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    Kapitel 54: Freitag, 10 Uhr 58, Eingangshalle


    Das Nächste, was Thomas wahrnahm, war eine Menschentraube, die sich um ihn versammelt hatte. Er spürte einen harten und kalten Boden unter sich, hörte das Zuschlagen einer schweren Tür und sah wie eine verschwommene Gestalt die anderen Schaulustigen zur Seite drängte und sich über Thomas beugte.

    „Bist du in Ordnung?“, fragte Mamadou besorgt.

    Thomas fiel erst jetzt wieder ein, was er durchgemacht hatte und dass er nur knapp dem Tod entronnen war. Zum zweiten Mal schon hatte er nun Glück gehabt, doch er schien von einer Hölle in die andere zu geraten, denn er dachte auch an den brutalen Mörder, der auf der Residenz sein Unwesen trieb. Wann würde er wohl wirklich an der Reihe sein?

    Thomas rappelte sich langsam auf, ein leichter Schwindelanfall plagte ihn noch, doch er wurde von seinem Kollegen gestützt, während die anderen Anwesenden ihn nur distanziert oder betreten ansahen.

    Plötzlich tauchte eine weitere Gestalt auf, die sich wie Mamadou zuvor grob einen Weg durch die Anwesenden bat und sich zusätzlich noch lautstark Aufmerksamkeit verschaffte. Thomas erkannte den Schlossherrn, der ihn nur verächtlich ansah.

    „Wie bereits gestern vorgeschlagen, stelle ich Ihnen allen frei mit mir oder auch für sich zu beten. Ich denke, dass wir tatsächlich göttlichen Beistand nötig haben, wenn wir uns die Insel mit einem geisteskranken Psychopathen, Heuchlern, Lügnern und einer dressierten Bestie teilen. Ich schlage Ihnen nun vor mir zu folgen.“, sprach der Schlossherr verächtlich und wandte sich abrupt um und stolzierte erhobenen Hauptes durch die Anwesenden hindurch, die eilig eine Gasse gebildet hatten. Der mürrische Österreicher sah scheinbar keinen Grund sich um den angeschlagenen Thomas oder den verletzten Fatmir zu kümmern.

    Thomas richtete sich dennoch mit wackligen Beinen auf und folgte dem Schlossherrn langsam. Mamadou legte ihm seine Hand auf die Schulter.

    „Du solltest dich nach solch einem Schwächeanfall ausruhen.“, meinte der Ghanaer besorgt.

    „Du solltest deine Verletzung auch auskurieren. Aber es ist schon in Ordnung. Ein Gebet wird mir Kraft geben.“, erwiderte Thomas mit einem traurigen Lächeln und löste sich von seinem Kollegen, der ihm nachdenklich hinterher starrte.

    Eigentlich wollten nur die wenigsten Anwesenden jetzt beten, zumal manche auch atheistisch veranlagt waren. Doch als mehr und mehr Gäste dem Schlossherrn folgten, schlossen sich auch die Zweifler ihnen an, denn niemand wollte in diesem Schloss mehr Zeit als notwendig allein verbringen und somit eine Zielscheibe für weitere tödliche Angriffe bieten. Trotz aller Streitereien, Distanzen und nervösen Entwicklungen suchten die Gäste auch in der Gruppe Zusammenhalt und bildeten sich eine blinde und trügerische Sicherheit ein, weil sich ihnen auch keine andere Lösung bot. Sie waren gemeinsam allein.

    Der Schlossherr hatte inzwischen den Durchgang zur Kapelle links hinter seinem Arbeitszimmer erreicht, wo eine Treppe ein wenig in die Tiefe führte und vor einer soliden Holztür endete. Der Direktor, lediglich von seinem Koch und seinem völlig apathischen und kurz zuvor leidlich verarzteten Butler eingerahmt, hatte bereits die Klinke in der Hand, als er sich noch einmal kurz umwandte und grimmig nickte, als er die Gäste versammelt am oberen Ende der Treppe auf ihn hinunterschauen sah.

    Ein höhnisches Lächeln umschmeichelte die Lippen des Direktors, der wohl feixend festgestellt hatte, dass die meisten Anwesenden ihm gefolgt waren. Er verkniff sich jedoch einen Kommentar, drückte die Klinke herunter und schob die schwere Tür nach innen. Ein muffiger Geruch aus Weihrauch schlug den Gästen aus der kleinen Kapelle entgegen, in der sich mehrere, altertümliche und kleine Holzbänke befanden, sowie ein kleiner Altar, einige verzierte Scheiben und ein überdimensionales Holzkreuz, welches mittig im Vordergrund positioniert war.

    Der Schlossherr schritt energisch in die Kapelle und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Mit einem Mal fing er an zu zittern, schüttelte fassungslos den Kopf, doch er versperrte zugleich den anderen Gästen den Blick auf das, was er selbst gerade entdeckt hatte.

    Mit einem unwirschen Ruck fuhr der Schlossherr herum und blickte Thomas direkt ins Gesicht. Das Gesicht des Direktors war totenbleich geworden, seine Augen quollen beinahe vor Entsetzen aus ihren Höhlen, sein Atem ging rasselnd und seine Hände ballten sich zu Fäusten, öffneten sich und schlossen sich dann wieder. Schweiß perlte auf seinem Gesicht. Der Direktor wirkte von einer Sekunde auf die andere um Jahre gealtert.

    Thomas war zunächst gebannt von der Reaktion des Direktors und befürchtete einen seiner bekannten Wutausbrüche. Der schottische Polizist wagte zunächst nicht zu reagieren, doch schließlich siegte die Neugierde über seinen Respekt, er schob den Direktor zur Seite, trat in die Kapelle und erstarrte ebenfalls, als er das Unbegreifliche sah.

