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    Kapitel 33: Donnerstag, 13 Uhr 34, Arbeitszimmer


    Als Nächstes riefen die beiden provisorischen Ermittler Magdalena Osario zu sich. Auch sie hatte sich umgezogen und trug eine einfach Jeans und ein enges rotes Top, welches ihre gute Figur betonte. Dennoch wirkte sie alles andere als elegant und sah sehr müde aus. Sie hatte dunkle Ringe unter ihren Augen, ihr Gesicht war bleich, was auch ihre aufgesetzte Schminke nur leidlich vertuschen konnte. Sie setzte sich hin, schlug die Beine übereinander und blickte Thomas aus müden Augen an.

    „Ich bin mir bewusst, dass ich ein eventuelles Motiv hätte, da ich vorhabe mit meinem Geliebten diese Insel zu verlassen und zwar gegen den Willen meines Mannes. So gesehen habe ich das initiierte Klassentreffen ein wenig ausgenutzt. Ich denke dennoch, dass auch Sie mich lange genug kennen, um zu wissen, dass ich immer eine sehr engagierte Person war, die sich um die Belange der Schüler gesorgt hat. Ich wäre niemals fähig jemanden umzubringen, nicht einmal meinen Mann, der mir wirklich allen Grund dazu gibt auszurasten. Wissen Sie, Herr Lykström steckt auch nicht dahinter, für ihn lege ich meine Hand ins Feuer. Ich habe allerdings einen Verdacht, wer etwas damit zu tun haben könnte.“, erzählte die Spanierin ausführlich.

    Thomas und Mamadou waren bei dieser überraschenden Eileitung der kessen Spanierin hellhörig geworden und blickten ihre ehemalige Lehrerin erwartungsvoll an. Diese nahm sich ein wenig Zeit und bat Thomas zunächst um eine Zigarette. Dieser gab der Spanierin eine der russischen Zigaretten und wunderte sich, dass die Lehrerin rauchte, denn dies hatte sie zumindest früher nie getan. Vielleicht wollte sie so ihre Nervosität und Ängste in wenig abbauen. Thomas konnte sie verstehen und fühlte irgendwie mit ihr mit. Sie hatte sicherlich viele schlimme Dinge durchlitten.

    Magdalena Osario nahm einen kräftigen Zug, hustete geräuschvoll und schüttelte ihren Kopf. Ihre prächtigen Haare wirkten ungekämmt und fielen ihr wirr ins Gesicht. Sie legte die Zigarette in einem gläsernen Aschenbecher ab.

    „Ich muss Ihnen gestehen, dass ich mich gestern Nacht mit Herrn Lykström in seinem Zimmer getroffen habe. Ich hatte gewartet, bis mein Mann schlief, das war so gegen Mitternacht gewesen. Ich bin dann in den Männertrakt gegangen und habe meinen Geliebten getroffen. Wir haben uns lange über unsere Zukunft, unsere Träume unterhalten und wir hatten Geschlechtsverkehr, falls Sie es genau wissen möchten. Am frühen Morgen, so gegen kurz vor fünf Uhr, bin ich zufällig auch am Zimmer von Jeanette vorbeigekommen und habe darin mehrere Stimmen gehört. Ich war natürlich neugierig und dachte sofort an den Mord mit Malcolm und dachte mir, dass dieser wegen seiner Beziehung zu ihr vermutlich sterben musste. Ich habe mich in einer Türnische versteckt und gewartet. Nach etwa fünf Minuten kam dann ein Mann aus ihrem Zimmer und verabschiedete sich von ihr mit einem innigen Kuss. Ich muss gestehen, dass ich erst Sie, Thomas, in Verdacht hatte, aber ich konnte dann erkennen, wer es wirklich war.“, berichtete die Spanierin und es herrschte eine atemlose Spannung im Arbeitszimmer. Thomas und Mamadou sahen die Zeugen erwartungsvoll an. Diese nahm einen neuen Zug von ihrer Zigarette, dieses Mal hatte sie sich bereits daran gewöhnt. Angespannt ließ sie sich tiefer in den Sessel gleiten.

    „Ich erkannte, dass es Abdullah Gadua war. Er hatte offensichtlich ein Verhältnis mit der Französin. Er kehrte zurück in sein Einzelzimmer und ich beeilte mich in das Gemach meines Mannes zurückzukehren. Ich merkte später, dass er wach war und meine Abwesenheit sehr wohl bemerkt hatte. Er hat mich so tiefgründig und böse angesehen und hat mir befohlen nicht mehr mit ihm das Bett zu teilen, sondern auf der Couch zu schlafen. Ich hatte Angst, dass er noch schlimmer hätte reagieren können, aber das tat er zum Glück nicht. Dennoch habe ich auf der Couch natürlich kein Auge zubekommen.“, berichtete die Spanierin weiter.

    „Gadua! Er hatte auch ein Verhältnis mit Jeanette?“, fragte Thomas überrascht und fühlte sich gleichzeitig überrumpelt. Er hatte der Französin vertraut und sie hatte ihn offensichtlich wieder einmal betrogen und nur mit ihm gespielt. Er schüttelte entsetzt den Kopf und konnte das Ganze noch gar nicht glauben oder gar begreifen. Er merkte sogar, dass ihm Tränen in die Augen schossen, die er mühsam unterdrückte.

    Die Spanierin sah ihn tiefgründig an und Thomas spürte, dass sie bis auf den Grund seiner Seele zu blicken schien und auch seine stille Trauer war ihr nicht verborgen geblieben. Seufzend nahm sie einen Zug von der Zigarette.

