• Kapitel 56

     

    Kapitel 56: Freitag, 12 Uhr 01, Speisesaal


    „Ich bin überzeugt davon, dass dieser verdammte Butler dahinter steckt. Schaut nur mal in seine irren Augen, der Typ wirkt total apathisch und unzurechnungsfähig. Glaubt mir, wir müssen ihn loswerden, bevor es zu spät ist!“, skandierte Gwang-jo Park lauthals im Speisesaal.

    Der Koreaner hatte sich voller Arroganz auf einen der soliden Holztische gestellt und sah die restlichen Gäste um ihn versammelt. Er genoss das Gefühl der Aufmerksamkeit sichtlich und in seinen Augen glänzte eine fiebrige Gier.

    „Deine Anschuldigungen sind absolut haltlos, ich glaube dir kein Wort. Liefere uns einen handfesten Beweis für deine These, du Großmaul!“, platzte es schließlich aus Björn Ansgar Lykström heraus, der sich seit den gestrigen Ereignissen gewandelt hatte und die Gefahr erkannt hatte, die von den Hasstiraden des verbitterten Koreaners ausgingen.

    „Ist seine Identität nicht Beweis genug? Ist sein Verhalten kein Beweis dafür, dass er vollkommen geisteskrank ist?“, ereiferte sich der Koreaner weiter und fuchtelte aufgeregt mit seinen Händen in der Luft.

    „Manchmal frage ich mich, ob nicht du geisteskrank bist. Du versucht immer die Schuld auf andere Menschen zu schieben, am Ende steckst du noch selbst dahinter.“, gab der schwedische Lehrer knurrend zurück und sah wie sich das Gesicht des Beschuldigten dunkelrot verfärbte.

    Bevor die Situation weiter eskalieren konnte, war Mamadou in den Saal getreten, begleitet wurde er von einem grimmigen Direktor, der sofort einige barsche Worte für den Koreaner fand und seinen Druck und seine Angst nun an dieser streitbaren Persönlichkeit ausließ.

    „Was machst du da auf dem Tisch? Komm sofort herunter oder ich wende Gewalt an!“, drohte er dem Koreaner und trat energisch auf diesen zu, während die anderen Gäste ehrfurchtsvoll zurückwichen.

    „Sie haben mir doch gerade nicht etwa gedroht, oder?“, fragte der Koreaner lauernd ohne sich von seinem Platz zu rühren.

    „Du nichtsnutziger Bastard, wie redest du mit mir? Wenn du dir noch so eine Bemerkung leistest, dann werde ich dich unverzüglich in das dreckigste Loch meines Kellergewölbes sperren! Da kannst du deine feindliche Propaganda den Ratten mitteilen!“, gab der österreichische Direktor wutschnaubend zurück, ergriff plötzlich einen Holzschemel und reckte diesen drohend in die Luft.

    Der erregte Österreicher schlug damit nach dem Koreaner, der überrascht zur Seite auswich und ins Taumeln geriet.

    Im letzten Moment konnte der arbeitslose Politikwissenschaftler sich fangen, starrte den Schlossherrn erbost an und sprang plötzlich fast raubtierartig vom Tisch ab und genau auf den nun seinerseits überraschten Direktor zu. Wenige Zentimeter vor dem Direktor kam der Koreaner mit beiden Füßen auf, ging in die Knie und schnellte blitzschnell wieder in die Höhe, die Arme ausgebreitet, um einen üblen Würgegriff anzuwenden.

    In dem Moment schoss Mamadou dazwischen, stieß den Direktor zur Seite und verpasste dem sich noch in der Luft befindenden Koreaner einen derben Ellbogenstoß ins Rippengerüst. Der Koreaner brach noch im Flug ein, landete auf den Knien und stürzte sofort keuchend zur Seite, wobei er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die getroffene Stelle hielt. Tränen standen in seinen Augen, die den Ghanaer wütend anfunkelten und in denen eine unausgesprochene, aber für jeden klar erkenntliche Drohung lag. Der eitle Koreaner würde dies nicht auf sich sitzen lassen.

    In dem Moment trat auch Thomas Jason Smith in den Speisesaal, der die Situation mit einigen Sorgenfalten auf der Stirn schon analysiert hatte und es vorgezogen hatte nicht direkt einzugreifen, da sein Ansehen seit dem Verschwinden der Drogen noch weiter in der Gruppe gesunken war. Er atmete auf, als er feststellte, dass der Koreaner vorerst klein beigab und keinen weiteren Streit provozierte. Jedes kleine Machtspiel konnte in einer solch angespannten Situation zu einer grausamen Eskalation führen.

    Thomas warf einen Blick auf den Butler, der zusammengekauert in einer dunklen Ecke des Raumes saß und seinen Oberkörper langsam und monoton hin und herbewegte.

    Thomas aber war gekommen, um seine letzten Ideen möglichst schnell in die Tat umzusetzen. Er ging direkt auf den noch lauernd stehenden Mamadou zu, zog ihn ein wenig zur Seite und erläuterte ihm seine Ideen. Nach kurzer Überlegung winkten sie schließlich auch noch den mürrischen Schlossherrn hinzu, der dem Vorschlag mit einem grimmigen und ausdrucksstarken Nicken zustimmte.

