•  Kapitel 78: Freitag, 21Uhr 52 Vorratskammer

     

    Zu dritt durchsuchten sie nun die seltsame Vorratskammer, in der Hoffnung auf irgendein weiteres verräterisches Indiz zu stoßen. Thomas war nach der Entdeckung der Kammer wieder voller energischem Motivationsdrang, seine Angst in dem dunklen Gang und seine Konfrontation mit der Brasilianerin verdrängte er in diesen Augenblicken und sprach sich selbst neuen Mut zu.

    Sein Ego wurde noch dadurch gestärkt, dass er auch als Erster wieder fündig wurde. Unter einem der rostigen Regale lag eine Art metallisches Etui, welches sowohl eine kleine Schere, als auch eine Nagelfeile beinhaltete. Vorsichtig klappte er das Fundstück zusammen und erblickte eine blau gefärbte Blüte, die in das Metall eingraviert war. Thomas runzelte die Stirn, denn er war sich sicher, dass er diese seltsame Blüte bereits irgendwo einmal gesehen hatte. Doch der voller Erregung erwartete Geistesblitz blieb dieses Mal aus. Auch seine beiden Begleiter kannten keine Erklärung für das seltsame Symbol.

    „Ich habe dieses Symbol auch schon einmal gesehen. Vielleicht ist es eine Art Wappen und wir haben es damals in unserem Geschichtsunterricht mal gesehen oder durchgenommen.“, mutmaßte Elaine Maria da Silva, die von der Entdeckung beeindruckt war und ihre Hand anerkennend auf die Schulter des schottischen Polizisten gelegt hatte, der sich ihr mit einem Mal fast wieder ebenbürtig fühlte und dieses Gefühl der temporären Macht genoss.

    „Dieses kleine Etui deutet vielleicht darauf hin, dass der Täter eine Frau ist. Ich könnte mir jedenfalls nicht vorstellen, dass sich ein Mann beim Warten seine Fingernägel feilt oder schneidet.“, merkte Björn Ansgar Lykström kühl an und bedachte die Brasilianerin mit einem düsteren Seitenblick.

    Elaine Maria da Silva war der forsche Unterton in seiner Stimme nicht entgangen und sie lächelte dem Schweden geheimnisvoll zu. Dieser ging auf die charmante Geste nicht ein und verschränkte energisch seine Arme vor der Brust.

    „Das ist nur eine Vermutung, die nicht unbedingt stimmen muss. Wenn wir bloß das Material hätten, um Fingerabdrücke zu nehmen oder DNA-Material zu identifizieren, dann wären wir der Lösung des Rätsels schon verdammt nah gekommen.“, merkte Thomas an, der sich selbst wunderte, warum er für die mysteriöse Brasilianerin indirekt Partei ergriffen hatte. Sein gerade aufgebautes Selbstvertrauen drohte seltsamerweise wieder in sich zusammenzufallen, da ihn dieser Fund auch nur bedingt weiterbrachte.

    „Ich denke, dass hier nichts mehr zu finden ist. Wir sollten das Etui mitnehmen und uns dann der anderen Seite des Ganges zuwenden.“, schlug Elaine Maria da Silva vor.

    Björn Ansgar Lykström nahm jedoch auch einige der Spritzen an sich und verstaute sogar die Plastikbehälter mühsam in den Taschen seiner leichten Jacke. Thomas sah ihn erstaunt an.

    „Wenn du diese Dinge von hier wegnimmst, dann wird der Killer sofort bemerken, dass sein Versteck entdeckt worden ist.“, gab der junge Polizist zu bedenken.

    „Der Täter würde es ohnehin bemerken, so viel Staub wie wir hier aufgewirbelt haben. Außerdem weiß wahrscheinlich schon die Hälfte der Anwesenden, dass wir dieses Versteck gefunden haben. Mamadou hat es gesehen und er wird es vielleicht nicht weitersagen, aber Fatmir war auch dabei und der wird es vermutlich an die große Glocke hängen.“, konterte der Schwede mit anderen Argumenten.

    Thomas musste anerkennend nicken und hatte der Begründung nichts mehr hinzuzufügen. Mit einem Seitenblick stellte er fest, dass Elaine Maria da Silva bereits voller Eifer zurück in den düsteren Gang geklettert war und die beiden Männer machten sich daran ihr zu folgen. Lykström bildete dieses Mal den Abschluss der Gruppe und lehnte die dünne Holzwand hinter sich vorsichtig an die Wand.

    Thomas Jason Smith, Björn Ansgar Lykström und Elaine Maria da Silva gingen den gleichen Weg zurück, den sie kurz zuvor genommen hatten und gelangten nach einiger Zeit in den anderen Gang, ohne dabei noch einmal auf irgendwelche Ratten oder größeres Ungeziefer gestoßen zu sein, was Thomas ungemein beruhigt hatte.

    In dem rechten Abschnitt des Ganges konnte man fast komplett aufrecht gehen und hatte einen weitaus besseren Überblick. Erneut war es Thomas, der das Auge für das Detail hatte.

    „In dem Staub sind Fußspuren. Irgendwer muss hier vor kurzer Zeit noch entlang gekommen sein.“, bemerkte er aufgeregt und trieb die beiden anderen Begleiter eilig an.

    Der Gang machte einen leichten Knick und ging ein wenig abwärts, bevor er abrupt vor einem fast brunnenartigen Abgang aufhörte. Elaine Maria da Silva hatte das dunkle Loch erst im letzten Moment gesehen und ruderte plötzlich hektisch mit den Armen. Thomas ergriff die Taille der Brasilianerin und zog sie sanft vor dem Abgrund weg, in den eine weitere Leiter führte, die alles andere als vertrauenserweckend aussah. Elaine Maria da Silva blickte Thomas mit leuchtenden Augen an und schmiegte sich eng an ihm. In diesem Moment spürte der Schotte erstmals so etwas wie Angst und gar aufrichtige Dankbarkeit der sonst so überheblichen Brasilianerin. Die körperliche Nähe dieser Schönheit gab Thomas einen neuen Motivationsschub und er fühlte erneut ein geheimnisvolles Kribbeln in seinem Bauch hochsteigen.

    Entschlossen löste er sich von seiner anhänglichen Begleiterin, drehte sich um und betrat die erste Sprosse der Leiter, die recht weit in die Tiefe zu führen schien. Behutsam bewegte er sich Schritt um Schritt in die Tiefe und klammerte sich krampfhaft an jeder Sprosse mit beiden Händen fest. Als er unter sich blickte, sah er nur ein unheilvolles und endlos erscheinendes schwarzes Loch, das ihn zu verschlingen drohte.

    Thomas versuchte sich von diesem unbehaglichen Gedanken zu lösen, als plötzlich eine der Sprossen unter seinem Gewicht nachgab. Mit einem metallischen Splittern brach sie entzwei und Thomas hörte nach einige Sekunden ein dumpfes Schlagen, als die Sprosse auf dem Boden aufschlug. Wenn dort unten tatsächlich jemand sein sollte, war er spätestens jetzt bestens gewarnt und konnte die Gruppe mühelos überraschen und attackieren.

    Der junge Schotte griff entsetzt nach und baumelte mit einem Mal orientierungslos über dem Abgrund. Das Blut rauschte ihm durch den Kopf, ein drückendes Gefühl bereitete sich in seinem Magen aus. Nervös hielt er inne, blickte krampfhaft auf die Sprosse, an der er sich festhielt und atmete tief durch. Er war schweißüberströmt und der physischen wie auch psychischen Belastung schwer ausgesetzt.

    Erst nach einigen Sekunden des Verschnaufens sammelte er seine letzten Kraftreserven und machte sich an den restlichen Abstieg. Einige Sprossen knarrten wie unter Protest und bogen sich gefährlich durch, doch sie hielten seinem Körpergewicht erstaunlicherweise stand. Mit einem flauen Gefühl im Magen näherte er sich immer weiter dem Abgrund und sprang nach einigen Metern von der Leiter ab. Federnd kam er auf dem staubigen Boden auf und sah einen breiteren Gang vor sich, der in ein schwach durch Kerzenlicht erleuchtetes Gewölbe führte.

