• Kapitel 37

     

    Kapitel 37: Donnerstag, 14 Uhr 37, Speisesaal


    Thomas und Mamadou hatten sich trotz dieses aufreibenden Zwischenfalls noch dazu aufgerafft den Koch zu befragen. Dieser stellte sich dumm, wusste von nichts und hatte auch keinen Verdacht. Er wirkte ruhig und beherrscht und erwähnte oftmals, dass die Anwesenden mit der Abfahrt von der Insel auch dem unheimlichen Spuk entrinnen würden. Er blickte mehrmals auf seine edle, goldene Armbanduhr und stellte fest, dass der Augenblick der Abfahrt bald gekommen war.

    Somit verließen die beiden Ermittler das Arbeitszimmer des unsympathischen Direktors mit dem Koch. Thomas war davon überzeugt, dass der Koch unschuldig war, immerhin war er bereits stolze 76 Jahre alt geworden. Er war zwar noch beweglich, aufgeschlossen und rüstig für sein Alter, aber solch kaltblütig ausgetüftelte Morde traute der Schotte dem walisischen Koch einfach nicht zu. Mit der Zeit hatte Thomas seiner Meinung nach ein recht feines Gespür und eine gute Menschenkenntnis entwickelt und vertraute dieser auch im aktuellen Fall.

    Der Direktor, der mittig im Speisesaal stand und tobte, war bereits wieder ungehalten, bat um Ruhe und rief die Anwesenden zur Ordnung. Thomas und Mamadou bedachte er mit einem grimmigen Blick, bevor er zu einer weiteren Rede ausholte.

    „Sehr verehrte Gäste. Jetzt, da auch die mehr als fragwürdigen Verhöre und unproduktiven Ermittlungsmethoden zu einem Ende gekommen sind und auch das Wetter ein bisschen besser geworden ist, werden wir uns nun an die sofortige Abreise machen. Wir werden zurück in das Küstendorf fahren und von dort aus Hilfe anfordern. Solange wir alle beisammen bleiben, kann und wird niemandem mehr etwas geschehen.“, versicherte der selbsternannte Schlossherr energisch.

    Seine Rede fand großen Anklang unter den Zuhörern. Einige nickten grimmig und blickten auch hin und wieder feindselig oder auch verängstigt in Richtung der beiden provisorischen Ermittler. Die beiden Angesprochenen reagierten nicht auf die indirekten Beleidigungen des Direktors, obwohl Thomas Mühe hatte seinen Zorn vollständig zu verbergen. Mamadou blieb die Ruhe selbst und wagte es sogar noch eine Frage zu stellen.

    „Wo Sie gerade das Beisammensein erwähnen. Wo befindet sich eigentlich Hamit Gülcan? Er ist der Einzige, mit dem wir bei den Ermittlungen nicht sprechen konnten.“, stellte der Ghanaer fest.

    Der Direktor wollte erst schnippisch antworten, doch er warf zunächst einen Blick in die Runde und stellte verwundert fest, dass der stille Türke tatsächlich nicht anwesend war. Auch die anderen Gäste blickten sich nervös um und tuschelten miteinander. Sofort ergriff der Koreaner Gwang-jo Park das Wort, versammelte einige Gäste um sich und führte aus, dass der Vermisste hinter den Untaten stecken würde und nun heimlich dabei wäre weitere Missetaten vorzubereiten. Björn Ansgar Lykström ging dazwischen und mahnte zur Ruhe und Vorsicht. Schließlich ergriff Magdalena Osario das Wort.

    „Ich glaube, dass ich weiß wo er ist.“, sagte sie laut und alle Anwesenden wandten unmittelbar ihre Köpfe zu der schönen Spanierin, die ausgelaugt wirkte und ein bleiches Gesicht hatte.

    „Sag es uns schon. Heraus mit der Sprache, du dumme Kuh!“, fuhr ihr Mann sie ungeduldig und fast feindselig an. Die Spanierin senkte den Blick und ließ die erneute Demütigung ohne Protest über sich ergehen. Lediglich ihr schwedischer Liebhaber blickte feindselig zu dem Österreicher.

    „Ich glaube, er wollte sich in Ruhe dein Schiff anschauen. Ich habe es nicht gesehen, aber er sprach unentwegt davon.“, erwiderte die Spanierin mit leiser Stimme.

    „Wie kann er das tun? Wir sollten doch zusammenbleiben.“, herrschte der seine Frau an, als ob sie an dem Fehlverhalten des Türken Schuld tragen würde. Nun ergriff ihr Geliebter für sie Partei und trat auf den unleidlichen Direktor zu.

