• Kapitel 104

     

    Kapitel 104: Samstag, 19 Uhr 09 Zimmerflur


    Thomas hatte sich nur kurz waschen können. Er hatte direkt gemerkt, dass der Adrenalinpegel noch viel zu hoch war, als dass er in dieser kurzen Erholpause einen wirklich klaren Gedanken hätte fassen können. Der junge Schotte wollte keine Zeit verlieren und machte sich zudem Vorwürfe, dass er die drei verbliebenen Personen allein in der Eingangshalle gelassen hatte. Jede Minute seiner Abwesenheit konnte nun entscheidend und möglicherweise tödlich sein.

    Thomas stand bereits wieder an seiner Zimmertür, als er einen Blick auf seine Sporttasche lag, die in der Ecke seines Zimmers stand. Nach kurzem Überlegen eilte er dorthin, riss sich hektisch sein Hemd über den Kopf und warf den vor Schweiß und Erbrochenem übelriechenden Stoff zur Seite. Er zog ebenfalls rasch seine Hose aus, die völlig durchnässt gewesen war und sich jetzt nur noch knochentrocken und kalt anfühlte und zudem überall mit Lehm beschmiert war. Eilig nahm Thomas die erstbesten Kleidungsstücke und stieß dabei zufällig auf einen blauen Jogginganzug, den er schnell überstreifte. Es mochte Einbildung sein, aber kaum hatte er sich den Trainingsanzug übergezogen, fühlte er sich direkt wieder frischer und wacher.

    Der junge Polizist wollte keine weitere Zeit mehr verlieren, als er zufällig das braun eingebundene Buch sah, dass er zwischen seine Anziehsachen gebettet hatte. Fast ehrfürchtig hielt er inne, ergriff den schweren Wälzer und drückte den kalten Buchrücken gegen seine Stirn. Er realisierte erst jetzt in diesem Moment der Stille, dass er es in den letzten Tagen versäumt hatte seine Bibel zu lesen und zu beten. Es war seit jeher seine Tradition gewesen, am frühen Morgen nach dem Aufstehen und am späten Abend vor der Nachtruhe einige Psalme zu lesen und den Tag Revue passieren zu lassen. Vielleicht war dieses Versäumnis auch ein Grund dafür, dass Thomas sich so unausgeglichen und nervös fühlte. Seine innere Unruhe erinnerte ihn mit Schrecken an die wildesten Jahre seiner Jugend. Doch dieses Mal ging es um keine Saufeskapaden oder erotische Erfahrungen, sondern um eine tödliche Bedrohung.

    Kaum hatte er nun den kalten und staubigen Wälzer gegen seine Stirne gepresst, da fühlte er sich geradezu erleichtert und auch die zweifelnden Stimmen in seinem Kopf wurden wie magisch vertrieben. Der Schotte hatte für einige Minuten wieder einen völlig klaren Kopf und harrte in dieser Pose mit einem geradezu steinernen Lächeln aus.

    Thomas fand in der Innenseite seiner Trainingjacke eine große Tasche und er schob das Buch dort hinein. Es war zwar sehr schwer, aber kaum hatte Thomas sein Zimmer wieder verlassen, bemerkte er die Last kaum mehr. Es kam ihm allerdings fast kindisch vor, dass er das Gottesbuch jetzt eingesteckt hatte, denn er hatte es aus Angst fast instinktiv getan. Er schüttelte bitter den Kopf, denn er wusste, dass selbst Gott und sein Glaube ihm hier nicht mehr helfen konnten. Er war in der Hölle auf Erden gelandet und doch klammerte er sich an den Strohhalm des Buches, das aus seiner Sichtweise den Frieden, eine Einheit und das Völkerverständnis propagierte.

    Der religiöse Schotte war so sehr in seine Gedanken versunken, hielt seine rechte Hand halb besitzergreifend, halb schützend gegen die Delle in seiner Jacke, wo sich nun die Bibel befand, dass er fast mit der großen Person zusammengestoßen wäre, die ihm unmittelbar vor seinem Zimmer entgegengelaufen kam.