    Erschöpft wandte er sich um und wartete auf die beiden anderen Begleiter, die sich nun an den Abstieg machten. Die relativ leichte und grazile Elaine Maria da Silva hatte mit dieser Aufgabe keinerlei Probleme und lächelte Thomas bei ihrer Ankunft im unteren Bereich fast schon spaßhaft hochnäsig zu. Thomas konnte nicht verhindern, dass er beim Anblick der Brasilianerin ebenfalls leicht lächeln musste, allerdings nicht auf arrogante Weise. Sofort wurde er rot, als er sich selbst bei dieser annäherenden Geste ertappte. Was war bloß mit ihm los?

    Der Schwede tat sich mit dem Abstieg jedoch weitaus schwerer und plötzlich brach im unteren Drittel seiner Strecke eine Sprosse weg. Der Lehrer reagierte einen Tick zu spät, rutschte mit seinen schwitzigen Fingern ab und stürzte rücklings in die Tiefe. Thomas stieß instinktiv die Brasilianerin zur Seite und rettete sich selbst mit einem Hechtsprung in das geheime Gewölbe.

    Mit einem dumpfen Krachen wurde der Fall des Schweden beendet, der fluchend auf seinem Rücken lag und sich vor Schmerzen wand. Thomas trat auf ihn zu, half ihm auf und stellte beruhigt fest, dass Björn Ansgar Lykström keinerlei gravierende Verletzungen davongetragen hatte. Hilfsbereit legte er seine Schulter um den Schweden uns stützte diesen leicht. Der Englischlehrer schüttelte ironisch lachend den Kopf.

    „Ich habe unwahrscheinliches Glück gehabt. Ich hätte mir alles Mögliche brechen können.“, kommentierte er seinen schmerzhaften Aufprall und rieb sich in gebückter Haltung seinen lediglich leicht lädierten Rücken.

    In diesem Moment blicken die beiden Männer auf die Brasilianerin, die bereits ein wenig vorgegangen war und völlig versteift in der Mitte des Gewölbes stand und an die Decke blickte. Thomas runzelte angestrengt die Stirn und wollte schon fragen, was die Brasilianerin so erschreckt hatte, als er selbst das Unglaubliche sah.

    Dem Schotten stockte der Atem, sein Herz schien still zu stehen und sein Blut schoss wie betäubend in seinen dumpfen Schädel. Sein Mund klappte auf und gehauchte, wirre Worte drangen zusammenhangslos über seine Lippen. Neben ihm war der schwedische Englischlehrer weis wie ein Bettlaken geworden und gab ein würgendes Geräusch von sich. Erschöpft sank Lykström zu Boden, kauerte sich zusammen und wandte sein Gesicht von dem Schrecklichen ab. 

    Thomas wollte es ihm gleich tun, doch er war wie paralysiert und saugte das Bild des Grauens wie ein nasser Schwamm Wasser in sich auf. Er hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, doch dieser grausige Anblick hatte seine Erwartungen noch negativ übertroffen. Selbst Elaine Maria da Silva, die in ihren Romanen sonst so souverän provozierte und grausame Misshandlunge explizit beschrieb, war von dem unfassbaren Anblick sichtlich getroffen. Die Realität zeigte ihr ihre Grenzen, die selbst in den brutalsten Romanen nicht beschreibbar waren. Das Grauen war keine Fiktion mehr, sondern ein realer Alptraum geworden. Wie in Trance schmiegte sich die Brasilianerin an den schottischen Polizisten, doch dieses Mal kam sie ohne sexuelle Anspielungen und Berührungen aus, denn sie suchte selbst nun nur noch Halt und Unterstützung.

    Dieser Körperkontakt riss wiederum den Schotten aus seiner starren Lethargie und er taumelte hilflos in die Mitte des Gewölbes, wo er jetzt direkt unter dem grausamen Fund stand und wo ihn nun ein eiskaltes Schaudern überfiel.

    „Wir haben ihn gefunden.“, hauchte er nur atemlos, als ob er sich selbst zureden müsste, um die nackte Wahrheit als Realität zu akzeptieren.

    „Verdammt, wir sind zu spät gekommen.“, erwiderte Björn Ansgar Lykström leise, der sich lautlos in den Rücken des Schotten geschlichen und seinen ersten Schock scheinbar überwunden hatte.

    Beide starrten wie gebannt auf den leblosen Körper des Butlers, der sich mit einem rauen Strick an einem alten Holzbalken erhängt hatte und dessen Leichnam wie ein diabolisches Fanal in der Luft von einer Seite zur anderen pendelte.

     

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  •  Kapitel 79: Freitag, 22Uhr 08 Gewölbe

     

    Der Butler war aus dem Zimmer des schottischen Polizisten an einen wohl nur ihm und vielleicht noch den beiden Schlossherren oder dem ominösen Mörder bekannten Ort geflüchtet, wo er sich nach Tagen der Qual und Unterdrückung das Leben genommen hatte. Die Augen des Toten zeigten einen starren und kalten Ausdruck, sein Körper wirkte geschunden und erschöpft.

    Thomas fühlte einen unbändigen und abgrundtiefen Hass in sich aufsteigen, der sich vor allem gegen Gwang-jo richtete, der an diesem tragischen Ende zumindest eine enorme Teilschuld trug. Er hatte den Butler über Tage hinweg beschuldigt, fast alle Anwesenden gegen ihn aufgebracht, ihn verprügelt, gefesselt und eingesperrt und der labile Schotte hatte diesen Feindseligkeiten mental irgendwann einfach nicht mehr Stand gehalten.

    Der junge Schotte sah unterhalb des Leichnams einen umgekippten Stuhl, auf dem er kurz zuvor noch gestanden haben musste, als er sich die raue Schlinge um den Hals gelegt hatte.

    Thomas hatte seinen ersten Schock überwunden und blickte nun systematisch nach irgendwelchen Hinweisen oder Indizien, die der Butler hinterlassen haben könnte. Doch weder von irgendwelchen persönlichen Gegenständen, noch von einem Abschiedsbrief war irgendetwas in den düsteren Katakomben zu sehen.

    Erst jetzt blickte sich der Schotte näher in der unterirdischen Halle um. Die Wände waren grau verputzt und wirkten sehr solide, fast wie in einem Luftschutzbunker des zweiten Weltkrieges. Die wahre Bedeutung der Installation dieses Raumes bemerkte der schottische Polizist erst, als er zu seiner rechten Seite eine kreisrunde Öffnung sah, die mit einem Gitter und einem modernen Zahlencode verschlossen war, der ein trübes rotes Blinken durch den gespenstischen Raum versandte.

    Hinter den engen Gitterstäben sah Thomas einen langen und düsteren Gang, der vor mehreren Schließfächern unterschiedlicher Größe endete. An den Seiten dieser Fächer sah er auch einen längeren Quergang, in dem mehrere Vitrinen standen, in den irgendwelche Schmuckstücke gelagert wurden. Thomas glaubte einige golden schimmernde Ringe zu erkennen und sogar eine Art Krone. Offensichtlich waren sie soeben auf den privaten Schatz der Familie Osario gestoßen, der mehr als gut versteckt worden war. Thomas fragte sich, ob der österreichische Schlossherr je von diesem Vermögen erfahren hatte oder ob es ein rein internes Geheimnis der Familie gewesen war.

    Björn Ansgar Lykström hatte die Schätze nun ebenfalls bemerkt und drängte sich mit offenem Mund an die dicken Gitterstäbe. Er holte tief Luft und schüttelte halb verwundert, halb ironisch den Kopf.

    „Ich wusste ja bereits, dass Magdalena und ihre Familie sehr vermögend waren, aber dies hier übersteigt alle meine Vermutungen. Das muss mehrere Millionen Pfund wert sein.“, bemerkte er atemlos und Thomas bemerkte die zitternde Ehrfurcht und Gier in den Blicken des Schweden. Diese Beobachtung führte ihn noch zu einem anderen Gedanken.

    „Vielleicht ist dieser Schatz ja das geheime Ziel des Killers. Er bringt alle Bewohner des Schlosses um die Ecke, erbeutet den Schatz, dessen Alarmanlage niemand mehr hören wird und setzt sich mit dem Vermögen heimlich ins Ausland ab.“, mutmaßte Thomas.

