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    Vorwort

     

    Lang und unnütz sind sie meist, die Vorworte, aber in diesem Fall bitte ich die ungeduldige Leserin respektive den ungeduldigen Leser herzlich darum, sich vielleicht fünf Minuten Zeit zu nehmen, um ein paar Zeilen zu lesen, die mir aufrichtig am Herzen liegen.

    Nach über einem Jahr harter Arbeit und gut zwei Jahren Warte-, Reflektions-, und Produktionszeit ist es nun vollbracht. Mein erster richtiger und in deutscher Sprache verfasster Roman ist fertig gestellt worden. Die Arbeit hat sehr viel Konzeptpapier in Anspruch genommen, viel Ideenreichtum beansprucht und auch die ein oder andere schlaflose Nacht gekostet, denn gute Inspirationen kommen gewohnheitsgemäß meist dann, wenn man nicht damit rechnet. Ich habe sicherlich das Genre nicht neu erfunden und mich von vielen Dingen inspirieren lassen, bin aber auf das Gesamtwerk außerordentlich stolz, ob es nun von Kritikern und Leserschaft zerrissen wird oder nicht.

    Bereits zu Grundschulzeiten war es mein größter Traum, eines Tages Schriftsteller zu werden und in der Zeit schrieb ich auch schon allerlei Geschichten, zunächst kurze und handschriftliche Romane im Stil von Enid Blyton oder Jugendkrimireihen wie „Die drei Fragezeichen“. Später waren es dann auch Fantasy-Romane, angelehnt an die Bücher von Ralf Isau oder J.R.R. Tolkien. Auch diverse Filme und auch die Musik waren immer eine große Inspiration für mich. Ich verschickte die Manuskripte damals an diverse Verläge, erhielt dafür viel Lob, aber natürlich auch Absagen, denn im Alter von zehn oder elf Jahren war mein Schreibstil selbstverständlich noch nicht am Zenith des möglichen Niveaus angelangt.

    Seit dieser Zeit hatte ich immer wieder Ideen für Romane, fing an zu schreiben und war doch nie wirklich zufrieden und verwarf die Ansätze, manchmal nach zehn Seiten, manchmal auch nach einhundert Seiten. Ich war immer ein spontaner Schreiber, der zwar eine gute Grundidee im Kopf hatte, aber sich nicht Gedanken über die Details oder ein mögliches Ende machte.

    Erst durch mein Auslandsjahr im französischsprachigen Kanada im Jahr 2006 erhielt ich eine neue Motivation. Ich schrieb dort in der Zeit eine Kurzgeschichte, die sich alsbald unverhofft zu einem Epos ausweitete und immer komplexer wurde. Gedacht war zunächst in märchenhafter Form mit semi-autobiographischen Inhalten meiner kanadischen Freundin etwas über mein Leben, meine Kultur, meine Erfahrungen zu vermitteln. Inzwischen sind über 170 Seiten in französischer Sprache geschrieben worden und ich habe nach dem ersten Hauptteil des Epos einen Schnitt gesetzt, da der Schreibprozess manchmal entsprechend kräftezehrend war und zudem auch noch lange nicht beendet ist. So fand ich also zurück zum Verfassen deutscher Romane und schuf nach meiner Rückkehr nach Deutschland ab Ende 2007 erste Ideen für die „Todesinsel“. Erstmals erarbeitete ich hierfür auch ein konkretes Konzept, bei dem Anfang und Schluss des Romans schon einigermaßen fest standen.

    Als großer Fan des Krimigenres, aber auch des Horrorgenres, wollte ich versuchen beide Stile miteinander zu verknüpfen und eine möglichst beklemmende und düstere Atmosphäre zu erschaffen. Es war mir allerdings wichtig nicht mit übersinnlichen Phänomenen und Geisterwesen zu arbeiten, da dies zu sehr im Kontrast mit den Persönlichkeiten des Romans gestanden und das Ganze meiner Meinung nach degradiert hätte. Der Roman sollte auf eine gewisse Art und Weise einigermaßen realistisch bleiben, denn manche Menschen allein sind furchteinflößender, als alle von Autoren erdachten Kreaturen zusammen. Die besten Geschichten schreibt so gesehen meist immer noch das Leben.

    Als Fan klassischer Theaterstücke und Kammerspiele fand ich die Idee einer isolierten Menschengruppe auf einer Insel faszinierend. Da ich mich in der Schule sehr für Pädagogik und Sozialwissenschaften interessiere, fand ich es spannend mir zu überlegen, wie Menschen in solchen Extremsituation, wie sie in meinem Roman vorkommen, wohl reagieren könnten. Ich versuchte möglichst tiefsinnige, abwechslungsreiche Charaktere zu schaffen, vom misanthropischen Choleriker, über die schüchterne Gläubige, bis hin zu der undurchschaubaren Person mit düsterer Vergangenheit. Jede Person in meinem Roman sollte bestimmte Markenzeichen, eine bestimmte Aura haben, gleichzeitig aber wollte ich auch erst nach und nach genauere Details über die Personen ins Spiel bringen, überraschende Wendungen und verschiedene Arten von Gruppendynamiken, um die Spannung stets aufrecht zu erhalten. Dabei schuf ich bewusst Figuren, die sich entweder in ihrem Verhalten im Verlauf des Romans kaum änderten oder ganz im Gegenteil tiefere und begründete Wandlungen durchlebten. Natürlich bin ich kein Doktor der Psychologie und ein Experte mag manche Schilderungen als abstrus beurteilen, aber ich hoffe, dass meine Intentionen insgesamt ihren Sinn nicht verfehlen.

