• Kapitel 47

     

    Kapitel 47: Freitag, 0 Uhr 03, Geheimzimmer

     

     

     

    Triumphierend hielt sie den Ordner in die Höhe, legte ihn wuchtig auf einen wackligen Holzstuhl und wies anklagend auf den angeschlagenen Butler.

     

    „Er steckt hinter allem! Er ist der Mörder!“, rief sie gehässig und trat energisch auf den Verletzten zu, um ihm einen fiesen Tritt in die Magengrube zu verpassen.

     

    Erst jetzt griff Thomas ein und löste sich aus seiner Starre. Er sprang zwischen die beiden und zerrte die energiegeladene Brasilianerin von dem hilflosen Butler weg. Diese wand sich in seinem Griff, doch Thomas war stärker und drückte sie kraftvoll gegen das lädierte Mischpult und nahm sie in einen unbarmherzigen Polizeigriff. Aus den Augenwinkeln heraus konnte er auch sehen, dass sich der Direktor mühsam aufgerichtet hatte und das Szenario grimmig betrachtete. Er bebte vor Wut, doch schien nicht recht zu wissen, gegen wen er diese richten sollte. Sein Blick pendelte von einer Person zur anderen.

     

    „Lass mich los, du Verrückter!“, herrschte Elaine den Schotten an und biss Thomas instinktiv in den Unterarm, was dieser mit einer schnell angesetzten Ohrfeige konterte.

     

    „Ich lasse dich los, wenn du ruhig bleibst. Wir müssen unsere Ruhe bewahren.“, herrschte er sie an und hoffte auf ein Einsehen der eigentümlichen Brasilianerin.

     

    Diese schnaubte verächtlich, nickte jedoch und Thomas riskierte es sie loszulassen. Elaine wirbelte herum und funkelte ihr Gegenüber aus ihren dunklen Augen böse an. Dann rieb sie sich mit ihrer grazilen Hand über ihre Wange und ihr Ohr.

     

    Thomas blickte mit einem unwohlen Gefühl auf die geröteten Bisspuren an seinem Unterarm. Zum Glück hatte sich die Brasilianerin nicht allzu heftig mit dieser Methode zur Wehr gesetzt.

     

    „Erzählen Sie mir sofort, was das zu bedeuten hat!“, fuhr nun der Direktor dazwischen und drängte sich energisch an Thomas vorbei.

     

    Elaine ließ sich auf dem Holzstuhl nehmen und schlug den Ordner auf, den sie gefunden hatte. Thomas und Doktor Wohlfahrt versammelten sich aufmerksam im Halbkreis um sie herum. Elaine wirkte grimmig und triumphierend, als sie mit ihren Erläuterungen einsetzte.

     

    „Diese Dokumente habe ich im persönlichen Privatzimmer von Magdalena Osario gefunden. Sie war nicht dort, weil sie es vorgezogen hat die Nacht nicht alleine, sondern bei Björn Ansgar Lykström zu verbringen. Es war eine fixe Idee von mir ihr Zimmer zu durchsuchen, aber mein Instinkt hat mich nicht getrogen und es war ein voller Erfolg.“, führte sie aus und blickte mit Genugtuung in die angespannten Gesichter ihrer nervösen Zuhörer.

     

    „Sie sollten es tunlichst sein lassen in meinem Schloss herumzuschnüffeln!“, knurrte der Direktor, doch er klang gar nicht wirklich böse, sondern wartete viel mehr wissbegierig auf das Resultat, das ihm die Brasilianerin präsentieren würde. Seine Augen leuchteten gierig und er reib sich verschmitzt die verschwitzten Hände. Er schien es kaum erwarten zu können etwas zu hören, was seine Ehefrau belasten könnte. Doch Elaine war nicht darauf aus Frau Osario zu beschuldigen, sondern den Butler, den sie mit stechendem Blick fixierte.

     

    „Der Butler hat eine falsche Identität. Er ist nicht der, für den er sich ausgibt.“, deckte die Brasilianerin auf und der Direktor erstarrte und wandte sich gleichzeitig zu seinem Bediensteten um.

     

    Der Butler hob abwehrend die Hände und rappelte sich mühsam wieder auf. Er war völlig fertig, zitterte am ganzen Leib und atmete geräuschvoll ein. Er wollte dem strengen Schlossherrn etwas sagen, doch seine Stimme versagte ihm und so schüttelte er nur ächzend den Kopf.