    „Das wäre gut möglich. Wenn der Killer die geheime Vorratskammer kannte, dann wird er auch diesen Raum bereits gesehen haben. Ich frage mich nur, wer unter den Gästen ein Interesse daran haben könnte. Die meisten unter uns sind doch selbst recht vermögend.“, warf der Schwede nachdenklich in den Raum.

    „Gwang-jo ist arbeitslos. Es mag sein, dass er von seinen Eltern einiges abbekommt, aber er möchte sich bestimmt noch mehr leisten und sich selbst etwas beweisen.“, bemerkte Elaine Maria da Silva, die sich langsam und lautlos den beiden Männern genähert hatte.

    „Das Motiv ist mir aber zu vage. Jeder hätte ein Motiv solch ein Vermögen stehlen zu wollen. Ein unterbezahlter Koch, ein Lehrer, selbst ein hoch angesehener Polizist oder eine Autorin. Jeder von uns verdient im Vergleich zu dem, was dort drinnen gelagert ist, rein gar nichts.“, entkräftete Thomas das Argument der verführerischen Schönheit.

    Björn Ansgar Lykström konnte sich von dem Anblick der Schätze kaum lösen, Tränen waren in seine Augen gestiegen und seine Unterlippen bebten vor trauernder Erregung. Thomas bemerkte dies und näherte sich dem Schweden. Sanft legte er seine Hand auf dessen Schulter.

    „Mit diesem Vermögen hätten wir uns eine völlig neue Existenz aufbauen können. Wir hätten diesen perversen Schlossherren hier zurückgelassen und uns jeden Wunsch erfüllen können.“, stotterte der Schwede mit bebender Stimme, als er an seine tote Geliebte dachte. Mit einer fahrigen Bewegung griff er in seine Jackentasche, ergriff eine halb zermalmte Zigarette und zündete sich diese schwer atmend an.

    Thomas ließ den Lehrer in Ruhe und wandte sich wieder dem Leichnam des Butlers zu, der mit perverser Langsamkeit am Strick durch die Luft pendelte. Thomas richtete den umgekippten Stuhl wieder auf, stieg auf selbigen und zückte sein Schweizer Messer. Es kam ihm unheimlich vor, als er das bleiche Totengesicht an seinem eigenen vorbeipendeln sah und ein kaltes Schaudern überfiel ihn. Mit unterdrückter Übelkeit und halb geschlossenen Augen schnitt er den Strick durch und versuchte dadurch den Blickkontakt mit den blassen Augenhöhlen des Butlers zu vermeiden, auch wenn ihn das Durchtrennen des Strickes dadurch auf umständliche Art mehr Zeit kostete. Nach scheinbar endlos langer Zeit hatte er das grobe Seil endlich durchtrennt und der Leichnam fiel dumpf und wie ein schwerer Jutesack zu Boden.

    Björn Ansgar Lykström stand immer noch apathisch und stille Tränen vergießend vor dem gesicherten Gittertor, während Elaine Maria da Silva eher verloren durch den großen katakombenartigen Gang hin und her ging. Schließlich hatte die gar nicht mehr so düster und abweisend wirkend Brasilianerin einige Holzkisten in einer Ecke gefunden, die sie neugierig geöffnet hatte. In den meisten befanden sich ältere Konservendosen, in manchen aber auch kleinere Gewehre. Nach einiger Zeit wandte sie sich ab und schritt wieder ziellos umher.

    Thomas stieg wieder von dem Stuhl herunter und blickte traurig auf den toten Butler, dervor ihm auf dem Rücken lag. Sein Gesicht wirkte seltsam alt und grau, seine gesamte Köperhaltung war völlig verkrampft.

    Entschlossen blickte Thomas seine beiden Begleiter an und seine Gesichtsmuskeln zuckten dabei unkontrolliert.

    „Wir können ihn nicht hier liegen lassen. Wir sollten ihn bis nach oben tragen und ihm eine ehrenvolle Beerdigung ermöglichen. Außerdem können wir diesem widerwärtigen Koreaner und allen, die noch am leben sind, dann endlich zeigen, wohin sein blinder Hass geführt hat.“, bemerkte er grimmig.

    „Die Last ist viel zu schwer, wir werden es niemals schaffen ihn bis nach ganz oben zu transportieren.“, entgegnete der schwedische Englischlehrer, der sich nach minutenlanger starrer Fassungslosigkeit endlich vom Anblick der zahlreichen, wertvollen privaten Habseligkeiten der Osarios lösen konnte, hinter Thomas bestimmt.

    „Ich finde, dass Thomas recht hat. Wir müssen ihn hier wegschaffen.“, unterbrach die energische Brasilianerin sofort und der Schwede verstummte verbissen.

    Kurz darauf lud sich der junge schottische Polizist den kalten Körper des Toten auf die Schultern. Zuvor hatte er den Schweden auffordernd angeblickt, doch dieser hatte sich nur stumm schaudernd abgewandt und Thomas hatte dieses Zeichen sofort richtig gedeutet. Die Brasilianerin hatte der Schotte nicht darum bitten wollen.

    Somit bewegte sich Thomas wieder auf die wacklige Leiter zu. Erst in diesem Moment bemerkte er eine nicht erleuchtete Fackel, die sich in einer Nische des Ganges befand und blieb nachdenklich vor ihr stehen. Ihm ging ein Licht auf, als er bemerkte, dass dieser Fackelhalter exakt dem glich, der den Geheimgang freigegeben und einen geheimnisvollen Mechanismus aktiviert hatte.

    Neugierig näherte er sich der auf den ersten Blick völlig unscheinbaren Konstruktion und drückte den halter mit aller Kraft nach unten. Der Gegenstand gab um keinen Zentimeter nach und Thomas wollte schon ernüchtert aufgeben, als er das Manöver routinemäßig auch in die andere Richtung versuchte. Plötzlich gab der Fackelhalter nach und klappte nach hinten um.

    Thomas wich verschreckt zurück, als er ein düsteres Knirschen hörte und sah direkt hinter sich auf einmal, wie ein Teil der mit Ziegelsteinen beschichteten Wand wie von Geisterhand in ein anderen Gang zurückglitt und dann rechtwinklig zur Seite klappte. Die Steine schienen nur eine Art Tarnung gewesen zu sein und waren weitaus weniger robust, als es den Anschein gehabt hatte.

    Mit einem anerkennenden Pfeifton kommentierte Björn Ansgar Lykström die Entdeckung, doch es war die verwegene Brasilianerin, die zuerst in den Gang trat und sich in fast vollkommener Dunkelheit auf eine alte Treppe zu bewegte, die kurvenreich in die Höhe führte. Der schwedische Lehrer machte seine Taschenlampe an und leuchtete auf den muffigen und mit zahlreichen dichten Spinnweben bedeckten Weg und begab sich deutlich weniger forsch und recht vorsichtig in den dunklen und höhlenartigen Aufstieg, welcher die mysteriöse Brasilianerin bereits wie ein schwarzes Loch verschluckt hatte.

    Thomas zögerte noch kurz, doch dann trat auch er in den engen Gang und war gerade noch rechtzeitig gekommen, da hinter ihm ein Mechanismus ausgelöst wurde, der den Rückweg mit einem grausigen Knarren versperrte und dumpf verschloss.

     

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  •  Kapitel 80: Freitag, 22 Uhr 24 Gewölbe

     

    Thomas fröstelte, als er realisierte, dass es jetzt keinen Weg zurück gab und fragte sich mit wachsendem Unbehagen, wo der neue Geheimgang die Gruppe hinführen könnte. Die Treppe führte langsam, aber stetig nach oben und war überall mit Spinnweben übersät, obwohl Thomas zunächst keinerlei Ungeziefer sah. Die Decke war kaum zu sehen, da der Weg zwar recht schmal, dafür aber auch enorm hoch war.

    Plötzlich hörte Thomas einen verschreckten, schrillen Ton und das Flattern eines Flügelpaares, als plötzlich ein riesiges und schwarzes Monstrum auf ihn zugeflogen kam. Thomas konnte sich im letzten Moment ducken und ließ sich und den Leichnam des Butlers dabei zu Boden gleiten. Hart schlug er auf der Stufenkante auf und verspürte einen brennenden Schmerz in seinem Knie, doch das schwarze Ungetüm hatte ihn verfehlt und schoss zurück in die undurchdringliche Höhe des Ganges.