    Mein Roman sollte mehr sein, als ein typischer Krimi, in dem es lediglich darum geht den berühmten Mörder zu finden. Ich wollte viel mehr auch eine Charakterstudie schreiben und mit diversen Elementen der verschiedenen Genres experimentierten. So kommen in meinem Roman auch abenteuerliche, psychologische, erotische oder actionreiche Elemente vor, ohne dass der rote Faden verloren wird. Es ging mir nicht nur darum den geneigten Leser zu unterhalten, sondern ihn auch zum Denken anzuregen, ihn in eine andere Welt zu versetzen, ihn mit den Figuren mitfühlen zu lassen. Es sollte ein lebendiges Kopfkino entstehen, aber auch eine Art Spiegelbild der vielschichtigen und multikulturellen Gesellschaft, welches das Verhalten des Individuums in der Gesamtgruppe verdeutlichen soll. Zudem habe ich in dem Roman auch zahlreiche Hinweise auf den späteren Ausgang gezielt gestreut und ein aufmerksamer Leser könnte möglicherweise recht schnell erahnen, was hinter allem stecken könnte. Jedes Detail im Roman ist meist aus einem sehr guten Grund erwähnt worden. Die größte Stärke des Romans ist in meinen Augen die Detailverliebtheit und die erzeugte dichte Atmosphäre. 

    Trotz all der düsteren Elemente in meinem Werk steht aber auch bewusst das Positive im Vordergrund: Der Glaube an die eigene Stärke, der Glaube an die Liebe oder an eine göttliche Kraft, der Glaube daran, sich nach jedem noch so derben Rückschlag wieder zurückkämpfen zu können, der Glaube an das Prinzip Hoffnung und an das Lernen aus den eigenen Fehlern. Wichtig ist auch die Botschaft, dass man immer alles im Leben hinterfragen sollte und dass oberflächliche Dinge näher betrachtet meist ein ganz anderes Erscheinungsbild haben, als man vorher dachte. Somit ist dieses Werk auch als ein Plädoyer für die ureigene Meinungsbildung zu verstehen, ohne dabei jedoch den Blick auf die Alternativen zu verlieren.

    Lange habe ich versucht meinen Roman, in den ich viel Herzblut gesteckt und an dem ich über ein Jahr lang gearbeitet habe, diversen Verlagen anzubieten, doch die Manuskripte wurden nicht einmal angelesen, egal ob ich kurze Exposés verschickte oder gleich das ganze Werk. Man entschuldigte sich bei jedem Verlag, egal ob groß oder klein, mit dem Argument, dass man täglich eine Flut an Einsendungen bekommen würde, denen man kaum Herr werden könne. Nun, vielleicht kann man im fortschreitenden Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ja zukünftig dort den Hebel ansetzen. Ich hätte den Roman auch bei einigen Verlagen mit hohen Eigenkosten selbst veröffentlichen können – vorausgesetzt, ich sei jederzeit für Treffen und Gespräche verfügbar und für Inspirationen und Kritik bereit. Da ich aber nunmehr im Ausland studiere und selten verfügbar bin, finanziell ebenfalls eingeschränkt bin und auch nicht einsehe mein einjähriges Werk von Außenstehenden gegen Bezahlung retuschieren zu lassen, präsentiere ich meinen Erguss ganz einfach zunächst hier im Internet. Ich bin nicht der erste Autor, der einmal auf diese Weise angefangen hat. In naher Zukunft möchte ich nun auch eine kleine Auflage meines Werkes drucken lassen, um es an Freunde, Verwandte, Bekannte und Interessenten weiterzugeben. Den Gewinn, den ich dabei erziele, ist kaum der Rede wert und deckt, sofern sich die Exemplare an den Mann bringen lassen, bestenfalls ein bisschen mehr als die Unkosten ab. Da nur ich selbst das Werk in akribischem Eifer Korrektur gelesen habe, könnten sich auch noch einige Fehlerteufel eingeschlichen haben. Wer etwas entdecken sollte, möge es mir bitte mitteilen, damit das Problem für zukünftige Versionen behoben werden kann. Aber immerhin kann ich nun endlich voller Stolz behaupten, dass ich mir den langjährigen Traum vom eigenen Buch verwirklicht habe, auch wenn dies nun etwa zwei Jahre später als gedacht passiert ist. Und wer weiß? Vielleicht bekomme ich ja doch ein paar positive Rückmeldungen und darf sogar noch ein paar weitere Exemplare für neue Leserinnen und Leser drucken lassen. Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Und was lange währt, wird endlich gut – Aufgeben war noch nie meine Stärke.

    Abschließend sei allen, die dieses Werk in den Händen halten oder ganz einfach im Internet mitlesen, allen, die mich seelisch und moralisch unterstützt haben, allen, die nun daran mithelfen meine Geschichte unter das Volk zu bringen, herzlich gedankt. All diesen Menschen sei dieses Buch gewidmet.

    Für Rückfragen, positive wie negative Kritik, Bestellungen oder Produktionsnachfragen stehe ich gerne zur Verfügung. Da ich derzeit, wie bereits erwähnt, im Ausland studiere und daher keine feste Telefonnummer in Deutschland habe, muss leider die Variante des Internets vorerst zur Kontaktierung herhalten.

    Meine E-Mail-Adresse lautet: kluseba@hotmail.com.