    Thomas wandte sich langsam zu den Anwesenden, die wieder etwas stiller geworden waren und auf die nächsten Anweisungen warteten. Der Raum wirkte kalt und leblos, alle Personen waren wie erstarrt. Monoton prasselte der dichte Regen gegen die verwaschenen Glasscheiben. Die Sonne konnte sich trotz der Mittagszeit keinen Weg durch die undurchdringliche Wolkenbank bahnen, sodass die Insel in unheilvoller Düsternis lag. Ohne ihre Armbanduhren hätten die Gäste jegliches Zeitgefühl wohl bald verloren, zumal das fatale Szenario auf sie immer noch unwirklich wirkte, wie ein böser Traum.

    „Wir bitten jetzt jeden Einzelnen darum, dass er uns seine Zimmerschlüssel aushändigt. Mamadou und ich werden nun jedes einzelne Zimmer durchsuchen. Damit ihr uns nichts unterstellt, wird der Schlossherr in Begleitung einer weiteren Person jeweils unsere Zimmer durchsuchen.“, kündigte der schottische Polizist an.

    Ungläubiges Staunen machte sich im Speisesaal breit. Manche Anwesenden tuschelten empört miteinander oder sahen sich nur bedrückt an. Wie so oft war es der Koreaner, der sich als Erster gegen diese Entscheidung auflehnte.

    „Was soll das schon bringen? Wieso nehmt euch das Recht heraus in meinen Sachen herumzustöbern?“, fuhr er Thomas an, rappelte sich auf und trat wütend näher.

    „Du reagierst so gereizt. Hast du etwas zu verbergen?“, fragte der Schlossherr lauernd und hielt dem bösen Blick seines Gegenübers stand ohne mit der Wimper zu zucken.

    „Thomas hat recht. Jeder sollte darauf eingehen. Nach vier Morden gibt es keine Privatsphäre mehr, es geht hier nur noch um das nackte Überleben auf diesem Schloss.“, pflichtete Björn Ansgar Lykström seinem ehemaligen Schüler bei.

    „Was sucht er denn? Was erwartet er sich davon?“, warf Fatmir verwundert in den Raum.

    „Das will ich dir sagen. Der Mörder hat ständig irgendwelche Hilfsmittel benutzt, seien es der Sprengstoff bei der Schiffsexplosion, das unbekannte Gift bei den ersten beiden Anschlägen oder nun diese fünf eisernen Nägel. Zudem fehlen auch die Kleidungsstücke der Toten, sie sind vermutlich blutverschmiert und vielleicht hat der Täter darauf selbst irgendwelche Spuren hinterlassen. Zudem wird der heutige Angriff wohl nicht der letzte gewesen sein, so ungern ich dies auch sage. Irgendwo in diesem Schloss oder auf der Insel muss es ein Versteck für diese ganzen Waffen und Geräte geben. Wir fangen mit den Zimmern an und falls dies nichts fruchtet, werden wir das ganze Schloss auf den Kopf stellen.“, erklärte Thomas seinen ambitionierten, aber sehr umfangreichen Plan den skeptischen und nur geringfügig aufnahmefähigen Anwesenden, die im Gegensatz zu ihm nicht mehr wirklich weitsichtig wirkten. Die Gruppierung wirkte eher wie eine Horde in die Enge getriebener Tiere, die wild um sich schlugen. Thomas hatte in seiner Polizeiausbildung gelernt, dass eng zusammengepferchte Menschenmassen quasi nicht einmal den Intelligenzquotient eines Rindes hatten, wie sich sein Ausbildungsleiter immer ausgedrückt hatte, und panisch und rein instinktiv reagieren konnten. Allerdings hatten diese Beispiele eher für groß angelegte Demonstrationen oder Festivals gegolten.

    „Das kann ja Tage dauern. Bis dahin sind wir alle tot!“, warf nun Marilou panisch dazwischen. Zum ersten Mal seit geraumer Zeit merkte man ihr einen heftigen Gefühlsausbruch an, sie wirkte nervös und ihr Gesicht strahlte dennoch eine unsagbare Müdigkeit aus.

    In diesem Moment hörten die Anwesenden plötzlich eilende Schritte und von der Eingangshalle her stürzte Abdullah Gadua zu den Anwesenden. Er war völlig verschwitzt, sein Turban war verrutscht, sodass seine kurzen Haare darunter hervorschauten, doch er schien dies gar nicht wahrzunehmen. Keuchend drückte er seine Arme gegen die Oberschenkel und holte tief Luft. Seine Angetraute, Marilou Gauthier, trat langsam und irritiert zu ihm, legte ihm besorgt die Hand auf den Rücken.

    „Was ist denn los, Abdullah?“, fragte sie irritiert und ihre eigene Angst schien plötzlich verschwunden zu sein.

    Keuchend richtete ihr Mann sich auf und blickte erst die Frankokanadierin, dann den Rest der Gruppe aus großen Augen an. Entsetzt schüttelte er den Kopf und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.

    „Ich bin bestohlen worden. Zehntausend Pfund sind aus meinem Zimmer gestohlen worden!“

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