    Thomas atmete tief durch und wischte sich ächzend den Schweiß von der Stirn, als sich mit einem Mal Schritte näherten und ein dunkler Schatten vor ihm stand. Ein greller Lichtstrahl blendete sein Antlitz und Thomas musste mit schmerzenden Augen zu Boden blicken.

    „Das war wohl eine Fledermaus. Du bist völlig verschreckt und erschöpft. Ich werde den toten Butler tragen, du kannst die Taschenlampe nehmen und mir den Weg leuchten.“, schlug Björn Ansgar Lykström unerwarteterweise vor, der dem jungen Schotten bereits seine kleine, aber starke Lampe reichte. Scheinbar hatte der Schwede sich von seinem ersten entsetzen wieder ein wenig erholt.

    Thomas nahm die Taschenlampe dankend entgegen und war einigermaßen froh, dass er nun die vermeintlich leichtere Aufgabe hatte. Sein Rücken war bereits völlig durchgeschwitzt, sein Herz pochte hämmernd gegen seine Rippen und er spürte, dass er langsam eine Auszeit von dem ganzen Stress benötigte, der ihm mental und körperlich arg zusetzte.

    Björn Ansgar Lykström duckte sich bereits und hievte den Leichnam des Butlers auf seine Schultern. Langsam taumelte er vor Thomas vorwärts in den düsteren Gang hinein. Die Brasilianerin war schon nicht mehr zu sehen und zu hören.

    Thomas ließ den Strahl der Taschenlampe über die Wände gleiten und befürchtete jeden Augenblick wieder von einer riesigen Fledermaus oder einem anderen Tier angegriffen zu werden.

    Zögerlich folgte er seinem schwedischen Begleiter durch den staubigen Gang, auf dem keinerlei Spuren zu sehen waren und der offensichtlich viele Jahre nicht mehr genutzt worden war. Die Treppe wandte sich leicht nach links und Elaine Maria da Silva hatte plötzlich vor ihnen angehalten und stand vor einer hohlen Fläche, die ihr den Weg versperrte und gleichzeitig das Ende des niedriger werdenden Ganges bedeutete.

    Die Brasilianerin klopfte an den Belag, der sich wie hohles Holz anhörte und wandte sich nachdenklich zu den beiden Männern um.

    „Hier ist irgendeine Holzvertäfelung.“, bemerkte sie im Flüsterton.

              „Es gibt bestimmt irgendeinen Mechanismus, um diesen Weg frei zu geben.“, mutmaßte Thomas und ließ das Licht der Taschenlampe über die kahlen Wände gleiten.

    Der Schotte sah nicht viel, außer einer Menge Staub und einer seltsame runde Delle oberhalb der Holzvertäfelung. Die Delle war von Weben umhüllt und gab nicht preis, was sich in ihr verbarg. Mit einem mulmigen Gefühl stellte sich Thomas auf die Zehenspitzen und tippte mit dem Griff der Taschenlampe leicht gegen den undefinierbaren Gegenstand.

    Dieser machte plötzliche in knarrendes Geräusch, zog sich in die Holzvertäfelung zurück, die mit einem Mal scharnierartig vor ihnen aufsprang.  Dieser Bewegungsablauf kam so schnell und überraschend, dass die drei Ankömmlinge von dem schummrigen Licht regelrecht geblendet waren. Thomas hielt sich schützend den Arm vor die Augen du nahm ihn erst nach einigen Augenblicken herunter.

    Was er vor sich sah, war jedoch alles Andere als aufmunternd, denn er blickte zum wiederholten Mal schon in den kalten Mündungslauf der gleichen Pistole. Dieses Mal war er jedoch nur kurz geschockt und erkannte seinen Kollegen Mamadou, der die Waffe senkte und sichtbar durchatmete.

    Thomas stellte erst jetzt ungläubig fest, dass sie sich unmittelbar hinter der Holzvertäfelung der Eingangshalle befunden haben mussten und nun im linken Teilabschnitt herauskamen. Benommen sprang der junge Schotte auf den kalten Boden, der etwa zwei Meter unter ihm lag. Nach ihm folgte Elanie Maria da Silva, die allerdings zuvor die helfende Hand des Schotten ergriff und sich weitaus eleganter aus dem staubigen Schacht herabließ. Zuletzt verließ auch Björn Ansgar Lykström den dunklen Gang, der sich wenige Sekunden später wieder wie von Geisterhand verschloss. Bei der Landung ging der Schwede leicht federnd in die Knie und merkte, dass alle Augen entsetzt auf ihn gerichtet waren.

    Der schwedische Lehrer trug in seinen Armen immer noch den Leichnam des Butlers, den Mamadou mit glasigen Augen betrachtete. Nach einigen Sekunden des ehrfurchtvollen Schweigens richtete Mamadou tonlos einige Worte an seinen Kollegen Thomas, der beim Anblick des Toten im helleren Tageslicht, welches durch die halbkreisartigen Fensterscheiben überhalb des Eingangsportals auf Grund des Unwetters mehr oder weniger trüb in die Halle strahlte, auch wieder betreten versteift war.

    „Wie konnte dies passieren?“

    „Wir haben eine geheime Kammer in den Katakomben dieses Schlosses entdeckt. Dort hatte er sich mit Hilfe eines Strickes an einem alten Holzbalken an der Decke aufgehängt.“, erwiderte Thomas gepresst und blickte erneut auf den bleichen Leichnam des Butlers, der im Tageslicht noch viel schrecklicher und verwundeter aussah, als es in der trüben Dunkelheit der Fall gewesen war. Der durchtrennte Strick hing noch wie ein Synonym des Todes um den zerschüften Hals des Toten.

    Selbst in dieser betretenen Atmosphäre wagte Gwang-jo, der neugierig hinter Mamadou lauerte und böse lächelte, es, einen hämischen Kommentar zu dem Vorfall abzugeben und zog erneut den Hass sämtlicher Anwesender auf sich.

    „Jetzt ist dieser Verrückte also endlich tot. Wir sollten froh sein, denn damit hat dieser Schrecken endlich ein Ende.“, bemerkte er im Brustton der Überzeugung und zog eine falsche Einschätzung scheinbar gar nicht mehr in Erwägung.

    Thomas ballte die Hände zu Fäusten und spürte eine erneute Welle des Hasses in sich aufsteigen, die er kaum mehr unterdrücken konnte. Er wusste selbst nicht mehr, wie er es noch schaffte seine Gefühle zu unterdrücken und nicht prügelnd auf den Koreaner einzustürzen.

    Stattdessen schüttelte er frustriert den Kopf und bewegte sich auf die breite Treppe zu. Erstaunt sahen ihm einige der Anwesenden nach, die sich nach dem Auftauchen der drei Gefährten und des Toten rasch in der Halle versammelt hatten. Das hämische Lachen des Koreaners begleitete ihn dabei und trieb ihn fast zur Weißglut. Thomas bebte am ganzen Leib, doch er unterdrückte seine Wut ein weiteres Mal. Dennoch wusste er, dass die Situation bald eskalieren würde und wollte sich daher kurz einen gewissen Abstand von der schlimmen Situation verschaffen.

    „Ich brauche jetzt erst ein wenig Ruhe. Ich muss mich kurz hinlegen. Ich werde in einigen Minuten wiederkommen. Mamadou, halte den Rest der Gruppe irgendwie zusammen.“, erwiderte Thomas auf die unausgesprochene Frage und trottete dann weiter, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten.

    Hinter sich hörte er lediglich Elaine Maria da Silva, die ebenfalls die Treppe hinaufstieg. Mamadou wollte sie am Arm packen und zurückhalten, doch Björn Ansgar Lykström ergriff nun seinerseits den Arm des Ghanaers und presste diesen sanft wieder in die Tiefe. Der Ghanaer sah ihn verdutzt an und der Schwede näherte seine Lippen dem Ohr des Polizisten, wartete jedoch noch behutsam ab, bevor er eine geflüsterte Erklärung abgab.