    „Sie haben es ihm doch selbst erlaubt. Sie sagten zu ihm, dass er jederzeit die Gelegenheit hätte, sich das Schiff anzuschauen. Heute Mittag hat er Sie doch erneut danach gefragt und sie haben seinen Vorschlag nicht abgelehnt!“, stellte der Schwede grimmig fest und sah wie sein Gegenüber zornig nach Luft schnappte.

    „Aber das darf er doch nicht allein!“, gab er keifend zurück und fuhr auf dem Ansatz herum.

    Das war eine Art Startsignal für die Anwesenden, die sich jetzt dem Ausgang oder ihrem Reisegepäck zuwandten. Auch Thomas hatte sein Gepäck bereits vorbereitet gehabt und ergriff seine Sporttasche. Gemeinsam mit seinem afrikanischen Kollegen an der Seite verließ er den Speisesaal und trat in den Eingangsbereich, wo der Butler stand, der soeben die solide Eingangstür geöffnet hatte. Unwillig wurde er von dem Koreaner gemustert, der das Schloss als Erster verließ und die anderen Anwesenden grob zur Seite gedrängelt hatte. Der Butler hielt den Blick gesenkt und hatte seine einstige Sicherheit und Steifheit komplett verloren. Darauf sprach ihn auch sein Chef an, der sich ungehalten zwischen Thomas und Mamadou hindurchzwängte.

    „Nimm sofort Haltung an!“, befahl er barsch und sein Untertan gehorchte, nachdem er ängstlich zusammengezuckt war. Thomas konnte sich auf das nervöse Verhalten des Butlers immer noch keinen Reim machen.

    Allmählich verließen die Gäste nach und nach das Schloss und fanden sich in einer nebligen, grauen Suppe wieder, in der man nicht weiter als fünf Meter blicken konnte. Düster ragte das neogotische Schloss in den grauen Himmel. Weiter hinten erahnte man die soliden Grabsteine, die schief aus dem Erdreich empor zeigten. Ein lautes Grollen fuhr aus dem Himmel und schlug der nervösen Menschenmasse entgegen. Von dem jungen Türken gab es immer noch keine Spur.

    Der Schlossherr wartete, bis zuletzt Magdalena Osario aus dem Eingangsbereich getreten war, schob sie grob zur Seite, keifte seinen Butler an, der sofort das Portal losließ und nahm nun einen großen, schmiedeeisernen Schlüssel aus seiner Jackentasche, mit dem er den Eingangsbereich abschloss.

    Die restlichen Anwesenden warteten auf den Direktor, der in diesen Momenten eine große Machtposition ergriffen hatte, die ihm sichtlich gefiel. Er drängte sich wieder vor, bis er an der Spitze der Gruppe stand und forderte seine Gäste mit einer herrischen Handbewegung dazu auf ihm zu folgen. Energisch schritt er durch den Vorgarten und erreichte alsbald die schmierigen und weichen Holzplanken, die den Bootssteg darstellten.

    „Herr Direktor, ich glaube, ich habe meinen Schminkkoffer im Eingangsbereich vergessen!“, rief Marilou Gauthier plötzlich und der Direktor wandte sich erstaunt um. Auch die anderen Anwesenden blickten die Kanadierin an, die zum ersten Mal überhaupt freiwillig mit der Gruppe gesprochen hatte.

    Der Direktor schien unentschlossen, nestelte in seiner Jackentasche nach seinem Schlüssel und überlegte, wie er auf die unerwartete Forderung reagieren sollte. Schließlich schüttelte er unwillig den Kopf, ergriff den Schlüssel und warf ihn der Kanadierin mit einem gezwungenen Lächeln zu.

    „Beeilen Sie sich gefälligst. Wir warten auf Sie!“, gab er ihr zu verstehen und wandte sich wieder in Richtung des Steges um.

    Dort erblickte er plötzlich die Umrisse einer Gestalt an der nebelverhangenen Bugseite der edlen Yacht. Auch Thomas hatte den Unbekannten erblickt, von dem er nur die Konturen erahnen konnte. Aufgeregtes Gemurmel verbreitete sich unter den Gästen. Thomas dachte darüber nach, ob es sich bei der Erscheinung um dieselbe Person handelte, die Mamadou und er in dem Dickicht so mühsam verfolgt hatten.

