• 19. Scheinbar unwichtiger Unterricht (05/06/08)

    Scheinbar unwichtiger Unterricht

     

    Von Sebastian Kluth, 04.06.08, 16:54h

     

    Das Fach ist vom Aussterben bedroht, aber für die Schüler wichtig und lehrreich. Im Literaturkurs proben Gymnasiasten ein Theaterstück, das den Zwölftklässlern viel abverlangt.

     

     

     
    Theatertruppe des Werner-Heise
     
    Die Theatertruppe des Werner-Heisenberg-Gymnasiums führt das Stück „Romulus der Große“ auf. (Bild: privat)

     

    Leverkusen - Ein düster gekleideter Patrizier und ein Kaiser im Schlafrock stoßen mit blutrotem Wein auf die Gerechtigkeit an, als plötzlich ein Schmerzensschrei erklingt. Verschreckt kriecht der Innenminister unter dem Holztisch hervor. Der Kaiser hat ihm auf die Hand getreten und diese ist nun blutverschmiert. Nach und nach geben düstere Gestalten ihre Verstecke preis und kreisen den Kaiser ein. Sie haben Dolche gezückt, die Situation scheint ausweglos. Plötzlich ertönt es in höchster Angst: „Die Germanen kommen!“ Panisch ergreifen die Verschwörer die Flucht. Kaiser Romulus bleibt fassungslos sitzen.

    „Halt! Den letzten Teil machen wir noch einmal! Romulus, nicht den Rücken zum Publikum drehen! Innenminister, Du darfst nicht lachen, nicht einmal grinsen! Ein jeder muss auf Romulus' Rede reagieren, egal ob er Text hat oder nicht! Der Patrizier lauter und deutlicher, bitte!“

    Entnervt kehren die Akteure an ihren Platz zurück. Unruhe macht sich breit. Der Innenminister hat vom minutenlangem Verharren unter dem Tisch Rückenschmerzen. Der Kaiser von Ostrom schwitzt sich unter seinen Gewändern zu Tode und hat im heillosen Durcheinander seinen Haarreif verloren. Es ist Dienstag, gegen 17.40 Uhr. 20 Minuten vor Unterrichtsschluss und noch etwa drei Wochen bis zur Aufführung. Die Szene sitzt immer noch nicht richtig. Wir befinden uns im Literaturkurs von Claudia Hierholzer, wir sind Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 12 des Werner-Heisenberg-Gymnasiums und arbeiten am letzten Schliff für die Premiere des Dramas „Romulus der Große“, einer „ungeschichtlichen historischen Komödie“ von Friedrich Dürrenmatt. Es scheinen noch so viele Dinge schief zu laufen. Dem Innenminister und dem Kaiser fehlen passende Kostüme, die Stimmen aus dem Off sind noch nicht aufgezeichnet, die Lichttechnik wurde noch nicht arrangiert, große Teile der Bühnenrequisiten fehlen und die Zeit läuft erbarmungslos gegen uns.

    Hochmotiviert

    Trotz des späten Unterrichts und der zermürbenden Feinarbeit sind alle bis unter die Haarwurzeln motiviert. Als wir Anfang des Schuljahres den Theaterkurs (offizielle Bezeichnung: Literaturkurs) als Unterrichtsfach aus dem musischen Bereich wählten, wussten viele nicht, was sie genau erwarten würde. Seitdem gab es Proben am Wochenende, Kurstreffen in Köln und es wurden die letzten verstaubten Kisten voller Spinnweben aus den dunklen Archiven des Schulkellers befreit. Die Anzahl bestellter Pizzen, absonderlicher Versprecher oder verpasster Auftritte wurde irgendwann nicht mehr mitgezählt.

    Dieser Kurs lässt sich nicht mit den anderen Pflichtfächern der Oberstufe vergleichen. Hier arbeitet nicht jeder für sich, denn es funktioniert nur im Kollektiv. Wir mussten lernen, uns selbst zu kritisieren, aber auch die Mitschüler zu beurteilen und zu motivieren. Wir mussten lernen, unsere eigenen Vorlieben und Selbstinszenierungen zurückzuschrauben, damit das Stück für uns alle funktioniert. Wir bekamen nicht beigebracht, was wir zu tun hatten, sondern mussten Kostüme, Bühnenbilder und Requisiten selbst gestalten, Verhaltensweisen entwickeln, überprüfen und gegebenenfalls wieder verwerfen. Im Gegensatz zu Fächern wie Deutsch oder Philosophie mussten wir einen gänzlich anderen Umgang mit Literatur erlernen. Wir brauchten die Figuren des Stücks nicht zu charakterisieren, sondern versuchten, den Charakteren über Nachdenken, Diskussionen und Spiel so nah wie möglich zu kommen, sie und ihr Handeln verstehen zu wollen, um irgendwann eins mit ihnen zu werden. Etwas von ihnen steckt auch in uns. Wir mussten Zeitpläne aufstellen, Ideen entwickeln, finanzielle Ausgaben berücksichtigen und Werbung für unsere Aufführungen machen.

    Aber dieses vielseitige Fach ist mehr bedroht denn je. Die G8-Reform (Gymnasiale Schullaufbahn mit dem Abitur nach acht Jahren) sieht nach der Verkürzung der Schulzeit auf insgesamt zwölf Jahre vermutlich auch Kürzungen in solchen Fächer vor, die scheinbar weniger wichtig sind als Naturwissenschaften oder Fremdsprachen - in Fächern wie Musik und Kunst oder eben Theater. Mit diesen irrtümlichen Ansichten muss aufgeräumt werden.

    Solche Fächer sind keinesfalls entspannender Unterricht, in dem man schnell eine gute Note bekommt, kaum Hausaufgaben machen muss und nichts „Wesentliches“ lernt. Im Gegenteil, denn der Literaturkurs fördert und fordert nicht nur die gegenseitige Unterstützung in einer Gruppe und eröffnet nicht nur eine neue Sichtweise auf die Literatur, sondern trägt viel mehr zur Entwicklung und Erziehung junger Menschen bei: Andere Verhaltensweisen müssen kritisch betrachtet, aber auch akzeptiert werden, man muss lernen, sich in eine Gruppe zu integrieren und nicht nur für sich selbst zu kämpfen, sondern für alle.

    Auch an Dingen wie der Selbsteinschätzung, dem Umgang mit Druck und Kritik, der Beziehung zu Zeit, Kunst und Geld wird enorm gearbeitet. Deshalb kann ich nur dafür plädieren, dass man diesem Fach in Zukunft eher mehr Beachtung und Wertschätzung einräumt, anstatt es möglicherweise ganz fallen zu lassen.

    Übrigens: Wer neugierig geworden ist, ist herzlich eingeladen, sich heute oder morgen, 5./6. Juni, jeweils um 18.30 Uhr in der Aula des Werner-Heisenberg-Gymnasium unsere Aufführung "Romulus der Große" anzuschauen.

     

     

     

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