    „Ich möchte mich nur kurz ein wenig waschen, meine ganze Kleidung ist voller Staub und Spinnweben.“, bemerkte die Brasilianerin mit einem überheblichen und doch verführerischen Lächeln, das alle Proteste des afrikanischen Polizisten entgültig im Keim erstickten.

                 Auch sie ging weiter, ohne eine Antwort abzuwarten und holte rasch zu dem schottischen Polizisten auf, der direkt seine Zimmertür anvisierte und sich auf keine Konversation einlassen wollte. Er brauchte dringend Ruhe und musste über einige Dinge in Ruhe nachdenken. Mit einem süffisanten Lächeln passierte die Brasilianerin ihn und begab sich in die andere Richtung des Ganges, wo ihr Zimmer lag. Das Zimmer der Horrorautorin lag ganz am Ende des rechten Traktes, der den Frauen gehörte, während sich das Zimmer von Thomas genau gegenübergesetzt links am Ende des Männertraktes befand.

    Thomas hatte keinen Blick mehr für die gefährliche Schönheit, trat in sein Zimmer und erinnerte sich mit einem Frösteln daran, dass dort vor etwas mehr als einer Stunde noch der lebendige Butler gelegen hatte. Mit einem dicken Kloß im Hals schloss er die Zimmertür, trat ins Badezimmer und wusch sich das Gesicht mit klarem und kaltem Wasser.

    Stöhnend blickte er sein Antlitz im Spiegel an. Thomas war unrasiert, er hatte dunkle Ringe unter den Augen und wirkte völlig ausgelaugt, seine Unterlippe war aufgeplatzt, seine Haut spröde und trocken. Die fatale Lage hatte sich nicht nur auf seinen mentalen Zustand, sondern sogar auf sein äußeres Erscheinungsbild ausgewirkt.

    Mit einem resignierten Seufzen verließ er das Badezimmer und legte sich mit dem Rücken auf sein Bett, in dem er seit seiner Ankunft kaum geschlafen hatte. Er wollte sich die letzten Ereignisse noch einmal durch den Kopf gehen lassen, versuchte seine Gedanken zu ordnen, doch bald schweifte er ab und verlor den roten Faden zum wiederholten Male. Schließlich musste auch er einer erschöpften Müdigkeit Tribut zollen und sackte in das düstere Reich der wirren Träume ab.

     

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  •  Kapitel 81: Freitag, 23 Uhr 00 Thomas Zimmer

    Die wohlverdiente Ruhe des schottischen Polizisten hielt nicht besonders lange an, denn ein klackendes Geräusch weckte ihn und riss ihn aus dem Halbschlaf wieder hoch. Erschöpft versuchte er seine Augen wieder zu schließen und sich keine weiteren Gedanken über das undefinierbare Geräusch zu machen, doch dann wiederholte es sich und ein dumpfes Geräusch ertönte, als ob jemand eine Tür leise hinter sich schließen würde.

    Sofort war Thomas hellwach, musste sich jedoch zunächst erst wieder schmerzhaft ins Gedächtnis rufen, wo er sich gerade befand. In seinem Halbschlaf hatte er fast schon wieder die wohlige Wärme des Bettes seiner gemütlichen Wohnung in einem ländlichen Außenbezirk im Norden Schottlands gespürt, wo er bei einer alten und herzensguten Dame das oberste Stockwerk zur Miete genommen hatte. Als er nun zurück in die kalte Realität gerissen wurde, verspürte er eine unangenehme Gänsehaut.

    Gehetzt wandte er seinen Kopf zur Tür und versuchte zu erkennen, wer in seinen Raum eingedrungen war. Zunächst sah er nur eine schattenhafte Silhouette und hörte, wie die mysteriöse Person die Tür von innen verriegelte. Thomas bekam Panik, richtete sich rasch auf, doch mit drei grazilen Schritten war der Eindringling bei ihm und legte ihm verschwörerisch und beruhigend die Hand auf die Schulter und drückte diese sanft in die Tiefe. Thomas stockte der Atem.

    Vor ihm stand die mysteriöse Brasilianerin Elaine Maria da Silva, die sich ein schwarzes Kleid mit tiefem Dekollete angezogen hatte, welches durch feine, silberne Steine verziert und unterhalb ihrer Schenkel durchsichtig war und ihre langen und sauber rasierten Beine betonte. Das Kleid lag um die Taille herum eng an und Thomas konnte seinen Blick von der fatalen Schönheit nicht mehr abwenden. Er spürte ein prickelndes Fieber in sich aufsteigen, als die Brasilianerin ihn sanft zur Seite drängte und vorsichtig auf das Bett kroch. Dabei rutschte ihr Kleid ein wenig hoch und enthüllte entgültig ihre makellosen Schenkel. 

    Die Brasilianerin war geschminkt, allerdings für ihre Verhältnisse relativ leicht und wirkte ungewöhnlich natürlich. Ihre dunklen Augen funkelten Thomas gierig an und er las in ihnen ein unbändiges Verlangen, was auch er immer mehr in sich spürte, so sehr er sich in dieser Situation und an diesem unangenehmen Ort auch dagegen wehren wollte. Da er gerade aus dem Schlaf gerissen worden war fühlte er sich jedoch seltsam schwach und willenlos und blieb völlig passiv und stumm.

    Elaine Maria da Silva trug silberfarbene Stöckelschuhe, die ihre feinen Füße umspielten. Mit sanften Bewegungen kroch die Brasilianerin unter die Decke und schlug diese über ihrem Körper und dem des schottischen Polizisten zusammen. Thomas spürte den heißen Atem der wilden Frau in seinem Nacken und spürte wie sie ihn mit ihren langen Fingernägeln am Bauch kraulte und langsam sein Hemd in die Höhe schob. Mit der anderen Hand begab sich die Brasilianerin langsam in die andere Richtung und machte sich in aller Seelenruhe an der Gürtelschnalle des Schotten zu verschaffen, der gleichsam unter dem langsamen Prozess der Verführung litt und sich doch daran labte.

    „Die letzte Dame, die mit mir geschlafen hat, war am nächsten Morgen eine tote Frau.“, warnte Thomas plötzlich in flüsternder Erregung.

    Die Brasilianerin führte unbekümmert ihre Aktionen fort und lachte mit rauchiger Stimme. Sanft biss sie dem Schotten ins Ohrläppchen und presste ihren Unterleib kurz gegen seine Schenkel. Ihre schwarzen, seidenen Haare fielen in das Gesicht des Schotten, der den angenehmen und vornehmen Duft eines erfrischenden Shampoos aufnahm.

    „Manchmal muss man im Leben Risiken eingehen, mein lieber Thomas.“, hauchte sie in sein Ohr und zog dem Schotten dann langsam sein Hemd über den kopf und bedeckte seinen Oberkörper mit zarten und feuchten Küssen.

    Obwohl sich sein Verstand gegen das sträubte, was er in diesen Momenten erlebte, begab sich Thomas nun seinerseits der Leidenschaft hin und öffnete die Schnüren des Dekolletes im Rücken der Brasilianerin. Zwischendurch bekam er immer wieder ihren runden Po zu fassen und schob den Kleidersaum stetig in die Höhe.

    Die Brasilianerin richtete sich langsam auf und ließ den oberen Teil des trägerlosen Kleides langsam und verlockend lächelnd in die Tiefe gleiten. Sie war darunter völlig nackt und presste ihren Oberkörper sanft gegen die behaarte Brust des Schotten und auch gegen dessen Gesicht und atmete befreit und leidenschaftlich auf, als sie seine tastende Zunge spürte.

    Langsam zog der Schotte das lose Kleid weiter in die Tiefe und die Brasilianerin spreizte guttural stöhnend ihre Beine und half nun selbst bei ihrer Entkleidung. Sie erhob sich leicht und ließ den letzten Stoffrest langsam über ihre Taille gleiten. Zuletzt hob ihre Beine leicht an und streifte das lästige Kleidungsstücke entgültig ab. Lässig warf sie es zu Boden und ergriff dann die Hosentaschen des Schottes, in denen sie sich festkrallte um dessen letztes Kleidungsstück in die Tiefe zu ziehen.