    Auch die anderen Anwesenden hatten mitbekommen, dass etwas nicht in Ordnung war und erschraken. Magdalena Osario stieß einen spitzen Schrei aus, warf sich an die Brust ihres Geliebten und hämmerte mit ihren Fäusten auf diesen ein. Auch der Schwede war fassungslos und nahm die Spanierin gar nicht richtig zu Kenntnis. Selbst dem sonst so harten und vorlauten Gwang-jo Park hatte es die Stimme verschlagen, er wurde schreckensbleich und wandte sich mit einem würgenden Geräusch ab, drängte dabei grob die anderen Gäste auseinander.

    Thomas wandte sich wieder um, blinzelte, schüttelte den Kopf und betete, dass dies, was er sah, nur eine Halluzination sein möge, nur ein böser Traum, der sich sogleich vor seinen Augen wieder in Luft auflösen würde. Der Gefallen wurde dem Schotten jedoch nicht getan.

    Er räusperte sich, wischte sich den Schweiß vor der Stirn, atmete tief durch und wagte einen genaueren Blick auf die unfassbar grausame Tat, denn der skrupellose Täter hatte sein nunmehr viertes Opfer gefunden, welches noch weitaus schlimmer geschändet worden war, als die drei Toten zuvor.

    Selbst Mamadou, der mittlerweile wortlos neben Thomas getreten war, hatte in seiner gesamten Laufbahn eine solch brutale Tat noch nicht erlebt und rang mehr als zuvor mit seiner Selbstbeherrschung.

    Vor ihnen befand sich Paola Francesca Gallina, die gläubige, unbefleckte und zurückhaltende Italienerin. Sie hatte ihr Leben in den Dienst Gottes stellen wollen und war nun in seinem Zeichen grausam gestorben. Sie hing leblos, blutüberströmt und leichenblass an dem überdimensionalen Kreuz. Doch auch die Mordmethode hatte einen biblischen Hintergrund. Die bleiche Italienerin war komplett nackt mit fünf eisernen Nägeln gekreuzigt worden. Vier Nägel fixierten ihre Füße und Arme, das letzte war mit brutaler Wut durch ihre Körpermitte gestoßen worden.

    Das Blut ihres geschändeten Leichnams war zu Boden getropft und tropfte noch immer. Lange konnte die stille Italienerin, zugleich das jüngste Mitglied der Gruppe, noch nicht tot sein. Ihre Augen waren verschlossen, ihr Kopf hing schlaff in die Tiefe. Erst jetzt fiel Thomas auf, dass auf der Mauer im Hintergrund des Kreuzes mit dem Blut der Toten eine Art umgekehrtes Pentagramm gezeichnet worden war.

    Hinter Thomas brach Magdalena Osario schluchzend zusammen und schrie ihre Wut und ihre Unverständnis aus sich heraus, während die meisten anderen Gäste betreten und geschockt die Kapelle wieder verließen.

    „Wer tut so etwas? Wer kann nur so grausam sein? Warum wir, warum?“, brüllte die Spanierin heiser und außer sich, doch niemand konnte ihr auf diese Frage eine Antwort geben.

    Sie sprang hektisch auf, blickte sich nervös um und stürzte auf Thomas zu, presste ihr verweintes Gesicht wuchtig gegen seine Brust und packte den verblüfften Schotten an seinem Hemdkragen und wiederholte die Frage. Speichel sprühte auf das Gesicht des Schotten, der nichts gegen die Spanierin tat, die hilflos schreiend auf ihn einschlug. Er konnte verstehen, dass sie ein Ablassventil brauchte und kurz vor einem Nervenzusammenbruch war.

    Schließlich griff Mamadou ein, packte seinerseits die wahre Schlossherrin sanft an ihren Schultern, schüttelte sie durch und blickte ihr tief und ernst in die Augen.

    „Ich werde diesen Bastard finden. Verlassen Sie sich drauf! Er mag noch einige von uns erwischen, doch so wahr ich hier stehe, ich schwöre, dass er nicht lebend diese Insel verlässt und seine Strafe erhält!“, sprach er mit harter Stimme, während Björn Ansgar Lykström zu seiner Geliebten trat und sie langsam aus dem Raum führte.

    Lediglich die beiden Polizisten, sowie der apathisch vor sich hinstarrende Butler waren noch in der düsteren Kapelle, durch deren Scheiben ein unwirkliches, diffuses Licht fiel und dem Schreckensszenario zusätzlich noch etwas Unheimliches verlieh. Nach einigen Momenten schritt der Bedienstete stoisch aus der Kapelle, völlig emotionslos, als ob er die Tote gar nicht registriert hätte.

    Thomas bekam eine Gänsehaut und plötzlich verschwamm die Umgebung vor seinen Augen, eine quälende, drückende Übelkeit breitete sich in seinem Unterleib aus und Mamadou musste ihn stützen, doch nach wenigen Sekunden war der Schwächeanfall dann doch wieder vorbei.

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    Kapitel 53: Freitag, 10 Uhr 43, Dickicht


    Thomas konnte nur vermuten, was genau passiert war. Er sah Fatmir Skola ein wenig abseits des Weges zwischen zwei hochgewachsenen Sträuchern liegen. Der Albaner war unfähig sich zu rühren, sein eAugen war gerötet, Tränen des Schmerzes und der Angst rannen in Strömen über sein aufgedunsenes Gesicht. Vermutlich war er durch einen unglücklichen Zufall auf dem schlammigen Untergrund weggerutscht und dies war ihm zum Verhängnis geworden.

    Fatmir Skola hatte sich mit seinem linken Bein in einer Bärenfalle verfangen, die ihm auf grausame Art und Weise Fleisch und Haut weggerissen hatte. Das Blut rann in Strömen über das rostige, metallische Gerät. Mamadou war am vorhergegangenen Tag ebenfalls in eine solche Falle getappt, doch diese Falle schien noch größer und wuchtiger zu sein und den Albaner hatte es noch weitaus schlimmer erwicht.

