by Sebastian Kluth
Kapitel 110: Sonntag, 5 Uhr 31 Zimmerflur
Wie eine Rächerin aus dem Totenreich trat Marilou Gauhtier aus den düsteren Schatten des Ganges und nun ins Blickfeld ihrer beiden Opfer. Ihr Gesicht war vor Wut verzerrt und sie kam erbarmungslos Schritt um Schritt näher. Doch dies allein genügte ihr als Demütigung des hilflosen Paares noch längst nicht.
„Ich bin enttäuscht von dir, Thomas. Du hättest schon viel eher auf des Rätsels Lösung kommen müssen, wo du dich doch so großspurig und neunmalklug aufgespielt hast. Ich muss zu meiner Schande nämlich gestehen, dass auch ich Fehler gemacht habe.“, bemerkte die Kanadierin mit vor Hohn triefender Stimme.
Thomas fühlte sich richtig in die Enge gedrängt, sah seine Felle davonschwimmen und verursachte krampfhaft Zeit zu gewinnen und zudem auch Gründe für die unglaubliche Mordserie herauszufinden.
„Welche Fehler meinst du?“, fragte er stammelnd und kroch nervös nach hinten, wobei er sogar seine Geliebte unwirsch zur Seite drängte. Im direkten Angesicht des Todes zählten plötzlich nur noch er selbst und die Täterin selbst.
„Als du im Dickicht den Schlüsselanhänger gefunden hast, den ich verloren hatte, hättest du eventuell schon darauf kommen können. Die Buchstaben „PQ“ stehen für „Parti Québécois“ und der Mann darauf ist der Gründer, ein auch außerhalb der Provinz enorm bekannter Mann namens René Lévesque. Auch meine Baskenmütze, die ich in der Hektik unterhalb des Springbrunnens verloren hatte, als meine Tarnung aufzufliegen drohte, hätte dich nachdenklich machen können, denn bereits zu Jugendzeiten habe ich sie als stolze frankophone Bürgerin immer getragen. Zudem habe ich auch irgendwo im Schloss meine Nagelfeile verloren, auf der sich die stilisierte Lilie, Teil der Provinzflagge von Québec, befinden muss. Solche Dinge gibt es in meiner Heimat fast an jeder Ecke zu kaufen. Selbst wenn du all diese Dinge nicht direkt mit meiner Provinz und meiner Herkunft in Verbindung gebracht hättest, so hättest du bei dem Anblick dieses Zeichen doch zumindest an die alte französische Dynastie und Monarchie denken müssen, welche ebenfalls ähnliche Zeichen verwendete. Daraus hättest du vielleicht zunächst auf Jeanette geschlossen, aber dieses neugierige Flittchen hatte ich ja recht schnell beseitigt und dein zweiter Gedanke hätte dich auf mich bringen können.“, klärte die Kanadier ihr Gegenüber im Bewusstsein des sicheren Sieges langsam und höhnisch auf.
Mit einem Mal schalt sich Thomas einen Versager, denn er hatte all diese Mosaiksteinchen nicht richtig zusammengesetzt, nicht klar genug gedacht. Die Lösung war durch die wenigen Fehler der Kanadierin eigentlich jederzeit greifbar gewesen, doch er hatte vor lauter Wald die Bäume nicht mehr gesehen, viel zu verkopft gedacht. Jetzt war es für Reue aber zu spät und er schien seine Unwissenheit und Unkonzentriertheit nun mit dem Tod grausam bezahlen zu müssen. Thomas erscahuderte, als er daran dachte, dass durch seine Begriffstutzigkeit Menschen unnötig umgekommen waren. Dem jungen Schotten wurde plötzlich schlecht und im Verlauf weniger Sekunden war er schweißgebadet.
„Auch als ihr das Schiff entdeckt hattet, hättet ihr merken müssen, dass ich es in einem fast kindlichen Anfall von Nationalstolz in „Fleur de lys“ umgetauft hatte, nachdem ich es von einem alten schottischen Fischer erworben hatte. Informationen gab es zu Genüge, doch andere Leute haben viel schneller geschaltet als du.“, fügte Marilou Gauthier noch höhnisch hinzu, als sie in das wütende und zugleich verzweifelte Gesicht ihres nächsten Opfers blickte.
„Du meinst damit Mamadou?“, hakte Thomas atemlos nach und starrte wie hypnotisiert auf den kalten Pistolenlauf.
„Ganz richtig. Als alle nach dem Testament in dem Geheimgang suchten oder anderweitig beschäftigt waren, da hat er mich zur Rede gestellt, wollte mich zur Vernunft bringen, hat versucht mich mit seiner Bullendiplomatie und seinen lachhaften psychologischen Mitteln klein zu kriegen. Anstatt mich einfach umzulegen, hat er wie ein dummer Polizist gehandelt und das war sein Fehler. Ich hatte natürlich für den Fall einer möglichen Entdeckung vorgesorgt und ihm die Geschichte mit der Bombe in der Kuckucksuhr aufgetischt. Ich habe sie ihm gezeigt und er hat die harmlose Funktion tatsächlich für ein allmächtiges Mordinstrument gehalten. Mit einer simplen Drohung konnte ich ihn in Schach halten, aber der Plan wäre dann beinahe doch misslungen. Ich muss zugeben, dass ich Glück hatte, dass der Mann starb, bevor er das Geheimnis, was ihn so sehr belastete, ausplaudern konnte.“, führte die Kanadierin willig aus und ließ sich voller Arroganz in ein tiefergehendes Gespräch mit dem Schotten verwickeln, der langsam wieder ein wenig Selbstvertrauen gewann, durch den simplen Umstand, dass er noch am Leben war und seinen Tod hinauszögern konnte, wenngleich er nicht wusste, wie lange ihm dies noch gelingen würde. Kalt klebte der brennende Schweiß in seinem Gesicht und seine Lippen bebten vor Erregung, als er das Gespräch mit kurzen fragen immer weiter fortführte und jedes Wort der grausamen Kanadierin wie ein Schwamm in sich aufsog.