    Thomas hatte die Augen geschlossen und in diesen Momenten die triste Welt, die grausamen Morde und die allgegenwärtige Angst verdrängt. Die Aufklärung des unglaublichen Verbrechens war für ihn plötzlich sekundär geworden und er wünschte sich, dass er diesen Moment der Hingabe und Leidenschaft für immer einfrieren könnte.

    In diesem Moment huschte das Bild der verstorbenen Französin durch seinen Geist und fügte ihm ein schmerzhaftes Stechen in der Brustgegend zu. Er presste die Augenlider krampfhaft zusammen und sah erneut den Moment des sexuellen Höhepunktes mit der nymphomanischen Französin wie einen Film in Endlosschleife vor seinem inneren Auge. Mit einem Mal fühlte er sich elend und verzweifelt, nahm die Brasilianerin gar nicht mehr bewusst als die Person war, die sie wirklich darstellte. Aus der Leidenschaft war ein Leiden geworden, denn in seiner Seele spürte Thomas nun, dass er nur eine Frau jemals wirklich geliebt hatte. Seine Augen füllten sich mit Tränen, während sein Körper sich auf einen Moment der absoluten sexuellen Erfüllung vorbereitete. Dieser Kontrast trieb Thomas in den Wahnsinn und er empfand in diesen Momenten einen gewissen Ekel vor sich selbst. Die Präsenz von Elaine Maria da Silva war mit einem Mal wie verschleiert und sein Körper folgte viel mehr nur noch den Grundsätzen der Natur, als er sich weiter versteifte. Er war erregt, doch die Magie war wie ein flatternder Vorhang gefallen und schien in endlose Ferne geweht.

    Würde er jemals wieder aufrichtige Liebe und Leidenschaft empfinden können oder war er in seinen Erinnerungen an alte Tage gefangen? Er verfluchte in diesem Moment die schöne Französin, die ihm so unbedacht seine Unschuld, seine ersten aufrichtigen Empfindungen, die Einmaligkeit der Zweisamkeit fortgerissen hatte. Die Magie der ersten Beziehung war durch nichts und niemanden jemals wieder zu ersetzen und der wutverschleierte Gedanke daran trieb Thomas auch zu körperlichen Höchstleistungen an. Die Brasilianerin reagierte darauf mit einem zufriedenen Stöhnen und ahnte nichts von dem emotionalen twist ihres Liebespartners.

    Thomas wurde erst aus seinen melancholischen Gedanken fortgerissen, als er nackt vor der Brasilianerin lag, die seinen Körper mit feuchten Küssen bedeckte. Ihre Haare streichelten sanft über seinen Bauchnabel und seine Schenkel und dieses Gefühl der Befriedigung brach das Eis, welches Thomas vor wenigen Sekunden noch als absolut unbrechbar betrachtet hatte. Eine heiße Welle durchlief seinen Körper und Geist. Seine Emotionen schienen neu geboren, als er selbst den heißen Körper der Brasilianerin gegen sich presste und diese nun ihrerseits mit Küssen bedeckte. Angenehm hauchend legte Elaine Maria da Silva ihren Kopf in den Nacken und presste den Kopf ihres Liebespartners dominant in die Tiefe.

    Thomas ließ seinen Empfindungen freien Lauf, als die Brasilianerin sich elegant verbog und ihre Beine spreizte. Gerüche und Geschmäcke vermischten sich in Thomas Gedanken zu einem exotischen Reigen, der ihn ins Delirium der Emotionen zu führen schien.

    Die ungewöhnliche Sanftheit der Brasilianerin hatte ihn überrascht. In ihren Romanen schrieb sie so häufig von sadomasochistischen Folterszenen, von einer brutalen Symbiose aus Schmerz und Erregung, doch in diesen Momenten wirkte die Brasilianerin wie eine gezähmte Löwin. Thomas war fast schon enttäuscht und presste seinen Unterleib wütend zwischen die Beine seiner Partnerin, die erregt aufstöhnte und die Absätze ihrer Stöckelschuhe sanft in die Hüften des Schotten stieß.

    Thomas schossen wieder quälende Fragen durch den Kopf. Hatte die Brasilianerin ihre harte und unnahbare Fassade aufgegeben, weil sie sich nach wahren Emotionen und Geborgenheit sehnte, die sie vielleicht trotz ihrer Erfahrung nie hatte bekommen können? Wollte sie die Rollen endlich einmal vertauschen und sich selbst begehrt und beherrscht fühlen? Waren ihre empfindungen nur eine kurz aufflammende Leidenschaft oder steckte der tiefe Stachel der Liebe schon in ihrem Herzen? Oder, fragte sich Thomas auf einmal panisch, benutzte die Brasilianerin diese Taktik gar nur, um ihn in Sicherheit zu wägen und später kaltblütig zu ermoordern, nachdem sie sein Vertrauen erobert hatte? Thomas unterdrückte diesen pessimistisch ausgelegten Gedankengang und blickte der Brasilianerin grimmig in die Augen.

    Die psychologischen Fragen rissen im Kopf des Schotten ab, als er die feuchte Hitze spürte, die seinen Körper in Wallung trieb, zu einem rhythmischen Bewegungsablauf, in den die Brasilianerin gekonnt und leidenschaftlich mit einging. Sanft presste seine Partnerin ihn noch tiefer in sich hinein und stöhnte erregt auf. Mit rotierenden Bewegungen berührte Thomas die Brustwarzen seiner Partnerin, die ihrerseits ihren Kopf sanft und kreisförmig wiegte, den Mund weit geöffnet hatte und die Augen fest verschlossen. Erregt küsste Thomas seine Partnerin, die dieses Zeichen voller inbrünstiger Leidenschaft erwiderte. Das feuchte, sanfte Liebkosen trieb Thomas zu immer größeren Leistungen an und er drohe innerlich zu explodieren. Die Brasilianerin drückte ihre langen Fingernägel so gierig und tief in die Schenkel ihres Partners, dass dessen Haut leicht aufriss und ein Blutstropfen auf das blütenweiße Laken quoll.

    Das Bett quietschte protestierend, als die Bewegungen der beiden stummen Partner immer schneller wurden. In diesem Augenblick verdrängte Thomas all seine Gedanken und gab sich nur noch der Einmaligkeit der Emotionen hin, die er in diesen Momenten wieder zurückerlangt hatte, wofür er die mysteriöse femme fatale schon jetzt verehrte.

    Die Stimme der Brasilianerin schraubte sich fast um eine Oktave in die Höhe, ihre Augen waren jetzt weit geöffnet, in ihren Pupillen glänzten Erregung und Gier gleichermaßen. Der Oberkörper des Schotten war mit Schweiß überdeckt, der langsam auf den schlanken Bauch der Brasilianerin tropfte, als sie sichfest umschlungen zur Seite wälzten. Erregt vergrub Thomas sein Gesicht in dem weichen Busen und griff der Brasilianerin unter ihre sauber rasierten Arme, bevor er den Moment der absoluten Befriedigung erreichte und ihm nicht mehr standhalten konnte.

    Mit einem geradezu animalischen und hochemotionalen Schrei übertrug Thomas seine höchsten Emotionen auf die Brasilianerin, die nicht mehr nur vom Schweiß ihres Partners völlig durchnässt war und nun ihrerseits den ultimativen Höhepunkt anstrebte.

    Wenige Augenblicke darauf waren die Schreie verstummt, Thomas war voller Erschöpfung zusammengesunken und hörte das Herz der Brasilianerin in ihrer Brust heftig und leidenschaftlich schlagen. Die Schlieren der Müdigkeit legten sich unwillkürlich vor seine Augen, denn die sexuelle Befreiung hatte ihn die letzten Energiereserven gekostet.

    Thomas merkte kaum mehr, wie er sich noch von dem heißen Körper der Brasilianerin rollte und diese sich mit Tränen in den Augen an ihn schmiegte und ihm einen offenen Dank in die Ohren flüsterte. Der Geist des Schotten war für diese intime Botschaft schon nicht mehr aufnahmefähig. Befriedigt und frei von Sorgen glitt er erneut in das Reich der Träume und zollte seiner letzten Erschöpfung einen mächtigen Tribut.