    Wer unbedingt darauf beharrt mir zu schreiben, darf es unter folgender Adresse in Kanada gerne versuchen:

     

    Sebastian Kluth

    555 boulevard del’Université Est, bâtiment D, appartement 5, chambre D

    G7H 2B1 Chicoutimi (Qc)

    CANADA

     

    Dies soll nun als kurzer Einstieg auch genügen. Tauchen Sie nun tiefer in die Geschichte ein...

     

    Ein spannendes Lesevergnügen wünscht Ihnen

     

    Ihr Sebastian Kluth

     

     

     

    Leverkusen, den 27. Februar 2009 (zum ersten Ansatz)

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    Über den Autor


    Sebastian Kluth wurde am 21. August 1989 in Leverkusen geboren. Bereits in jungen Jahren begann er mit dem Schreiben und verfasste diverse Kurzgeschichten und Romanserien, die es aber nie zu einer Veröffentlichung schafften. Nach einem inspirationsreichen einjährigen Auslandsaufenthalt in der frankokanadischen Provinz Québec begann er an einem neuen und seriösen Anlaufversuch zu arbeiten und erarbeitete das Szenario für den Roman „Die Todesinsel“ Ende 2007. Er stellte den Roman Anfang 2009 fertig, korrigierte und verfeinerte ihn über die nächsten Wochen und Monate und versandte ihn an mehrere Verlage. Auf Grund mangelnden Interesses entschied sich der Autor mehr als ein Jahr später seinen Roman über das Internet und durch eine limitierte Eigenproduktion Freunden, Bekannten und Interessierten zugänglich zu machen, da er an die Qualität seines Werkes glaubte.

    In Zwischenzeit studiert Sebastian Kluth seit seinem erfolgreich abgeschlossenen französisch-bilingualem Abitur im Jahr 2009 für vier Jahre Geschichte und Erdkunde auf Lehramt in Chicoutimi, in der kanadischen Provinz Québec. Nach dem Erreichen des Bachelors will er als Lehrer in Kanada arbeiten und nebenher gelegentlich als Journalist oder Schriftsteller tätig bleiben.

    Sebastian Kluth interessiert sich besonders für Musik und Kino, er reist viel und gerne und mag Fußball, Volleyball, Badminthon und Eishockey. Er beherrscht drei Sprachen sehr fließend und hat zudem erweiterte Anfängerkenntnisse in drei weiteren Sprachen.

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    Über den Roman


                Thomas Jason Smith ist ein junger schottischer Polizist, der einige schicksalhafte und schwere Jahre hinter sich hat. Da kommt ihm die Einladung des Direktors seiner ehemaligen Privatschule gerade recht. Direktor Wohlfahrt und seine Frau und Lehrerin Magdalena Osario laden den ersten Jahrgang ihrer Privatschule für fünf Tage auf die Privatinsel „Osario Island“ ein um in gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen, sich neu kennenzulernen und sich vom harten Alltag fernab jeglicher Zivilisation und Technik abzulenken. Doch kaum treffen die ehemaligen Schüler aus aller Welt aufeinander, da brechen die alten Wunden wieder auf und es kommt zu Rivalitäten und Spannungen. Als am ersten Abend auf der mittlerweile von einem heftigen Sturmtief isolierten Insel der erste ehemalige Schüler unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt, glauben noch alle an einen Zufall oder Unfall.

    Doch Thomas Jason Smith entdeckt rasch, dass mehr dahinter steckt und merkt, dass fast jeder der Anwesenden ein Motiv hätte und ausnahmslos jeder ein düsteres Geheimnis verbirgt oder gar mit völlig falschen Karten spielt. Als es am nächsten Morgen den zweiten Todesfall gibt, wird dem jungen Schotten bewusst, dass eine Person unter ihnen ein teuflisches Spiel organisiert hat, bei dem an jedem Tatort bereits der Zeitpunkt des nächsten Todesopfers angedeutet wird. Der Täter scheint die Insel bestens zu kennen und schlägt auf vielseitige und überraschende Weise immer im unerwartesten Moment zu, um seinen perfiden Racheplan bis zum blutigen Ende auszuführen und die Todesinsel zu einem Massengrab zu machen.

    Während auf der isolierten Insel Panik ausbricht und die Anwesenden sich gegenseitig anfeinden und beschuldigen, muss Thomas Ruhe bewahren um die Dämonen seiner Vergangenheit zu bekämpfen und zu beweisen, dass er den gerissenen Täter entlarven kann bevor es zu spät ist.

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    Kapitel 1: Dienstag, 22 Uhr 34, Osario Island

     

    Geräuschlos fuhr der alte Kutter in die tiefschwarze Bucht ein. Sie lag gut versteckt auf der Rückseite der kleinen Privatinsel, die sich etwa sechs Kilometer von der Küste im Norden Schottlands unweit der Orkney Inseln befand. Es war eine sternenklare Nacht. Es herrschte eine unheimliche Stille auf der Insel, die gerade einmal fünf Kilometer lang und keine zwei Kilometer breit war. An ihrer Südseite besaß die Insel einige steile Felsenkliffs und vorgelagerte Korallenriffs, die ein Anlegen dort unmöglich machten. Die einzige offizielle Anlegestelle befand sich im Osten der Insel, wo sich ein Pier befand, das den Besitzern des einzigen Gebäudes auf der Insel diente. Die Vegetation der Insel war um das Gebäude und im Nordosten sehr karg, während sich auf der Südseite ein wildes Dickicht mit einigen verdorrten Bäumen und Sträuchern befand. Dort war das Gelände sehr hügelig und stieg zum Teil bis etwa einhundert Meter über den Meeresspiegel an, allerdings befanden sich dort auch zwei kleinere Buchten, die allerdings auf Grund mehrerer spitzer Felsnadeln im Wasser sehr schwer zugänglich waren.