    Ängstlich und Hilfe suchend blickte er die Gruppe an, hob kraftlos seine Arme. Thomas hatte sich als Erster von dem unerwarteten Schock erholt, stürzte auf seinen ehemaligen Kumpel zu, fiel zu Boden und machte sich an der zugeschnappten Falle zu schaffen. Das rostige Metall schnitt ihm in die Haut, die Ranken der ihn umgebenden Sträucher zerfurchten sein Gesicht und seine Arme, ebenso wie die Brennnesseln, die hier meterhoch wuchsen.

    All diese Schmerzen blendete der schottische Polizist in diesen Momenten aus. Es ging nur noch um das pure Überleben. Mit letzter Mühe konnte er das Gerät auseinander klappen und zerrte den Albaner aus der teuflischen Falle heraus. Dieser sank fluchend und wimmernd zu Boden, seine Kräfte hatten ihn längst verlassen und er war nur noch ein Häufchen Elend. Sein Bein glich einem blutigen Stummel und durch die Schussverletzung am anderen Bein war der Albaner nunmehr absolut unfähig, sich eigenständig fortzubewegen.  

    Die anderen Gruppenmitglieder waren bereits weitergegangen, Lykström wurde von seiner verängstigten Geliebten energisch weiter gezerrt, während Gwang-jo Park ohnehin nur an sich selbst dachte und nach wenigen Momenten des Innehaltens bereits fluchtartig weiter gerannt war. Mamadou hatte mit dem verletzten Butler seine liebe Mühe und konnte in dieser Situation Thomas auch nicht mehr unterstützen. Die beiden humpelten geduckt weiter und schlugen sich mehr schlecht als recht durch das fast schon dschungelartige Dickicht.

    In diesen Momenten zahlte es sich aus, dass Thomas ein relativ sportlicher Mann war. Er hievte den Albaner kurzerhand auf seine Unterarme, warf den zitternden Körper dann in einem letzten Kraftakt über seine rechte Schulter und torkelte wieder zurück auf den Trampelpfad. Seine Hände waren jetzt nicht mehr frei verfügbar, da er den Albaner in Position halten musste und so schlugen ihm lianenartige Ranken ungeschützt ins Gesicht.

    Mit einem Schaudern dachte der junge Polizist daran, dass in diesem undurchdringlichen Gestrüpp noch weitere Fallen lauern konnten. Zudem hatte er auch das Heulen des Wolfes nicht vergessen. Wo mochte diese Bestie bloß lauern?

    Nach etwa zwei Minuten sah Thomas endlich das Ende des Pfades vor sich und fand sich im Schlosspark in der Nähe der Vogelhäuser wieder. Der Regen fiel hier wie Bindfäden, die Sicht war nicht viel weiter als zehn Meter. Die beiden Geliebten und der Koreaner hatten wohl schon das Eingangsportal erreicht, während Mamadou und der verletzten Butler sich mitten auf der großen Wiese zwischen dem Dickicht und dem düsteren Schloss befanden, auf etwa einer Höhe mit dem Friedhof, der sich ihnen in diesen Momenten als makabre Zukunftsvision zu präsentieren schien.

    In Sicherheit waren die vier Nachzügler noch lange nicht, denn plötzlich ertönte das schaurige Heulen zum fünften Mal. Dieses Mal war es verdammt nah!

    Thomas fuhr herum und sah plötzlich einen weghuschenden Schatten im Regen, wenige Meter von den Vogelhäusern entfernt. Die Bestie lauerte, schlich langsam näher, als ob sie sich an der Angst des erstarrten Schotten und des jammernden Albaners weiden würde Im Gefühl der Siegesgewissheit stolzierte das Tier mit gefletschten Zähnen und gespitzten Ohren auf sie zu.

    Thomas sah plötzlich keinen Ausweg mehr. Er spielte mit dem Gedanken den Albaner auf seinen Schultern einfach achtlos ins Gras fallen zu lassen und selbst die Beine in die Hand zu nehmen, in der Hoffnung noch verschont zu werden. Doch er würde trotzdem nicht schneller sein als die Bestie, die ihn fixierte und seine Beute nicht ein zweites Mal entkommen lassen wollte. Zudem brachte Thomas es aus Solidarität einfach nicht über das Herz seinen ehemaligen Kumpel, mochte er sich in letzter Zeit auch noch so falsch verhalten zu haben, für sein eigenes Leben so zu opfern.

    Thomas schloss die Augen, atmete tief durch und sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Fatmir Skola, der auf seiner Schulter lag, fing krampfhaft an zu schreien, als ob er den Wolf dadurch vertreiben könnte. Die Bestie störte sich nicht weiter an diesem Verhalten und schritt lauernd um die beiden Männer herum, ging plötzlich mit seinen Hinterläufen in die Knie und starrte Thomas aus brutalen, graugelben Augen an, in denen nichts als der Blutdurst und die Gier stand.

    Thomas fragte sich unwillkürlich, wie der Mörder es geschafft hatte, das Tier so abzurichten, dass es gefühllos auf alles Menschliche stürzte und nichts als den Tod zu akzeptieren schien.

    Thomas sah wie sich die Muskulatur des Wolfes anspannte und wusste, dass der Angriff in wenigen Sekunden erfolgen würde. Thomas hatte keine Ausweichmöglichkeiten mehr, doch er wollte noch nicht aufgeben. Ein dem Menschen ureigener Überlebenswillen flackerte in ihm auf, als er Fatmir Skola zu Boden gleiten ließ und ohne lange Überlegungen auf die Bestie zuhechtete, die seinem Hechtsprung überrascht auswich.

