• Unheilig - Lichter der Stadt (2012) (6,5/10)

    Genre: Gothic Rock / Electro Rock / Industrial Rock
    Label: Vertigo
    Spielzeit: 60:23
    Band homepage: -

    Tracklist:

    1. Das Licht (Intro)
    2. Herzwerk
    3. So wie Du warst
    4. Tage wie Gold
    5. Wie wir waren (feat. Andreas Bourani)
    6. Unsterblich
    7. Feuerland
    8. Lichter der Stadt
    9. Ein guter Weg
    10. Ein großes Leben
    11. Brenne auf
    12. Zeitreise (feat. Xavier Naidoo)
    13. Das Leben ist schön
    14. Eisenmann
    15. Vergessen
    16. Die Stadt

     

    Unheilig - Lichter der Stadt 

    Das Phänomen rund um UNHEILIG ist nicht ganz einfach zu erklären. Die Band rund um den geheimnisumwitterten Gutmenschen (und das ist nicht einmal negativ gemeint) und Frontmann namens „Der Graf“ kam aus der Schwarzen Szene empor und landete in den Deutschen Alternative Charts einige Achtungserfolge. Rasch spielte die Gruppierung auf allen wichtigen Festivals der Szene wie dem Amphi oder dem M’era Luna. Die musikalische Mischung der ersten Alben bestand aus deftigen Neue Deutsche Härte Anleihen, einem Schuss Electro Rock und einer ebenso großen Portion Dark Wave. Die lyrischen Themen waren oft sehr emotionaler und persönlicher Natur, manchmal ging es gar dezent gesellschaftskritisch oder gar philosophisch zu. Diese authentischen Texte verhalfen der Band schließlich zum endgültigen Durchbruch. Unheilig konnten mit der intensiven Ballade „An deiner Seite“ vom Album „Puppenspiel“, welche den Umgang mit dem Tod eines nahe stehenden Menschen thematisiert, schon einen Achtungserfolg verbuchen. Richtig erfolgreich wurde die Gruppierung dann aber nur zwei Jahre später mit der Fortsetzung dieses Liedes, nämlich dem lebensbejahenden „Geboren um zu leben“ vom Erfolgsalbum „Grosse Freiheit“ inklusive Schmachtrefrain und Kinderchor. Von da an kannte die Erfolgsgeschichte um den Grafen kein Ende mehr. Das Album hielt sich ganze 23 Wochen an der Spitze der Albumcharts und wurde somit in der Hinsicht zum erfolgreichsten deutschsprachigen Album aller Zeiten, indem es den Rekord von HERBERT GRÖNEMEYERS „Ö“ brach. Das einzige Album, das es noch länger an der Spitze der Albumcharts aushielt, war einst „We Can’t Dance“ von GENESIS. Plötzlich begannen sich auch die Printmedien für den Grafen und seine Gruppierung zu interessieren. Es folgten Auftritte im Fernsehen, beispielsweise auch in Form des Sieges beim Bundesvision Song Contest mit dem Stück „Unter deiner Flagge“. Der sympathische ehemalige Zeitsoldat und Hörgerätakustiker wurde zum medialen Star und legte trotz des Erfolgsdrucks rasch das hier vorliegende Album „Lichter der Stadt“ nach. Zwar kann das Album nicht ganz an den überragenden Erfolg des Vorgängers anknüpfen und verbrachte bislang nur 4 Wochen an der Spitze der Albencharts, aber dennoch verkauft es sich hervorragend und die Nachfrage an Konzerten reißt kaum ab.