    In eine dieser zwei Buchten lief nun der alte Kutter ein. Er war weiß gestrichen und die Lettern seines ursprünglichen Namens waren längst abgeblättert. Die Planken waren voller Algen und Moos und der alte Kahn knarrte bedrohlich unter dem Einfluss einiger Windböen. Im hinteren Bereich des Kahns befanden sich einige Fangnetze, sowie ein kleines, aber solides Paddelboot, an dem sogar ein kleiner, aber funktionstüchtiger Dieselmotor für Notfälle befestigt war. Theoretisch hätte der Inselbesucher auch dieses Boot nehmen können, aber darauf befand sich nicht ausreichend Platz für gewisse Dinge und so hatte er sich für den Kutter entschieden, den er einem alten, graubärtigen, mürrischen Seebären an der schottischen Küste abgekauft hatte. Das kleinere Boot würde aber sicherlich auch noch von größerem Nutzen sein.

    Eine einsame Gestalt, in einen schwarzen Regenmantel gekleidet, stand hinter dem Steuerrad des Kutters und vor einem Verdeck, welcher einen kleinen Raum beinhaltete, in dem sich eine Koje, ein Schrank voller Proviant, eine Herdplatte, sowie ein größerer Hundezwinger und zwei Regale mit Lebensmittel und Büchern befanden. Neben der düsteren Gestalt befand sich ein Tier, welches seinen Kopf gegen die Beine seines Besitzers schmiegte. Das Wesen stieß ein schauriges Heulen aus und bekam von seinem Besitzer einen Klaps auf die Schnauze, woraufhin es verstummte. Die Gestalt betrachtete den hellen Vollmond und griff zu einem Tau, welches sich neben ihr auf einer kleineren Ablage befand.

    Die Gestalt bewegte sich zur Bugseite des Schiffes und visierte einen größeren Felsen in Küstennähe an. Die ominöse Gestalt schleuderte das Tau mit ungemeiner Kraft, beinahe wie ein Lasso. Es verfehlte sein Ziel nicht und umschlang die kleine Felsnadel. Sofort verknotete die Gestalt das Tau mit geübten Griffen an einer kleineren Vorrichtung des schäbigen Schiffes und war mit ihrer Arbeit zufrieden.

    Kurz darauf touchierte die Bugseite des Schiffes bereits die niedrige Felswand der Küste. Die Gestalt näherte sich einer größeren Holzplanke, die lose auf dem vertäuten Kutter lag und hievte diese auf den äußersten Rand der Reling, sodass sie als Übergang zur Küste fungierte, die auf fast gleicher Höhe lag. Die Gestalt klatschte kurz in die Hände und das Tier näherte sich ihr, hüpfte behände auf die breite Planke und wartete dort auf seinen Besitzer. Dieser folgte seinem Tier, nachdem er sich mit einem kurzen Blick versichert hatte, dass er keine unnötigen Spuren zurückließ und alles an seinem Platz lag.

    Mit einem unheilvollen Lächeln betrat die Gestalt die Küstenregion und machte sich daran einige Halterungen in die zerklüfteten, mal kalkweißen, mal grauen Wände der Küste zu verankern, was ohne Mühe gelang. Mit einer störrischen Ruhe befestigte die Person ein Seil, welches sie in ihrem Rucksack verstaut hatte, an den Halterungen und prüfte, ob die Konstruktion die nötige Stabilität besaß.

    Nach einigen Minuten war die Arbeit vollbracht und die Person erklomm zufrieden den kleinsten Teil der Felswand. Mit geübten Griffen und ohne Angst erklomm die Gestalt die Steilküste und ließ sich auch nicht von dem immer stärker werdenden Wind aufhalten. Bald schon wurde die Klippe weniger steil und macht einem leicht abgerundeten, steinigen Hügel Platz. Die Gestalt löste sich von dem Sicherungsseil und trat auf das kleine Plateau. Das Tier, welches den Anstieg auch ohne Hilfsmittel rasch und elegant überwunden hatte, stand bereits dort und erwartete freudig die düstere Gestalt. Mit glänzenden Augen schmiegte sich das Wesen an die Beine des unheimlichen Inselbesuchers, der dem Tier sanft durch das Fell strich.  

    Die mysteriöse Gestalt sah nun bereits jenseits des großen Dickichts, welches einige Meter entfernt begann, die schattenhaften Umrisse des großen Gebäudes, das relativ nah am eigentlichen Hafen der Insel lag. Es handelte sich um ein gespenstisches Schloss, welches zwei große Türme besaß und im neogotischen Stil erbaut zu sein schien. An der Küstenseite des Schlosses befanden sich ein kleines Thermalbad, sowie eine kleinere Hütte, in der sich eine Sauna befand. Weiter im Landesinneren befand sich ein kleiner, aber gepflegter Park, der bis an das düstere Dickicht grenzte. Dort befand sich lediglich ein alter Geräteschuppen, sowie eine Feuerstelle mit offen stehendem Grill, sowie zwei Vogelhäuser, die bis an die ersten verkrüppelten Bäume heranreichten. Unweit davon befand sich etwas abseits des Gebäudes noch ein kleinerer Familienfriedhof, auf dem alle Besitzer des Schlosses beerdigt worden waren und prächtige Grabsteine erhalten hatten. An ein jüngeres Grab waren einige frische Kränze gelegt worden.