„Das Gleiche geschah wohl auch mit Gwang-jo, der dich erpresst hat, nicht wahr?“, horchte Thomas die Kanadierin weiter aus und wollte nun die ganze Wahrheit wissen.
„Dieser Koreaner tappte lange im Dunkeln und doch war er der Erste, der mir ernsthaft gefährlich wurde. Er hatte ja immerhin Politikwissenschaften studiert und das Wappen und den Politiker natürlich direkt erkannt und mir zugeordnet. Aber auch dieser Bastard, der sonst so unwirsch und brutal war, machte keine Nägel mit Köpfen, sondern wollte mich einfach nur schamlos erpressen. Er war arbeitslos, hatte einen Haufen Schulden und wollte sich einfach kaufen lassen. Mein Angebot, sich an dem versteckten Vermögen der Osarios zu beteiligen, schlug er aus, er vertraute mir nicht. Er tat gut daran, ich hätte ihn zwar bis zum Ende überleben lassen, aber dann besonders grausam als letzte Person ausgeschaltet, denn niemand kommt mir in die Wege, niemand kann und darf mit mir zusammenarbeiten.“, berichtete Marilou Gauthier ausführlich und trat dabei Schritt um Schritt näher, ohne ihre Konzentration bei ihren Erzählungen zu verlieren und ihre beiden Opfer zu unterschätzen oder gar aus den Augen zu lassen. Mit kalter Präzision ging sie vor und war kurz vor dem furiosen Finale ihres morbiden Plans.
„Deshalb hast du das Geld deines Mannes gestohlen, das Ganze als Diebstahl inszeniert und vom eigentlichen Fall abgelenkt. Zuletzt wolltest du den Verdacht gar auf ihn selbst lenken!“, bemerkte Thomas grimmig und mit zusammengekniffenen Lippen.
„Das ist mir ja auch gelungen. Um noch einmal auf die Sache mit dem Geld zurückzukommen: Ich gab Gwang-jo das Geld, zwang ihn aber dazu, dass er die Hälfte davon bei dem Butler versteckt, sodass der Verdacht ohnehin nicht auf mich fallen würde. Gwang-jo hat diesen Butler aus unerfindlichen Gründen ohnehin so sehr gehasst, dass er meinen Anordnungen Folge geleistet hat. Ich glaube, dass Gwang-jo, seitdem er die Sache mit den Drogen erfahren hatte, eine unglaubliche Wut auf den Butler verspürt hat. So weit ich weiß, ist seine Schwester an einer Überdosis gestorben.Vielleicht lag sein Verhalten aber auch nur an seiner Angst, da ich ihm mit dem Tod gedroht habe oder an seiner puren Geldgier.“, berichtete die Kanadierin weiter voller Zorn.
„Eine Sache verstehe ich aber nicht. Warum hast du den Koch so schnell beseitigt und den Butler in den Selbstmord getrieben? Du hast sie doch nicht einfach so als Bauernopfer eliminiert, oder? Das wäre doch nicht deine Art! Es steckten doch eigentlich immer sehr bestimmte Motive hinter deinen Taten!“, argumentierte Thomas verbissen und belobhudelte die eisklate Killerin bewusst, um sie weiter hinzuhalten, da ihm sonst auch nichts mehr einfiel.
„Da hast du völlig recht! Der Butler hat es verdient zu sterben, er war ein elender Mafioso und Drogendealer und hat die Leute selbst nur für sich ausgenutzt. Bei dem Koch sieht die Sache anders aus. Er ist seit langer Zeit nicht nur ein Vertrauter der Osarios, sondern auch ein Busenfreund des werten Direktors. Der alte Herr wusste beispielsweise ganz genau darüber Bescheid, dass der Direktor mich in früheren Zeiten missbraucht hatte. Der Koch indes war auch nicht besser und hat sich schon an dem einen oder anderen Mädchen auf der Privatschule heimlich vergriffen. Es war so eine Art bizarrer Wettsport zwischen den beiden Alten und sie haben immer von ihren Taten geprahlt und diese auch noch ausgeschmückt. Lediglich Magdalena Osario hatte davon nie etwas mitbekommen! Es war sogar ihr Koch, der dem Direktor den Tipp gegeben hatte die Spanierin zu heiraten. Der Koch wusste von ihre Vorliebe für ältere Männer, von ihrer damaligen Bewunderung gegenüber dem Direktor und von ihrem enormen Familienreichtum. Seitdem der Direktor mir diese fürchterlichen Dinge in der Jugend angetan hatte, habe ich den Koch und ihn bewacht und ständig auf meine Rache gewartet, zu der es aber bis heute nie gekommen war, da mir immer irgendwer oder irgendetwas im Wege stand. Wenigstens hatte ich aber so die Zeit alle meine Rachepläne perfekt und bis ins letzte Detail zu planen und die Einladung auf dieses Privatschloss kam da wie gerufen.“, berichtete Marilou weiter.
„Du hast alle Intrigen perfekt eingefädelt.“, kommentierte Thomas völlig erstaunt und war trotz seiner enormen Angst beinahe fasziniert von der mörderischen Präzision und dem Ideenreichtum der Serienmörderin.