    Thomas hatte darauf spekuliert nur einen einzigen Angriffsversuch zu haben und hatte auf die Gunst des Überraschungseffektes gehofft. Doch das Schicksal spielte ihm einen Streich und meinte es nicht gut mit ihm. Beim Absprung war der schottische Polizist leicht abgerutscht, kam somit erst mit Verzögerung zu einer unpräziseren Attacke und prallte haarscharf neben dem instinktiv reagierenden Wolf auf den schlammigen Boden. Kraftlos krallten sich seine Hände in den Boden. Er hatte verloren.

    Thomas hob noch ein letztes Mal den Kopf und nahm innerhalb von Sekundenbruchteilen Wahrnehmungen auf, die sich so langsam zusammenzusetzen schienen, als ob die Zeit still stehen würde. Mit geradezu brutaler Deutlichkeit nahm er seine nähere Umgebung wahr, seine Sinne schienen plötzlich völlig frei zu sein und verrückt zu spielen. Thomas roch seinen eigenen Schweiß, er nahm den Geruch von nassem Laub und Gras wahr, sogar der strenge Duft der Bestie war mit einem Mal gegenwärtig. Thomas sah aus seinen Augenwinkeln heraus Fatmir Skola, der hilflos aus der Gefahrenzone zu robben versuchte, dabei allerdings entsetzlich langsam vorankam. In einer letzten Kraftanstrengung richtete der Albaner sich auf, sackte wieder in die Knie und huschte auf allen Vieren weiter. Von der anderen Seite her sah Thomas Jason Smith das Gesicht der Bestie. Die aufgerichteten Ohren, das leicht geöffnete Maul, aus dem eine gierige, rosafarbene, lange Zunge heraushing. Aus dem Fell des Tieres perlte der Regen. Der Wolf scharrte ein letztes Mal mit seinem rechten Hinterlauf und schob seinen Unterkiefer vor, in dem sich eine blitzende Reihe messerscharfer Zähne zeigte.

    In diesem Moment ertönte ein dumpfes Krachen und wenige Meter von Thomas entfernt wirbelte Erde in die Luft. Ein weiteres dumpfes Krache ertönte und riss eine Furche in den Verschlag des Vogelhauses, neben dem der Wolf positioniert war.

    Thomas brauchte mehrer Sekunden, um zu realisieren, dass das dumpfe Krachen Schüsse gewesen waren. Der Wolf hatte die Situation schneller erfasst, jagte verschreckt auf das Dickicht zu und wandte sich plötzlich doch noch einmal um. Seine Augen begegneten denen des schottischen Polizisten und er las in ihnen ein grausames Versprechen. Thomas wusste mit einer untrüglichen Sicherheit, dass ein drittes Aufeinandertreffen für einen der beiden tödlich verlaufen würde.

    Ein dritter Schuss ertönte und strich haarscharf an dem Wolf vorbei, der sich jetzt endlich umwandte und über einen kleinen Pfad in das Dickicht sprang und irgendwo im undurchdringlichen Gewühl verschwand. Thomas Gehörgänge waren wie betäubt und in Watte getunkt von dem schrillen Hall der Schüsse. Der Lärme katalysierte sich in einem spiralförmigen Schwindelgefühl und der junge Schotte wurde erbarmungslos in diesen düsteren Trichter hineingesogen. 

    Thomas blieb äußerlich regungslos liegen, atmete tief durch und sah gerade noch den Schatten seines Kollegen aus Ghana, der sich besorgt über ihn beugte, ihm mit seiner rechten Hand über die Stirn strich und in der linken seine Pistole umklammert hielt. Thomas fragte sich, wie viel Munition ihnen noch bleiben würde.

    Mit dieser Frage versank er endlich in das tiefe Reich der dunklen Bewusstlosigkeit.

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    Kapitel 52: Freitag, 10 Uhr 35, Dickicht


    Gwang-jo wagte nicht sich zu rühren und starrte schweißüberströmt und von furchtbarer Angst gepeinigt auf die vor ihm stehende Gruppe. Thomas lag immer noch benommen neben dem Baumstumpf, der Butler wälzte sich röchelnd auf dem glitschigen Boden, während Lykström sich schützend vor seine Geliebte gestellt hatte und mit dieser langsam zurückwich.

    Gwang-jo spürte deutlich die Mündung der Waffe in seinem Nacken und hatte durch das Klicken erkannt, dass diese bereits entsichert worden war und sein Leben somit innerhalb von Sekundenbruchteilen auslöschen konnte. Der Koreaner reagiert nicht panisch, denn er hatte erkannt, dass er die Kontrolle verloren hatte. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg aus der Bredouille, doch die Angst, dass er lediglich einen einzigen Versuch mit vergleichsweise geringer Erfolgsaussicht hatte, lähmte seinen unbändigen Tatendrang.

    Der Koreaner versuchte ruhiger zu atmen und das Szenario zu analysieren. Der Butler, Thomas, Björn Ansgar Lykström und Magdalena Osario standen vor ihm, Fatmir Skola war bereits vorher in eine andere Richtung geflohen. Erst jetzt leuchtete dem Koreaner ein, wer ihm die Waffe in den Nacken drückte. Es konnte sich nur noch um den sonst so entspannten Mamadou handeln.

    Genau dieser meldete sich mit entsetzlich kalter Stimme zu Wort, näherte seinen Mund ganz nah an das Ohr des geschockten Koreaners.

    „Wenn du das noch einmal machst und jegliche Art von Gewalt in meiner Anwesenheit anwendest, dann mache ich dich selbst zum Krüppel.“, sprach der Ghanaer mit einer unbarmherzigen Härte, die er sich selbst nicht zugetraut hatte.

    Die extreme Situation nagte an den Nerven aller Beteiligter, die grausame Spannung war beinahe greifbar und das Unheil lag förmlich in der Luft. Der Regen war wieder stärker geworden und prasselte erbarmungslos auf die relativ lichte Stelle im ansonsten undurchdringlichen Dickicht.

    Alle warteten auf eine Antwort des Koreaners, doch der Zufall machte ihnen erneut einen Strich durch die Rechnung.

