• Kapitel 94

     

    Kapitel 94: Samstag, 13 Uhr 53 Bibliothek

    Thomas sah mit großem Schrecken das grelle Mündungsfeuer und hielt sich instinktiv den Arm vor die Augen. So bekam er auch nur bruchstückhaft mit, wie sich die abartigen Ereignisse in diesen Augenblicken überschlugen.

    Mamadou Kharissimi fiel starr und rücklings nach hinten, während man aus dem Speisesaal ein lautes Klirren und Poltern hörte, danach einen lauten und pfeifenden Luftzug, bevor eine Explosion ertönte, welche für einen infernalischen Krach sorgte, der nach wenigen Sekunden zum Glück wieder abebbte. In diesen tumultartigen Lärm mischte sich zudem noch der Schrei des schwedischen Englischlehrers, der sich verkrampft auf dem Boden im Speisesaal verkauert hatte und sein Gesicht ängstlich mit beiden Armen bedeckt hielt.

    Thomas blieb wie erstarrt stehen und wartete ab, ob noch ein unvorhergesehen Ereignis folgen sollte, doch abgesehen vom prasselenden Regen, der nun durch eine zerbrochene Scheibe in den Speisesaal drang, und dem düsteren Grollen des grauen Himmels herrschte wieder eine fast unheimliche Stille.

    Der schottische Polizist wandte sich völlig verwundert zu Mamadou Kharissimi um, der am Boden lag und eine klaffende Wunde an seiner Stirn hatte, in die sich das Magazin seiner Pistole hineingebohrt hatte. Frisch quellte das Blut aus der Verletzung über die zuckenden Lider des Afrikaners hinweg.

    Mit einem Schrei der Verwunderung stürzte Thomas auf seinen Kollegen zu, kniete sich neben ihn und merkte, dass dieser noch ein Mal zu Kräften kam und mit seiner linken, blutverschmierten Hand energisch den Hemdkragen des aufgeregten Schotten ergriff. Blut quoll über seine Lippen, er röchelte angestrengt und versuchte noch ein Wort zu formulieren. Thomas hielt sein Ohr ganz dicht an die Lippen des Afrikaners, der dem Totenreich inzwischen näher stand als der Realität. Er konnte die gehauchten Silben mehr erahnen, als verstehen.

    „Schlüssel... er zeigt...“, hauchte Mamadou Kharissimi, bevor sein Griff lockerer und seine Augen immer glasiger wurden und der blutrote Lebenssaft auch in seine Pupillen floss, die nicht mehr reagierten und wie kalte Murmeln wirkten. Der Ghanaer war einen relativ schnellen, aber dennoch grausamen Tod gestorben.

    Thomas war zunächst völlig betäubt und unfähig irgendwie zu reagieren. Er fühlte keine Trauer, keine Angst, sondern eine viel bedrohlichere Leere und Nachdenklichkeit. Er wollte weinen, doch seinen Tränendrüsen schienen versiegt zu sein.

    Die Menschen um ihn herum hatten sich voller Ekel, Entsetzen oder peinlicher Scham abgewandt, doch standen sie immer noch in einer Art Halbkreis um den Tatort herum. Ein weiteres, grausames Attentat hatte direkt vor ihren Augen stattgefunden und niemand hatte es in irgendeiner Weise verhindern können.

    Thomas Jason Smith fühlte sich schrecklich allein, bis Elaine Maria da Silva nach einigen Minuten zu ihm trat und sanft über seine Schulter streichelte. Kniend gebückt verharrte Thomas in seiner Position und nahm die Nähe seiner Partnerin nur geringfügig war. So grausam es auch klang, er war in den letzten Tagen mit solch schrecklichen Morden konfrontiert worden, dass sich fast schon eine grausame Routine einstellte. Er überwand den ersten Schock, denn insgeheim war er auf eine solche Tat vorbereitet gewesen. Es traf ihn irgendwie, dass es seinen Kollegen erwischt hatte und er spürte mit einem Mal eine nie zuvor gekannte Angst, dass er als Nächstes folgen könnte. Bislang hatte er diese Angst immer irgendwie verdrängt, versucht, sich mehr als distanzierter Ermittler zu sehen, doch nun realisierte er zum ersten Mal, dass er selbst in der Spirale des Todes gefangen war und mehr denn je in Gefahr schwebte. Auch die Art des Todes seines Kollegens war ungemein dramatisch gewesen. So kurz vor der Lösung, so nah an der Aufklärung, war der frisch Verstorbene an seinem eigenen Handlungsdrang zugrunde gegangen. Welches kranke Hirn hätte so etwas vorhersehen können? Es konnte sich hier doch kaum mehr um einen Plan handeln! Hatte der Zufall das Ruder übernommen oder hatten sie es etwa doch mit einem schier übermächtigen Mörder zu tun?