„Eure Angst, eure illusorische Welt, eure Gier hat den Blick auf die Wahrheit verdrängt. Dieselbe Sache wie Gwang-jo habe ich dann auch selbst mit dem Butler gemacht. Ich konnte den Verdacht der Masse immer auf die falschen Personen lenken und manchmal musste ich gar nicht eingreifen und ihr habt euch selbst zerfleischt. So konnte ich im Hintergrund die Fäden ziehen und blieb völlig unauffällig. Der Butler wirkte von allen Beteiligten einfach als der glaubwürdigste Täter und gleichzeitig als das einfachste und labilste Opfer. Ich habe da eine recht gute Menschenkenntnis. Natürlich hatte ich Mamadou und dich auch beobachtet und wusste von den Drogen, die im Wald versteckt worden sind. Ich konnte nachts unbemerkt dorthin gehen und die Päckchen entfernen. Ich habe einen Teil behalten und werde sie vermutlich irgendwann und irgendwo verkaufen, um ein besseres Startkapital für einen ruhmreichen Neuanfang zu haben, das kommt mir sehr gelegen. Es finden sich ja genügend widerwärtige Bastarde, die auf das Zeug scharf genug sind! Ich habe mich jeder Situation, jeder Überraschung angepasst und euch mehr als einmal bewiesen, dass ich gerissener, intelligenter, einfach besser bin, als ihr alle zusammen es jemals wart. Es war bei allen Anwesenden sehr simpel. Malcolm war über beide Ohren in die Französin verknallt, das war deutlich zu beobachten. Es war nicht schwer ihn mit einem gefälschten Brief und einem schottischen Trikot zu täuschen, welches ich selbstverständlich schon vorher besorgt und vorbereitet hatte.“, bemerkte die Kanadierin nicht ohne Stolz in ihrer Stimme und fuhr mit ihrem triumphalen Bericht demütigend fort.
„Wie konntest du so weit im Voraus überhaupt planen?“, wollte Thomas verduzt wissen.
„Ich war mir sicher, dass Malcolm es wieder bei dieser Schlampe versuchen würde. Männer sind sehr einfach auszurechnen und wenn eine schöne Frau sie anlächelt, dann werden sie zu Tieren, die nicht mehr klar denken und nur noch auf Instinkte bedacht sind. Malcolm war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass ich ohne Probleme in sein Zimmer eindringen und das Mundstück der Sackpfeife mit einem geruchlosen Gift bepinseln konnte, nachdem ich erfahren hatte, dass er uns allen am Abend etwas vorspielen wollte.“, fuhr die Kanadierin detailliert fort und ihre Zuhörer kamen aus dem staunen nicht mehr heraus.
„Danach hast du die Sache mit Jeanette ganz ähnlich gestaltet.“, stellte Thomas atemlos fest.
„Natürlich. Auch sie fiel auf die vermeintlichen Geschenke herein, kein Wunder, denn sie hielt sich für unwiderstehlich und den Mittelpunkt der Welt. Alle ihre Freunde und Bekannten hat sie ihr ganzes Leben lang nur ausgenutzt, sie hat ihren Tod besonders verdient.“, bemerkte Marilou Gauthier mit einer kalten Härte in ihrer Stimme und Gestik.
„Die Sache mit der Bombe im Schiff wundert mich aber. Wie konntest du nur sicher sein, dass Hamit als erste Person das Schiff betreten würde?“, wollte Thomas wissen, der die Taten jetzt geistig langsam Revue passieren ließ, wobei sich die Mosaikstücke für ihn langsam zu einem kompletten, schaurigen Bild ergänzten.
„Auch dies war nicht sehr schwer. Ich unterhielt mich mit ihm über Schiffe und schlug ihm indirekt vor den Direktor zu fragen, ob er nicht einen Blick auf die Yacht werfen dürfte. Hamit war sofort Feuer und Flamme und der Direktor hat der Idee glücklicherweise zugestimmt. Den Fernzünder für die Bombe habe ich bei mir getragen, zum Glück hat dies niemand von euch bemerkt. Die Show war perfekt, darauf war ich besonders stolz. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie erquickend es ist, sich an der Angst anderer Leute zu laben. Wenn es um Leben und Tod geht, dann werden alle Menschen gleich, egal ob reich oder arm, selbstsicher oder schüchtern.“, bemerkte die Kanadierin knallhart und Thomas, wie auch Elaine waren völlig sprachlos und geschockt von den gefühllosen Ausführungen der verrückten Kanadierin, die sich einen Spaß daraus machte, ihre Erzählungen nun auch noch ungefragt fortzuführen.
„Dass die Gebete morgens früh in der Kapelle stattfanden und die Italienerin als besonders religiöse Dame dort früher eintreffen würde, war nun wirklich nicht schwer herauszufinden. Es war allerdings ein Problem sie ruhig zu stellen, das ist mir erst mit Hilfe einer Betäubung gelungen, die ich kurzfristig in meinem Zimmer zusammengemischt habe, als ihr auf der Suche nach den Drogen wart. Nachdem ich dann das unterirdische Portal der Kapelle mit einer Holzbank versperrt hatte, konnte ich mich dann in aller Geduld und Präzision um diese religiöse Fanatikerin kümmern. Es ist wirklich eine ganz besonders faszinierende Art einen Menschen zu kreuzigen und langsam qualvoll sterben zu sehen. Es war eine Genuss, eine absolute Reinigung für meine geschundene Seele.“, schrie Marilou fanatisch und ihre Augen leuchteten, als sie sich in allen Details an ihre Taten erinnerte.
Thomas schluckte, sein Hals war inzwischen völlig trocken und er fand keine Worte mehr für das, was die Kanadierin so eiskalt ausgesprochen hatte. Verbissen musste er mit ansehen, wie seine brasilianische Begleiterin, die in ihren Horrorromanen selbst brutale Morde beschrieben hatte, haltlos anfing zu schluchzen und die Welt nicht mehr verstand. Thomas fühlte sich dumpf und ausgelaugt und die Kanadierin trieb es auf die Spitze.
„Dagegen war der Mord am Direktor nahezu lächerlich. Ich konnte durch einen einfachen Trick dafür sorgen, dass Elaine bei den Fütterungen an diesem Tag nicht dabei war, sodass der Österreicher allein losging. Ich gesellte mich zu ihm, gab vor mich ebenfalls für die Haie zu interessieren. Es hat mir eine besondere Freude bereitet ihn sterben zu sehen, weil er mir so viel Leid zugefügt hat. Vergewaltigt, gefesselt, verhöhnt hat er mich über Jahre hinweg, manchmal gar in Anwesenheit des Kochs, und ich werde niemals diesen flehenden Blick in seinen Augen vergessen, den er bei mir früher immer ignoriert hat.“, erzählte die Kanadierin schwärmerisch und machte eine kurze Pause, bevor sie zur nächsten Tatbeschreibung ging.
