• Kapitel 11

     

    Kapitel 11: Mittwoch, 17 Uhr 12, Eingangshalle


    Thomas hatte Mamadou sogar noch überholt und riss das Portal zur Eingangshalle auf, in die er mit vor Wasser triefenden Anziehsachen eintrat. Der Afrikaner folgte ihm auf den Versen, schloss das Portal und ließ sich mit einem befreienden Stöhnen gegen selbiges fallen.

    „Wie mir scheint, sind Sie beide vom Sturm überrascht worden.“, sprach plötzlich eine trockene, höhnisch klingende Stimme und Thomas und Mamadou fuhren erschrocken herum.

    Der Schlossherr Doktor Marcel Wohlfahrt kam die dunkle Treppe aus dem Keller hinauf, hinter ihm befand sich Elaine Maria da Silva, die beide Ankömmlinge belustigt von Kopf bis Fuß musterte. Die Brasilianerin hatte sich offenbar frisch geschminkt und war in einen schwarz-rosafarbenen Pulli gekleidet. Sie trug ein dunkles schwarzes Halsband, an dem mehrere miniaturartige Metallketten zu hängen schienen. Sie hatte ihr langes, pechschwarzes Haar zu einem Zopf zusammengebunden, sodass sie ihre Ohren, die mit diversen silbernen, metallischen Ohrringen verziert waren, frei lagen. Ihre Fingernägel waren blutrot lackiert und sie musterte Thomas eingehend. Dieser schauderte unter dem Anblick der mysteriösen Brasilianerin, doch irgendwie fühlte er sich auch magisch von ihr angezogen. Gerade weil sie so anders und unheimlich wirkte. Ihr Blick schien bis auf seine Seelengründe hinabzureichen und sie lächelte wissend, als ob ihr genau klar wäre, was er eben durchgemacht hatte. Thomas verfluchte sich dafür, dass er Frauen gegenüber so willenlos war und diese ihn so einfach durchschauen konnten. Diese Schwäche hatte er auch in den Zeiten seiner Isolation dem weiblichen Geschlecht gegenüber nicht abstellen können und er war ein wenig von sich selbst enttäuscht. Er hatte sich für härter und erfahrener als früher betrachtet, aber offenbar hatte er sich kaum geändert, wie ihm auch das pikante Intermezzo mit Jeanette bewiesen hatte.

    Mamadou wirkte weniger abgelenkt und versuchte die drängenden Fragen des Direktors irgendwie zu beantworten, indem er ihm eine Ausrede vorlog. Thomas bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, wie der Schlossherr hin und wieder die Stirn runzelte und amüsiert lächelte. Er schien ihm offensichtlich kein einziges Wort zu glauben.

    „Ja, wir waren noch draußen bei den Vogelhäusern und dann hat uns dieser Regen überrascht.“, erwiderte Mamadou hastig.

    „Nun, das Unwetter hatte sich ja bereits seit einiger Zeit angekündigt. Sie hätten bis zum nächsten Morgen warten sollen.“, warf der Schlossherr höhnisch ein und legte beiläufig seine dürre Hand auf die Schulter seiner brasilianischen Begleiterin.

    „Wir hatten nicht so rasch damit gerechnet und es im Vogelhaus gar nicht bemerkt.“, wandte Mamadou unruhig ein.

    „Sie beide wirken irgendwie so gehetzt und geschockt, wenn ich das mal so sagen darf. Haben Sie sich vor irgendetwas erschreckt?“, fragte der Österreicher mit stechendem Blick.

    „Nein, ich bin nur noch aus der Puste, weil wir so schnell gerannt sind.“, gab der Ghanaer schnell zurück.

    „Nun ja, Afrikaner sind an solche Regenfälle auch nicht gewöhnt.“, meinte Wohlfahrt lapidar und ein wenig beleidigend, wovon sich der Afrikaner seinerseits nun jedoch nicht zur Provokation verleiten ließ.

    „Da täuschen Sie sich. Auch bei uns gibt es einmal im Jahr solche sintflutartigen Regenfälle, die der Boden kaum aufzunehmen vermag.“, gab er stattdessen ruhig und belehrend zurück.

    „Wie dem auch sei. Eine Dusche täte Ihnen jetzt gut. Es gibt ja bald schon Abendessen.“, stellte der Direktor mit einem Blick auf seine goldene Rolex fest.

    Mit diesen Worten wandte sich der Schuldirektor ab und würdigte die beiden Gäste keines Blickes mehr. Stattdessen verabschiedete er sich nun von seiner brasilianischen Begleiterin mit einem galanten Handkuss und lächelte ihr unecht entgegen. Mit einer entschuldigenden Floskel ging er in den großen Saal und wollte sich auf sein Arbeitszimmer zurückziehen. Die Brasilianerin wandte sich mit einem selbstbewussten Lächeln ab und betrachtete Thomas von Kopf bis Fuß. Langsam trat sie näher und strich ihm mit ihrer feinen Hand einige Haarstränen aus der Stirn.

    „Mir ist schon klar, dass ihr euch nicht für die Vögel interessiert habt. Ich weiß auch, dass ihr jetzt nicht die Wahrheit ausplaudern wollt. Aber ich werde sie bestimmt bald herausfinden.“, erwiderte sie mit fast drohender Stimme und strich ihrem Gegenüber mit ihren Fingerspitzen sanft und genüsslich über das Kinn und blickte ihm tief in die Augen. Thomas spürte ihren heißen Atem in seinem Gesicht und wandte sich leicht ab.

    „Mir scheint, dass du nicht nur der Haie wegen mit dem Professor im Keller warst.“, warf Mamadou spöttisch ein.

    „Das sind drei possierliche Tierchen. Zwei Männchen und ein Weibchen. Wir haben sie gemeinsam gefüttert. Ich interessiere mich dafür und suche immer neue Inspirationen, das ist alles. Wenn ihr mich nun entschuldigen wollt.“, gab Elaine unbeeindruckt zurück und wandte sich der Treppe zu, die sie gemächlich und fast hochnäsig hinaufstieg.

    Mamadou blickte ihr kopfschüttelnd hinterher. Thomas stand immer noch starr auf seinem Fleck und musste sich nach all den bewegenden Ereignissen der letzten Stunden erst mal ein wenig beruhigen und mit seinen Gefühlen ins Klare kommen.

    „Mit einer Sache hatte der Direktor recht. Eine Dusche würde uns jetzt verdammt gut tun.“, warf Mamadou in diesem Moment ein und die beiden Männer blickten sich langsam nickend an.

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