    Thomas zuckte zusammen, hob abwehrend seine Hände und hatte die beschützende Nähe des religiösen Werkes schon wieder vergessen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er Abdullah erkannte, der groß und stämmig vor ihm stand und ihn argwöhnisch anblickte. Er fixierte die verräterische Beule in der Trainingsjacke, runzelte die Stirn und wollte gerade etwas sagen, als über die Treppe der Eingangshalle Marilou zu ihm trat, die Thomas mit einem spöttische Lächeln bedachte. Demonstrativ ein wenig hinter ihr stand Elaine Maria da Silva, die Thomas ebenfalls anblickte. Der Schotte spürte einen Stich in seinem Herzen, als er die Leere in den Augen der Brasilianerin sah, keinen Funken von Freude, Zuneigung oder Interesse entdecken konnte. Die Brasilianerin war in den letzten Stunden wieder kühler, analytischer und auch erwachsener geworden. Thomas konnte kaum glauben dieselbe Person vor sich zu haben, die vor wenigen Stunden noch emotionale Ausbrüche gehabt und sich dem verwirrten Schotten geradezu unterwürfig gegenüber verhalten hatte. Sie wusste wohl auch nicht, wie sie mit der gesamten Situation umzugehen hatte und versuchte vielleicht verschiedene Verhaltensmöglichkeiten aus. Aber thomas wollte nicht glauben, dass er nur fur ein Experiment gut gewesen war, nur ein Tribut für den unbändigen Überlebenswillen einer zu allem bereiten Brasilianerin gewesen war. Er hatte gespürt, dass ihre gegenseitige Anziehungskraft darüber hinaus gegangen, unglaublich stark und auch ehrlich gewesen war. Oder hatte sich der Schotte vom weiblichen Geschlecht und von seinem eigenen Wunschdenken wieder nur blenden lassen?

    „Sind wir jetzt endlich so weit?“, fragte Marilou ungeduldig und wartete gar keine Antwort ab, sondern wandte sich rasch um.

    Thomas konnte sich auf das plötzliche Selbstvertrauen der Kanadierin, die einst so schüchtern und depressiv gewirkt hatte, immer noch keinen Reim machen. War dieses Verhalten eine Art eigenwilliger Schutzinstinkt oder steckte mehr dahinter?

    In diesem Moment schwirrte wieder die Täterfrage im Kopf des Schotten umher. Die überlebenden Männer hatte er ausgeschlossen, es blieben also tatsächlich nur noch Marilou und Elaine. Hatte die Brasilianerin nur mit ihm gespielt und klammheimlich sein Vertrauen und seine Gefühle erschlichen, um sich in Sicherheit zu wiegen und den naiven Schotten dann zum krönenden Abschluss auf besondere Art und Weise zu vernichten? Spielte die Autorin ihm nur eine undurchschauliche Komödie vor? Thomas hatte plötzlich große Angst vor der Wahrheit und suchte den Augenkontakt mit der Brasilianerin, die jedoch starr zu Boden blickte und ohnehin eher auf Marilou fokussiert zu sein schien.

    Thomas wollte daran nicht glauben. Marilou musste die Täterin sein. Warum sonst hatte Mamadou über einen frankokanadischen Politiker recherchiert? Was hatte diese Persönlichkeit mit der ganzen Mordserie zu tun? Wo hatte er das Gesicht des Mannes schon einmal gesehen?

    Abdullah folgte seine Frau inzwischen ohne Widerspruch, tastete nach ihrer Hand, doch die Kanadierin löste sich aus seinem Griff und beschleunigte ihren Schritt. Elaine Maria da Silva trat ebenfalls auf den Zimmerflur, warf Thomas einen seltsam gleichgültigen Blick zu, bevor sie fast mechanisch hinter den beiden anderen Anwesenden hinterher trottete. Thomas atmete tief durch und ignorierte seine aufkommende Wut, in dem er seine Hand fest gegen die versteckte Bibel drückte. Dann folgte er dem Rest der Gruppe.

    Marilou war zunächst vor dem Zimmer von Gwang-jo stehen geblieben, das zufälligerweise vor dem des toten Polizisten lag. Thomas wollte sich eigentlich lieber noch einmal das Zimmer seines ermordeten Kollegen umsehen und die versendeten Nachrichten vornehmen, doch da die Frankokanadierin schon die nicht abgeschlossenen Zimmertür des Koreaners aufgestoßen hatte und Thomas keinen weiteren unnötigen Streit provozieren wollte, schluckte er seinen Stolz hinunter und trat als Letzter in das Zimmer.