„Die Sache mit dem Blitzableiter war technisch nicht ganz einfach und auch relativ spontan. Eigentlich wollte ich Magdalena Osario nachts auf dem Weg zu ihrem geliebten Björn Ansgar Lykström überfallen und strangulieren, aber als ich erfuhr, dass an diesem Abend der Todestag einer ihrer Angehörigen war und sie ihrem Mann davon berichtete, habe ich zu dieser Methode gegriffen und am Morgen die Tat umimprovisiert. Ich hatte sie zuvor nur in einem Film gesehen und fast wäre die Sache gescheitert, aber wie ihr seht, bin ich auch eine Meisterin der Improvisation. Bei Fatmir war die Sache auch nicht ganz einfach. Ich konnte unbemerkt den Kühlschrank präparieren. Ich wusste von seiner Alkoholabhängigkeit und auch in der ersten Nacht hatte er sich um fast dieselbe Uhrzeit in der Küche bedient. Ich war während der Nacht erfolgreich wach geblieben und konnte die Geheimgänge prima nutzen, um unbemerkt in die Küche zu gelangen und alles vorzubereiten. Den genauen Zeitpunkt des Todes konnte ich nur in etwa schätzen, aber der Todeszeitpunkt ist der angekündigten Tatzeit doch sehr nah gekommen. Auf nichts ist mehr Verlass, als auf die Süchte der Menschen, die mit grausamer Regelmäßigkeit auftauchen und den Albaner leicht einschätzbar gemacht haben. Der Selbstmord des Butlers, den ich bewusst in die Rolle des Täters gedrängt hatte, kam mir erstaunlich gut entgegen, ansonsten hätte ich ihn auch erst gegen Ende ausgeschaltet, es sei denn, die anderen Schlossbewohner hätten ihn vorher aus Furcht bereits selbst beseitigt. Nun ja, im Grunde war dies ja tatsächlich fast der Fall, allerdings hat er für seine Probleme dann eine etwas unkonventionelle Lösung gefunden, die mich immerhin um ein wenig Arbeit entlastet hat.“, fuhr die Kanadierin mit einem finsteren Lächeln chronologisch fort.
Thomas schütterte zitternd vor Wut seinen Kopf und eine Zornesröte war auf sein Gesicht getreten. Er japste nach Luft, wollte seiner Wut Ausdruck verleihen, doch er fand gar keine Begriffe, um das Unfassbare und Unbegreifliche überhaupt zu beschreiben. Er fühlte sich hilflos und ohnmächtig und ertrug kaum noch die folgenden Worte der Kanadierin, die sich an seiner Hilflosigkeit labte und kichernd den kalten Lauf ihrer Waffe bedrohlich sanft gegen seine Stirn drückte, sodass es Thomas nicht einmal mehr wagte der Verrückten eine Frage zu stellen oder es gar wagte sie zu unterbrechen. Mit flachem Atem und verschwitzter Grimasse musste er die weiteren Schilderungen ertragen.
Auch die schöne Brasilianerin an seiner Seite war starr und stumm geworden und hatte sich neben dem Schotten zusammengekauert. Ihre dunkle Kleidung und ihr schwarzes Haar hatten jegliche Eleganz verloren und wirkten nunmehr wie ein Abbild ihrer Seele. Die Brasilianerin wirkte völlig depressiv und verängstigt. Sie hatte so sehr gegen die Kanadierin gewettert, sie herausfordern wollen, doch nun war ihr provokatives Verhalten einer geradezu devoten Feigheit gewichen. All ihre Vorsätze hatten sich in Luft aufgelöst und das psychische Duell zwischen den beiden Damen hatte die Kanadierin inzwischen locker für sich entscheiden können.
Im sicheren Gefühl des Triumphes weidete sie sich gierig an der Angst des Pärchens und beschrieb mit provokativer und langsamer Betonung ihre perversen Gedanken und Taten.
„Bei der Sache mit Mamadou hatte ich zugegebenermaßen viel Glück. Ich wollte ihn eigentlich erst provozieren auf mich zu schießen, nachdem ich seine Waffe entwendet hatte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich sie ersetzt und die neue Pistole präpariert haben könnte, so gerissen schätzte er mich doch nicht ein, es war sein letzter großer Fehler, nachdem er auch so lange geschwiegen hatte. Mir ist ein richtiger Stein vom Herzen gefallen, als ich ihn indirekt ausschalten konnte. Seine Waffe trage ich nun selbst bei mir und sie wird meine Taten noch am heutigen Morgen vollenden. Beim Koch war es dann wieder einfach. Allerdings wärst du, Thomas, mir dabei fast in die Quere gekommen. Zum Glück konnte ich dich im Brunnen einsperren und mich dann sogar als Retterin darstellen. Alle haben diesen Köder gefressen, nur du nicht, du hast mich direkt durchschaut. Das war das erste Mal, dass ich vor dir ernsthaften Respekt hatte und dich als gefährlich eingestuft habe. Weniger kompliziert war es den schlafenden Koch, der fatalerweise seit Jahren immer zur selben Zeit seinen Mittagsschlaf hält, zu ersticken. Ich war leider ein wenig unter Zeitdruck, aber gerade dies hat der Sache einen ganz besonderen Kick verlieren, wenn ihr versteht.“, bemerkte Marilou und blickte ihr beiden nächsten Opfer höhnisch an.