    Wie zur Bestätigung seiner These war mit einem Mal ein lautes, schauriges Heulen zu vernehmen. Alle Anwesenden zuckten zusammen und fuhren herum. Die animalischen Klagelaute kamen von der Rückseite des Schlosses. Thomas bekam eine unangenehme Gänsehaut, als sich die Laute noch einmal intensiver wiederholten.

    Die düstere Gestalt auf der Yacht war indes nicht untätig geblieben. Sie bewegte sich auf die Reling zu und sprang behände über die Abgrenzung auf den Steg. Federnd kam die Gestalt auf, obwohl der Steg noch leicht nachbebte. Langsam trat die Gestalt näher, aus den Umrissen schälte sich eine Person und nach wenigen Sekunden erkannte jeder von ihnen, wer der unheimliche Unbekannte war.

    Der Schlossherr stammelte nervös, wandte sich hilfesuchend um und gewann nur allmählich eine Selbstbeherrschung zurück. Er war einige Meter von dem Steg zurückgewichen. Die restlichen Anwesenden hatten sich in einem Halbkreis versammelt und blickten dem Ankömmling ängstlich entgegen. Endlich ergriff der vorlaute Direktor das Wort.

    „Hamit Gülcan, Sie?“, fragte er ungläubig und sah, dass der Ankömmling verwundert stehen blieb und abwehrend die Arme hob und den Kopf schüttelte.

    „Es ist nicht so wie es aussieht. Ich wollte mich nur ein wenig umgucken. Nur aus reinem Interesse.“, versicherte er mit lauter und kräftiger Stimme und ging langsam weiter, während der Schlossherr sich bedrängt fühlte und erneut und hastig nun von dem Steg zurückwich.

    Thomas wusste nicht so recht, wie er sich einen Reim auf das Erscheinen des Türken machen sollte. War Hamit Gülcan wirklich so harmlos wie er sich immer gab? Hatte er nur der beruflichen Neugierde eines Direktors eines Schifffahrtsmuseum nachgegeben oder hatte er den grausamen Tod aller Anwesenden vorbereitet?

    Erneut blieb der Türke stehen und hob beschwichtigend seine Arme, als er die Angst und das Misstrauen bemerkte, was ihm entgegenschlug.

    Von der Seite des Schlosses her ertönte ein weiteres Geräusch. Mit einem schaurigen Quietschen und dumpfen Schlag verschloss Marilou Gauthier das Eingangsportal. Langsam näherte sie sich wieder der Gruppe. Sie trug einen silbrig, metallfarbenen Schminkkoffer in ihren Händen und hatte den klobigen Schlüssel in eine Jackentasche gesteckt.

    Von der anderen Seite des Schlosses ertönte wiederum das unheimliche Heulen des Wolfes. Alle Gäste zuckten fast simultan zusammen. Furcht breitete sich aus. Keiner wagte mehr zu sprechen. Es war eine seltsame Stille eingekehrt. Selbst der Wolf war jetzt kurzzeitig verstummt. Lautlos trat Marilou wieder zur Gruppe und schmiegte sich an die Schulter ihres Mannes. Man merkte ihr die Erleichterung an, dass sie nun diese Insel verlassen würden.

    In diesem Moment zerfetzte ein infernalisches Krachen die unheilvolle Stille. Mit einem Bersten und Krachen stieg ein glutroter Feuerball empor, Planken barsten, Metallgestänge brachen und mit einem markerschütternden Schrei wurde der neugierige Türke zu einem Spielball der Natur.

    Thomas sah noch wie der hilflose Türke von der Feuerbrunst erfasst wurde, in die Luft gewirbelt wurde und mit einem zerfetzten Eisengeländer kollidierte. Dann warf auch der Schotte sich abrupt zu Boden, verschränkte die Hände schützend über seinem Hinterkopf und spürte wie ihm das Feuer die Nackenhaare versengte. Die infernalische Geräuschkulisse wich einem ohrenbetäubenden, monotonen Pfeifton und er befürchtete, dass sein Kopf implodieren würde. Der Schmerz schien sich ins Unermessliche zu steigern und der Schotte wälzte sich schreiend zur Seite.

    Nach wenigen Sekunden war plötzlich alles vorbei. Wrackteile fielen platschend ins Meerwasser. Ein dichter, beißender Rauch verbreitete sich in Sekundenschnelle und hüllte die Anwesenden ein.

    Stöhnend und fluchend stand Mamadou neben Thomas auf und auch dieser erhob sich nach einigen Sekunden und erblickte mit tränenden Augen das unheimliche Ausmaß der überraschenden Zerstörung.

    Irgendjemand oder Irgendetwas hatte die Yacht gesprengt und vollkommen zerfetzt.

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