    „Wonach suchen wir eigentlich genau?“, wollte Abdullah wissen, der schweigend abseits der Gruppe stand und einen flüchtigen Blick in das Badezimmer des Koreaners warf.

    „Nach irgendwelchen Hinweisen auf den Täter.“, gab Elaine Maria da Silva zurück und begab sich direkt zu dem Kleiderschrank des Toten.

    Sie riss ihn auf. Die Kleidungsstücke waren alle säuberlich aufgehangen und sogar nach Größen und Farbtönen sortiert. Die fast schon spießige Ordnung mochte gar nicht so recht zu dem rüpelhaften Auftreten des Cholerikers passen.

    Die Brasilianerin machte die einzelnen Schubladen auf und durchwühlte sie schnell. In der untersten Schublade des Kleiderschrankes stieß sie auf einen Zeichenblock. Er sah aus wie neu und nur die erste Seite war verwendet worden. Auf selbige hatte der Koreaner eine symbolartige Blume gezeichnet. Elaine Maria da Silva runzelte die Stirn.

    Thomas trat zu seiner Partnerin hin und bemühte sich dieses Mal dennoch nicht auf Tuchfühlung mit ihr zu gehen und eine gewisse Distanz zu waren. Auch Abdullah war hinzugekommen und nickte wissend.

    „Das ist eine Lilie. Besser gesagt eine heraldische Lilie.“, bemerkte Abdullah zögernd und Thomas kam dieses Symbol seltsambekannt vor. Er konnte es jedoch nicht zuordnen, obwohl er sich sein Gehirn zermarterte.

    „Was könnte das denn bedeuten?“, wollte Elaine Maria da Silva wissen, deren Interesse auch geweckt worden war. 

    „Da kann ich nur spekulieren.“, bemerkte Abdullah, doch ihm war mit einem Mal der Schweiß ausgebrochen und Thomas bemerkte ein Blitzen in den Augen des Mannes, der sich eilig bemühte den Boden zu fixieren.

    „Abdullah, was ist los? Du erzählst uns hier nicht die ganze Wahrheit!“, bemerkte Thomas stechend und trat beinahe drohend auf den nervös wirkenden Mann zu, der stotternd zurück wich, wobei sein Turban verrutschte.

    „Schaut mal her, was ich hier gefunden habe!“, rief Elaine Maria da Silva dazwischen, die als Einzige nicht den Fund beachtet hatte.

    Die Kanadierin stand an dem Bett des Toten und hielt triumphierend ein Kopfkissen in

    die Höhe. Grimmig nahm sie den Bezug ab und öffnete den Reißverschluss des Innenfutters. Die restlichen Anwesenden starrten ihr gespannt zu und die vorhin aufkeimende Situation war fast wieder völlig vergessen, als die Frankokanadierin mehrere Bündel Geldscheine aus dem Innenfutter zog und triumphierend in die Luft hielt.

    Die Anwesenden mussten nicht lange überlegen, um zu erkennen, woher das Geld stammte. Sie alle blickten auf Abdullah, der sich nun noch verwirrter und eingeengter fühlte.

    „Verdammt, das ist der restliche Teil meines Geldes. Das ist der Rest der Summe, die mir gestohlen wurde und bei dem Butler gefunden wurde, die ich mitgenommen hatte, um meine Frau zu überraschen.“, haspelte er nervös und trat erstaunt auf seine Gattin zu, der er das Geld aus den Händen nahm.

    Auch Thomas trat hinzu, riss die Scheine dem Katarer aus der Hand und zählte rasch nach. Es handelte sich tatsächlich um die fehlende Hälfte des unter unbekannten Umständen verschwundenen Geldes.

    „Woher wissen wir denn, ob es wirklich nur ein Diebstahl war?“, bemerkte Thomas grimmig und Abdullah wandte sich erschrocken, wie auch wütend zu ihm um.

    „Was willst du denn damit andeuten?“, wollte Abdullah wissen, doch Thomas ließ sich von seiner aufbrausenden Art nicht weiter einschüchtern.