Beide waren völlig sprachlos und die Kanadierin wusste natürlich, dass weder Thomas noch Elaine Verständnis hatten, sondern einfach nur geschockt waren. Die kurze Kunstpause diente Marilou natürlich wieder lediglich zur Provokation, zur weiteren Demütigung. Lange blickte sie in die zugekniffenen Augen des Schotten oder die großen, mit Tränen gefüllten Augen der Brasilianerin, bevor sie endlich fortfuhr und ihre grausame Geschichte zu einem Ende brachte.
„Gwang-jo musste ich dann mit den vergifteten Zigaretten ausschalten, denn er wurde mir gefährlich und wollte auspacken. Das Timing der Tat war zum Glück perfekt, aber ohne meine Perfektion wäre ich ohnehin nicht bis hierher gekommen. Ich denke aber kaum, dass der Koreaner tatsächlich so etwas wie ein schlechtes Gewiossen bekommen hat. Er wollte mir auch noch viel mehr Geld abpressen und beharrte letzten Endes dann doch darauf, sich auf meine Seite zu stellen und das Familienerbe der Osarios zu ergattern. Vermutlich ist ihm aber dann richtig klar geworden, dass ich auch ihn niemals verschonen würde und er hat um sein eigenes Leben gebangt. Diese Einsicht kam natürlich zu spät. Das Großmaul hatte panische Angst vor mir und es war die reinste Genugtuung zu wissen, dass ich ihn jederzeit unter meine Knute zwingen könnte. Er war einfach eine widerwärtige Person, ein Egomane, der eigentlich noch einen viel schlimmeren Tod verdient hätte. Leider reichte dafür die Zeit nicht mehr, sonst hätte ich auch noch einige Folterinstrumente, die sich in einem weiteren Geheimkeller des Schlosses befinden, zum Einsatz gebracht. Vielleicht bleibt dies aber ja auch noch meinem Mann oder jemandem von euch vorbehalten. Ich habe ja jetzt sozusagen die freie Wahl, nicht wahr? Besonders entgegen kam mir dann gestern Abend euer Techtelmechtel, nachdem ich meinen Mann betäubt hatte und er aus dem Weg geräumt war. Ich konnte den bewusstlosen Schweden verschwinden lassen und habe mich dann absichtlich so verhalten, dass du, Thomas, mich entdecken musstest. Ich wusste sofort, dass du in das große Gewölbe und nicht in den anderen Gang gehen würdest, wo ich mich versteckt hielt. Es war ein wahrer Genuss zu sehen, wie du wie ein Idiot den falschen Geheimgang freigelegt und vor Angst fast gestorben bist. Eigentlich wollte ich dich da direkt umlegen, aber ich hatte die nächste Tat ja für fünf Uhr geplant und daher durftest du noch weiter leben. Ich habe dir dann in deiner Bewusstlosigkeit ein Aufputschmittelgespritzt, damit du wieder aufwachen würdest um den nächsten Toten zu finden. Um sicher zu gehen, dass nur du den Toten auch findest, habe ich den Wecker gestellt und meinen Mann sowie Elaine handlungsunfähig gemacht. Ich konnte dich einfach nicht umbringen, sondern wollte dich weiter demütigen und einen weiteren Menschen quasi direkt vor deiner Nase in den Tod befördern. Wie ich aus dem Zimmer gegenüber dem Zimmer meines Mannes beobachten konnte, ist mir das auch sehr gelungen. Es war natürlich ohnehin kein Problem gewesen den bewusstlosen Schweden zu transportieren und präparieren, er war ohnehin geistig wie körperlich dem Tod nahe. Sogesehen habe ich ihn sogar fast schon erlöst, obwohl er das auch nicht verdient hatte. Auf diese Tat bin ich im Übrigen auch besonders Stolz, du bist beinahe gestorben vor Ekel und Angst!“, erläuterte die Kanadierin mit leuchtenden Augen voller Hohn die letzte ihrer grausamen Taten und es herrschte zunächst ein drückendes, unfassbares Schweigen, was nur durch das gelegentliche Schluchzen der verzweifelten Brasilianerin unterbrochen wurde, die nur noch Ekel empfand und inzwischen kurz vor einem Schwächeanfall stand. Dafür hatte Marilou nur ein herzhaftes Lachen übrig.
Als Thomas merkte, dass die Kanadierin wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt war und nicht mehr nur in Erinnerungen schwelgte, überlegte sich der Schotte schnell eine Methode, um irgendwie noch Zeit zu gewinnen, bevor die zu allem entschlossene Kanadierin mit den beiden kurzen Prozess machen konnte. Thomas war durch das Geständnis der Kanadierin allerdings noch wie gelähmt und überrascht. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen und hatte auch keine Lösung parat, wie er sich aus dieser misslichen Lage hätte befreien können. Dieses Mal schien tatsächlich alles für ihn verloren zu sein. Diese drückende Gewissheit nahm er trotz allem mit einer trotzigen Stärke, obwohl sich seine Augen dann doch mit bitteren Tränen füllten.
„Wie aber hast du all dies vorbereiten können? Die ganzen Materialien, der Kutter? Ich verstehe das alles nicht.“, wollte Thomas stammelnd wissen, denn trotz der zahlreichen Erklärungen wollten gewisse Dinge ihm einfach noch nicht einleuchten.