    Der schottische Polizist versuchte diesen erdrückenden Gedanken hartnäckig abzuschütteln und sein Blick fiel auf die Waffe, die völlig zerstört neben dem Toten lag. Jemand hatte sie so präpariert, dass sie fast bis zur Unerkenntlichkeit zerstört worden war, lediglich der vordere Teil des Laufes und die Mündung waren noch intakt.

    Mit einem Mal stockte Thomas jedoch, denn seine wachen Augen hatten eine Ungereimtheit bemerkt. Er hatte im Verlauf der letzten Tage intensiv genug mit seinem Kollegen zusammengearbeitet, um beurteilen zu können, dass die Tatwaffe nicht die Pistole war, die der Polizist ständig benutzt hatte. Irgendwer musste die beiden Pistolen unbemerkt ausgetauscht haben. Wo aber konnte sich dann die richtige Pistole finden? Hatte der Mörder sie nun in ihrem Besitz und konnte jeden Einzelnen von ihnen problemlos und hinterrücks erschießen? Der Gedanke daran ließ Thomas vor Wut erzittern.

    Zögerlich nahm er die zerstörte Waffe in seine Hand und erblickte am äußersten Ende des Laufes eine Gravur, die scheinbar nachträglich und einigermaßen dilettantisch eingefügt worden war. Das Zeichen war nur schwer zu lesen und bezeichnete nach dem Wissensstand des Schotten auf keinen Fall eine geläufige Pistolenmarke. Die Gravur war ein wenig verkratzt, doch sie bezeichnete das Instrument eindeutig als „30Pi“.

    Thomas schloss daraus automatisch auf die mathematische Kreiszahl, deren Wert er sich ins Gedächtnis rief und mit der angegebenen Zahl multiplizierte. Wenn er nicht völlig falsch lag, so würde dieser Hinweis für den nächsten Anschlag bedeuten, dass dieser in etwa anderthalb Stunden stattfinden könnte, denn Thomas glaubte nicht daran, dass der Täter fast vier Tage bis zum nächsten Anschlag warten würde. Vielleicht war sein Gedankenspiel aber auch völlig abwegig. Aber dennoch stach diese eingravierte Bezeichnung viel zu penetrant hervor, als dass sie einfach nur ein unwichtiger Zufall hätte sein können.

    Nervös stellte Thomas fest, dass, die Zeitabstände zwischen den Morden, falls seine neue Theorie irgendwie stimmen sollte, scheinbar immer kürzer wurden. Viel Zeit zum Überlegen oder Taktieren gab es in jedem Fall nicht.

    In diesem Moment taumelte Björn Ansgar Lykström schweißüberströmt und zitternd zurück in die Bibliothek und krallte sich bleich an den Türrahmen, als er die grausig entstellte Leiche des Polizisten sehen musste. Mit einem würgenden Geräusch ging er in die Knie, konnte ein Erbrechen jedoch gerade noch einmal verhindern und krümmte sich stattdessen schwer atmend auf dem Boden. Thomas versetzte sich einfühlsam in die Lage des Schweden hinein, der möglicherweise nun sogar Schuldgefühle empfand, für das, was geschehen war.

    Thomas dachte jetzt wieder klarer und war in seiner eigenen Welt gefangen, die wie eine Oase wirkte, in der er alles um sich herum ausklammerte. Analytisch präzise rekapitulierte er, dass Björn Ansgar Lykström die Kuckucksuhr zum Schutz aller Beteiligten aus einem Fenster geschleudert hatte. Mamadou hatte vor dieser Aktion wohl Angst gehabt und mit einer heftigen und für allen Anwesenden tödlichen Detonation gerechnet, doch die Explosion der Kuckucksuhr, die wohl im Vorgarten stattgefunden haben musste, schien nicht gerade lebensbedrohlich gewesen zu sein. Die Kleidung des Schweden zeigte zwar einige kleine und graue Rußspuren, sowie auch den ein oder anderen kleinen Fensterglassplitter, der sich in seine Haut gebohrt zu haben schien, doch im Grunde war Lykström unverletzt geblieben. Vielleicht lag Thomas aber auch falsch und Mamadou hatte nicht nur aus Zufall auf den wegstürmenden Schweden gezielt.