    Die düstere Gestalt hatte sich langsam einen Weg durch das auf den ersten Blick undurchdringlich wirkende Dickicht gebahnt und stand nun an der Rückseite des Schlosses. In einem der beiden Türme war noch Licht auszumachen, während der Rest, auch der Gästetrakt, sich in düsterer Stille präsentierte. Die Gestalt hielt einige Augenblicke inne und genoss die Stille, während ihr vierbeiniger Begleiter weitaus ungeduldiger wirkte. Die Gestalt kramte einen Plastikbeutel aus ihrem schwarzen Regelmantel hervor und öffnete diesen behutsam. Mit der rechten Hand, die mit einem schwarzen Seidenhandschuh bedeckt war, griff die Gestalt in den Plastikbeutel und packte ein Stück Fleisch, welches sie ihrem Begleiter hinhielt, der genüsslich knurrend danach schnappte und das Essen ungeduldig hinunterschlang. Die Gestalt griff nun in eine andere, innere Tasche ihres Mantels und förderte eine kleine Dose mit einer blassgrauen Flüssigkeit zu Tage, sowie einen kleinen Notizblock, auf dem sich eine Liste mit mehreren Namen und Beschreibungen befand. Die Handschrift wirkte sehr verschnörkelt und auf altertümliche Weise auch elegant. Noch einmal betrachtete die Gestalt die dort stehenden Informationen und versank dann in eine beinahe meditative Ruhe, um ihre Kräfte zu sammeln. Nach einiger Zeit formten die schmalen Lippen düstere, hasserfüllte Worte, die Gestalt sank auf die Knie und betrachtete die gläserne Ampulle, die sich an einer Kette um ihren schmalen Hals befand, in der sich eine seltsame, dunkle Flüssigkeit befand. Sie betrachtete ebenfalls ihren verzierten, silbernen Ring, nachdem sie einen ihrer Seidenhandschuhe ausgezogen hatte und küsste diesen innig, bevor sie ihren Handschuh wieder anzog.

    Langsam erhob sich die Gestalt und flüsterte ihrem vierbeinigen Begleiter etwas ins Ohr. Das Wesen schnurrte und die Gestalt entfernte sich in Richtung des Schlosses, während das seltsame Tier auf der Stelle verharrte und zurückblieb.

    Die ominöse Gestalt jedoch näherte sich einer älteren Hintertür des Schlosses und verweilte dort für einige Minuten im Schatten einer Nische. Im Turm des Schlosses ging das Licht aus, wie es vorhergesehen war und wie es in der Regel jeden Abend war. Es war jetzt 23 Uhr.

    Das Phantom nestelte in der Tasche seiner weiten und schwarzen Hose, die beinahe schon rockförmig aussah und fand dort auch das, was sie suchte. Mit einem bösen Lächeln steckte die Gestalt den mittleren der drei Dietriche ins Schloss der Hintertür. Er passte perfekt, so wie sie sich das vorgestellt hatte. Nach einigen, vorsichtigen Versuchen schaffte sie es das Schloss zu knacken und die Hintertür schwang mit einem düsteren Knarren auf. Ein dunkler Weinkeller lag vor ihr in einem der drei kleineren Kellergewölbe. In dem anderen befand sich eine Art Aquarium, beziehungsweise mehrere Haifischbecken, denn diese grausamen Könige der Meere waren die große Leidenschaft des alten Mannes, der dieses Schloss mit seiner weitaus jüngeren Frau und eigentlichen Schlossherrin bewohnte. In dem letzten Keller befand sich hingegen jede Menge Proviant. Zudem lag an einer anderen Stelle des Schlosses, ebenfalls leicht unterirdisch und ein wenig abseits des Hauptgebäudes gelegen, noch eine kleine Kapelle, die auch regelmäßig genutzt wurde.

    Der nächtliche Eindringling hielt kurz inne und überlegte sich, wie sie weiter vorgehen sollte und warf einen flüchtigen Blick auf seine Liste. Er schloss die Hintertür hinter seinem Rücken und griff in eine andere Innentasche des Mantels, in der sich eine kleine, aber leistungsstarke Taschenlampe befand.

    Die Gestalt kicherte düster und ein Lichtstrahl erhellte den von Spinnweben und Staub beschmutzen, geräumigen Weinkeller. Mit Hilfe eine Planes, den die Gestalt geräuschlos aus ihrem Rucksack nahm, fand sie sich recht schnell zurecht. Das Schloss wirkte auf sie so, wie sie es den Aufzeichnungen und Informationen nach erwartet hatte. Die anfängliche Nervosität wich einem fiebrigen Optimismus. Böse kichernd machte die unheimliche Erscheinung ihren Gefühlen Luft.

    Die letzten Vorbereitungen konnten beginnen...

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    Kapitel 2: Mittwoch, 10 Uhr 48, Küstendorf


    Thomas Jason Smith pfiff fröhlich eine Melodie mit, die aus seinem Autoradio erschallte und blickte auf eine Landkarte, die auf dem Beifahrersitz ausgebreitet lag. Mit viel Drall und quietschenden Reifen verließ er die typische, monotone Landstraße und bog auf eine holprigere Strecke ab, die ihn direkt zur Küste führte. Er warf einen Blick auf das Meer, welches sich ein wenig unruhig präsentierte. Über Nacht waren einige Wolken aufgezogen und im Radio hatte man in den Nachrichten bereits von einem gefährlichen Sturmtief namens Emma gesprochen, das ab den späten Abendstunden und möglicherweise auch in den kommenden Tagen noch für Unruhe sorgen sollte.