„Ich war bereits einige Tage zuvor im Küstendorf, habe ein altes Schiff gekapert, bin heimlich auf der Insel an Land gegangen und habe einige Dinge vorbereitet. Ich habe in alten Stadtarchiven, aber auch im Keller des Schlosses Gebäudepläne gefunden und sie komplett studiert und auswendig gelernt. Außerdem war ich bereits am Abend vor der Anreise noch einmal besonders lange heimlich im Schloss. Dort habe ich mir auch beispielsweise die Türschlösser näher angesehen und konnte sie mit meinen Dietrichen immer recht problemlos knacken. So hatte ich euch gegenüber natürlich immer einen großen Vorteil. Zudem habe ich jeden von euch, soweit es ging, nach der Schulzeit im Auge behalten, bei dir hatte ich da große Schwierigkeiten, denn im Kloster konnte oder wollte niemand reden. Du erinnerst dich sicher auch an die Handvoll Schüler oder Studenten, die nicht zum großen Treffen hierhin kommen konnten, nicht wahr? Bis auf zwei Auswanderer, die auf irgendwelchen Expeditionen sind, habe ich alle Kandidaten bereits ausgeschaltet und fingierte, negative Antworten an ihrer Stelle an den Schlossherrn geschickt. Mein Mann ahnte von all diesen Dingen nichts, er war auf einer Geschäftsreise, wie so oft und hat mich vermutlich dabei auch wieder in irgendwelchen Edelbordells betrogen, denn von mir bekommt er schon lange nicht mehr das, was er will. Der Betrug war perfekt.“, erläuterte die Kanadierin und schien an ihrer eigenen Lobhudelei einen fast diabolischen Spaß zu haben.
„Was bist du nur für ein krankes Biest? Was bist du nur für eine verabscheuungswürdige Person?“, fuhr es endlich aus der verängstigten Elaine Maria da Silva heraus und ihr Speichel troff vor Wut und Erregung über ihre Lippen.
Die Kanadierin blickte sie nur mitleidig und arrogant an und fuhr fort, ohne mit einer Wimper zu zucken.
„Einer meiner größten Clous war auch mein dressierter Wolf, den ich mit auf die Insel genommen habe. Ich habe nach meiner Studienzeit kurzzeitig in einem Zirkus gearbeitet und dort bemerkt, wie sehr ich mich mit diesen Tieren verbunden fühle. Sie sind viel aufmerksamer und sensibler als die Menschen, viel geheimnisvoller und auch tiefgründiger. Es fiel mir nicht schwer aus einem nahe gelegenen Zirkus einen schon gut dressierten Wolf zu entwenden und in wenigen Tagen an mich zu gewöhnen. Er sollte für Terror und Angst sorgen und unsinnige Fluchtversuche verhindern, aber er sollte nicht töten. In zwei Wochen habe ich aus dem Tier ein Wesen gemacht, das mich in jeder Lage verstand und auf jeden Befehl gehorchte und ihr habt dieses unschuldige Wesen einfach umgebracht, abgeschlachtet!“, schrie die Kanadierin plötzlich außer sich vor Wut und blickte mit Tränen im Gesicht ihre fassungslosen Zuhörer an, die kaum verstehen konnten, dass ein Mensch mehr an dem Leben eines einzelnen Wolfes, als an dem von Dutzenden von Männern und Frauen hing. Diese Aussage war schon mehr als nur schwarzes Humor oder triefender Sarkasmus, in der Aussage spiegelte sich der helle Wahnsinn, der schon lange von der kanadierin Besitz ergriffen hatte und unheilbar geworden war.
Fröstelnd und furchtsam warteten die Brasilianerin und der Schotte ab und die bedrückende Stille lastete schwer auf ihnen, obwohl sie durch das düstere Grollen von draußen hin und wieder unterbrochen wurde. Endlich gab sich Thomas einen Ruck, als er bemerkte, dass selbst Marilou ungeduldig wurde und ihre Waffe inzwischen wieder fester und präziser gegen die pochende und schweißnasse Schläfe des Schotten drückte.
„Ich verstehe den Sinn und Zweck dahinter nicht.“, wandte Thomas ein, der mit großer Angst, die seinen Körper zu zerdrücken schien, das kalte Funkeln in den Augen der Psychopathin sah, die sofort aus ihrer kurzzeitigen Starre wieder erwacht war.
„Ihr gottverdammten Bastarde habt doch die Bilder im Schiff gesehen! Jeder von euch hat mich früher wie Abschaum behandelt, ich war die einzige, die hart gearbeitet und sich nichts zu Schulden hat kommen lassen. Jeder von euch hat mir meine Jugend zur Hölle gemacht, jeder von euch hat gehurt, Drogen genommen, Seelen verletzt und sogar noch mehr. Nach außen hin wollt ihr die Elite darstellen, doch in Wahrheit seid ihr das schlimmste Pack. Menschen wie ihr haben es nicht verdient hohe Führungspersönlichkeiten zu werden, die Geschicke dieser Welt zu leiten und ein unbesorgtes Leben in Reichtum und Berühmtheit zu führen. Gier nach Macht und Geld ist alles, was euch notgeile Kapitalisten lenkt!“, fuhr die Kanadierin ihre beiden Opfer an und ihr Gesicht verfärbte sich rot vor Zorn und Trauer, während sie drohend mit ihrer Waffe in der Luft herumfuchtelte.
„Aber deswegen alle über einen Kamm zu scheren und umzubringen, das ist doch der helle Wahnsinn! Was hat denn dein eigener Mann falsch gemacht? Er liebt dich doch über alles, Marilou, egal, was er zuvor auch falsch gemacht hat. Jeder von uns erkennt das, jeder!“, warf die Brasilianerin schluchzend und verständnislos ein, während sie die erregte Dame aus geröteten Augen zitternd anstarrte.
„Mein Mann soll mich geliebt haben? Mit Geld wollte er mich becircen, eine brave Vorzeigedame haben, während er fremdging und regelmäßig dieses französische Flittchen gevögelt hat. Jahrelang hat er es abgestritten, aber ich habe ihn beobachtet, ich wusste ganz genau Bescheid.“, erläuterte die Kanadierin grimmig und verzog ihre Stirn zu sorgenvollen und zornigen Falten.