    Einige Sachen leuchteten Thomas allerdings auch überhaupt nicht ein. Wieso hatte der Täter gleich zwei Fallen präpariert? Und woher hatte er so genau ahnen können, dass Mamadou durchdrehen und auf den Schweden schießen würde? Hatte Mamadou gedacht, dass die gefährliche Kuckucksuhr sie alle umbringen könnte? Und was hatte sein nun toter Kollege mit dem seltsamen Schlüssel gemeint?

    Eine harsche Stimme, mit der er in diesem Moment überhaupt nicht gerechnet hätte, unterbrach unwirsch die Gedankengänge des verstörten Polizisten und ließ ihn überrascht herumwirbeln. Erstaunt blickte er auf Gwang-jo, der unverändert gefesselt war, sich aber irgendwie von seiner Mundfessel hatte befreien können, die jetzt quer über seinem Kinn hing und aus der in langen Fäden Speichel auf seine Lederjacke tropfte.

    „Verdammt, bindet mich hier endlich los, ich kann mich ja noch nicht einmal in Sicherheit bringen, wenn neben mir die nächste Zündung hochgehen würde!“, rief der Koreaner und gab seiner Stimme einen aggressiven Tonfall, um zu kaschieren, dass ihm diese Bitte als Zeichen der Hilflosigkeit unerträglich peinlich war.

    „Um dich wäre es weiß Gott nicht schade.“, gab Abdullah Gadua barsch zurück.

    Bevor die Situation erneut eskalieren konnte, hatte Thomas bereits eingegriffen und versuchte den cholerischen Koreaner, der Abdullah wieder stumme, aber finstere Drohgebärde entgegenbrachte, rasch zu beschwichtigen.

    „Wer sagt uns denn, dass du nicht wieder Amok läufst oder irgendjemanden von uns in deinem Wahn um die Ecke bringen willst?“, fragte Thomas ihn herausfordernd.

    „Ich würde mich wohl nicht in unmittelbarer Nähe meiner eigenen Bombe fesseln lassen. Ich war an der gesamten Eskalation der Situation völlig unbeteiligt. Wer ernsthaft glaubt, dass ich dahinter stecke, der liegt völlig daneben.“, ereiferte sich der Koreaner mit einem gewissen Stolz und Thomas schenkte seinen Worten sogar Glauben.

    Seiner Meinung nach kam eine unkontrollierte Persönlichkeit wie der Koreaner für solche kalt ausgetüftelten Morde ohnehin nicht in Frage.

    „Das mag sein. Aber die letzten Male hast du dennoch versucht uns zu überlisten, uns zu fesseln und uns zu quälen. Wir haben dir mehr als eine Chance gegeben, aber niemand kann dir vertrauen.“, mischte sich nun auch Marilou Gauthier in das Gespräch ein.

    „An deiner Stelle wäre ich ganz still.“, gab der Koreaner kalt zurück und funkelte die Kanadierin düster an. Diese hielt seinem Blick jedoch stand und ein eisiges Lächeln trat in ihr hartes Gesicht.

    „Du kannst viel reden, Schlitzauge, aber du machst mir keine Angst. Ich bin dir überlegen und das solltest du wissen. Im Falle eines Zweifels könnte ich es dir auch ganz schnell demonstrieren.“, gab die Kanadierin erstaunlich brutal und beleidigend zurück. Mit einem verächtlichen Schnauben wandte sie sich von dem Gefesselten ab, dessen Gesicht sich rot vor Zorn verfärbt hatte und der große Mühe hatte zu schweigen.

    „So ungern ich es tue, aber ich kann seine Angst verstehen. Er mag ein mieser Mensch sein, ein absoluter Widerling, aber wenn wir ihn hier so gefesselt einer unsichtbaren Gefahr aussetzen, dann wären wir selbst keinen Deut besser als er selbst.“, hielt Elaine Maria da Silva, die jegliche sadistische Ader abgelegt zu haben schien, dagegen. Ihre mentale Wandlung war auch den anderen Anwesenden nicht entgangen.

    „Diese Worte hätte ich von dir als Letzte erwartet.“, kommentierte Marilou sarkastisch und blickte die Brasilianerin tiefgründig an.