    Auf einmal war ein unheimliches Heulen zu hören, das nicht mehr weit entfernt sein konnte. Thomas Jason Smith, der sich am Baumstamm hochgestemmt und verstört aufgerichtet hatte, rann ein eisiger Schauer über den Rücken. Auf seinen Unterarmen bildete sich eine Gänsehaut. Auch Björn Ansgar Lykström war nervös geworden, hatte seine Geliebte losgelassen und warf panische Blicke in die Runde.

    Da ertönte das Heulen noch einmal, doch es war nicht das einzige Geräusch. Ein grausamer Schmerzenschrei vermischte sich mit dem Heulen, der den Zuhörern durch Mark und Bein ging. Das Schreien wiederholte sich, nahm noch an Lautstärke an und verwandelte sich nach Sekunden des Schreckens in ein erbärmliches Wimmern.

    Thomas hatte sofort erkannt, wer dort so laut geklagt hatte. Es konnte sich nur um Fatmir Skola handeln!

    Auch Mamadou hatte dies nemerkt und wollte aktiv werden. Er nahm seine Waffe herunter und steckte sie in seine Hosentasche, wobei er dem Koreaner mit dem anderen Arm einen groben Stoß in den Rücken gab. Gwang-jo stolperte vorwärts, trat auf die Beine des benommenen Butlers, rutschte aus und fiel der Länge nach hin.

    Mamadou nähert sich dem blutenden Butler, half diesem auf, legte dessen Arm um seine Schulter und schleifte ihn in Richtung des Trampelpfades, den auch Lykström und seine Geliebte soeben betreten hatten. Dabei hatte der Afrikaner auf Grund der Wunde von der Bärenfalle selbst immer größere Probleme und kam nur langsam und unter Schmerzen voran. Er kämpfte jedoch wie ein Löwe und kein Ton der Klage kam über seine spröden, breiten Lippen.

    Die restlichen Anwesenden musten auch nicht mehr dazu aufgefordert werden die Flucht zu ergreifen. Gehetzt stürzten sie auf den engen Trampelpfad und selbst der vorlaute Koreaner bekam es furchtbar mit der Angst zu tun und dachte nur noch an Flucht.

    Den Abschluss bildete Thomas, der sich noch einige Male ängstlich und hektisch umwandte und dabei das dritte Heulen des Wolfes vernahm, das so laut klang, als ob die Bestie schon neben ihnen stehen würde.

    Dann wandte er sich von dem schicksalhaften Ort ab und hetzte der restlichen Gruppe hinterher, bis er schließlich den gebückt gehenden Mamadou erreicht hatte, der mit seinen letzten Kräften den angeschlagenen Butler stützte.

    Plötzlich stießen die drei auf den Rest der Gruppe, der mitten auf dem Weg stehen geblieben war und nicht weiterschritt. Thomas drängelte sich grob an dem ehrfürchtig erstarrten Gwang-jo vorbei und bekam jetzt selbst einen uneingeschränkten Blick auf das Unbeschreibliche geboten, während ganz in seiner Nähe das vierte Heulen ertönte, das alle Anwesenden erneut ängstlich aufschrecken ließ.

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    Kapitel 51: Freitag, 10 Uhr 17, Dickicht


    Mühsam kämpfte sich Thomas durch das mittlerweile völlig verschlammte Dickicht. Der Weg hatte sich verändert, seitdem er und Mamadou ihn das letzte Mal beschritten hatten. Der Afrikaner hatte seine Verletzung durch die Bärenfalle noch nicht vollständig auskuriert und humpelte noch ein wenig beim Gehen. Dies machte sich allerdings wenig bemerkbar, da die gesamte Gruppe nur sehr langsam vorankam und zudem biss er die Zähne zusammen und wollte unter keinen Umständen irgendeine Schwäche offenbaren.

    Fatmir hatte indes durchs eine Schussverletzung ähnliche Probleme, doch seine Neugierde und sein Hass auf den Butler waren stärker gewesen als seine Schmerzen.

    Viele Pflanzen und kleinere Bäume waren wie Strohhalme umgenickt, der Trampelpfad war oftmals von umgestürzten Büschen oder halb entwurzelten Sträuchern versperrt. Auf dem Boden hatten sich viele Pfützen gebildet und Thomas war einige Male ausgerutscht, hatte jedoch immer irgendwie sein Gleichgewicht halten können. Durch die widrigen Umstände kam die Gruppe nur mühsam voran, was sich auch merklich in der Stimmung einiger Leute widerspiegelte.

    „Wann sind wir endlich da?“, jammerte Fatmir, der direkt hinter Gwang-jo herschritt und der gerade erst mitten in eine Pfütze gefallen war, sodass seine Kleidung fast bis zur Unkenntlichkeit verschmutzt worden waren.

    „Hoffentlich führt ihr uns nicht in die Irre. Ich habe ein mieses Gefühl bei der Sache. Die wollen uns bestimmt verarschen.“, fluchte Gwang-jo, der direkt hinter Mamadou entlang schritt und plötzlich das Gleichgewicht verlor.

    Fluchend wedelte der Koreaner mit den Armen, doch er konnte seinen Stand nicht mehr halten, taumelte unorthodox nach hinten und stieß dabei mit Fatmir zusammen, der auf dem nassen Untergrund ausrutschte und mit einem überraschten Fluch mitten auf den Weg fiel, während Gwang-jo gegen einen Baumstumpf prallte, davon abrutschte und in ein paar hochgewachsene Brennnesseln rutschte.

