• Kapitel 5

     

    Kapitel 5: Mittwoch, 12 Uhr 30, Anlegestelle

     

    Aufmerksam betrachtete Thomas die Insel und vor allem das relativ zentral gelegene

    Schloss, das im neugotischen Baustil errichtet worden war und auf Thomas irgendwie unheilvoll und düster wirkte. Eine Art Thermalbad schien sich auch unweit des Schlosses zu befinden, dessen düstere Hitzeschwaden wie gespenstische Finger am Schlossgemäuer entlang streiften. Wie düstere Mahnmale ragten im Hintergrund auf der anderen Seite des Schlosses einige dunkle Grabsteine aus der Erde, die sich vor einem undurchdringlich erscheinenden Dickicht befanden, das bis zu einem etwas hügeligeren und höher gelegenem Plateau führte. Thomas fixierte das Dickicht näher, welches sich unter dem frisch aufkommenden Westwind von einer Seite zur anderen bog. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass irgendetwas oder auch irgendjemand in diesem Dickicht lauern könnte. Unwillkürlich bekam er eine fröstelnde Gänsehaut und ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er versuchte sich innerlich zu beruhigen und die Gedanken als lächerlich herabzusetzen, doch ein mulmiges Gefühl war immer noch latent vorhanden. Mit einem Seitenblick auf Jeanette, die rechts neben ihm stand und gerade eben noch mit Malcolm in einem Gespräch versunken war, stellte er fest, dass auch sie angespannt wirkte. Vermutlich hatte sie sich die Insel schöner und fröhlicher vorgestellt und sich insgeheim sogar einen Sandstrand gewünscht, den es offensichtlich nicht gab. Es schein sich eine drückende Stimmung auf die gesamte Gruppe legen zu wollen und es herrschte ein unheilvolles Schweigen. Alle starrten gebannt auf das Schloss, als ein lautes Hupen alle urplötzlich zusammenzucken ließ.

    Thomas fuhr erschrocken herum und sah Björn Ansgar Lykström vor sich, der die Schiffshupe ausgelöst hatte und sich prächtig über seinen Scherz amüsierte, während ihn Magdalena Osario, die neben ihm stand, eher vorwurfsvoll anblickte. Immerhin hatte diese Aktion es geschafft, die Passagiere ein wenig von ihren düsteren Gedanken zu lösen. Erste Gespräche setzten wieder ein und beendeten die drückende Totenstille, die sich zuvor wie eine eisige Klaue um sie alle gelegt hatte.

    Thomas starrte wieder kurz in Richtung des Schlosses, dessen gewaltiges Eingangsportal sich nun öffnete. Hinaus traten drei Männer, die allesamt in dunkle Anzüge gekleidet waren und sich der Anlegestelle näherten. Thomas glaubte unter den Personen in der Mitte den österreichischen Direktor zu erkennen.

    Lykström begab sich eine Etage tiefer und Magdalena Osario übernahm das Steuer. Mit einem durch Mark und Bein gehendem Geräusch ließ sie per Knopfdruck den Anker betätigen, der an einer Eisenkette befestigt war, die nun schwer ins Wasser viel, sodass ein leichter Ruck durch die Yacht ging. Lykström mühte sich eine Etage tiefer damit ab, eine Trennwand zu entfernen und einen kleinen Steg auszufahren und zum Pier hin auszurichten. Hamit Gülcan, der von irgendwoher aufgetaucht war näherte sich ihm und wurde behilflich, sodass sie die Aufgabe gemeinsam meisterten. Im selben Moment stellte Magdalena Osario die Schiffsmotoren ab und es herrschte wieder eine bedrückende Stille. Nur das unruhige Plätschern des Wassers gegen die Bordwände war zu hören, sowie das raue Pfeifen der steifer werdenden Meeresbrise.

    Viele der Anwesenden starrten betreten auf ihre Fußspitzen, manche blickten gar sehnsüchtig zur in die Ferne gerückten Küste Nordschottlands. Thomas bekam mehr und mehr das ungute Gefühl, dass der Inselaufenthalt unter keinem guten Stern stehen würde. Die beiden düsteren Schlosstürme wirkten auf ihn fast wie Mahnmale zur Grenze in eine dunklere Welt.