     

    „Er heißt nicht etwa Francis McGregor, sondern in Wirklichkeit Travis McMonroe. Er war in einen Bandenkrieg verwickelt, ist ein gesuchter Drogendealer und Kleinkrimineller und soll zudem mehrere Menschen kaltblütig liquidiert haben. Seine Papiere sind allesamt professionell gefälscht, wie ich diesen Dokumenten entnehmen kann. Magdalena Osario hatte wohl die Wahrheit herausgefunden und anschließend sogar einige Dokumente indirekt von den staatlichen Behörden anfordern lassen.“, verkündete die Brasilianerin triumphierend.

     

    Doktor Wohlfahrt wandte sich kopfschüttelnd um, sein Gesicht war gerötet, er ballte seine Hände zu Fäusten, öffnete sie und schloss sie wieder. Seine Knöchel traten weis hervor. Seine Verletzungen schien er bereits überwunden zu haben.

     

    Sein Gegenüber wich erschrocken zurück und schüttelte energisch den Kopf.

     

    „Ich habe niemanden umgebracht. Mir wurde das von alten Feinden angelastet. Ich gebe zu, dass ich damals mit Drogen gehandelt habe und in das Rauschgiftmilieu verstrickt war, aber ich habe keiner Menschenseele etwas angetan.“, verteidigte sich der schreckensbleiche Butler, der bis zur Wand zurückgewichen war.

     

    „Du hast mich die ganze Zeit betrogen. Du hast mich ausgenutzt und mein Haus wissentlich in Verruf gebracht. Du hast hier feige einen Unterschlupf gesucht und über alle Freiheiten und viel Geld verfügt. Zur Dankbarkeit verwickelst du mich in kriminelle Machenschaften. Womöglich steckst du auch hinter diesen Morden und hast mich niedergeschlagen!“, herrschte Doktor Wohlfahrt seinen Bediensteten an und schob sich ganz dicht an diesen heran. Die beiden trennte keine Nasenspitze mehr und der Butler drehte sich ängstlich zur Seite und warf den Kopf in den Nacken.

     

    Thomas dachte an das Geständnis, das der Butler bei ihm abgelegt hatte und vertraute auf seinen gesunden Menscheninstinkt. Er war davon überzeugt, dass der Butler nichts mit den Morden zu tun hatte und auch nur zufällig in dieses Geheimzimmer gestoßen war, weil er vielleicht Geräusche vernommen hatte. Die Art und Weise wie es zu dem Schuss auf den Albaner gekommen war, hatte deutlich gezeigt, dass der Butler alles andere als kaltblütig gewesen war und mehr aus Angst und Ungeschick abgefeuert hatte. Daher versuchte der schottische Polizist nun Partei für ihn zu ergreifen.

     

    „Herr Wohlfahrt, bitte besinnen Sie sich. Schauen Sie sich dieses Nervenbündel an. Er mag ein Drogendealer gewesen sein, aber glauben Sie, dass so jemand drei kaltblütige Morde übers Herz bringen könnte?“, fragte Thomas ihn mit ruhiger Stimme.

     

    Der Direktor wandte sich nicht einmal zu ihm um, sondern schüttelte nur verbissen den Kopf und antwortete mit lauter und cholerischer Stimme.

     

    „Der Mann hat mir vier Jahre lang eine Komödie vorgespielt. Wer sagt mir, dass er nicht auch jetzt den unschuldigen, ängstlichen Versager spielt. Ich kann ihm nicht mehr trauen, niemandem kann ich hier trauen. Meine Frau hat wissentlich einen Verbrecher hier hausen lassen und uns alle in Gefahr gebracht. Die Akte zeigt doch, dass er Menschen liquidiert hat und vor nichts zurückschreckt!“

     

    „Das war alles ganz anders. Das war ein schiefgelaufener Deal, bei dem meine Begleiter von der gegnerischen Bande brutal in die Falle gelockt und kaltblütig ermordet worden sind. Man wollte mir nur die Schuld in die Schuhe schieben.“, versuchte sich der Butler stammelnd zu verteidigen.

     

    „Herr Wohlfahrt, er war vier Jahre lang mit Ihnen in diesem Schloss und hätte Sie jederzeit überfallen oder umbringen können. Er steckt sicherlich nicht hinter diesem Überfall.“, beschwichtigte der schottische Polizist weiter.

     

    „Das mag sein. Vielleicht hat aber jemand seine Tarnung auffliegen lassen und ihn entdeckt und er möchte nun alle potentiellen Mitwisser umbringen.“, gab der Direktor zitternd vor Wut zurück und verpasste dem Butler ansatzlos eine schallende Ohrfeige.

