• Kapitel 103

     

    Kapitel 103: Samstag, 18 Uhr 40 Eingangshalle

     

    Nach diesen sich überstürzenden Ereignissen hatten alle Anwesenden sich zunächst eine kleine Auszeit genommen und waren nahe dem Eingangsportal zur Ruhe gekommen. Björn Ansgar Lykström stand völlig regungslos im Regen unterhalb der äußeren Treppe und kicherte nur hin und wieder heiser. Abdullah Gadua hatte seinen Arm um die Schultern seiner Gattin gelegt und stand mit ihr nachdenklich im Türrahmen. Elaine Maria da Silva hatte jedoch innerhalb des Schlosses Platz genommen und sich auf die unterste Stufe des Aufgangs zu den Zimmerfluren gesetzt. Sie knetete nervös ihre Schläfen, fixierte ihre Fußspitzen und blickte sich mehrmals fröstelnd in der Halle um. Thomas wirkte von allen Anwesenden jedoch am unruhigsten, denn er lief ständig hin und her und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Da er niemandem mehr trauen konnte und all seine Hoffnungen auf eine Aufklärung erneut jäh zerstört worden waren, sprach er gedankenverloren zu sich selbst und schaffte es so immerhin auch die hämischen Stimmen aus seinem Kopf zu vertreiben.

    „Ein Toter am ersten Tag, zwei Tote am zweiten Tag, drei Tote am dritten Tag und vier Opfer am heutigen Tag. Immerhin bleibt mir jetzt ein wenig Zeit. Das ist meine letzte Chance, ich bin in den letzten Stunden ja kaum mehr zum Überlegen gekommen. Wann könnte es den Nächsten treffen? Wo könnte am Tatort ein Indiz gewesen sein? Vielleicht die Anzahl der Zigaretten, die sich noch in der Packung des Koreaners befanden? Aber das kann nicht sein, die Schachtel war praktisch noch voll und der Täter würde bis zum nächsten Mord nicht erst bis morgen Nachmittag warten. Die restlichen Überlebenden müssen im besten Fall tot sein, bevor die Polizei hier ankommt. So gesehen wird es den nächsten Anschlag in den frühen Morgenstunden geben. Wer einschläft, der hat vielleicht schon verloren. Wir müssen uns wach halten, um jeden Preis. Verdammt, wann könnte der Täter erneut zuschlagen? Obwohl, Moment mal, da war doch noch etwas bei Gwang-jo. Genau, diese Zigarettenpackung, die Marke war mit der Zahl Fünf beschriftet. Fünf Uhr morgens. Der nächste Anschlag wird um fünf Uhr morgens erfolgen. Jedenfalls wäre das eine realistische Option. Bis dahin ist noch viel Zeit, über zehn Stunden, da kann viel passieren. Die Zeit muss genutzt werden, sofort.“, murmelte Thomas und war zuletzt immer lauter und hektischer geworden, sodass nicht nur Elaine ihm bedrückt zugeblickt, sondern auch Marilou und Abdullah ihm interessiert zugehört hatten.

    „Wir sollten den Toten zunächst einmal in den Keller bringen, wir können ihn nicht einfach draußen liegen lassen.“, bemerkte Abdullah, der sein letztes Gefühl von Moral noch nicht völlig verloren hatte.

    „Der Kerl ist das doch wirklich nicht wert.“, bemerkte seine Frau hingegen abfällig und gehässig und trat demonstrativ von ihrem Mann weg, der ihr hilflos hinterher blickte.

    „Er hat recht. Das sind wir dem Toten schuldig.“, sprach Elaine Maria da Silva dazwischen und stand demonstrativ auf und ging raschen Schrittes auf das offenstehende Portal zu, durch welches geräuschvoll der Wind ins Innere des Schlosses blies.

    Plötzlich stockte die Brasilianerin jedoch in ihrem Schritt und wandte sich wie vom Blitz gerührt um. Stammelnd rieb sie sich die Augen und blickte erneut nach draußen. Thomas hatte bereits eine düstere Vorahnung und eilte rasch zu seiner Geliebten. Symbolisch schützend legte er seine Hand auf ihre Schulter und blickte an ihr vorbei in de verregneten Vorgarten, der völlig leer vor ihnen lag. Die Leiche war verschwunden.

    „Mein Gott, das kann doch nur Lykström gewesen sein.“, schlussfolgerte Elaine Maria da Silva überrascht.