„Was hat es mit den Aktfotos zwischen dem Direktor und dir auf sich? Die stammen doch auch von dir! So gesehen, hast doch auch du gesündigt! Du hast dich selbst auch noch bei den Misshandlungen fotografiert und gefilmt und in Schale geworfen und hübsch posiert!“, warf Thomas mit neuem und grimmigen Mut ein und wurde durch einen wütenden Schrei der Kanadierin unterbrochen, die zu ihm herumwirbelte und in einer raschen Bewegung ihren Revolver gegen die Schläfe des zitternden Schotten drückte, der die Augen geschlossen hatte und am ganzen Leib wie Espenlaub zitterte. Schweiß rann über seine Stirn, sein Atem ging hektisch und flach, fast stoßartig. Er hörte das metallische Klicken aus unmittelbarer Nähe. Die Kanadierin hatte die Waffe ruckartig entsichert und ein einziges Zucken ihres bebenden Zeigefingers würde Thomas nun das Gehirn aus dem Kopf blasen können.
„Du verdammter Bastard, wage es niemals, mir so etwas zu sagen! Dieser gottverdammte Kinderschänder war seit Jahren heimlich auf der Suche nach jungen Weibern und hat sich dann an mir vergriffen. Er hätte weitaus attraktivere Frauen zur Auswahl gehabt, wie die neunmalkluge Brasilianerin oder das französische Flittchen, doch er hat wohl erwartet, dass ich einfacher für ihn wäre, mich nicht wehren würde, nichts ausplaudern würde, vor ihm Angst hätte und völlig verschüchtert sei. Am Anfang wehrte ich mich noch, doch er wurde immer brutaler, schlug mich, vergewaltigte mich und niemand wollte hinsehen, selbst die Spatzen pfiffen es schon von den Dächern, aber niemand half mir, alle ließen sie mich allein. Er hat mir nicht nur meine Unschuld, sondern auch meinen Optimismus, mein Vertrauen gegenüber anderen Menschen, meine gesamte Jugend genommen. Erst im letzten Schuljahr hörte es auf, wie eine wertlose Ware warf er mich weg, als er bei der spanischen Lehrerin mehr und mehr Erfolg hatte. Ich war ihm zu alt und verbraucht geworden. Ihr könnte euch gar nicht vorstellen, was ich alles für ihn machen musste!“, kreischte die Kanadierin hysterisch und ihre beiden unfreiwilligen Zuhörer waren ehrlich geschockt und blickten sich entsetzt an, während sich der Wutschrei der Kanadierin in unglaubliche Höhen hochschraubte, bis sogar die Ohren des Schotten einen protestierenden Pfeifton von sich gaben. Für einen Moment war er völlig aus der Fassung gebracht und schloss mit zusammengebissenen Zähnen Augen und Mund. Schwer atmete er durch und drohte doch fast aus kniender Haltung sein Gleichgewicht zu verlieren. Nur die akute Bedrohung direkt vor ihm zwang ihn dazu, sich irgendwie aufrecht zu halten. Thomas fochte einen inneren Kampf aus.
„Verdammt, Marilou, wir wussten davon nichts!“, schrie nun Elaine Maria da Silva an seiner Stelle fast bettelnd, sodass Thomas sich stöhnend gefordert fühlte, auch etwas zu sagen, zumal seine Partnerin ihn aus großen Augen eindringlich anstarrte.
„Hätte ich das erfahren, glaube mir, ich hätte etwas dagegen unternommen, ich selbst habe den Direktor gehasst, er hat mich wie den letzten Dreck behandelt, ich kann dich verstehen!“, näherte sich Thomas seiner vermeintlichen Mörderin an und hoffte auf diese Art einen Erfolg erringen zu können, obwohl er wusste, dass die realistischen Aussichten alles Andere als rosig waren. Trotz des Mitgefühls würde er mit dieser psychologischen Taktik keinerlei Erbarmen oder gar Sympathien der Kanadierin ihm gegenüber erwarten dürfen. Dennoch wollte der Schotte auch weiterhin nichts unversucht lassen.
„Niemand kann mich verstehen und niemand hat mir geholfen! Das ist ein Fakt und ihr werdet es jetzt auch nicht mehr ändern! Mein Leben ist verpfuscht und nun nehme ich Rache. Ich habe euch gezeigt, wie sehr ich euch überlegen bin, ihr sollt winseln vor Gnade, bevor ihr verreckt! Einmal im meinem Leben werde ich über euch alle triumphieren! Ihr habt mich kaputt gemacht, nun mache ich euch kaputt!“, fauchte die irre Kanadierin Thomas an und trat ihm dabei brutal in den Unterleib, sodass sich der Schotte röchelnd zusammenkrümmte und das Gesicht vor Schmerzen verzerrte.
„Aber was nützt dir das? Was willst du danach tun?“, wollte Elaine Maria da Silva fassungslos wissen, während Thomas nach Atem schnappte und sich vor Schmerz zur anderen Seite hin und von seiner Partnerin weg krümmte.
„Ich habe mich einer Sekte angeschlossen, einer misanthropisch-satanistischen Sekte, wo es nur Mitglieder gibt, die ein ähnliches Schicksal wie ich erlitten haben. Menschen, die von der angeblich so modernen und toleranten Gesellschaft verstoßen und misshandelt wurden. Diese Morde sind nicht nur eine Bewältigung meiner eigenen Vergangenheit, sondern auch mein Triumph, um endlich an die Spitze der Sekte aufsteigen zu können, um endlich Macht und Anerkennung zu finden. Das Geld aus dem Schloss werde ich in die Sekte hineinstecken und selbst unter neuer Identität, irgendwo am anderen Ende der Welt eine neue Existenz starten. Nie habe ich Träume gehabt, doch diese Sekte hat sie mir gegeben. Ich habe nur durch diese Leute wieder gelernt zu kämpfen und mich selbst zu schätzen. Endlich fand ich die nötigen Mittel und die nötige Unterstützung, um mich gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt aufzulehnen. Durch meinen Silberring, den alle Mitglieder tragen, bin ich jederzeit mental mit den Leuten verbunden, die meine Probleme und meine Gesinnung mit mir teilen. Das Gleiche gilt für die Ampulle, die um meinen Hals hängt, darin befindet sich ein Tropfen Blut von jedem Mitglied, das Ganze wurde allerdings verfärbt, um weniger Aufsehen zu erregen. Mein idiotischer Gatte hat sich nie dafür interessiert und diese Sachen für billigen Modeschmuck gehalten. Er hat sich ohnehin niemals für mich und meine Belange interessiert und dies wird er jetzt auf grausame Weise bereuen, das schwöre ich euch!“, schrie die Kanadierin fanatisch und trat gleichzeitig einige Schritte von ihren unruhigen Opfern weg.
