blitzschnell hoch und drückte sein Gesicht gegen das seines Gegenübers. Seine gewaltige Halsschlagader trat bebend hervor, Speichel flog von seinen Lippen, als der Koreaner seiner Wut Ausdruck verlieh.

„Du dreckiges Arschloch willst mir drohen? Jetzt hörst du mir mal zu! Der Killer hat ein Geständnis abgelegt, die Sache ist gelaufen. Stattdessen versucht ihre euch gegenseitig verrückt zu machen und in die Irre zu treiben. Euren komischen und ineffizienten Methoden traue ich nicht mehr. Ich fühle mich sicher, mein Leben nicht in Gefahr und ich werde mich auch nicht unnötigerweise in eine solche begeben. Bringt euch meinetwegen gegenseitig um oder ertränkt euch in Tränen voller Selbstmitleid, aber lasst mich aus dem Spiel!“, forderte der Koreaner mit unbändiger Wut und schraubte seine schrille Tonlage extrem in die Höhe. Sein Gegenüber aber blieb unbeeindruckt.

„So wie du reagierst, müsste man annehmen, dass du hinter all dem steckst und dieser sadistische Killer bist!“, entgegnete Abdullah kalt und mit stechendem Blick.

„Glaubt doch, was ihr wollt! Beweise habt ihr keine. Lasst mich mit euren utopischen Verschwörungsgeschichten in Frieden!“, entgegnete Gwang-jo und setzte sich demonstrativ wieder hin.

Abdullah Gadua verharrte wutschnaubend vor dem Koreaner, ballte seine Hände zu Fäusten, sodass seine Nägel ihm bereits schmerzhaft ins Fleisch schnitten. Er schien darüber nachzudenken, ob er sich auf den Koreaner stürzen sollte und war kaum mehr zurückzuhalten. Er verlor langsam die Kontrolle über sich selbst und alle Dämme schienen zu brechen.

Plötzlich trat jedoch von hinten eine Person an Abdullah heran und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. Unwillig und überrascht zugleich fuhr er herum und blickte in das besorgte Gesicht seiner Partnerin. Marilou strich Abdullah beruhigend durch das Haar, ergriff den Arm ihres Gemahls und zerrte diesen entschlossen von dem Koreaner weg, der diese Situation mit einem höhnischen und selbstsicheren Lächeln quittierte. Die Kanadierin blickte Gwang-jo so kalt und unbarmherzig an, dass diesem das Lachen im Gesicht gefror und selbst der vorlaute Provokateur verstummte.

Thomas folgte die Szene mit besorgter Miene und atmete sichtbar durch, als er bemerkte, dass eine erneute Eskalation dieses Mal noch verhindert werden konnte. Langsam wandten sich alle Suchenden wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zu, lediglich Marilou und Abdullah setzten sich auf eine Couch und tauschten erregt flüsternd ein paar Worte aus. Abdullah Gadua blickte feindselig zu Gwang-jo herüber und schien seine Partnerin über das provozierende Verhalten seines Gegenspielers aufzuklären, wobei er sie in seiner wild gestikulierten Erregung gar nicht mal mehr zu Wort kommen ließ. Die Kanadierin wirkte bald wie versteinert und nahm das Gerede ihres Mannes überhaupt nicht mehr richtig wahr. Ein dunkles, abwesend wirkendes Lächeln war über ihr Gesicht gehuscht und wirkte schließlich wie eingemeißelt.

Mit einem Frösteln wandte sich Thomas ab und blickte mehr oder weniger planlos über die endlos langen Reihen der Bücher, bis sein Blick eher zufällig an ein paar älteren Exemplaren der spanischen Literatur hängen blieb. Sein Blick streifte über einige Autoren, bis er plötzlich an einem edlen, mit braunem Leder eingebundenen Exemplar hängen blieb. Das gute Stück war völlig verstaubt, doch man konnte gerade noch die silbrigen Lettern erkennen, die beinahe am Abblättern waren.

„El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha von Miguel de Cervantes Saavedra.”, murmelte Thomas den Namen eines der wichtigsten Exemplare der spanischen Literatur und Weltliteratur im Allgemeinen vor sich hin.

Der junge Polizist erinnerte sich daran, dass die spanische Lehrerin Magdalena Osario oft aus diesem Roman zitiert hatte und ihn seit jeher auch als ihr Lieblingsbuch bezeichnet hatte. Konnte dieses alte und sicherlich wertvolle Erbstück ein Schlüssel zu dem möglichen Versteck sein? Hatte Magdalena Osario ihre wichtigsten Unterlagen unter dem Zeichen ihrer persönlichen Lieblingslektüre verborgen?

Behutsam stellte sich Thomas auf die Zehenspitzen und griff nach dem labil wirkenden Buchrücken. Er zerrte behutsam daran und merkte, dass sich das Exemplar nicht vom Fleck rühren wollte. Verwundert zog Thomas erneut daran, als das Buch ihm plötzlich entgegen und in seine offenen Arme fiel.

Staub flog dem jungen Schotten wie eine gigantische Duftwolke entgegen und kitzelte seine Nase. Im ersten Moment geschah nichts Besonderes und Thomas wollte das alte Buch, nachdem er es flüchtig durchgeblättert und den starken Niesreiz vertrieben hatte, wieder zurück an den ihm angestammten Platz stellen, als mit einem Mal ein hässliches Schleifen ertönte und eine dichte Staubwolke direkt von der rechten Seite kam und Thomas für kurze Zeit die Sicht blockierte.

Der Schotte mit dem sicheren Gespür für gute Ideen und treffende Eingaben hustete keuchend und unterdrückte mit letzter Willenskraft ein Niesen. Zögernd öffnete er seine tränenden und müden Augen und konnte kaum Glauben, was er jenseits des Staubschleiers entdeckte.

Er hatte tatsächlich den Mechanismus ausgelöst, der den unteren Teil des Kamins mitsamt dessen Rückwand um neunzig Grad nach links geschoben und einen niedrigen und undurchdringlich dunkel wirkenden Gang freigelegt hatte.

Fasziniert und wie gebannt trat Thomas auf das gähnende Loch der Öffnung zu und fühlte sich sowohl sehr aufgeregt, als auch ein wenig ängstlich. Er nahm die Umgebung um sich herum kaum mehr war und befand sich mit seinen Gedanken schon in einem alten Verließ voller Archive.

Der junge Schotte wollte sich gerade tranceartig in Bewegung setzen, als er plötzlich einen unbarmherzig festen Griff auf seiner Schulter spürte, der ihn langsam herumdrückte. Konsterniert blickte Thomas in das Gesicht des schwedischen Lehrers Björn Ansgar Lykström, der wie in Zeitlupe seinen rechten Arm hob und Thomas seltsam distanziert anblickte.

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