    „Weit kann er jedenfalls noch nicht sein.“, bemerkte Thomas in einer Mischung aus Zorn und Ernüchterung und drückte sich geschmeidig an den Anwesenden vorbei nach draußen.

    Rasch blickte Thomas sich um, entschied sich dann für die linke Seite, als er dort eine Art Schleifspur sah. Er setzte zum kurzen Sprint an, rutschte auf der nassen Wiese weg, fiel auf die Seite, rappelte sich grimmig stöhnend auf und lief geduckt bis zur Ecke der Schlossfront. Schwer atmend taumelte er um die Ecke und sah durch den wieder dichter werdenden Regenschauer eine verschwommene Gestalt, die einen Körper auf ihren Rücken gehievt hatte und unbeholfen, aber erstaunlich schnell in Richtung des Waldes verschwand. 

    Thomas musste sich rasch entscheiden. Es war weniger die Leiche, die ihm in diesem Moment für eventuelle Untersuchungen wichtig war, sondern der verwirrte Schwede, der in seinem Wahn womöglich sich und auch seiner Umwelt enormen Schaden zufügen konnte. Zudem vermutete Thomas auch, dass Lykström den Tod des Koreaners selbst gesehen hatte und vielleicht sogar trotz seiner Verwirrungen ein entscheidendes Detail nennen konnte. Vielleicht würde der Schwede, der auf Grund seiner geistigen Verwirrung vom Täter möglicherweise nicht mehr als Gefahr angesehen wurde, sogar den Übeltäter identifizieren oder für einen Plan von Thomas sogar einen idealen Lockvogel spielen.

    All diese Ideen schossen ihm durch den Kopf, als der religiöse Polizist sich kurz vornüber beugte, tief durchatmete, den Regenschleier aus den Augen wischte und dann hinter dem wankenden Schweden herspurtete.

    Dieses Mal hatte der Schotte sich besser an den glitschigen Boden gewöhnt und gewann rasch an Geschwindigkeit und Sicherheit. Er passierte das zerbrochene Fenster der Bibliothek, wo er auch die verkohlten Überreste der präparierten Uhr bemerkte, die er rasch übersprang oder umkurvte. Bald darauf kam er auch am durchnässten und erbärmlich anzusehenden Leichnam des gemeinen Wolfes vorbei, den er bewusst in einem weiten Bogen umging. Thomas musste immer noch an seinen kurzen emotionalen Ausbruch denken und war auch ein wenig abergläubig. Das Tier sah mehr so aus, als würde es nur schlafen und sich im nächsten Moment auf den Schotten stürzen wollen. Thomas spürte einen eisigen Schauer in seinem Rücken und ein kurzes Zittern in seinen Beinen. Für einen Moment geriet er aus der Fassung und hatte beim Anblick der dunklen und toten Augen der Bestie panische Angst. Er beschleunigte seine Schritte, fixierte den grausigen Leichnam, achtete nicht mehr auf den Weg und sah viel zu spät das Gitter des Vogelkäfigs vor sich auftauchen.

    Thomas bremste seinen Lauf noch instinktiv ab, rutschte dabei weg und fiel seitlich nach vorne, wo er mit seiner Stirn genau gegen die Eckkante des Käfigs knallte. Er hörte das verschreckte Kreischen der Tiere, sah einen roten Schleier vor seinem Gesicht und spürte, wie etwas Heißes über seine Stirn rann und ihn kurz darauf blendete. Die Welt schien sich vor seinen Augen zu drehen, auch dann noch, als er in das nasse Gras sank. Unheimliche und undefinierbare Geräusche umgaben ihn, er sah wie in einem Fieberwahn, wie sich die tote Gestalt des Wolfes erhob und mit grausamer Langsamkeit auf ihn zuwankte. Er sah den Geifer, die hässlich gebleckten Zähne, die animalischen und kalten Augen, er sah eine fast unendliche Menge von Blut, das von allen Seiten auf ihn zuzuströmen schien.

    Thomas schrie gepeinigt auf, er bekam keine Luft mehr und hatte den Eindruck in dem dunkelroten Ozean voller Blut zu ertrinken, während die Bluttropfen überall wie Nadelstiche auf ihn einprasselten. Die Gestalt des Wolfes war mit einem Mal verschwunden und danach verschwand auch der Rest seiner abstrusen Phantasiewelt völlig abrupt.