    Die beiden Frauen schauten sich lange und intensiv an. Thomas hatte schon seine Schwierigkeiten den Wandel seiner Partnerin einigermaßen nachvollziehen, da er sich selbst nie einen solchen Einfluss auf die Persönlichkeit eines anderen Menschen zugetraut hätte. Das plötzliche, offensive Verhalten der sonst so verschwiegenen und verbitterten Kanadierin leuchtete ihm jedoch noch viel weniger ein. Die Unkalkulierbarkeit und Kälte machten diese Frau zu einem gefährlichen Mysterium, das wohl selbst ihr Mann Abdullah noch nicht vollständig aufgeklärt hatte. Thomas spürte den Drang hinter die Fassade dieser Person blicken zu wollen. Zunächst aber versuchte er wieder einmal eine hitzige Situation zu entschärfen. Er fühlte sich ein wenig im Stich gelassen, da er zu der Zeit wohl der Einzige war, der einigermaßen erwachsen und überlegt agierte. Er war von seiner eigenen Souveränität völlig überrascht. Niemals hätte er damit gerechnet, dass er in einer Gruppe mit solch verschiedenen Charakteren eine Art Führungspersönlichkeit darstellen könnte und noch weniger, dass man ihn auch noch größtenteils respektvoll gewähren ließ. Vielleicht lagen die Beweggründe der Anwesenden aber auch einfach nur in der Angst, die sie lähmte und die an Thomas nach der Zeit im Kloster zumindest ein wenig abzuperlen schien. Er schaffte es auf unerklärliche Weise seine düsteren Gedanken immer wieder hitzig zu verdrängen. Obwohl er sich alles Andere als ausgeglichen fühlte, so hatte er seine Identität auch in den letzten Tagen gewahrt und nicht so sehr verändert, wie gewisse andere Personen..

    „Elaine hat völlig recht. Ich denke nicht, dass wir das Recht haben, Gwang-jo hier hilflos gefesselt liegen zu lassen.“, wandte Thomas ein und dachte für den Bruchteil einer Sekunde daran, dass der Koreaner gewiss niemand war, der vor einer Gefahr direkt den Schwanz einzog. Viel emhr könnte er auf der Suche oder bei der Entlarvung des Täters sogar eine Art Jokerrolle spielen. Gleichzeitig fragte sich der junge Polizist aber auch, ob der so organisierte Täter vorausgesehen hatte, dass man Gwang-jo wieder befreien würde oder ob dieses Element überhaupt von Belang war.

    „Nun schön, da setzt sich falsche Solidarität mal wieder durch. Mir soll es egal sein, solange irgendjemand ein Auge auf den Kerl wirft. Am besten verpasst man ihm noch einen Maulkorb, reden muss er ja nicht gerade, um sich zu verteidigen.“, bemerkte Abdullah Gadua zynisch und gehässig und seine Frau blickte ihn plötzlich fast gierig und bewundernd an, was Abdullah sichtlich gut tat, nachdem in den letzten Tagen ja eine ziemliche Eiszeit zwischen den beiden geherrscht hatte.

    „Ich denke, dass unter uns schon eine Person weilt, die sadistisch genug für uns alle zusammen ist. Wir sollten uns nicht auch noch auf dieses Niveau begeben.“, gab Thomas trocken und überlegt zurück.

    Zähneknirschend blickte der Großteil der Anwesenden ihm hinterher, als er sich dem Kamin näherte, neben dem der gefesselte Korenaer hockte. Plötzlich sprang Thomas auf den von Lykström aufgestellten Stuhl und griff nach einem zweischneidigen, dünnen Schwert, was er aus seiner Halterung riss, die sich von der Wand löste und dumpf scheppernd zu Boden fiel. Unbeeindruckt wog der junge Schotte die Waffe prüfend in den Händen und nickte dann einigermaßen zufrieden.

    Behände sprang er in die Tiefe und bückte sich zu Gwang-jo herab, der ihn stumm und fast ängstlich ansah, als er das gigantische Schwert erblickte. Der Koreaner schloss krampfhaft seine Augen und erstarrte fast zu einer Salzsäule. Lediglich der übel riechende Schweiß tropfte ihm aus den Haaren und über das Gesicht zu Boden. Thomas spürte in sich fast eine quälende Genugtuung, als er den Widerling so hilflos vor sich sah und genoss diese letzten Momente auf fast sadistische Weise, bevor sich bei ihm wieder die Stimme der gerechten Vernunft meldete und ihn dazu aufforderte, seinen ursprünglichen Plan auch alsbald in die Tat umzusetzen.