    „Es wäre ja auch möglich, dass es sich um eine Erpressung handelt. Wir können nicht leugnen, dass Gwang-jo den Mörder gekannt zu haben scheint.“, bemerkte Thomas kalt und beobachtete genau die Reaktionen von Abdullah und Marilou, die ihn jedoch eher fassungslos anblickten.

    „Er könnte dich erpresst haben, Abdullah! Gwang-jo ist zwar ein guter Schüler gewesen und hat studiert, doch als Einziger von uns hat er noch keinen festen Job und kein richtiges Einkommen. Den Kleidern nach zu urteilen lebt aber auch er nicht gerade preiswert und solch eine Summe hätte ihm sicherlich gut getan.“, warf Elaine Maria da Silva ein, die Thomas Idee sofort unterstützte.

    „Diese Anschuldigung ist doch völlig haltlos. Gwang-jo hat doch alle fünf Minuten eine andere Person beschuldigt und hat, wenn überhaupt, erst innerhalb der letzten Stunden erkannt, wer hinter den Morden stecken könnte, falls er nicht wieder ein abnormes Hirngespinst hatte.“, verteidigte sich Abdullah, nachdem er empört nach Luft geschnappt hatte.

    Thomas musste sich insgeheim eingestehen, dass sein Gegenüber durchaus logisch argumentiert hatte, doch er wollte seinen Standpunkt nicht so schnell aufgeben und hoffte darauf, dass er das Pärchen unter Druck setzen konnte, bis einer von beiden versehentlich einen Fehler machte, denn Thomas spürte, dass sie etwas zu verbergen hatten, die Reaktion von Abdullah hatte ihn nur erneut bestätigt. Mit einem Mal kam dem Polizisten der Gedanke, dass möglicherweise sogar die beiden gemeinsam die Morde geplant haben könnten und unter einer Decke steckten. Marilou als eiskalte Mörderin und Abdullah als Absicherung und Fädenzieher im Hintergrund. Diese Möglichkeit hatte er bislang noch gar nicht konkreter in Betracht gezogen und dieser Geistesblitz elektrisierte ihn nun gewaltig. War dies eine mögliche Erklärung für die präzise ausgeführten Morde, ohne dass der Täter je wichtige Spuren hinterließ oder am Tatort überrascht wurde und alle mörderischen Geräte hatte installieren können? Konnte ein Mensch allein so eine Mordserie überhaupt ohne Hilfe planen?

    Trotz aller Spekulationen war Thomas aber immer noch nicht klar, wo das Motiv liegen könnte. Wenn eine Person psychisch gestört war und seinen morbiden Spaß an den Mordspielen hatte, dann konnte er das noch einigermaßen begreifen, aber gleich zwei Personen kamen ihm dann doch recht unwahrscheinlich vor.

    Der junge Polizist war so in seinen neuen Gedanken vertieft, dass seine brasilianische Begleiterin an seiner Stelle auf den Einwand Antwort gab und Thomas musste ehrlich anerkennen, dass die Schönheit durchaus klug argumentierte. Diese Überzeugungskraft und analytische Präzision war Thomas an ihr noch nie zuvor aufgefallen, vermutlich weil er zu sehr auf ihr äußerliches Gehabe des unnahbaren und düsteren Vamps hineingefallen und von der emotionalen Art der letzten Tage überrascht worden war. Diese neue Charaktereigenschaft machte die Brasilianerin für ihn nicht nur noch komplexer und unverständlicher, sondern auch wieder attraktiver. Thomas kam kurz der Gedanke, dass seine französische Exfreundin nie so vielseitig, sondern immer recht oberflächlich geblieben war. Er wurde sich in diesen Momenten bewusst, dass er sich früher von Äußerlichkeiten und sexuellen Bedürfnissen hatte leiten lassen, in Wirklichkeit aber etwas ganz Anderes suchte, das er in diesem Moment mit fast erschütterndem Bewusstsein erfasste, weil die Brasilianerin es gerade perfekt repräsentierte. Er brauchte eine intellektuelle, vielschichtige Liebhaberin, die für jede Lebenssituation ideal und anpassungsfähig war und trotz aller Vertrautheit ihr Mysterium bewahrte, was sie so anziehend machte. Thomas stellte zum ersten Mal solche Ansprüche und seine Gefühlswelt hatte sich abermals gewandelt, doch nun schien er endlich klar zu sehen. Ein neues Gefühl der Zuversicht durchströmte seinen Geist und Körper, doch kurz darauf klang wieder eine bedrückende Stimme in seinem Kopf auf, die ihm sagte, dass er mit der Brasilianerin schnell ein klärendes Gespräch suchen sollte, damit sie beide wieder im Reinen waren, ehrlich zueinander sein konnten, sich ihre Fehler verzeihen würden und vor allem für sich feststellen konnten, dass die jeweils andere Person mit den grausigen Taten tatsächlich nichts zu tun hatte. Alles was blieb war jedoch die allgegenwärtige Bedrohung, die jegliche Annäherung beinahe im Ansatz schon zu zerfressen drohte.