    Thomas versank in einer tiefen Schwärze ohne Gefühle und ohne Klarheit. Doch dies sollte nicht das Ende sein! Der Schotte schöpfte neue Kräfte, faltete die Hände verkrampft zum Gebet und hauchte ehrfürchtige, sinnlos gestammelte Wörter über seine Lippen. Er kämpfte nicht nur gegen die äußeren Umstände, sondern viel mehr gegen sich selbst und das verworrene Zwiegespräch mit Gott gab ihm neue Kraft und ließ ihn plötzlich ein blendendes und doch warmes Licht am Ende der rotschwarzen Düsternis der Bewusstlosigkeit aufflammen sehen. Seine inbrünstigen Gebete schienen erhört worden zu sein.

    Der schottische Polizist kämpfte sich zurück, spürte seinen langsamen und überlauten Herzschlag, die rasende Hitze in seinem Kopf, der zu zerplatzen drohte, das übelkeitserregende Schwindelgefühl. Er öffnete die Augen, sah einen roten Schleier, sah eine dunkle Gestalt auf ihn zulaufen, das Bild drehte sich, Thomas Magen drehte sich mit.

    In dem Moment, als der Schotte sich in die nasse Wiese erbrach, war die Benommenheit mit einem Mal vorbei. Der Schwindel war verflogen und hatte einem elenden Gefühl Platz gemacht, doch die Realität hatte ihn wieder. Er erkannte unter tränenden Augen, dass Abdullah auf ihn zugestürzt kam, der fragend und hektisch in Richtung des Waldes blickte, wo Lykström mit dem toten Koreaner verschwunden war. Abdullah fluchte laut, bevor er sich dem Verletzten zuwandte.

    „Du hast eine ganz schön große Platzwunde an deiner Stirn.“, bemerkte Abdullah fast schon lapidar und Thomas musste stöhnend lächeln, obwohl er genau das Gegenteil ausdrücken wollte.

    Der schwächelnde Schotte wollte noch irgendetwas erwähnen, als Abdullah kurzen Prozess mit ihm machte, seinen linken Arm ergriff, ihm unter die Schultern packte und den benommenen Schotten grob in die Höhe hievte und dann quer halb über sein breites Kreuz legte.

    Rasch und rücksichtslos setzte Abdullah sich in Bewegung, während diese Kraftanstrengung für Thomas zu viel gewesen war. Ihm wurde erst schwarz vor Augen, bevor die Übelkeit ihn erneut vor der Bewusstlosigkeit rettete und er sich geräuschvoll über sich selbst und die Schultern seines rauen Helfers erbrach, der überrascht fluchte, sich hektisch bewegte, dann aber grimmig weiterging und seinen Schritt sogar noch beschleunigte.

    Der schottische Polizist hielt seine Hände verkrampft gefaltet und wollte ein Wort der Entschuldigung zwischen seiner spröden Lippen hervorpressen, doch er brachte nur ein heiseres Krächzen zustande, das in dem Lärm des prasselnden Regens völlig unterging.

    Thomas schloss die Augen und kämpfte gegen eine weitere Welle der Übelkeit an. Sein Magen zog sich krampfartig zusammen, Thomas unterdrückte einige würgende Geräusche, atmete keuchend und schloss verbissen die Augen, Er gewöhnte sich an die monotone, wenn auch harte Schrittfolge seines Helfers und hatte sich bald wieder besser unter Kontrolle. Mit viel Konzentration gewann er den Kampf gegen die Übelkeit und sein Magen beruhigte sich knurrend und plätschernd.

    Als Thomas tief und gierig atmend wieder die Augen öffnete, sah er unmittelbar vor sich das Eingangsportal. Er bekam es sofort mit der Angst zu tun und versteifte sich schützend, als Abdullah rasch und wild gestikulierend die Stufen in Angriff nahm, deren Besteigung noch eine letzte harte Probe für Thomas war. Er sandte ein Stoßgebet gen Himmel, spannte sämtliche Muskeln an und atmete erleichtert auf, als Abdullah mit ihm durch das Eingangsportal trat, das selbiger mürrisch hinter sich zuschlug und den bereits ungeduldigen Thomas auf ein altes Sofa nahe einer Rüstung an der linken Seite des Eingangsportals bettete. Die beiden gläubigen Männer hatten es gemeinsam geschafft der meteorologischen Hölle zu entfliehen. 