    Mit zwei gezielten Hieben durchtrennte er die Stricke an Beinen und Armen und legte die Waffe auf einen Tisch zu seiner Seite. Er spürte die drückenden Blicke der restlichen Gäste in seinem Rücken, als er die verschwitzte Hand des Koreaners ergriff und diesem auf die Beine half. Gwang-jo wand sich aus dem Griff, schüttelte unwirsch den Kopf und wandte sich beschämt ab. Das Lästermaul war in den letzten Augenblicken ungewöhnlich ruhig geworden.

    Thomas wandte sich wieder den Gästen zu, als er mit einem Mal stockte. Benommen schüttelte er den Kopf, um sicher zu gehen, dass er sich das Fehlen der beiden Personen nicht einfach nur einbildete. Verständnislos blickten die restlichen Gäste ihn an, die wohl der Entfesslung des Koreaners so gebannt zugeschaut hatten, dass sie den Rest um sich herum quasi vergessen hatten.

    „Sagt mal, wohin sind denn der Koch und Marilou eben verschwunden?“, fragte er und bemerkte, wie alle Anwesenden sich wie auf Kommando umwandten, zusammenzuckten und verwundert umsahen.

    Mehr als ein hilfloses Achselzucken kam bei dieser Nachfrage jedoch nicht heraus, lediglich Abdullah Gadua schien in Panik zu verfallen, fuhr sich mit den Händen über seine blütenweiße Kopfbedeckung und sandte mit sich eifrig bewegenden Lippen ein Stoßgebet gen Himmel. Nervös kreiselte er herum und rief den Namen seiner Frau.

    Erneut waren die Gäste von der Verzweiflung des Mannes so fasziniert gewesen, dass sie völlig überrascht waren, als Marilou mit einem Mal wie ein düsterer Racheengel mitten im Durchgang zur Eingangshalle stand und sich langsam und elegant aus den Schatten des Ganges löste und auf die Gäste zutrat. Ihr dramatischer Auftritt wurde von der düsteren Schlossatmosphäre und dem Grollen des Himmels, der wohl mehr einem Pulverfass glich, noch unterstützt.

    „Ihr werdet kaum glauben, was ich gerade entdeckt habe.“, meinte die Kanadierin leise und heiser, bevor ihr besorgter Ehemann überhaupt eine Frage stellen konnte und gab mit einer herrischen Handbewegung zu verstehen, dass die Gäste ihr nun folgen sollten.

    Auf eine leicht arrogante und unterkühlte Weise wandte sie sich mit wehenden Haaren und aufrechtem Schritt ab und schritt zurück in die Eingangshalle. Thomas folgte der undurchschaubaren Frau mit einem fast resignierenden Schulterzucken.

    Die Aktion war wie ein Startschuss für die anderen Gäste, die in den letzten Augenblicken wie paralysiert oder hypnotisiert gewirkt hatten. Allesamt folgten sie der Frau, die sich in den letzten Stunden immer mehr in den Mittelpunkt gedrängt hatte.

    Als Thomas allerdings noch einmal einen kurzen Blick über die Schultern warf, bemerkte er verwundert, dass Björn Ansgar Lykström mit bleichem Gesicht und geschlossenen Augen schwer atmend auf einem weichen Sitzmöbel saß und heftig transpirierte. Er machte keinerlei Anstalten den übrigen Gästen zu folgen, obwohl sogar Gwang-jo hinter ihnen herhumpelte, wobei ihm diese Lage nach seinem griesgrämigen Gesichtsausdruck zu urteilen überhaupt nicht zuzusagen schien.

    Thomas dachte bei sich, dass der Schwede nach den letzten Ereignissen, in denen er ja auch im Mittelpunkt gestanden und nur knapp überlebt hatte, wohl ein wneig Ruhe brauchte.

    Bevor sich Thomas allerdings weitere Gedanken machen konnte, hatte er im Pulk bereits die Eingangshalle erreicht, wo er nach kurzer Verwirrung schon das nächste unheimliche Mahnmal der stilisierten Bedrohung erblickte. Ebenso wie die restlichen Anwesenden bekam er eine unangenehme Gänsehaut und musste schlucken, während Marilou in einem anklagenden Triumph auf den makabren Kunstgriff wies.

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