    Thomas hatte Mühe bei all diesen aufregenden Gedankengängen sich auf den durchaus wichtigen Fortlauf des Gespräches zu konzentrieren und gab sich schließlich mühsam einen Ruck. Es schien, als sei er aus einer Hypnose erwacht und er blickte direkt in das kalte Lächeln von Marilou, die ihn genau beobachtet hatte und in die Abgründe seiner Seele zu blicken schien. Thomas fühlte sich mit einem Mal nackt und peinlich berührt und er riss fast unterwürfig seinen Blick von der Kanadierin weg, um nicht wieder vom eigentlichen Thema abgelenkt zu werden.

    Verhalten gähnend rieb sich Thomas die Augen. Es hing wohl auch mit dem Stress und der Müdigkeit zusammen, dass er emotionaler geworden war im Verlauf der letzten Stunden und dass auch seine Konzentration immer drastischer gesunken war. Er fragte sich, wie lange er diesen Kampf gegen sich selbst und die Umstände der Natur noch aufrecht halten konnte. Und er fragte sich sogar, ob eine Niederlage gleichzeitig auch sein Tod sein würde, wenn der Mörder mit dem angeschlagenen jungen Mann dann kurzen Prozess machen würde. Ein Frösteln lief bei diesem Gedanken über den eisigen Rücken des Schotten, der wieder völlig erstarrt war. Tief und rasselnd atmete er durch und wurde nun sogar mit einem verwirrten Seitenblick von Elaine und Abdullah bedacht. Thomas blickte betreten zu Boden und hob halb entschuldigend, halb beruhigend die kraftlosen Arme.

    „Ich sehe das Ganze dieses Mal nicht als Hirngespinst an, denn zum Einen hatte er sich seit einiger Zeit mit den sinnfreien Beschuldigungen für seine Verhältnisse enorm zurückgehalten und zum Anderen wirkte er ernster und betroffen als sonst und wollte mit Thomas allein reden. Es wirkte viel eher so, dass der Mörder Gwang-jo als Nächsten liquidieren musste, weil er so viel wusste. Vielleicht wurde für ihn und für Mamadou die Reihenfolge der Morde gar umgestellt und wir können uns beim Schicksal bedanken, dass wir hier noch am Leben sind und uns darüber unterhalten können.“, philosophierte die Brasilianerin.

    „Dankbar? Mittlerweile glaube ich sogar, dass der Tod geradezu eine Erlösung von all dieser Scheiße hier wäre!“, bemerkte Abdullah Gadua nun nahezu hysterisch.

    „Selbstverständlich nimmst du dir dann das Recht zunächst alle Anderen von dieser Qual zu erlösen und hebst dir deine eigene Erlösung für das Ende auf.“, bemerkte Elaine Maria da Silva gehässig und sarkastisch.

    „Ich stecke nicht dahinter! Ich kann keiner Fliege etwas zu Leide tun. Ich habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen, nie irgendeine Provokation gesucht, versucht die Ermittlungen zu blockieren oder Leute gegeneinander auszuspielen. Im Gegensatz zu dir hatte ich auch keinen plötzlichen Sinneswandel oder engere Beziehung mit den Anwesenden.“, rechtfertigte sich Abdullah eifrig und Tränen schimmerten dabei in seinen verzweifelt blickenden Augen.

    „Du kannst keiner Fliege etwas zu Leide tun? Du hättest Thomas eben am Brunnen noch fast eigenhändig umgebracht!“, entgegnete die Brasilianerin mit einem spöttischen Lachen.