    Thomas Jason Smith war ein unkonventioneller Mensch. Sein Vater war sehr reich und war mit seiner Schuhfabrik im gesamten Vereinigten Königreich groß herausgekommen, für die sich auch schon sein Großvater ein Leben lang aufgeopfert hatte. Seine Mutter war eine erfolgreiche Jugendbuchautorin und zudem arbeitete sie seit langer Zeit in der örtlichen Pfarrgemeinde ihres Geburtsortes und war eine überzeugte und strenge Christin. Es war ihre Initiative gewesen, ihren einzigen Sohn auf eine private und christliche Eliteschule in die Einöde Schottlands zu schicken. Sein Vater, in seiner Firma für seinen Erfolgshunger und sein Engagement anerkannt, hatte in der Familie selbst wenig zu sagen und relativ schnell zugestimmt. So war es geschehen, dass Thomas Smith etwa sechs Jahre lang diese neu eröffnete und hochgepriesene Schule besucht hatte und dort von mehreren Privatlehrern ausgebildet worden war. Doch er war trotz all der strengen Erziehung stets ein Rebell geblieben. Er hatte mit fast jedem der anfangs eher zahlenmäßig unterlegenen Mitschülerinnen ein Verhältnis gehabt und sich mit seinem besten Kumpel an den langen Wochenendnächten oft vom Privatgelände gestohlen, um im einzigen Dorf im Umkreis der Schule, einem völlig heruntergekommenes Küstendorf, in dem nur wenige hundert Seelen lebten, nach einigen Abenteuern zu suchen. Die ein oder andere Nacht hatte er in der einzigen Kneipe des Ortes, dem „Old Hand Inn“, verbracht und dort mit den absonderlichsten Gestalten gepokert und Billard gespielt. Oft waren nach dem ein oder anderen Spiel auch die Fetzen geflogen. Hin und wieder hatte Thomas sogar seine aktuelle Geliebte mit in diese Kaschemme genommen, denn dort konnten sie wenigstens ungestört sein. Der Wirt Jimmy fand Thomas ausgesprochen sympathisch und stellte ihm oft ein Zimmer im zweiten Stock zur Verfügung, wo man seine ungestörte Zweisamkeit ausleben konnte, während in der Privatschule die einzelnen Trakte der Schlafgemächer voneinander getrennt lagen und von einigen älteren Nonnen gar überwacht wurden.

    Einmal hatte Thomas auch sehr viel Glück bei einem seiner zahlreichen nächtlichen Ausflüge gehabt, obwohl das Erlebnis in auf entsetzliche Weise und sehr tief geprägt hatte. Er erinnerte sich noch mit Schrecken an eine verregnete Herbstnacht, in der er und sein bester Kumpel in der Kneipe auf einige Mafiosi getroffen waren, die sich auf der Durchreise befunden hatten. Zunächst war alles geradezu freundschaftlich zugegangen, Thomas und sein Freund hatten von den Mafiosi in einem Hinterzimmer kostenlos ein wenig Kokain abbekommen und eingewilligt eine wilde Party zu starten. Von den Drogen und dem Alkohol benebelt, hatte er die zwei Anführer der Bande zu einem Pokerduell überredet, bei dem der Gewinner mit der Freundin des anderen eine Nacht verbringen und zudem zweihundert Gramm Kokain erhalten sollte. Die Mafiosi, ebenfalls durch den Drogenkonsum betäubt, hatten diesem verrückten Vorschlag zugestimmt, während Thomas Kumpel sich aus der Sache zunächst heraushielt. Thomas hatte seine beiden Kontrahenten gut im Griff und die entscheidenden Partien für sich verbuchen können, bis es zu einem letzten Duell mit dem verbliebenen Mafiaboss kam, welches er mit unwahrscheinlich viel Glück gewann. Sein Gegenüber war allerdings ein sehr schlechter Verlierer und hatte ihn plötzlich mit einem Messer bedroht. Thomas Kumpel wollte eingreifen, es kam erst zu verbalen Auseinandersetzungen und im Anschluss daran zu einem heftigen Handgemenge. Der Wirt Jimmy hatte bereits die Polizei verständigt, als er von dem Streit mitbekam und wollte selbst eingreifen, wurde aber brutal zusammengeschlagen. Thomas selbst hatte die schlimmste Tracht Prügel seines Lebens bezogen und wusste selbst heute nicht genau, wie er sich damals aus dieser brisanten Situation befreit hatte. Irgendwie war er kopfüber durch ein Fenster im ersten Stock der Kneipe gesprungen und von einem Mafiosi bis in den angrenzenden Sumpf verfolgt worden. Wie durch ein Wunder war ihm nichts passiert und er konnte den Gegner abschütteln, bevor er einen steinigen Hang hinunterstürzte und das Bewusstsein verlor. Als er am nächsten Morgen in aller Frühe erwachte, fand er den Weg zurück zur Kneipe. Dort hatten jede Menge Streifenwagen und sogar eine Ambulanz gestanden und Thomas wurde Zeuge, wie der Wirt Jimmy mit schlimmsten Stechwunden in die Notklinik gefahren wurde, während für seinen besten Freund bereits jede Hilfe zu spät gekommen war. Einer der Mafiosi hatte ihm einen tödlichen Stich in die Niere versetzt und der treue Halbstarke war elendig und qualvoll verblutet. Die Mafiosi waren bis auf zwei unwichtige Handlanger entkommen. Thomas hatte sich der Polizei gestellt und ihnen alles berichtet, mit der unbedingten Bitte, dass sie der Privatschule und seinen Eltern nichts darüber mitteilen sollten. Die Polizisten hatten sich daran gehalten und Thomas war für ein letztes Vierteljahr nach zweiwöchiger Erholungspause in die Privatschule zurückgekehrt. Dieser Vorfall hatte ihn sehr verändert. Anstatt, wie viele seiner Mitschüler, irgendeinen hochtrabenden Beruf anstreben zu wollen, hatte Thomas nur noch das Ziel selbst Polizist zu werden und eines Tages die Mörder seines Freundes zur Strecke zu bringen. Der Hass und die Schuldgefühle hatten ihn fast zunichte gemacht, Thomas hatte einige Zeit lang Alkoholprobleme gehabt und sich nach Abschluss der Privatschuljahre über vier Monate in die Einöde der Highlands in ein Kloster zurückgezogen. Dort war er wieder genesen und gestärkt in das reale Leben zurückgekehrt. Er war nicht mehr so verbittert wie zuvor, aber er war auch nie wieder der alte Draufgänger und Frauenheld geworden und befand sich noch am heutigen Tag in einer Art Selbstfindungsphase. Seine Ausbildung als Polizist hatte er im Sommer erfolgreich abgeschlossen gehabt und sein Lehrer hatte ihm eine große Zukunft prophezeit.