    Der gepeinigte Ermittler wider Willen atmete auf, als er endlich ruhig lag, schloss die Augen und versuchte seinen Puls und seinen Magen wieder zu beruhigen. Er nahm den Geruch von Erbrochenem, Schweiß und nassem Laub war, was einer raschen Genesung nicht gerade zuträglich war. Er schaffte es diese Störfaktoren auszublenden und hatte sich bald wieder unter Kontrolle. Erneut war er für seine Zeit im Kloster wieder sehr dankbar, denn ohne die erlernte ruhige Kontrolle über Körper, Geist und Seele wäre er längst schon physisch und psychisch zerbrochen und wäre vermutlich in einem ähnlichen Zustand wie Björn Ansgar Lykström, der jetzt inzwischen wohl völlig verstört mit einem Toten im Dickicht kauerte. Auch wenn Thomas gewissen Dingen, wie der Schönheit der Frauen, nie ganz entsagen konnte, so sehnte er sich in diesen Momenten nach den schützenden Mauern des altertümlichen Klosters und schwor sich, dass er für einige Zeit dorthin zurückkehren wollte, wenn er den ganzen Schrecken überleben sollte und Gott ihm gnädig gesonnen war. Thomas konnte sich nach einiger Zeit wieder weitestgehend entspannen.

    Insofern bewunderte der Schotte durchaus die anderen Anwesenden dafür, dass sie alle noch einigermaßen normal waren. Natürlich hatte sich jeder auf seine Weise verändert im Laufe der letzten Tage, aber sie waren noch alle am Leben und hatten sich nicht völlig gegenseitig zerfleischt, was auch die unerwartet solidarische Aktion von Abdullah wieder bewiesen hatte. Dies fand Thomas umso erstaunlicher, als er daran dachte, dass der Mann ihn bei dem Kampf auf dem Springbrunnen fast noch hatte eigenhändig umbringen wollen. Scheinbar war der Mann nicht allzu schmerzempfindlich und nachtragend und diese Tat gab Thomas neue Hoffnung und schenkte ihm gar neues Vertrauen. Irgendwie spürte er, dass solch eine Person ihm nicht wirklich böse gesonnen sein konnte. Folglich blieben als potenzielle Täterinnen nur noch die beiden schwer durchschaubaren Damen übrig, denn den verwirrten Schweden schloss Thomas auch sogleich aus. Thomas spürte, dass seine Gedankengänge wieder klar und logisch waren und war fast schon nervös erregt, als er merkte, dass er für sch selbst gerade ein wichtiges Gedankenexperiment durchführte und geradezu ungewollt der Entlarvung des Täters sehr nahe kam.

    Marilou schien mit der hilfreichen Tat ihres Gatten jedoch weniger einverstanden zu sein, denn ihre Worte waren die ersten, die Thomas wieder bewusst und deutlich wahrnahm und die ihn auch wieder aus dem Konzept brachten und verhinderten, dass er gedanklich zu einem klaren Ergebnis im Bezug auf die Täterfrage kam. Er spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn, als er atemlos und auf unheimliche Art und Weise fast zwanghaft der energisch sprechenden Kanadierin lauschte.

    „Warum hast du das bloß getan? Dieser Wahnsinnige hätte dich umbringen können! Ich sagte doch, dass wir ihn mit dieser wertlosen Leiche laufen lassen können. Hätte man auf mich gehört, wäre das jetzt nicht passiert.“, bemerkte sie kritisch und Thomas spürte geradezu, wie Marilou ihn fixierte und stellte sich vor, wie sie anklagend mit dem Zeigefinger auf ihn wies.

    „Du könntest dir von seinem Anstand und seiner Solidarität eine Scheibe abschneiden.“, stichelte Elaine Maria da Silva wieder und Thomas fragte sich inständig, wann und vor allem wie dieses psychische und erniedrigende Duell zwischen den beiden Damen enden würde.

    „Wir sollten möglichst alle potenziellen Ein- und Ausgänge verriegeln, um vor diesem Psychopathen sicher zu sein.“, bemerkte Abdullah entschlossen, der wohl den verrückt gewordenen Schweden für den Täter hielt.

    „Um Gottes Willen, dann bin hier im Schloss ich ja nur noch mit Psychopathen eingesperrt.“, gab Marilou theatralisch gespielt zurück.

    „Schizophrenie ist aber auch eine gefährliche Sache.“, warf Elaine Maria da Silva spöttisch in die Runde, doch bevor ihr Seitenhieb verstanden wurde und auf fruchtbaren Boden fiel, dachte sie bereits einen Schritt weiter und nahm ihrer Gehässigkeit somit auch nicht ganz unbewusst ihre Kraft, da sie plötzlich fürchtete zu weit gegangen zu sein und auch ihr neuer Partner sie in einem möglichen Konflikt derzeit nicht mehr schützen konnte.