    In diesem Moment erreichten die drei Herren der Pier und verharrten dort in seltsam steifer, unnatürlicher Lage. Thomas gab sich einen Ruck, wandte sich um und trat zur Treppe in den unteren Bereich des Schiffes. Zögerlich folgten andere Anwesende seinem Beispiel und schienen aus einer Art Trance zu erwachen. Das euphorisierende Gefühl, das manche der Anwesenden zu Beginn der Reise noch verspürt hatten, war komplett verschwunden.

    Thomas trat langsam auf den schmalen Steg und folgte damit Björn Ansgar Lykström, der als erste Person auf die Insel getreten war. Hinter Thomas befand sich noch Fatmir, der das Schiff ein letztes Mal eingehend musterte und dann mit nachdenklicher Miene ebenfalls den ausgefahrenen Steg betrat.

    Thomas erreichte den stabilen Pier, auf dem sich in einigen Metern Entfernung auch die drei Männer in den Anzügen befanden. Seine Vermutung wurde zur Gewissheit, als er in dem mittleren der drei Herren den Direktor wieder erkannte. Er war etwas größer gewachsen, als die beiden anderen Männer und wirkte sehr hager, fast schon mager. Er hatte eine runde Brille auf, die ihm in Zusammenhang mit seinem stechenden Blick eine gewisse Strenge verlieh. Sein graues Haar war halblang und wirr nach hinten gekämmt. Eine Narbe schmückte die linke Hälfte seines Gesichtes von der Augenbraue bis zum Kieferknochen und machte ihn noch abstoßender. Lediglich seine Zähne hatten ein fast schon strahlendes Weiß, doch sein Lächeln wirkte irgendwie gezwungen und unecht, vielleicht sogar hämisch.

    Thomas hatte in seinem Leben und seiner Ausbildung als Polizist gelernt Menschen besser einzuschätzen und hatte das untrügliche Gefühle, dass der Aufenthalt auf der Insel mit dem Direktor alles andere als ausgelassen und entspannend werden würde. Die so unbeschwert klingende Einladung des mürrischen Österreichers war Thomas ohnehin ziemlich seltsam vorgekommen. Er bereute es langsam überhaupt gekommen zu sein, doch eine gewisse Neugier trieb ihn dennoch weiter voran.

    Zögerlich folgten ihm auch die anderen Gäste und zuletzt verließ Magdalena Osario die moderne Yacht und ihr Kollege Björn Ansgar Lykström machte sich daran, den Steg wieder einzufahren. Thomas fiel auf, dass Magdalena Osario sich ihrem Mann nicht näherte und nicht einmal Blickkontakt mit ihm aufnahm. Stattdessen stellte sie sich in den Hintergrund der Gruppe, als ob sie sich verstecken wollte. Thomas spürte, dass irgendetwas nicht normal war und auch Björn Ansgar Lykström ließ seinen Blick misstrauisch zwischen der spanischen Lehrerin und dem österreichischen Direktor hin- und herpendeln. Als der Schwede seine Arbeit verrichtet hatte sprang er leichtfüßig über eine Barrikade auf den Pier und stellte sich mit verschränkten Armen neben Magdalena Osario. Der österreichische Direktor lächelte böse und richtete dann das Wort an die Neuankömmlinge.

    „Herzlich willkommen auf „Osario Island“. Ich bin glücklich, dass Sie meinen Einladungen so zahlreich gefolgt sind. Ich hoffe, dass Sie eine angenehme Reise bis hierhin hatten. Ich bin davon überzeugt, dass Sie das Wochenende genießen werden und es wird sicherlich die eine oder andere Überraschung geben. Ich denke, dass wir den heutigen Tag etwas ruhiger angehen werden. Sie sind sicher von der Reise erschöpft und wollen vor allem das Schloss und Ihre Zimmer kennen lernen. Daher bitte ich Sie darum mir einfach zu folgen.“, schloss der Direktor seine Rede und musterte seine Gäste mit lauerndem Blick, doch er erhielt keine Reaktionen oder Antworten und fügte somit selbst noch etwas hinzu.

    „Vorher möchte ich Ihnen noch meine Begleiter vorstellen, die auch auf dem Schloss residieren. An meiner linken Seite ist  James Wigg, der Koch des Hauses. Er hat einige exzellente kulinarische Spezialitäten auf Lager. Sie dürfen sich beim Mittagessen gerne selbst davon überzeugen.“, bot Wohlfahrt mit einem dünnen Lächeln an.