    Seine Eltern hatten nie von den Vorfällen erfahren und waren schwer enttäuscht, dass er nicht die Firma seines Vaters übernehmen wollte. Seine Mutter sah ihn als verlorenen Sohn an und während er zu seinem Vater immerhin gelegentlichen Kontakt hielt, so war selbiger zu seiner Mutter fast gänzlich abgebrochen. Sie wussten, dass er ihnen etwas verheimlichte, doch Thomas hatte sich zu lange isoliert und wollte niemandem mehr vertrauen. Erst in diesem Jahr hatte er sich gesagt, dass er seine Eltern im Winter, anlässlich ihrer Silberhochzeit, besuchen und ihnen alles beichten wollte. Er brauchte ihre Unterstützung und wollte sich nicht mehr länger einsam und verbittert fühlen, denn er war in den vergangenen fünf Jahren in seinem Frust mehr gealtert, als in den fast zwanzig Lebensjahren zuvor.

    Deswegen hatte er auch auf die Einladung des ehemaligen Schuldirektors, der im vergangenen Semester in Rente gegangen war, positiv reagiert. Er wollte die Absolventen des ersten erfolgreichen Jahrgangs seiner nunmehr international erfolgreichen Privatschule zu einer Art Kurstreffen zu sich einladen. Die Schule war selbst zu Gründungszeiten schon sehr international ausgerichtet gewesen und auch der Direktor selbst war kein gebürtiger Schotte, sondern ein Österreicher, der den Namen Dr. Marcel Wohlfahrt trug. Er war seit etwa vier Jahren mit der wesentlich jüngeren Lehrerin und stellvertretenden Direktorin Magdalena Osario verheiratet. Sie stammte aus Spanien, lebte aber seit frühen Kindheitsjahren in Schottland. Ihr Urgroßvater war ein erfolgreicher Winzer gewesen, der in Schottland mit seiner erfolgreichen Exportfirma reich geworden war und der örtlichen Whiskey- und Skotchproduktion ein Dorn im Auge geworden war. Er hatte damals eine der nahe liegenden Inseln gekauft und sich den Traum erfüllt dort ein Schloss zu bauen, das ganz nach seinem Geschmack im neogotischen Stil erbaut worden war. Bei dem Bau des Schlosses war es zu mehreren Unglücksfällen gekommen, es hatte schwere Stürme gegeben, bei dem zwei Arbeiter ums Leben gekommen waren und auch als ein Teil des Westflügels bei einem Seebeben in sich zusammengestürzt war, hatten sechs Menschen ihr Leben lassen müssen. Die abergläubigen und alteingesessenen Bewohner der Küstendörfer munkelten seitdem immer wieder von der sogenannten Todesinsel und mieden den Kontakt mit deren bewohnern und Besuchern.

    Der Urgroßvater von Magdalena Osario hatte sich noch kurz vor seinem Lebensende seinen Traum erfüllt und das Schloss fertig gestellt bekommen. Verhängnisvollerweise war er in eben jenem Schloss durch einen Sturz von der Kellertreppe, bei dem er sich das Genick brach, aus dem Leben geschieden. Die Osarios, streng religiös und mitunter auch abergläubig, hatten seitdem ebenfalls das unheilvolle Schloss gemieden und waren über mehrere Generationen hinweg immer wider zwischen Spanien und Schottland hinundhergependelt. Erst Magdalena Osarios Eltern waren vor nunmehr dreißig Jahren wieder nach Schottland umgezogen und dort auch geblieben. Sie hatten überlegt das Schloss zu verkaufen, doch bevor es dazu kam, waren beide Elternteile bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als Magdalena Osario gerade erst fünfzehn Jahre alt gewesen war. Ihr anschließendes Leben im Heim und in Internaten hatte sie geprägt und dazu beeinflusst, die neue Privatschule zu eröffnen und war auf Dr. Marcel Wohlfahrt gestoßen. Sie sah in ihm viel mehr ihren verstorbenen Vater wieder, doch er verliebte sich in sie und so wurde sie mit seiner Heiratsofferte geradezu überrascht, hatte aber verwirrt zugestimmt. Sie hatte die Hochzeit einige Zeit lang immer wieder verschoben und wirkte mit der gesamten Situation unzufrieden, manche ehemaligen Schüler und Lehrer behaupteten gar, sie würde sich nur aus Angst und Schuldgefühlen nicht von ihrem jetzigen Mann trennen wollen. Gerüchte besagten gar, Wohlfahrt würde seine fast dreißig Jahre jüngere Frau wegen ihrer Unentschlossenheit und Zwiespältigkeit gelegentlich misshandeln. Es war auch er gewesen, der bestimmt hatte, dass sie beide in das Schloss ziehen würden und er hatte viel Geld darin investiert, es neu herzurichten und zu renovieren, zudem hatte er einen persönlichen Butler, der sich um alle kümmerte vom Management bis hin zur Gartenarbeit, sowie auch einen alten Koch engagiert. Wohlfahrt hatte sogar den großen Traum das Schloss eines Tages zu einem Abenteuerhotel umzugestalten, wo reiche Leute vor dem tristen Alltag Schutz suchen konnten.

