• Kapitel 41

     

    Kapitel 41: Donnerstag, 18 Uhr 04, Speisesaal

     

    Mamadou hatte Thomas im Verlauf des Gespräches versprochen, dass die besprochenen Details unter Ihnen bleiben würden. Die beiden Ermittler hatten das Zimmer inzwischen verlassen und schritten durch den Gang, an dessen Wänden sich einige Gemälde befanden, die meist Vorfahren oder Freunde aus der Familie der Osarios darstellten. Erst jetzt nahm Thomas sich die Zeit die Bilder und Porträts genauer in Augenschein zu nehmen.

    Ihm fiel ein Bild auf, dass ein wenig abseits der anderen Gemälde hing, nahe der schmuckvollen Treppe gelegen. Es war das Porträt einer Dame, die Magdalena Osario sehr glich. Ihr Gesicht war lediglich etwas blasser, dafür war ihr Haar ein Tick dunkler. Besonders fielen die recht großen, haselnussbraunen Augen auf, die den Betrachter mysteriös anblickten. Thomas konnte nicht sagen warum, aber er war von diesem Bild angezogen. Es wirkte ungewöhnlich natürlich und echt. Eine kleine Inschrift am unteren Rand sagte ihm, dass das Bild eine gewisse Emanuela Lucia Osario darstellte.

    Mamadou riss den schottischen Kollegen aus seinen Beobachtungen und sie schritten gemeinsam in Richtung der Eingangshalle. Sie waren bereits ein wenig verspätet und somit allein unterwegs. Mamadou, der eigentlich immer auf Pünktlichkeit bedacht war, wollte die anderen Anwesenden nicht noch länger warten lassen.

    „Du glaubst, dass Francis McGregor die ganze Wahrheit erzählt hat?“, wollte Mamadou wissen, als sie die unheimlich hohe und nur durch Kerzenschein erleuchtete Eingangshalle erreichten.

    „Davon bin ich überzeugt. Wir sollten ihn schützen. Ich könnte mir vorstellen, dass Gwang-jo ausrastet und ihm die Schuld an all den Dingen gibt. Wir müssen die Kontrolle behalten.“, stellte Thomas eindringlich fest und bewegte sich weiter in den großen Wohnraum, beziehungsweise die behaglich eingerichtete überdimensionale Bibliothek. Sie war ebenfalls nur in flackerndes Kerzenlicht getaucht und schloss sich direkt an den Speisesaal an. Im Kamin glimmte nur noch die letzte Glut vor sich hin.

    „Da hast du recht. Wenn wir zusammenhalten, dann kann uns nichts passieren.“, gab sich der Afrikaner optimistisch.

    „Hast du eigentlich irgendeine Veränderung im Schloss bemerkt?“, wollte Thomas wissen, dem einfiel, dass der seltsamen Direktor von gewissen neuen Maßnahmen gesprochen hatte.

    „Nein, bisher nicht. Oder vielleicht doch. Mir fällt auf, dass die meisten Räume nun in Kerzenlicht getaucht sind, jedenfalls im unteren Bereich.“, merkte der Ghanaer an und beendete das Gespräch, als die beiden den Speisesaal betraten.

    Wie zur Bestätigung ihrer Annahmen war auch dieser nur in Kerzenlicht erhellt. Die Gäste, die stumm und steif auf ihren Plätzen saßen, warfen große, flackernde und fratzenhafte Schatten. Am Ende des Tisches thronte düster und ganz in schwarz gekleidet der Direktor. Er trug einen kuttenähnlichen Umhang und wurde von seinem Butler eingerahmt, der steif neben ihm stand und mit gläsernem Blick auf die Tischplatte starrte.

    Thomas nahm wieder zwischen Paola Francesca Gallina, sowie Elaine Maria da Silva Platz. Die Brasilianerin hatte sich dunkel geschminkt und musterte Thomas mit fast stechender Aufmerksamkeit. Sie lachte rau und strich sich mit ihrer zierlichen Hand über ihre schwarzen, aber dennoch fast durchsichtigen Netzstrumpfhosen. Die religiöse Italienerin hatte die Geste bemerkt, rümpfte die Nase und blickte demonstrativ weg.

    Es lag eine unheimliche Spannung im Raum, die durch die Selbstinszenierung des Direktors nur noch gesteigert wurde. Langsam schob er seinen Stuhl nach hinten. Das quietschende, scharrende Geräusch ging den Gästen durch Mark und Bein. Langsam und gebrechlich erhob er sich, sein Gesicht war im Schatten der seltsamen Kutte verborgen. Alle Gäste starrten den Schlossherrn gebannt an.

    Er sprach allerdings noch nicht, sondern riss sich mit einer plötzlichen und heftigen Bewegung die düstere Kapuze aus dem Antlitz. Die Gäste erstarrten und murmelten verschreckt. Paola Francesca Gallina stieß einen spitzen Schrei aus und riss vor lauter Schreck einen Teil des Tischtuches von seinem angestammten Platz. Durch die heftige Bewegung fiel eine Blumenvase scheppernd zu Boden und zersprang in lauter kleine Teile.

    Dieser Lärm schien eine Art unsichtbares Startsignal gewesen zu sein. Tuschelnd sprachen die Gäste miteinander, doch niemand besaß den Mut aufzustehen oder zu fliehen. Alle Anwesenden wirkten wie gelähmt. In die allgemeine Verwirrung drang das bösartige, düstere Lachen des Schlossherrn, der sich an den Angstgefühlen der Gäste weidete.