    Mühsam rappelten sich die beiden auf, während Thomas unbeirrt weiter voranschritt und Mamadou sich mit einem süffisanten Grinsen kurz umwandte, ohne den beiden allerdings in irgendeiner Weise zu helfen. Erst Björn Ansgar Lykström, der das Ende der Gruppe bildete, hatte ein Erbarmen mit den beiden Skeptikern und half Fatmir auf die Beine, während Gwang-jo mürrisch jegliche Hilfe ablehnte, sich aufraffte und fluchend die schmerzenden Unterarme massierte, auf denen sich schon die ersten Brandwunden gebildet hatten. Er wartete kurz, bildete dann den letzten Teil der Gruppe und hing düsteren Gedanken nach.

    Thomas Jason Smith war inzwischen endlich an der Stelle angekommen, wo er am vergangenen Tag das Kokain mit seinem provisorischen Kollegen versteckt hatte. Auch Mamadou selbst war jetzt dazu gestoßen und sogar der Rest der Gruppe hatte wieder ein wenig aufgeholt. So standen sie jetzt völlig durchnässt, übellaunig und erschöpft auf relativ begrenztem Raum und warteten auf das weitere Vorgehen.

    „Hier in diesem ausgehöhlten Baumstamm haben wir die Drogen versteckt.“, teilte Thomas der Gruppe mit und wischte sich die nassen Haarstränen aus der Stirn.

    „Seid ihr sicher, dass es der richtige Platz ist? Ich meine, es gibt hier ja viele umgekippte Baumstämme.“, warf Björn Ansgar Lykström fragend ein.

    „Diesen Ort würde ich immer unter tausend anderen Orten wiedererkennen. Ich bin mir meiner Sache absolut sicher.“, zerstreute Thomas die Zweifel der restlichen Gruppe mit Bestimmtheit.

    „Ich kann ihm nur zustimmen.“, warf auch Mamadou jetzt ein.

    „Worauf warten wir denn dann noch, zur Hölle?“, beklagte sich Gwang-jo und drängte sich grob nach vorne, sodass er nun unmittelbar neben dem grimmig wegblickenden Butler stand, dem er einen feindlichen Blick zuwarf.

    Thomas hatte die Zeichen der Zeit verstanden, bückte sich und sah den halb umgestürzten Baum, dessen Wurzeln aus dem Boden ragten, sodass der ausgehöhlte Stamm ein ideales Versteckt bot. Selbst die Steine, die Thomas und Mamadou vor das Versteck gelegt hatten, lagen größtenteils unberührt davor, lediglich einige leichtere Exemplare waren von der Sturmflut weggespült worden. Thomas rollte die Steine mühelos zur Seite, blickte kurz in das undurchdringliche Dunkel des ausgehöhlten Stammes und griff nun mit beiden Händen in der in die Öffnung.

    Er schien zunächst nicht fündig zu werden, legte sich flach auf den Boden, um tiefer greifen zu können. Entsetzt tastete er von einer Seite zur anderen, klopfte gegen die innere Rinde, näherte seinem Kopf der Öffnung und verfiel in Hektik. Entsetzt stellte er fest, dass die Päckchen allesamt verloren waren. Schweiß brach auf seiner Stirn aus und er wandte sich mit klopfendem Herzen zu seinen Begleitern um, die ungeduldig hinter ihm verharrten und sofort merkten, dass etwas nicht stimmte. Schwer atmend stand Thomas auf, ging um den Baumstumpf herum und suchte nach einer zweiten Öffnung, doch er wurde nicht fündig.

     Fluchend eilte er noch einmal um den umgestürzten Baum und wurde nun endlich von Mamadou unterstützt, der sich flach auf den Boden gelegt hatte und nun ebenfalls das Versteck inspizierte. Er war noch einen Tick größer als Thomas, hatte auch längere Arme und steckte sogar seinen Kopf in die Öffnung, doch auch er wurde nicht fündig, rappelte sich wieder auf und schüttelte entsetzt den Kopf.

    Thomas waren inzwischen die Nerven durchgegangen. Er trat wütend gegen die morsche Rinde des Baumstamms, die diesem Gewaltakt nicht mehr Stand hielt. Das Holz splitterte morsch auseinander und schon bald nahm Thomas die Hände zur Hilfe, um die Öffnung zu vergrößern. Erschrocken zuckte er zurück, als er eine Gruppe glitschiger Maden sah, die  verschreckt aus dem Holz kroch. Mit rasselndem Atem trat Thomas erneut gegen das Holz und hatte nun endlich eine größere Öffnung, in die er erwartungsvoll hineinstarrte.

    Ernüchtert taumelte er zurück und stützte seinen Unterarm an einem verkrüppelten Baum ab. Nervös legte er seinen Kopf gegen den Arm und atmete tief durch. Schweiß und Regenwasser rannen ihm über das Gesicht.  Auch durch die Öffnung war kein Blick auf die Päckchen zu sehen gewesen. Die Beute war also nicht etwa tiefer in den Stamm hineingerutscht.

    Mamadou wollte indes nicht aufgeben, packte den Stamm mit seiner vollen Kraft und drehte ihn leicht zur Seite, suchte dann die nähere Umgebung ab, bis das Dickicht ihm den Weg versperrte. Doch so sehr er sich auch bemühte, seine Versuche blieben allesamt erfolglos. Der sonst so beherrschte Afrikaner geriet völlig aus der Fassung. 

    Thomas begegnete dem Blick des Butlers, der ihn düster anstarrte, wobei auch etwas Ängstliches in seinem Blick lag. Thomas fühlte sich plötzlich schuldiger denn je für das Schicksal des ehemaligen Drogendealers.

    Alle Anwesenden wirkten überrascht und auch niedergeschlagen, lediglich Gwang-jo stand feixend abseits der Gruppe und ließ seinem Spott freien Lauf. Fast provokant lässig und langsam steckte er sich eine Zigarette an und warf das noch brennende Streichholz grinsend ins Dickicht. Genüsslich sog er den schlierenförmigen Rauch in seine Lungen ein.