     

    „Das ist doch Unsinn. Ihre Frau hat meine Tarnung doch schon längst aufgedeckt, dann hätte ich ja nur sie umbringen müssen.“, gab der Butler schluchzend zurück und sank zitternd in sich zusammen.

     

    „Glauben Sie ihm kein Wort!“ schrie Elaine Maria da Silva außer sich vor Wut.

     

    „Behalten Sie einen kühlen Kopf.“, warf Thomas hektisch ein.

     

    Der Schlossherr wandte sich abrupt um und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Unruhig ging er hin und her durch den Raum und stieg mit einem missbilligenden Schnauben über den verletzten Albaner hinweg. Für den schluchzenden und leidenden Butler hatte er keinen Blick mehr übrig. Schließlich hielt er inne und lachte böse.

     

    „In einem haben Sie recht, Herr Smith. Er hasst mich nicht genug, um mir all dies anzutun, er hat dazu nicht die Nerven. Meine Frau hat mir all diese Informationen nicht umsonst vorgehalten. Sie und dieser Lykström stecken dahinter! Mein Butler war nur ein Werkzeug in ihrem perfiden Plan“, behauptete er voller Überzeugung und reckte den Zeigefinger mahnend in die Luft. Thomas musste sich innerlich eingestehen, dass der Direktor mit dieser These gar nicht einmal so weit daneben lag, allerdings völlig in die falsche Richtung dachte. Seine Frau und Lykström wollten sich absetzen und ein neues Leben beginnen, aber gewiss keine Mordserie initiieren.

     

    „Herr Wohlfahrt, Sie sind verzweifelt. Das sind doch anhaltslose Beschuldigungen.“, versuchte Thomas ihn daher zu Recht zu weisen, doch der Direktor unterbrach ihn mit einer barschen Handbewegung.

     

    „Ihr könnt mir nichts mehr einreden. Ich weiß genau Bescheid. Nur meine Frau konnte überhaupt von diesem Geheimgang wissen.“, mutmaßte er und bückte sich plötzlich, um das Gewehr aufzunehmen, das sein Butler hatte fallen lassen. Drohend hielt er die Mündung der Waffe auf Thomas gerichtet, dem plötzlich wieder der Schweiß ausbrach. Glücklicherweise ließ der Schlossherr die Waffe wieder mit einem diabolischen Lächeln sinken.

     

    „Das ist die einzige funktionstüchtige Waffe in diesem Haus. Meine Sicherheitsvorkehrung sind zerstört, meine installierten Kameras nutzlos, aber waffenlos bin ich nicht. Ihr kriegt mich nicht!“, schrie er und stürmte energisch an den Anwesenden vorbei und aus dem kreisrunden Raum hinaus.

     

    Die zurückgebliebenen Personen starrten sich gegenseitig mit unterschiedlichen Emotionen an. Der Butler wirkte erschöpft, die Tränen rannen über seine Wangen und er ließ ängstlich seinen Blick schweifen. Fatmir Skola hatte sich vom ersten Schock erholt, beobachtete feindselig den Butler und begutachtete die Schusswunde in seinem Oberschenkel. Elaine Maria da Silva blickte den Butler stechend und vorwurfsvoll an. Thomas hatte seinen Kopf gesenkt und schüttelte nachdenklich den Kopf.

     

    Per Zufall entdeckte er in dem Vorratsregal einen alten Verbandskasten und öffnete diesen. Er fand darin glücklicherweise das nötige Werkzeug, um die Wunde des Albaners einigermaßen verarzten zu können. Der Direktor schien in diesem Unterschlupf an alles gedacht zu haben. Sogar Taschenlampen und eine provisorische aufbaufähige Toilette, die ihren Namen kaum verdiente, entdeckte der Schotte.

     

    Elaine Maria da Silva blickte den Butler weiterhin gehässig an und dieser hielt ihrem Blick nicht stand. Mit einem verächtlichen Schnauben machte die Brasilianerin kehrt und verließ den unterirdischen Raum, während Thomas sich um den Verletzten kümmerte, der mit einem Mal wieder komplett nüchtern geworden war und voller Wut steckte.

     

    „Butler, ich schwöre dir, dass ich mich dafür revanchieren werde. Du wirst vor mir noch erzittern!“, rief er ihm drohend zu.

     

    Der Butler wog seinen Körper apathisch hin und her und wirkte verlorener denn je.

     

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