    Doch er fixierte seine Gäste nicht wie sonst mit seinem stechenden Blick. Sein ganzes Gesicht hatte sich auf unheimliche Wese verändert und hatte auch den Anstoß zu der panischen Reaktion seiner Gäste gegeben.

    Sein Gesicht hatte nichts Menschliches mehr an sich. Es war mit blutigen Striemen verzerrt, als ob er sich mit einem Messer tiefe und blutige Schnitte zugefügt hätte. An seiner Stirn befand eine eitrige Beule. Seine Haare waren lang und verfilzt, seine Ohren waren spitz zugelaufen, während seine Nase nur noch durch einen animalischen Schlitz angedeutet waren.

    Thomas konnte seinen Augen kaum trauen. Er fühlte sich irritiert und fassungslos erschrocken. Er hatte das Gefühl im falschen Film zu sein. Erst die schrecklichen Morde und nun die dämonische Verwandlung des großen Tyrannen. Auch die anderen Gäste wirkten beunruhigt, lediglich Elaine Maria da Silva lachte neben ihm schrill auf und grub ihre langen, scharfen Fingernägel im Gefühl der Extase in die Schulter des erschrockenen Schotten. 

    Dann war der Spuk mit einem Mal vorbei!

    Der Schlossherr griff sich mit seinen normal gebliebenen Händen ins Gesicht, zerrte an seinem ekligen Haarschopf und entfernte die Maske aus seinem Gesicht. Lachend stülpte er sie sich über seinen Kopf hinweg und warf sie achtlos auf die Tischplatte. Sein normales, schweißgebadetes Gesicht war nun zu sehen. Ein triumphierendes Lächeln und ein irrer Blick wanderten durch das verschreckte Publikum.

    Der Direktor hatte sich nicht verwandelt, sondern lediglich verkleidet. Sein Gelächter wurde schallender, fast unerträglich laut, bevor es abrupt abbrach.

    Plötzlich herrschte eine nervöse, ungewisse Stille im Raum. Niemand wagte zu reden oder sich zu rühren. Langsam nahm der Schlossherr seine Maske wieder auf und steckte sie sich unter den Vorhang seiner düsteren Kutte.

    Er hob die Arme, breitete sie aus wie ein Priester oder Pfarrer und starrte seine Gäste feixend an, bevor er zu einer weiteren Rede ansetzte.

    „Ich dachte mir schon, dass dieser kleine Scherz die Stimmung wieder ein wenig lebendiger machen würde. Elaine Maria da Silva hat mich auf eine großartige Idee gebracht. Wie einfach man doch die Menschen manipulieren und erschrecken kann! Ihr lasst mich leiden, bringt euch gegenseitig um und zerstört mein Hab und Gut, doch jetzt sah ich euch leiden und das tat mir gut. Es baute meine geschundene Seele wieder auf. Lasst uns gemeinsam unsere Henkersmahlzeit halten! Vielleicht ist dieses Essen für einige von uns das letzte. Ich aber werde gewappnet sein und mich nicht überrumpeln lassen. Egal was ihr tut, ihr bekommt mich nicht. Lasst uns essen und morgen um elf Uhr, anstatt des Frühstücks allesamt in der Schlosskapelle eintreffen. Wir sollten alle zu Gott beten, wenn wir diese Nacht überstanden haben. Seid alle anwesend! Und nun lasst uns speisen!“, rief er theatralisch, hob sein blutrotes Weinglas an und setzte sich unter schallendem Gelächter.

    Die Gäste waren fassungslos angesichts dieser fanatischen Reaktion des Schlossherrn. Man hatte ihnen allesamt einen großen Schrecken eingejagt. Nur zögerlich aßen die Gäste das Abendessen, welches vom Koch wieder vorzüglich vorbereitet worden war. Lediglich Elaine Maria da Silva und der Schlossherr aßen ungewohnt viel. Thomas stocherte lustlos in seinem Hühnchenfleisch herum und rührte auch die Röstis nicht an, ebenso wenig wie die pikante Ananassoße. So schnell wie möglich aß er zu Ende, erhob sich dann von seinem Platz und verließ den Speisesaal als Erster. Einige andere Anwesenden, die sich nicht getraut hatten den ersten Schritt zu tun, folgten ihm und bald saßen nur noch der Schlossherr, Elaine Maria da Silva und Magdalena Osario, sowie ihr geliebter Björn Ansgar Lykström beisammen. Auch das Pärchen erhob sich rasch und wurde von einem schallenden Lachen des Direktors aus dem Raum hinausbegleitet, welches durch das ganze Schloss zu hören war.

    „Ein teuflisches Pärchen seid ihr! Die Hexe und der Magier, die gegen den bösen Schlossherrn eine blutige Verschwörung anzetteln wollen! Hoffen wir, dass ihr nicht kläglich scheitert in dieser fatalen Nacht!“, rief er aus und sah voller Genugtuung, wie die beiden Angesprochenen ohne Widerrede hastig aus dem Speisesaal flüchteten.

    Nun waren kaum noch Menschen im Speisesaal anwesend und der Direktor verfiel in einen düsteren Monolog.

    „Meine Autorität werde ich wiederherstellen. Egal um welchen Preis. Ich lasse nicht mit mir spielen. Verdammt seiet ihr alle! Verdammt sei dieses Schloss!“, schrie er und lachte infernalisch.

    Neben ihm blickte sich sein Butler ängstlich um. Nervös kaute er auf seinen Fingernägeln, fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung durch das Haar und schüttelte missmutig den Kopf. Eine Gänsehaut hatte sich auf seinem Rücken gebildet. Er befürchtete, dass es eine unruhige Nacht werden würde.

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