    „Ein tolles Versteck und eine tolle schauspielerische Leistung. Eure Enttäuschung und Überraschung sieht schon beinahe echt aus. Aber ihr könnt mich nicht täuschen! Ihr habt gelogen und euer Butler auch. Vielleicht steckt ihr zu dritt unter einer Decke. Er macht die Drecksarbeit und ihr schützt ihn und besorgt ihm die nötigen Informationen über die einzelnen Opfer. Ihr seid allesamt verrückt! Aber mich kriegt ihr nicht!“, schrie der Koreaner voller Wut, blickte sich grimmig um und sah, dass auch die anderen Begleiter der Gruppe ungeduldig geworden waren.

    „Was soll das bedeuten, was habt ihr mit uns vor?“, fragte Fatmir zitternd und wich immer weiter von den Polizisten und dem Butler zurück, als ob er eine plötzliche Attacke der vermeintlichen Mörder erwarten würde.

    Er hielt es schließlich nicht mehr länger aus, fuhr herum, rutschte mit seinem linken Bein weg, fing sich gerade noch und humpelte über den schmalen Trampelpfad hinweg davon. Er war zwar von seiner Verletzung geplagt, doch seine Angst vor einem möglichen Hinterhalt verlieh ihm fast schon unnatürliche Kräfte und er huschte davon, als ob er von tausend Teufeln gejagt werden würde.

    „Ich lasse mir nichts vormachen. Ich habe auch keine Angst vor euch“, herrschte der Koreaner die beiden Polizisten und den Butler an, als ob er sich selbst Mut zureden müsste. In seinem Blick flackerte eine wahnsinnige Aggressivität, der er plötzlich freien Lauf ließ.

    Völlig unvermittelt warf er seine Zigarette in die Büsche und raste ohne jegliche Vorwarnung auf den Butler zu, sprang diesen an und stieß ihn grob zu Boden. Mit beiden Händen packte er den Hals des überraschten Opfers und drückte mit finsterem Blick unbarmherzig zu. Gleichzeitig verpasste der Koreaner seinem Gegner einen brutalen Kopfstoß gegen die Nase und das Röcheln des Butlers vermischte sich mit einem gequälten Schmerzensschrei.

    Thomas reagierte einen Augenblick schneller als sein Kollege, stürzte auf den Koreaner zu, der den Angriff sah und sich mit einer Seitwärtsrolle blitzschnell aus der Gefahrenzone beförderte. Thomas prallte im Fallen noch gegen den bemitleidenswerten Butler, rappelte sich aber sofort auf und stand seinem Gegenspieler plötzlich wieder gegenüber.

    Gwang-jo reagierte blitzschnell, nahm lediglich zwei schritte Anlauf, drückte sich vom matschigen Boden ab, rutschte noch ab und flog mit dem rechten, gespreizten Fuß voraus, auf den schottischen Polizisten zu. Dieser hatte durch das Abrutschen des Standbeines des Koreaners einige Sekundenbruchteile Zeit gehabt zu reagieren und dieser Umstand rettete ihn vor einer gröberen Verletzung. Er konnte sich im letzten Moment zur Seite wenden, sodass ihn der brutale Tritt nur an der Schulter traf, aber dennoch gegen den Baumstumpf schleuderte, auf den er prallte, um auf der anderen Seite ins nasse Gras zu fallen.

    Der Koreaner hatte beim Landen nach dem Sprung sein Gleichgewicht verloren und war ausgerechnet auf den angeschlagenen Butler geprallt, aus dessen Nasenlöchern ein roter Blutstrom rann. Nervös rappelte er sich auf und blickte rasch hin und her, um sich in seiner panischen Wut den nächsten Gegner auszugucken.

    Er wollte bereits wieder auf den benommenen schottischen Polizisten zustürmen, als er plötzlich etwas Kaltes in seinem Nacken spürte und ein metallisches Klicken vernahm.

               Der Koreaner erstarrte.

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    Kapitel 50: Freitag, 10 Uhr 03, Eingangshalle


    Irgendwann war Mamadou wieder aufgewacht, denn ein Geräusch hatte ihn geweckt. Zunächst war er völlig verwirrt, wusste nicht einmal mehr, wo er sich befand, bis seine Erinnerungen an die letzte Nacht zurückkamen. Erschrocken zuckte er vom Flurboden in die Höhe, wandte sich zur Seite und wäre um ein Haar mit einer böse lachenden Person zusammengestoßen, die ihm ihre eiserne Hand provozierend auf die Schulter legte.

    „Das nennt man also Nachtschicht. Die Polizei – dein Freund und Helfer. Ein irrer Butler bringt jeden einzelnen Gast um und die Polizei legt sich auch noch erholsam schlafen.“, knurrte Gwang-jo sein Gegenüber an und lächelte grausam.

    Mamadou hatte erst jetzt seinen ersten Schock überwunden und löste sich mit einer raschen Drehung aus der Umklammerung des erbosten Koreaners. Er wollte sich verteidigen, doch er musste sich eingestehen, dass Gwang-jo mit seinen Anschuldigungen leider vollkommen richtig gelegen hatte. Mamadou wurde rot, blickte betreten zu Boden und seine Wut auf den Koreaner stieg noch, als er merkte, dass er ihm keine Argumente entgegenbringen konnte. Er fühlte sich schuldig, schwach und gleichzeitig durchfuhr ihn ein Gedanke, der ihn in Schweiß ausbrechen ließ. Hatte der Mörder während seiner Unaufmerksamkeit erneut zugeschlagen? Hatte der wahnsinnige Killer eine weitere Falle vorbereitet? Die Unwissenheit und die Schuldgefühle trieben Mamadou in den Wahnsinn und er wandte sich abrupt ab.

    „Ich würde vorschlagen, dass du uns die Drogen zeigst, von denen du gesprochen hast. Vielleicht können wir euch ja wenigstens in dem Punkt Vertrauen schenken. Wir warten in der Eingangshalle, Bulle.“, fuhr der Koreaner Mamadou an und schritt fies lachend weiter den Flur entlang.