    „Das habe ich nur getan, um meine Frau zu schützen! Ich kämpfe nun mal für das, was ich liebe.“, entgegnete Abdullah energisch und nicht ohne Stolz.

    „Vielleicht übersiehst du in deinem Edelmut aber auch, dass deine eigene Frau dahinter stecken könnte! Wir sind nur noch zu fünft, viele Optionen bleiben da ja nicht mehr und du musst mit allem rechnen.“, entgegnete die Brasilianerin, die mit einem Mal sehr eindringlich klang und tief in die flackernden Augen ihres Gegenübers blickte, der verzweifelt den Kopf schüttelte und sich wütend von der Gruppe abwandte.

    „Diese ganzen Anschuldigungen bringen uns nicht voran. Wir können hier kaum noch mit logischen Argumenten debattieren. Dieser Killer ist ein Wahnsinnige rund man müsste selbst wahnsinnig sein, um ihn oder sie zu verstehen. In diesem Zimmer gibt es wohl nichts mehr zu sehen. Wir sollten daher keine Zeit verlieren und das Zimmer und die Nachrichten von Mamadou genauer unter die Lupe nehmen.“, bemerkte Thomas, dem die steigende Aggressivität und Planlosigkeit an die Nieren ging.

    Er fixierte seit geraumer Zeit nur noch Marilou, die still neben dem Bett des toten Koreaners stand und sich ganz ruhig verhielt. Für Thomas stand fest, dass sie im Hintergrund die Situation unter Kontrolle zu haben schien und ihre Mitmenschen auf geradezu analytische Weise beobachtete, um jeden weiteren Schritt bereits im Voraus zu erahnen. Thomas wurde sich bewusst, dass sie alle sehr emotional und mitgenommen waren, während das Selbstvertrauen der undurchschaubaren Kanadierin viel mehr gestiegen war. Dieses Verhalten konnte sich Thomas nur dadurch erklären, dass diese Dame hinter den Taten stecken musste.

    Er rechnete nun mit einem entscheidenden Ergebnis und drängte daher auf den Raumwechsel, um die aufkommende Passivität zu unterbinden. Der Täter oder die Täterin würde alles dafür tun, den Laptop Mamadous zu zerstören, um eventuelle Beweise zu verwischen und wäre somit dazu gezwungen mit dem leidigen Versteckspiel endlich aufzuhören.

    Um seine entschlossenen Worte mit Taten zu unterstreichen, schritt Thomas entschlossen zur Zimmertür und trat zurück in den Flur. Mit raumgreifenden Schritten ging er auf das Zimmer seines toten Kollegen zu, ohne sich noch einmal nach den anderen Anwesenden umzublicken, obwohl er wieder einen fast schon höhnischen Kommentar in seinem Rücken hörte.

    „Erst ist er die ganze Zeit so passiv und nun sprüht er wieder vor fiebrigem Tatendrang. Dein Geliebter ist wohl der Einzige hier, der ein wenig schizophren sein könnte.“, bemerkte Marilou neckend und überlaut zu Elaine Maria da Silva.

    Die Brasilianerin verkniff sich erstaunlicherweise einen Kommentar, was Thomas mit gemischten Gefühlen auffasste. Auf der einen Seite war er froh, dass die Brasilianerin sich nicht auf dieses Niveau herabbegab und einen neuen und ermüdenden Streit anfing, auf der anderen Seite hätte er sich gerne ein kleines verteidigendes Wort von ihrer Seite aus gewünscht.

    Er versuchte seine Gefühle und Gedanken auszublenden, obwohl ihn die peinigenden Stimmen wieder malträtierten und ihm sein balfdiges Ende heisern kichernd ankündigten. Thomas schüttelte sich unwirsch und trat tief durchatmend und konzentriert in das Zimmer seines Kollegen. Erwartungsvoll stieß er die Tür auf, als er plötzlich völlig unerwartet überrascht wurde.

    Die Entdeckung war für ihn wie ein Schlag ins offene Gesicht. Seine Mund klappte auf, er blinzelte ungläubig mit den Augen, doch das Bild des Schreckens wollte nicht verschwinden.

    Der Laptop war brutal mit einem Hammer, der neben dem Tisch auf dem Boden lag, zerstört worden. Die Beweise waren somit für den Moment völlig vernichtet!

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