• Kapitel 46

     

    Kapitel 46: Donnerstag, 23 Uhr 59, Geheimzimmer

     

    Thomas hatte nicht mehr viel Zeit zum Überlegen gehabt und fand im letzten Moment ein Versteck hinter dem großen Regal mit den Konservendosen. Er legte sich flach auf den Boden und wartete unter höchster Anspannung. Er versuchte sich so still und unauffällig wie möglich zu verhalten.

    Die anderen beiden Männer im Raum taten dies gerade nicht. Der österreichische Direktor erwachte stöhnend aus seiner Bewusstlosigkeit und wälzte sich geräuschvoll auf dem Boden. Zitternd betastete er seine Platzwunde an der Stirn und sog scharf die Luft ein. Auch Fatmir hatte seinen plötzlichen Schwächeanfall überwunden, richtete sich mühsam auf, verlor das Gleichgewicht und fiel von der spärlichen Schlafstätte auf den kalten Boden. Stöhnend rappelte er sich auf.

    In dem Moment betrat der Neuankömmling das kreisrunde Zimmer. Thomas konnte zunächst nicht erkennen, um wen es sich handelte, denn der Raum war auch eher schwach beleuchtet und zudem wandte die Person ihm lediglich sein Profil zu. Dafür erkannte der Schotte eine andere Sache mit nahezu grausamer Deutlichkeit. Es handelte sich um die schwere Schrotflinte, die der Unbekannte an seinem rechten Arm gen Boden baumeln ließ.

    Ein heißer Schreck durchzuckte den Schotten und er bekam eine eiskalte Gänsehaut. Er wagte nicht mehr zu atmen und presste sich flach auf den Boden. Auch der Ankömmling stockte und verhielt sich ganz ruhig.

    In diesem Moment rappelte sich Fatmir vom Boden auf, der sich der drohenden Gefahr wohl noch nicht bewusst geworden war und schwankte stöhnend auf den Bewaffneten zu. Dieser wich verwirrt zurück, hob aber gleichzeitig die Schrotflinte und zielte auf den Albaner.

    Thomas stockte der Atem, die Situation drohte völlig zu eskalieren. Siedend heiß rann ihm der Schweiß ins Gesicht. Er hatte immer noch nicht erkannt, um wen es sich bei dem Bewaffneten handelte, bis zu dem Augenblick, wo der Neuankömmling den Albaner direkt ansprach.

    „Was hast du hier getan, du verdammtes Schwein? Komm keinen Schritt näher, ich warne dich?“, stotterte der Mann und Thomas erkannte darin die Stimme des Butlers. Die Erkenntnis durchzuckte ihn wie ein Blitzschlag.

    Warum Fatmir nicht einfach stehen blieb, sondern weiter nach vorne torkelte, die Hände hob und dem Bewaffneten irgendetwas zurufen wollte, verstand auch Thomas nicht und der sich angegriffen fühlende Butler noch viel weniger. Hektisch hob dieser die Waffe und irgendwie löste sich aus ihr ein Schuss, der die düstere Stille des Raumes krachend unterbrach.

    Thomas zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, doch seinen Begleiter hatte es weitaus schlimmer erwischt. Mit einem schmerzerfüllten Schrei sank er auf die Knie und verlagerte sein Gleichgewicht dabei so nach vorne, dass er ächzend auf dem Bauch landete und sich dort hilflos vor Schmerzen wandte.

    Der Täter war völlig perplex, schüttelte verwirrt den Kopf und starrte die Schrotflinte an, als ob sie ein ihm völlig fremdes und unheimliches Objekt war. Als ob die Waffe mit einem Mal glühend heiß geworden war, so ließ er sie aus seinen Händen gleiten und sie schlug dumpf auf den Boden.

    Fassungslos kopfschüttelnd taumelte der Butler nach hinten, stieß gegen die zerstörten elektronischen Geräte und konnte nur mit großer Mühe sein Gleichgewicht halten. Wie gebannt starrte er schreckensbleich auf den angeschossenen Albaner, der sich immer noch vor Schmerz krümmte und erbärmlich schrie.

    In diesem Moment robbte Thomas aus seiner Deckung hervor, hob beschwichtigend die Arme und wurde von dem verdutzen Butler gesehen, der diese Reaktion falsch interpretierte, sich fluchtartig umdrehte und schreiend aus dem Raum rennen wollte. Der einst so steife und ruhige Bedienstete hatte sich seit dem Verhör mit Mamadou und Thomas graduell immer weniger in der Gewalt und wurde für sich selbst und seine Umgebung immer mehr zum großen Risikofaktor.

    Sein Fluchtversuch war ein arg kurzer, denn plötzlich wurde der Butler von irgendetwas zurückgeschleudert, wankte rückwärts zurück in den Raum, presste sich die Hand gegen die Schläfe und wurde erneut von einem schattenhaften Umriss attackiert, der aus dem dunklen Gang hervorstürzte und einen punktgenauen Kinnhaken landen konnte.

    Der Butler flog zurück, stolperte im Fallen über den Körper des schreienden Albaners und fiel wuchtig und der Länge nach hin. Er landete nur wenige Zentimeter neben Thomas, der die letzten Sekunden wie in Zeitlupe erlebt hatte und noch wie gelähmt war und sich unfähig fühlte überhaupt einzugreifen.

    Gebannt starrte er auf die dunkel gekleidete Gestalt, die langsam, aber selbstbewusst aus dem dunklen Gang in das kreisrunde Geheimzimmer trat. Die Person hatte einen Ordner unter den Arm geklemmt und lachte böse. Dann traf ihr Blick den des verwunderten Schotten, der seine Deckung völlig aufgegeben hatte.

    Der junge Polizist hatte sein Gegenüber längst erkannt. Es handelte sich um Elaine Maria da Silva!

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