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    Kapitel 82: Samstag, 01 Uhr 36 Thomas Zimmer

    Erst Stunden später erwachte Thomas Schritt für Schritt aus seinem Schlaf und sinnierte darüber nach, was ihn geweckt haben könnte. Er fand keine Antwort, blickte jedoch schlaftrunken auf seine Armbanduhr, die er geistesgegenwärtig noch vor dem Finale des liebesaktes irgendwie auf die kleine Kommode neben dem Bett gestellt hatte.

    Erschrocken schreckte er hoch und ihm fielen erneut die Szenen ein, die sich kurz vor seinem tiefen Schlaf ereignet hatten. Verwundert blickte er sich im Zimmer um, von der Brasilianerin gab es keine Spur mehr, die Schlaffläche neben ihm war kalt und verlassen.

    Thomas fragte sich unwillkürlich, ob er diese Dinge alle nur geträumt hatte, doch als er realisierte, dass er völlig nackt im Bett lag und den kalten und getrockneten Schweiß auf seinem Körper spürte, sowie dass die Laken völlig zerknittert und noch kaltfeucht waren, sah er ein, dass er sich nicht getäuscht hatte.

    Thomas blieb noch eine Weile liegen und ein kleines Lächeln stahl sich vorsichtig in sein Gesicht. Zum ersten Mal seit mehreren Tagen und Stunden fühlte er sich frisch und fast schon voller fröhlichem Tatendrang. Diese Aufbruchsstimmung nahm er mit, als er sich seine Kleidungsstücke zusammensuchte, kurz in der Dusche wusch und dann zur Zimmertür trat.

    Kaum hatte er den Gang betreten, nahm er wieder die düstere und unheilvolle Stimmung des Schlosses war, so als ob er in eine schwarze und völlig realitätsfremde Welt getreten sei. Die Angst und das Wissen um eine grausame Bedrohung legten sich wieder auf seine Seele und führten seinem Optimismus einen heftigen Rückschlag zu.

    Mit gemischten Gefühlen und rauschendem Kopf stieg Thomas langsam die breite Treppe in den Eingangsbereich hinunter. Von dort aus sah er, dass im Kamin der Bibliothek noch Feuer brannte. In dem Raum war es totenstill und doch saßen alle Anwesenden dort, blickten sich verbissen oder verschwiegen an, waren in einen stummen Schlaf verfallen oder hielten sich krampfhaft wach, weil sie die Einsamkeit der Träume fürchteten. Die psychische Spannung lag wie zum Greifen in der Atmosphäre. 

    Mamadou saß fast apathisch auf einem Schemel nahe der Tür und spielte gedankenverloren mit seiner Pistole. Einige der Gäste hatten sich Decken geholt, so hatte sich die fröstelnde Marilou beispielsweise allein in einen Sessel geschmiegt und war bis zum Kopf hin zugedeckt. Ihr Mann Abdullah saß in ihrer Nähe neben Björn Ansgar Lykström vor einem kleinen Holztisch. Sie spielten relativ lustlos und unkonzentriert ein Kartenspiel, um sich irgendwie abzulenken. Dabei wurden sie von einem grimmigen Gwang-jo beobachtet, der abgeschottet in eine Ecke saß und vor allem Thomas finster betrachtete, als dieser in den Raum trat.

    Thomas suchte mit seinem Blick nach Elaine Maria da Silva, doch die schöne Brasilianerin war nicht anwesend, was den jungen Schotten ein wenig stutzig machte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus und er verzog das Gesicht. Wo mochte die mysteriöse Brasilianerin nach ihrem gemeinsamen Schäferstündchen hingegangen sein?

    Mamadou schreckte hoch und blickte Thomas erstaunt, dann ein wenig kritisch an. Thomas spürte sofort, dass sein Kollege bereits ahnte, was die Brasilianerin und er gemacht hatten und schien darüber sehr beunruhigt zu sein. Grimmige Verständnislosigkeit zeichnete sich im angestrengten Gesicht des Ghanaers ab und Thomas blickte automatisch betreten zu Boden. Mit einem Mal war seine Euphorie verflogen und er bereute den Liebesakt mit der attraktivenbrasilianerin schon wieder. Er fühlte sich wie ein Schuldiger vor Gericht und schalt sich einen Narren. Er hatte seiner großen Schwäche, dem weiblichen Geschlecht, bereits zum zweiten Mal während des kurzen Aufenthaltes nachgegeben.

    „Du hast Elaine nicht zufällig gesehen?“, fragte Mamadou und hatte seinen Blick gleichzeitig wieder auf seine Waffe gesenkt.

    Thomas schüttelte langsam den Kopf, seine Kehle war wie zugeschnürt und elektrisierende Gedanken jagten durch seinen Kopf. Er brach langsam in Schweiß aus und blickte sich nervös um. Die Augen aller Anwesenden schienen auf ihn gerichtet zu sein, als ob er ein Sünder wäre und schuld an der ganzen misslichen Lage. Thomas wäre am liebsten im Erdboden versunken und atmete geräuschvoll durch.

    Fast war er dankbar, als Fatmir die drückende Stille unterbrach und Thomas sich nicht für irgendetwas rechtfertigen musste. Der Albaner stand langsam von einem spartanischen Holzstuhl auf, er wirkte nervös, er knetete und faltete voller Nervosität seine Hände, seine Augen waren geweitet und seltsam gerötet. Thomas glaubte sogar ein Zittern zu erkennen, das durch den Körper des Albaners ging.

    Behutsam trat Fatmir an Mamadou heran und blickte Thomas in einer Mischung aus Verzweiflung und Wut an. Thomas bekam eine Gänsehaut, als er dem Blick seines Gegenübers begegnete, mit dem irgendeine unheimliche Verwandlung geschah.

    „Mamadou, darf ich mir etwas zu trinken aus der Küche holen? Ich komme auch direkt wieder, ich verspreche es dir, du kannst mir doch vertrauen.“, begann der Albaner hastig flüsternd und bettelte den Polizisten auf eine erbärmliche Weise an, die selbst Thomas abstieß.

    Der schottische Polizist erkannte plötzlich, aus welchem Grunde der Albaner so reagierte. Fatmir Skola war seit längerer Zeit alkoholsüchtig und vermutlich sehnte er sich in dieser angespannten und unheilvollen Nacht nach einem beruhigenden Tropfen, um seine ängstlichen und verwirrten Sinne zu betäuben, so wie er es bereits in der Nacht zuvor fast zu derselben Uhrzeit getan hatte. Thomas empfand so etwas wie Mitleid und war auf die Antwort des Ghanaers gespannt.

    „Es ist in Ordnung. Sei aber spätestens in fünf Minuten wieder hier.“, murmelte der Ghanaer, nachdem er kurz über die Nachfrage sinniert hatte.

    Sichtlich erleichtert atmete der Albaner auf und verbeugte sich fast dankend vor dem Polizisten. Wie ein Dieb huschte er aus der Bibliothek heraus in den düsteren Speisesaal, der völlig verlassen war.

    Thomas blickte seinem ehemaligen Freund nachdenklich hinterher, ergriff einen Stuhl in der Nähe des Kamins und gesellte sich nach einigem Zögern zu seinem afrikanischen Kollegen, der ihn emotionslos anblickte.

    „Du hättest Fatmir nicht allein gehen lassen sollen. Man kann hier vor nichts mehr sicher sein.“, offenbarte Thomas nach einiger Zeit qualvoll seine Sorgen. Sein Gegenüber blickte ihn nur grimmig an und lachte sogar rau und spöttisch.

    „Du solltest dich lieber nicht mit einer potenziellen Täterin einlassen. Wer weiß schon, wo sie sch jetzt herumtreibt.“, konterte der Afrikaner kalt und Thomas war geschockt, dass selbst der mutige und sonst so herzliche Mamadou sich auf einmal gegen ihn richtete.

    Diese Kritik versetzte ihm einen schmerzhaften Stich, vor allem aber auch auf Grund der erneuten Einsicht, dass der Ghanaer recht hatte, nachdem der Thomas den Gedanken an sein Schäferstündchen mit der Brasilianerin gerade erst mühsam verdrängt hatte. Thomas hatte erst noch protestieren wollen, doch er brach stockend ab und sah ein, dass es keinen Sinn hatte dem Afrikaner zu widersprechen, da sein Kollege eine zu gute Menschenkenntnis hatte und er ihn nicht täuschen konnte und wollte.