    Wohlfahrt hatte sich zu seiner ersten Absolventenklasse immer besonders hingezogen gefühlt, da sie der erste und wichtigste Schritt zur Realisierung seines Lebenswerkes gewesen war und er zudem seine scheinbar große Liebe dort in dieser Zeit näher kennen gelernt hatte. Daher hatte er vor wenigen Wochen an alle Absolventen, deren Adressen er über einige seiner zahlreichen Bekannten ausfindig gemacht hatte, eine Einladung zu einem verlängerten, fünftägigen Wochenende auf eben diesem Schloss geschickt. Gemeinsam mit ihnen wollte er sich über ihren Werdegang und Zukunft unterhalten und zudem die Seele baumeln lassen.

    Thomas Jason Smith hatte seinen Direktor nie wirklich gemocht und auch die Schulzeit oft als Qual empfunden, doch er hatte kurzfristig zugesagt, da er sich nach Menschen in seiner Umgebung und ein wenig Abwechslung sehnte. Vielleicht würde ihm das Treffen mit alten Bekannten dabei helfen wieder ganz der Alte zu werden. Zudem führte ihn auch die Neugier zu dem Treffen, da er sich ein Bild von den anderen Absolventen machen wollte, die damals alle hochtrabende Ziele angestrebt hatten.

    So war es dazu gekommen, dass er nun in einem klapprigen Leihwagen saß und bereits das Ortseingangsschild eines größeren Küstendorfes passierte. „Bridetown“ lautete der Name des verschlafenen wirkenden Ortes, der in blättrigen Lettern auf ein verwaschen wirkendes, grünes Schild gemalt worden war. Hier sollten bis elf Uhr alle Eingeladenen in einem kleinen Hotelrestaurant eintreffen und mit dem ehemaligen Direktor und seiner Gattin auf der privaten Yacht zur Schlossinsel übersetzen.

    Thomas Smith kurbelte das Fenster seines Leihwagens herunter und zündete sich eine Zigarette an, die er genüsslich paffte. Er dachte an all seine ehemaligen Mitschüler, die er nun wiedertreffen sollte. Lediglich zwei Schotten und eine Chinesin hatten abgesagt, alle anderen würden anwesend sein, wie Wohlfahrt in einem weiteren Brief mitgeteilt hatte. Diejenigen, die nicht kamen, waren beruflich am anderen Ende der Welt mit irgendwelchen Projekten beschäftigt und scheinbar groß herausgekommen. Thomas Smith hatte mit keinem der ehemaligen Schüler Kontakt gehalten.

    Er ließ seine Erinnerungen an diese Menschen Revue passieren, als er endlich den Treffpunkt gefunden hatte und auf einem relativ großen, mit kleinen Kieselsteinen ausgelegten Parkplatz einfuhr, seinen Wagen verließ und seine große Sporttasche aus dem Kofferraum nahm. Er betrachtete kurz sein Spiegelbild in dem dunkel getönten Autofenster.

    Thomas Jason Smith war 24 Jahre alt, aber er wirkte bereits fast zehn Jahre älter, was ihn aber nicht unbedingt unattraktiver machte. Er hatte kurzes, blond meliertes Haar und haselnussbraune Augen. Seine Wangen wirkten ein wenig eingefallen,, unter seinen Augen bemerkte man bei näherem Hinsehen dunkle Ringe, die von seinem Schlafmangel zeugten, da ihn seit den schrecklichen Ereignissen hin und wieder Alpträume quälten. Er war ein drahtiger und muskulöser Mann und mit 1,73 Metern relativ klein gewachsen. Er trug wie auch jetzt sehr häufig dunkle Sonnenbrillen und dunkelblaue Jeans. Er hatte ein Faible für Schlangenlederschuhe und Cowboyhüte, doch er hatte beide Kleidungsstücke zurück in seiner Wohnung gelassen und nur das Nötigste mitgenommen. Nicht verzichten wollte er auf seine russischen Importzigaretten, die er vor einigen Jahren durch einen russischstämmigen Polizisten bei der Ausbildung kennen und schätzen gelernt hatte, sowie seine Bibel, die er praktisch überall mit hin nahm, da dieses Buch ihm in schweren Zeiten Mut und Zuversicht gespendet hatte.

    Langsam wandte er sich von seinem Leihwagen ab, atmete die frische Meeresluft ein und steuerte den Eingang des relativ modernen, aber gemütlichen Hotelgebäudes an.

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