    „Das Versperren der Eingänge ist im Übrigen praktisch nicht möglich, allein das zerbrochene Fenster im Speisesaal spricht dagegen.“, warf Elaine Maria da Silva rasch ein.

    „Dann müssen wir uns dort positionieren und wieder Wachen aufteilen.“, gab Abdullah grimmig zurück und wollte seinen Einfall nicht revidieren oder gar aufgeben.

    „Dann bräuchten wir aber auch eine Absicherung für die Kellerräume, von dort aus könnte er auch eindringen. Das wäre aber fatal, da wir uns dann ja wieder trennen müssten und der Täter völlig freien Spielraum hätte.“, teilte die clevere Brasilianerin ihre weiteren Gedanken und Schlussfolgerungen mit.

    „Wir können doch jetzt nicht aufgeben und tatenlos herumsitzen oder nur sinnlos diskutieren.“, bemerkte Abdullah völlig ernüchtert und musste den Argumenten der Brasilianerin nun doch Tribut zollen.

    „Ganz richtig. Wir sollten deshalb das tun, was bereits vorgeschlagen wurde. Wir nehmen die Zimmer von Mamadou und Gwang-jo jetzt unter die Lupe. Wenn wir dabei gemeinsam vorgehen, dann kann uns Lykström auch nicht überraschen.“, schlug Elaine Maria da Silva mit leicht ironischem Unterton vor und Thomas konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er feststellte, dass sich die schöne Brasilianerin wieder von ihrer entschlossenen, wilden und schlauen Seite zeigte.

    Der Kommentar gab ihm neue Kraft und er öffnete langsam seine Augen. Er fühlte sich noch etwas benommen, aber schlecht war ihm nicht mehr.

    „Gebt mir noch fünf Minuten. Ich möchte kurz auf mein Zimmer, um mich zu waschen und einen Schluck zu trinken. Ohne mich geht hier nichts! Wir müssen zusammenbleiben und danach können wir direkt zur Tat schreiten.“, forderte Thomas den Rest der Gruppe auf und war wieder bei vollem Bewusstsein.

    „Schaut euch den Kotzbrocken an! Gerade eben noch den sterbenden Schwan markiert und jetzt schwingt er wieder die großen Reden.“, bemerkte Marilou höhnisch und lachte dabei meckernd.

    Thomas trafen diese Worte, da er sich eingestehen musste, dass die Kanadierin nicht unrecht hatte und er vielleicht wirklich überheblich wirken musste. Der Schotte war eigentlich ein recht selbstkritischer Mensch geworden, doch manchmal tat er immer noch Dinge, die ihm selbst ein Rätsel waren. Sein Selbstbewusstsein hatte plötzlich einen leichten Knacks erlitten. Doch er wollte sich gerade gegenüber der fiesen Kanadierin keinerlei Fehler eingestehen und tat so, als hätte er den Einwand einfach überhört.

    Nicht ohne Stolz versuchte er sich seinen kurz auflodernden Hass, gepaart mit eigener Betroffenheit und seine leichte Übelkeit nicht anmerken zu lassen, als er ein wenig wacklig an den anderen Anwesenden vorbeistakste und sich schwer atmend am Treppengeländer festhielt, an welchem er sich in die Höhe drückte, um der bedrückenden Gefangenheit der Kleingruppe für eine kurze Weile zu entkommen und in seinem Zimmer, das für ihn jetzt wie eine Oase in der Wüste der stechenden Blicke in seinem Rücken und den Weiten der tristen Depressionen wirkte, allein zu sein und zur Besinnung zu kommen.

    Die Zeit, die er brauchte, um endlich den Zimmerflur zu erreichen, kam ihm unsagbar lang vor und er blickte sich kurz am oberen Ende des Treppengeländers um, von wo aus er die anderen drei Anwesenden fast verschwörerisch wie starre Mahnmale in der Eingangshalle stehen sah. Er spürte die knisternde Atmosphäre, die untrügerische Gefahr in der Luft und riss sich von dem schockierenden Anblick los und taumelte wie ein ertrinkender in der Wüste der Emotionen seiner breiten und harten Zimmertür entgegen, die er hektisch aufriss und mit rasendem Herzen geräuschvoll hinter sich zuschlug, um sich schweißgebadet auf das kühle Bett fallen zu lassen und endlich tief und ungestört durchzuatmen.

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