    All diese sehr erfreulichen Tatsachen haben aber auch ihre Schattenseiten. Viele Anhänger der schwarzen Szene waren irritiert, als sie auf den Konzerten der Band nun vermehrt auf minderjährige Diskobesucherinnen oder berentete Anhänger des ZDF Fernsehgartens trafen. Da der Graf aber immer betonte, dass er wisse wo er herkomme und sich weiterhin der schwarzen Szene angehörig fühlte, riss seine Popularität in dieser als sehr tolerant bekannten Szene nicht ab. Doch dann folgten erste Risse im Gefüge. Das neue Album klingt massentauglicher und poppiger als je zuvor und gerade die Beteiligung des musizierenden Wanderpredigers XAVIER NAIDOO stieß bei vielen Fans auf Unverständnis. Der Graf konzentrierte sich mehr und mehr auf groß angelegte Hallentourneen, bei denen ihm zeitweise sogar die Vorbands absprangen, weil sie sich mit dem kommerziellen Rummel nicht identifizieren konnten. Dann folgte ein weiterer Vorfall, der vielen übel aufstieß und dieses Mal auch ganz zu Recht. Während am Kölner Tanzbrunnen das achte Amphi Festival vonstattenging, welches Unheilig einst groß gemacht hatte und selbst mit jedem Jahr an Popularität dazu gewinnt, bot der Graf in unmittelbarer Nähe in der Lanxess Arena ein Konkurrenzprogramm an, da er ausgerechnet an diesem Wochenende dort vor vielen Tausenden Menschen spielte. Es ist nicht so, dass man Unheilig die großen Tourneen nicht gönnen würde. Es ist auch kein Problem, dass die Band in diesem Jahr erneut bei den großen Festivals der Szene aussetzt. Hätten Unheilig an dem Tag in Hamburg, Berlin oder München gespielt – es wäre kein Wort darüber verloren worden. Aber die Präsenz des Grafen in Köln zu diesem Zeitpunkt stieß auf Unverständnis. Man würde nur zu gerne wissen, wie der so verständnisvolle und eigentlich auf dem Boden gebliebene Star dieses Malheur erklären würde. So etwas sollte ihm jedenfalls in Zukunft besser nicht mehr passieren, wenn es seinen guten Ruf in der Szene wahren möchte.

    Genug aber nun der kritischen Worte. Werfen wir einen Blick auf die Musik. Da stellt man schnell fest, dass die Scheibe im Grunde ganz genauso aufgebaut ist wie der direkte erfolgreiche Vorgänger „Grosse Freiheit“. Man hat zu Beginn und zum Abschluss eine kurze Einführung, beziehungsweise einen instrumentalen Ausklang und dazwischen vierzehn Stücke, bei denen inzwischen ruhige Pianoballaden und leicht elektronisch angehauchter moderner Schlager dominieren, aber hin und wieder auch ein paar fetzigere Lieder zu finden sind. Dabei findet sich sowohl sehr gutes, wie auch wirklich schlechtes Material.

    Die erste Single „So wie du warst“ führt im Grunde den Handlungsstrang von „An deiner Seite“ und „Geboren um zu leben“ weiter, erreicht aber nie die Magie der beiden emotionalen Vorgänger und klingt erschreckend kalkuliert und leer. „Tage wie Gold“ könnte rein textlich gesehen auch von DIE FLIPPERS kommen und behandelt wieder einmal das inzwischen textlich doch sehr ausgelutschte Thema des Genusses des Momentes. Die getragene Piano- und Streicherballade „Ein guter Weg“ schlägt in genau dieselbe Kerbe und wirkt einfach nicht mehr originell, auch wenn man weiß, dass der Graf das, was er da singt, auch genauso meint. Die Musik bleibt authentisch, lässt aber an Esprit, an Neuerungen und an Progression vermissen.

    Es kommen aber auch ein paar erstaunlich gelungene Nummern auf dem Album vor. Das sehr entspannte „Wie wir waren“ könnte auch von SCHILLER stammen und überzeugt mit dem erfrischenden Gastgesang des talentierten ANDREAS BOURANI. Das Lied hat sicherlich das größte Hitpotenzial auf dem gesamten Album. Zu meiner Überraschung ist sogar die Kollaboration mit XAVIER NAIDOO in Form von „Zeitreise“ recht gut gelungen und bringt ein wenig dringend nötige Abwechslung in etwas zu gesichertem Fahrwasser. Auch dieses Stück hat viel Seele und auch eine Menge Hitpotenzial. Ansonsten wirken auch die wenigen düsteren Lieder wie angenehme Auflockerungen, beispielsweise das atmosphärische „Feuerland“, das stampfende „Herzland“ inklusive kleiner elektronischer Spielereien oder das sehr eingängige, allerdings wieder einmal zu extrem an RAMMSTEIN angelegte „Eisenmann“, das den alten Fans dennoch gefallen dürfte und für mich gar zu den besten Liedern des Albums zählt.

    So retten einige starke Stücke und insbesondere zwei überraschend gelungene Kollaborationen ein Album, das ansonsten eine etwas blasse Kopie des Vorgängers bleibt. Der Graf und seine Gefährten gehen hier einfach zu sehr auf Nummer sicher und wenn die Gruppierung künstlerisch relevant bleiben möchte, dann sollte sie nun eine kurze Auszeit nehmen und versuchen sich für die nächste Veröffentlichung neu zu erfinden. Insgesamt ist das Album hier gar nicht mal schlecht und dürfte auch auf lange Sicht durchaus erfolgreich werden, aber UNHEILIG brauchen für die Zukunft definitiv frische Impulse.

    (Online 10. September 2012)

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