    Mamadou ballte seine Hände zu Fäusten und starrte Gwang-jo böse nach. Er atmete tief durch und versuchte seine Beherrschung wieder zu gewinnen. Eigentlich hätte er sich immer als ruhigen, verständnisvollen und ausgeglichenen Menschen betrachtet, doch diese Ausnahmesituation zehrte an seinen Nerven und seiner Selbstbeherrschung. Nervös wandte er sich um und klopfte an die Zimmertür seines Kollegen und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.

    Thomas Jason Smith trat gerade mit nacktem Oberkörper aus dem Badezimmer und sah seinen Kollegen überrascht an. Der Butler saß mittlerweile auf einem Holzschemel nahe des Fensters und blickte still nach draußen, wo der Sturm das Dickicht hinter dem Schloss von einer Seite zur anderen riss und die Wellen wie monströse Klauen aggressiv gegen die steinige Küste brandeten, als ob sie das uralte Gestein mit ihrer Kraft entzweireißen und die Insel in den Fluten verschlingen lassen könnten.

    „Mamadou, selbst die Wasserleitungen sind defekt. Es gibt keinerlei warmes Wasser mehr. Ich habe eben unter der Dusche fast einen Herzinfarkt bekommen.“, beklagte sich der schottische Polizist und zog sich eilig ein langärmeliges Hemd über.

    „Gwang-jo erwartet uns in der Eingangshalle.“, meinte Mamadou nur emotionslos.

    Thomas fuhr herum und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe, während er sich gedankenverloren seine russische Armbanduhr anzog und dann nach einem Kamm griff.

    „Ich weiß nicht, ob wir auf die Forderungen dieses Mannes eingehen sollten. Wir könnten die Drogen auch einfach in ihrem Versteck lassen.“, schlug Thomas vor.

    „Theoretisch schon. Aber wenn wir ihm keinen Gegenbeweis bringen und zeigen, dass der Butler die Wahrheit gesagt hat, dann wird er uns noch mehr misstrauen, andere Gäste gegen uns aufwiegeln und es wird zu einer unvermeidlichen Eskalation kommen.“, argumentierte der Afrikaner und trat auf seinen Kollegen zu.

    Thomas hielt inne und blickte Mamadou bedeutungsschwer an.

    „Es könnte beim nächsten Mal eine tödliche Eskalation sein.“, fügte Mamadou hinzu, der die Gedanken seines Kollegen erraten zu haben schien.   

    Plötzlich meldete sich erstmals der Butler zu Wort, der bislang lediglich völlig teilnahmslos am Fenster gesessen hatte und beinahe dem Wahnsinn verfallen zu sein schien. In jedem Fall hatten ihn die Ereignisse des letzten Tages stark mitgenommen und einen vielleicht lebenslangen Schock verursacht.

    „Ich werde mitkommen. Ich will meine Unschuld beweisen.“, sagte er sehr energisch.

    „Ich halte das für keine gute Idee.“, tat Thomas seine Zweifel kund.

    „Ich habe nichts zu verlieren. Ich will zeigen, dass ich es ehrlich meine. Ich werde die Drogen nehmen und in die Fluten werfen. Sie sind mir völlig egal geworden.“, tat der Butler kund, ohne seine Gesprächspartner dabei anzusehen. Sein Blick war immer noch auf das Fenster und in eine uneinsehbare Ferne gerichtet.

    Thomas überlegte eine Weile lang. Eigentlich hatte er die Drogen als Beweismaterial zurückstellen wollen. Auf der anderen Seite konnte bei den aktuellen Ereignissen niemand mehr an eine solche Lappalie denken. Der Butler hatte viel durchgemacht und ein Gefängnisaufenthalt würde ihm womöglich sogar den Rest geben. Mit den gestrigen Ereignissen war der Butler genügend bestraft und Thomas glaubte daran, dass eine solche Geste von Seiten des Butlers wieder für mehr Ruhe sorgen könnte und auch die Argumente der ärgsten Kritiker entschärfen würde.

    Langsam nickte er, denn er hatte seine Entscheidung getroffen.

    „So soll es sein. Ich halte das für eine gute Idee.“, gab er zurück und blickte auch seinen ghanaischen Kollegen an, der ihm mit einem kleinen Lächeln zunickte und ebenso wie er auf eine Wendung zum Guten hoffte.

    Für einen kurzen Augenblick waren die Sorgen und Ängste vergessen und Thomas war immer überzeugter von dem Plan. Optimistisch verließ er sein Zimmer und wurde von Mamadou und dem stillen und in sich versunkenen Butler in die kalte und düstere Eingangshalle begleitet, wo bereits einige Anwesende warteten. In vorderster Front zur Treppe standen Gwang-jo und Fatmir, etwas abseits von ihnen Magdalena Osario, die einen hohen, grauen Wollkragenpullover trug und sich traurig an ihren Geliebten schmiegte, der ein wenig bedrückt wirkte und sich merklich zurückhielt nach den gestrigen Ereignissen. Vermutlich hatte er Gewissensbisse und blickte auch zu Boden, als der Butler an ihm vorbeischritt und einen undeutbaren Blick auf den Schweden warf.

    Wortlos trat Thomas zum Eingangsportal, wandte sich noch einmal der betreten schweigenden Menschentraube zu und riss kraftvoll die Tür auf, die ihm aus seinem Griff gerissen wurde, und brutal gegen die Wand der Eingangshalle schlug, wo sie noch leicht nachbebte. Ein heftiger Wind schlug ihnen entgegen und durchnässte Thomas bereits bei seinen ersten Schritten bis auf die Haut. Er atmete tief durch und stürzte sich als Erster geduckt in das infernalische Unwetter, das die Insel zu verschlingen drohte.

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