„Das ist doch Unsinn! Die Polizei wird dich überallhin verfolgen, dir das Leben wieder zur Hölle machen, du wirst in ständiger Angst, auf ständiger Flucht leben, ein Neuanfang kann dir unter diesen Umständen doch gar nicht gelingen!“, warf die Brasilianerin engagiert ein und wurde von der Woge des Zorns der Kanadierin gnadenlos überrollt.
„Halt dein dreckiges Maul, du billige Schlampe! Wir haben jetzt genug geredet. Ihr wisst nun alles und könnt beruhigt sterben. Ich lasse mich nicht mehr länger hinhalten. Dich, Thomas, bringe ich zuerst um, dann nehme ich deine Partnerin mit und schleife sie zum anderen Ende der Insel, wo zuvor mein Schiff war, wo ich auch meinen sogenannten Gatten in eine Höhle eingesperrt habe. Der Reihe nach bringe ich euch um und schnappe mir dann das kleine Boot, das wohl niemand unter dem Tang in dem natürlichen Hafen gefunden hat und was ich nur zum provisorischen Notfall überhaupt an Bord meines anderen Kutters hatte. Aber ich habe halt immer mindestens einen Plan B und so ist es auch dieses Mal der Fall. Ihr überwindet mich nicht mehr, ihr kläglichen Kreaturen! Die See wird bald wieder viel ruhiger sein und irgendwie werde ich es in dieser gottverdammten Nussschale schon ans Festland schaffen. Ab dort beginnt mein neues Leben, darauf könnt ihr euch verlassen. Bis irgendjemand von den Ereignissen hier erfährt und die Polizei auftaucht, bin ich schon längst über alle Berge. Die Sekte hat mir einen Hubschrauber zur Verfügung gestellt, der schon auf mich wartet! Nun aber genug der langen Reden! Sagt „Auf Widersehen“ zu dieser misslungenen, dunklen Welt, genießt ein letzten Mal den Anblick eurer Umgebung, die letzten Züge klarer Atemluft, die letzten schmerzfreien Sekunden.“, schritt die Kanadierin fort und machte eine wirkungsvolle Kunstpause, in der sie noch einmal das von ihr verursachet Leid genoss und sich an der Angst des Schotten und der Brasilianerin weidete.
Dann blickte sie tief in die geröteten, verschleiert vertränten Augen des Schotten, der sie dumpf anstarrte. Jegliche Kraft, jeglicher Lebenswille schien aus ihm gewichen zu sein und er sandte ein Stoßgebet gen Himmel, bevor er hastig die Hand seiner Partnerin ergriff, die seinen Arm hart erfasste, ihre Fingernägel tief in sein Fleisch grub und ihn nie wieder loslassen zu wollen schien. Thomas schloss die Augen, atmete tief durch und konnte den Tränenstrom nicht verhindern, der trotz seiner erlernten Selbstbeherrschung im Kloster, jetzt stumm über seine Wangen rann.
Der Schotte fühlte sich leer, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Er sah vereinzelte Bilder vor seinen Augen, die Bilder seiner Eltern, seine ersten Gehversuche, sein erster Geburtstag, seine Einschulung, seine ersten Freunde, seine erste Zigarette, seine erste richtige Freundin, seine erste Schlägerei, sein Wechsel zur elitären Privatschule, er sah Gesichter von altbekannten Menschen, die in den letzten Tagen und Stunden erst gestorben waren und merkte erst jetzt, dass sie trotz ihrer Fehler und Eigenarten ein Teil von ihm selbst waren, ihre Charaktere, ihre Schicksale waren unabänderlich mit dem seinen verknüpft, selbst noch im Tod. Thomas stöhnte qualvoll auf, die Bilder wurden schneller und undeutlicher, immer lückenhafter, als ob sich ein schwarzes Loch um ihn herum ausbreiten würde, was alles fraß und verschlang, irgendwann seine Seele und ihn selbst, denn er hatte den Bezug zur Realität verloren und hörte wie durch Watte in einem tiefen Schlaf die Stimme der Kanadierin aus dem Nichts erschallen.
„Stirb, Thomas Jason Smith, bete zu deinem verfluchten Gott und stirb!“, schrie sie und kurz darauf ertönte ein dumpfer Laut, ein Schuss aus scheinbar weiter Ferne, ein seltsamer Singsang breitete sich in dem Gehör des Schotten aus.
Ein langgezogener Schrei seiner Partnerin ertönte fast simultan, doch Thomas selbst spürte keinen Schmerz, bevor das zweite dumpfe Geräusch nur Sekundenbruchteile später aufklang, ihm in die linke Schulter hieb, halb zurück in die Realität, in einen Schleier aus Blut, Schmerz und Unklarheit riss, bevor ihn ein schweres Geschoss in Brusthöhe traf, ihn brutal zurückstieß und zu Boden schleuderte.
Er spürte den dumpfen Schmerz in seiner Brust, den Druck auf seinem Körper, doch all dies schien in einem Strudel des Deliriums zu verschwinden, der sich immer schneller um ihn herumdrehte, bis alle Konturen verschwammen und irgendwann nur noch eine kalte Schwärze vorhanden war, die ihn anzog und aufsog.
Dann war der Spuk vorbei, die letzten Lichter gingen aus, das Karussell des Schicksals war zu Ende, es hatte sich ein letztes Mal gedreht. Wie tot lag Thomas im Nichts, im luftleeren Raum und hatte jegliche Empfindungen verloren.