    Der Koch trat kurz vor und wirkte dabei sehr ruhig und irgendwie unbeteiligt und legte keinen Wert darauf irgendetwas zu sagen. Er zog sich schnell und elegant wieder zurück. Er war bereits etwas älter als der Direktor und ein wenig kleiner und kräftiger. Er trug einen grauen, auffälligen Schnurrbart und hatte eine Halbglatze. Er hatte eine hohe, weiße Kochmütze unter seinen linken Arm geklemmt, die irgendwie nicht so recht zu dem vornehmen Anzug passen wollte. Thomas wusste nicht so recht, wie er diesen Mann einschätzen sollte.

    „Zu meiner rechten Seite ist mein Butler Francis McGregor. Er wird auch Ihnen stets behilflich sein und für Ihren vollen Komfort verantwortlich sein.“, fuhr Wohlfahrt fort.

    Der Butler trat hervor und verneigte sich leicht. Er wirkte wie man sich einen typischen Butler vorstellte. Er war ein wenig jünger noch als Direktor, sehr hager und hatte pechschwarzes Haar und einen eleganten Schnauzer. Er bewegte sich sehr elegant und geschmeidig und trug weiße Handschuhe und hatte eine gewisse Ernsthaftigkeit in seinen Zügen, in denen ansonsten keinerlei Regungen zu vermerken waren. Thomas sah aber ein seltsam unstetes Flackern in den Augen des Mannes, was bewies, dass er seine ruhige Zurückhaltung nur spielte.

    Langsam trat auch er zurück und verharrte in einer geraden, fast schon steifen Haltung, die im krassen Gegensatz zur gekrümmten Haltung des leicht buckligen Kochs stand. Doktor Wohlfahrt wandte sich ohne weiteren Kommentar ab und schritt zielstrebig auf den Eingang des Schlosses zu, ohne seine Frau oder Lykström begrüßt oder ihnen in irgendeiner Form für das Abholen der Gäste gedankt zu haben.

    Der Weg führte über eine kleine Treppe und einen breiten Weg durch einen sehr ordentlich gepflegten Garten, der gar nicht zu dem wirren Dickicht auf der anderen Seite passen wollte. An der linken Seite, nahe den Klippen waren sogar einige Gemüsebeete neben einem alten Geräteschuppen. Dort stand ebenfalls eine unheimlich anmutende Vogelscheuche aus zerrupftem, dreckigem Stroh, die mit einer zerrissenen Baskenmütze und einer hässlich auf morsches Holz aufgemalten Fratze ausgestattet war. Auf einem Querbalken, der eine Art Schulter symbolisierte hockte ein pechschwarzer Kolkrabe, der keinerlei Angst vor der Vogelscheuche zu empfinden schien und aus dunklen Augen den Neuankömmlingen entgegenstarrte. Er löste sich aus seiner bedrohlichen Starre und stieß sich mit einem schrägen Krächzen von der Vogelscheuche in die Lüfte ab, wo er langsam seine Kreise zog und ein weiteres böse klingendes Krächzen von sich gab. Thomas fühlte sich immer unbehaglicher und bekam eine Gänsehaut. Der Rabe wirkte auf ihn wie ein dämonischer Vorbote und die Stimmung in der Gruppe, die dem Schlossherrn schweigend folgte schien noch bedrückender zu werden. Thomas kam sich eher wie auf einer Beerdigungszeremonie vor.

    Schließlich hatte der Schlossherr das gewaltige Eingangsportal erreicht und packte mit hartem Griff einen Metallring an der Tür, der in das künstliche Maul eines überdimensionalen Phantasiegebildes eingebaut worden war, welches am ehesten noch an einen aggressiven Hund erinnerte. Mit einem Ruck zog er die rechte Seite des Portals nach außen auf, was ein lautes, schräges Quietschen verursachte, was allen Anwesenden durch Mark und Bein ging. Düster lag die Eingangshalle vor ihnen und der Schlossherr verbeugte sich theatralisch. Er machte eine gekünstelte, einladende Handbewegung, während der Butler und der Koch ihn starr und regungslos einrahmten.

    Thomas gab sich einen Ruck, als niemand den Anfang machen wollte und überschritt die Schwelle des Eingangs mit einem unguten Gefühl.

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