    Somit blieb Thomas stumm, doch die quälende und vorwurfsvolle Stille machte ihn fast wahnsinnig. Er versuchte rasch das Thema zu wechseln, um wenigstens irgendwie beschäftigt zu sein, anstatt düsteren und skeptischen Gedanken nachzuhängen.

    „Elaine wird vermutlich auf ihrem Zimmer sein. Wo sollte sie sich sonst aufhalten?“, fragte Thomas, um auch sich selbst zu beruhigen.

    „Du musst es ja wissen.“, kam es vom Ghanaer knapp und höhnisch zurück, was Thomas nur noch unsicherer und auch wütender machte. Er fühlte sich missverstanden und ungerecht behandelt. Doch wusste er eigentlich selbst noch, was er wollte? In ihm tobte ein einziges bizarres Gefühlschaos.

    „Ich weiß es nicht, Mamadou. Warum gehst du auf einem Mal davon aus, dass sie dahinter steckt? Es könnte genauso gut jeder andere Mensch hier im Raum sein.“, verteidigte Thomas seine neue Geliebte mit Inbrunst und fühlte sich dabei erneut beim Klang seiner eigenen Worte übertölpelt und manipuliert und bereute seine verräterische Aussage auch schon.

    „Gut möglich. Habt ihr in diesem Geheimgang eigentlich irgendwelche Spuren gefunden?“, wechselte Mamadou kalt und entschlossen das Thema.

    Thomas sah seinen Kollegen lang und eindringlich an, nickte dann knapp und kramte in seiner Hosentasche nach dem Etui, das er in der Vorratskammer gefunden hatte. Prüfend blickte Thomas zu den restlichen Anwesenden und zeigte seinem Kollegen das Fundstück dann hinter vorgehaltener Hand.

    Nachdenklich betrachtete der Ghanaer es und fasste es behutsam an. Sein Blick fiel auf die blau gefärbte Blüte und Thomas sah förmlich, wie es im Kopf des Afrikaners arbeitete und wie sich die einzelnen Teile langsam zu einem komplexen Gesamtwerk zu ordnen schienen. Ein fiebriger und gieriger Glanz zuckte für einen Sekundebruchteil durch die dunklen Augen des Afrikaners. Thomas bemerkte dies mit einem unbehaglichen Gefühl und wandte sich verstört ab.

    Er streifte mit seinem Blick noch einmal die Anwesenden und stutzte. Außer Fatmir und Elaine schien noch eine andere Person zu fehlen, die sich irgendwo im Schloss befinden musste. Thomas dachte angestrengt nach, doch er kam nicht sofort darauf. Stöhnend knetete er seine Stirn und griff sich mit seinen Händen in die Haare, die nach seinem Schlaf jegliche Ordnung verloren hatten, zumal er sich seit den frühen Morgenstunden nicht mehr gekämmt hatte. Thomas blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und beschloss, dass er dringend wieder zum Friseur gehen sollte, sofern er aus diesem Alptraum jemals entkommen sollte.

    Plötzlich tippte Mamadou ihn an und reichte ihm rasch das Etui, was Thomas behutsam wieder in seiner Tasche verstaute. Erwartungsvoll sah er seinen Kollegen an, der seinerseits nun angestrengt die anwesenden Gäste ansah und ungewöhnlich nervös und nachdenklich wirkte, als ob er einen schwierigen Kampf in seinem Innern bestreiten würde. Thomas runzelte die Stirn und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. 

    In diesem Moment ertönte auf einmal ein tiefer, lauter Schrei, ein ohrenbetäubendes Klirren und ein Poltern, das seltsam dumpf klang. Von irgendwo hörte Thomas ein undefinierbares Zischen und sprang erschrocken von seinem Stuhl hoch. Der junge Polizist begegnete dem Blick seines Kollegen, der ihn mit geweiteten Augen ansah. Beide dachten an dasselbe.

    „Fatmir!“, murmelte Mamadou verschreckt, blickte hektisch auf die Gäste, die ebenfalls aufgehorcht hatten und beunruhigt wirkten.

    Ein allgemeines, aufgebrachtes Gemurmel setzte ein und einige der Gäste standen rasch auf. Allen voran war da Gwang-jo, der wie ein Blitz loslief und schlitternd durch die leicht offen stehende Tür in den Speisesaal rutschte, bevor Mamadou auch nur dazu gekommen war, ein gewisses Maß an Ordnung einzuhalten und den emotionalen Koreaner von einer möglichen Überreaktion abzubringen.

    Dem kurzen Kontrollverlust versuchte Mamadou mit einem lauten Ruf entgegen zu wirken, während inzwischen fast alle Gäste aufgestanden waren. Thomas fackelte nicht lange und reagierte instinktiv, als er dem verschwindenden Koreaner nachsetzte und den Ghanaer mit der aufgebrachten Menge zurückließ, mit der er sichtlich überfordert war. Mahnend hob er seine Pistole und appellierte an den gesunden Menschenverstand.

    „Ruhe! Setzt euch wieder hin! Reagiert jetzt nicht falsch, wir sollten die Kontrolle nicht verlieren. Wenn wir alle zusammen bleiben, dann sind wir hier sicher...“, rief er verzweifelt, doch es war so, als ob er gegen eine stumme Wand anschreien würde, die ihn nicht wahrnahm und ihm auch nicht antwortete.

    Thomas bekam den Rest des Appells gar nicht mehr mit, da er in den düsteren Speisesaal gestürmt war, der seltsam kalt wirkte. Erst jetzt wurde er sich bewusst, dass sie an diesem Abend nichts gegessen hatten und im Laufen fiel ihm die Lösung, nach der er eben vergeblich gesucht hatte, wie Schuppen vor die Augen. Er wusste jetzt, wen er unter den Leuten in der Bibliothek noch vermisst hatte. Es handelte sich um den völlig unauffälligen Koch, dessen Arbeitgeber und Kollegen mittlerweile alle aus dem Leben geschieden waren und dies an nur einem einzigen Tag. Niemand wusste etwas über den alten und stillen Greis, der sich nun völlig verängstigt und isoliert fühlen musste. Thomas nahm sich vor dem Mann bald einen Besuch in dessen Zimmer abzustatten. Er hatte mit ihm fast noch gar nicht geredet.

    Thomas sah, wie der Schatten des agilen Koreaners um die Ecke verschwand und auch er selbst rutschte nun hastig um die Ecke und wäre auf dem glatten Boden beinahe der Länge nach hingefallen. Um ein Haar wäre er in der diffusen Dunkelheit in den Koreaner hineingerannt, der an der Tür zur Küche wie angewurzelt stehen geblieben war.

    Thomas befürchtete bereits einen grausigen Anblick, sein Herz schlug wie wild gegen seine Rippen und die Angst vor der bevorstehenden Enthüllung des Schrecklichen raubte ihm fast den Verstand. Schließlich überwand der junge Schotte sich, trat an dem völlig konsternierten Koreaner vorbei, der ihn überhaupt nicht mehr wahr zu nehmen schien.

    Tief atmete Thomas durch und schluckte den Kloß in seinem kratzigen Hals herunter. In dem schwachen Licht, welches gespenstisch durch die riesigen Fenster des Speisesaals drang, konnte er mehr erahnen als erkennen, was mit dem Albaner geschehen war und trat noch einen Schritt näher an den Tatort.

    Thomas wusste nicht, ob es ein Zufall oder vielleicht sogar ein Wink des Schicksals war, doch in diesem Moment brach am nächtlichen Himmel endlich die tiefgraue Wolkendecke auf und das helle, magisch wirkende Licht des Mondes erhellte auch die Küche und gewährte Thomas einen schwer erträglichen Anblick, der ihm panische Kälteschauer über den Rücken jagte. Vor ihm lag nicht mehr der Albaner, den er gekannt und einst auch geschätzt hatte, sondern ein auf ekelerregende Weise erstellter Mensch, der so gruselig aussah, dass Thomas an seinem eigenen Verstand zweifelte.

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