• 28. Alles potenzielle Mörder? (28/05/09)

    Alles potenzielle Mörder?

     

    Von Sebastian Kluth, 27.05.09, 15:19h

     

    Nach dem Amoklauf in Winnenden fallen die "Friday Night Games", die "Ballerspiel"-Meisterschaften in diesem Jahr aus. Ein Junge-Zeiten-Mitglied macht sich deshalb Gedanken über die Gefahren von Computerspielen.

     
    Computerspieler
     
    Die Fangemeinde der Ballerspiele ist groß. Es gibt sogar eine Deutsche Meisterschaft. BILD: ARCHIV
     
     

    Irgendwo auf unserem Planeten läuft ein junger Mensch Amok, bringt erst zahlreiche Menschen und dann feige sich selbst um. Und alle reagieren immer gleich: Man ist bestürzt, man kann es nicht nachvollziehen, redet von Veränderungen und engagierter Spurensuche - und nach wenigen Wochen ist das Thema wieder vom Tisch. Ändern tut sich herzlich wenig. Was mir aber auch Kopfschmerzen bereitet, ist die eindimensionale Betrachtungsweise vieler Pseudo-Experten.

    Man sucht nach einfachen Lösungen und schiebt die Probleme weniger auf konkrete Personen, sondern auf andere Dinge. Lieblingsziele sind meist die Musik, die den Amokläufer negativ beeinflusst haben soll, oder eben auch die so genannten „Ballerspiele“. Gerade mit dieser Bezeichnung zeigt sich schon, wie wenig Ahnung die Moralapostel haben. Sie reden meist von strategischen Egoshootern, vielleicht meinen sie aber auch gewisse Action- oder Spionagespiele? Egal, es wird alles in einen Topf geworfen.

    Die allermeisten Menschen reizt es einfach, bei solchen Spielen ganz bewusst die Realität außen vor zu lassen. Manchen geht es nur um einen Zeitvertreib, bei dem man neue Leute verschiedenster Länder im Internet kennen lernt, mit denen man kommunizieren muss, um Taktiken zu erarbeiten oder Fehler zu besprechen. Auch wenn man das Ganze allein spielt, kann man hierbei wunderbar die Sorgen des Alltags vergessen und erlebt eine Art Spielfilm, den man praktisch selbst gestalten kann, denn die erwähnten Spiele sind selten eindimensional, sondern lassen viele Gestaltungsmöglichkeiten zu.

    Damit meine ich nicht Schauplätze oder die verschiedenen Waffentypen, sondern die Vorgehensweise. Der erste Spielertyp agiert aus dem Hinterhalt und schaltet im Spiel nur die wichtigsten Gegner aus, der Zweite versucht, sich komplett ohne Blutvergießen durch des Gegners Reihen zu schleichen, um sich um anspruchsvolle Aufgaben zu kümmern, ein Weiterer wagt sich direkt ins offene Kreuzfeuer ohne Rücksicht auf Verluste. Es geht um weit mehr als nur zu „ballern“. Sobald das Spiel beendet ist, kehrt man aber schnell in die Realität zurück, genauso wie nach einer Buchlektüre oder einem Kinobesuch. Das „Räuber und Gendarm“ oder mit Zinnsoldaten spielen früherer Generationen hat heute eben mediale Vielfalt angenommen. Es würde wohl niemand auf die Idee kommen, einen Jugendlichen, der sich einen James-Bond-Film ansieht, das Brettspiel „Risiko“ mag und Horrorhefte à la „Geisterjäger John Sinclair“ liest, als potenziell schießwütigen, diktatorischen und perversen Amokläufer einzustufen. Denn dann dürfte man beispielsweise das Fach „Geschichte“ nicht mehr unterrichten mit all den Bildern und Berichten von brutalsten Schlachten, die sich tatsächlich abgespielt haben. Man dürfte den Kindern auch keine Märchen mehr vorlesen, sonst kämen sie noch auf die Idee, Äpfel zu vergiften oder Leute in Brennöfen zu werfen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die schlimmsten Beispiele für die Jugendlichen sind meist Erwachsene, die in Krieg und Terrorismus verwickelt sind und Amokläufe begehen, die medial meist ziemlich untergehen. Es ist eben heutzutage nur eine Randnotiz, wenn ein junger Iraker oder Palästinenser Dutzende von Menschen und sich selbst in die Luft sprengt oder ein afrikanischer Diktator sein Volk zu Tausenden niedermetzeln lässt. Wenn dann aber ein Schüler selbiges tut, dann interessiert es plötzlich jeden - aber nur für ein paar Wochen. Die Ursachen sind meiner Ansicht nach eher im sozialen Umfeld zu suchen. Viele Amokläufer sind sozial desintegriert, haben ein schlechtes Verhältnis zu Eltern und Lehrern, die ihre Probleme verkennen oder ignorieren. Auch unter Gleichaltrigen finden sie kaum Anschluss, werden verspottet und gehänselt oder finden nicht die dringend benötigte Freundschaft oder gefühlvolle Liebesbeziehung. So bleibt vielen dieser Täter meist nur noch die Flucht in andere Welten, über Musik oder Spielkonsolen, um ihren Frust wenigstens dort abzubauen.

    Würde es die „Ballerspiele“ nicht geben, hätten die gefährdeten Jugendlichen höchstens noch ein Ablassventil weniger - und würden noch früher und vor allem häufiger in der Realität zur Waffe greifen! Denn den Amokläufern geht es meist darum: Vergeltung üben, Denkzettel verpassen, Aufmerksamkeit bekommen - notfalls auch nur posthum. Dabei wird die Bezeichnung Amoklauf der Tat nicht einmal gerecht. Denn die ist oft lange im Voraus geplant, die meisten Opfer werden gezielt ausgesucht, die wenigen anderen Opfer geraten eher zufällig ins Schussfeld.

    Bevor sich Erwachsene also Gedanken darüber machen, Spiele oder Musik zu verbieten, sollten sie sich eher um die Kinder und Schüler als Individuen kümmern, um Probleme schon im Anfangsstadium herausfiltern zu können.

    « 18. Die allerletzte Chance (08/05/08)23. Auf Goethes Spuren (13/11/08) »
    Partager via Gmail Delicious Technorati Yahoo! Google Bookmarks Blogmarks