    „Ja, Gadua. Sie wissen doch selbst, dass Jeanette keine Frau für feste Beziehungen war. Gadua hatte in seiner Jugend ja ebenso wie Sie auch ein Verhältnis mit ihr und dieses ist jetzt neu aufgeblüht. Ihm können Sie kaum einen Vorwurf machen, er ist viel mehr ein Seelenverwandter von Ihnen.“, stellte Magdalena Osario leise fest.

    „Aber ich bin wenigstens nicht verheiratet und hintergehe eine psychisch ohnehin schon labile Person, die meine Hilfe und Liebe jetzt mehr denn je braucht!“, widersprach Thomas knurrend.

    „Haben Sie gesehen, ob er der Französin irgendwelche Pralinen hinterlassen hat?“, fragte Mamadou erwartungsvoll.

    „Nein, so einfach ist es nun auch nicht. Zum Abschied hat er ihr jedenfalls nichts gegeben. Es stellt sich die Frage, ob er ihr eventuell die Pralinen schon bei seiner Ankunft gegeben hatte. Ich bezweifle dies aber deswegen, weil Jeanette heute ja so zielstrebig auf Sie zukam, Thomas. Wenn die Pralinen von Gadua gewesen wären, hätte Sie versucht dies irgendwie anders zu zeigen.“, stellte Magdalena Osario fest.

    Thomas und Mamadou nickten gleichzeitig. Mit einem Mal kam Thomas allerdings eine weitere Idee.

    „Wissen Sie, ob seine Frau Marilou Gauthier davon gewusst hat?“

    „Das weiß ich nun wirklich nicht.“, entgegnete die Spanierin knapp.

    „Mal etwas Anderes. Ihr Butler hat sich eben bei uns sehr verdächtig benommen. Sie kennen ihn sicherlich schon länger und besser. Was können Sie uns über ihn sagen?“, fragte Mamadou erwartungsvoll.

    „Nun, er ist ein sehr stiller, zurückhaltender Mensch. Er wirkt so schrecklich unpersönlich wie alle hier in diesem Schloss. Er wirkt auf mich ein wenig seltsam, er scheint sich im Gegensatz zum Koch auch sehr unwohl hier zu fühlen. Ich kann wirklich nicht mehr zu ihm sagen.“, erklärte die Spanierin mit einem ehrlichen Bedauern.

    „Trauen Sie ihm einen Mord zu?“, fragte Mamadou sie geradeheraus.

    Die Spanierin nahm einen weiteren kräftigen Zug von ihrer Zigarette und drückte diese dann im Aschenbecher aus. Langsam stieß sie den Rauch aus ihrem Mund aus und blickte ins Leere. Sie schien ein wenig nachzudenken.

    „Nun, ich kann ihn wirklich kaum einschätzen. So emotional wie gerade eben habe ich ihn in den letzten knappen vier Jahren nicht erlebt. Damals war es lediglich auffällig, wie schnell er diesen Job angenommen hatte und wie eifrig er darum bemüht war ihn auch zu kriegen. Bei der Auswahl war mein Mann bereits sehr gehässig mit den Kandidaten umgegangen, zwei von ihnen sind bereits entsetzt frühzeitig abgereist. Manchmal hatte ich den Eindruck, als ob er vor irgendetwas auf der Flucht sei. Ich weiß über ihn aber einfach zu wenig, um auf die Frage ehrlich antworten zu können. Brutal oder ausfallend war er uns gegenüber jedenfalls nie.“, teilte die Spanierin den beiden provisorischen Ermittlern mit.

    Nach einigen Minuten ließen Mamadou und Thomas die junge Lehrerin gehen. Sie trat langsam und fast gebrechlich aus dem Arbeitszimmer. Die Zeit hatte sie mürbe und müde gemacht. Nachdenklich blickten sich Thomas und Mamadou an.

    Gerade Thomas wirkte nervös und fast ein wenig verstört. Er musste diese neuen Informationen erst einmal verdauen und dachte dabei wehmütig an Jeanette. Er war ihr nicht einmal böse. Diese Frau würde für ihn immer ein Mysterium bleiben. Er schalt sich selbst, dass er es zugelassen hatte, wieder neue Frühlingsgefühle für diese femme fatale zu empfinden.

    Mamadou spürte, dass sein Partner bedrückt war und sie nahmen erst einmal wieder Platz, bevor sie sich den nächsten Gast vorknöpfen wollten Thomas knetete sich mit seinen Händen in seinem müden Gesicht. Er atmete tief durch und blickte seinen Kollegen an, der ihn mitleidig ansah. Energisch stand Thomas auf und lief ungeduldig im Arbeitszimmer umher. Ihm schwirrte der Kopf und er hatte große Mühe sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dies blieb auch Mamadou nicht verborgen.

    „Wenn du willst, dann machen wir eine kurze Pause.“, schlug er vor, doch Thomas schüttelte den Kopf, ging zum Tisch, setzte sich wieder und schlug wütend mit der Faust auf den Schreibtisch, sodass dieser bedrohlich bebte.

    „Nein. Ich will diese ganze Sache endlich aufklären. Ich spüre, dass wir immer mehr erfahren und bald ganz nah an der Lösung dran sind. Bitte ruf Abdullah Gadua zu uns.“, bat Thomas seinen Kollegen und notierte sich einige Informationen auf einem kleinen, roten Notizblock.

    Mamadou sah ihn nachdenklich an, erhob sich dann langsam und blickte noch einmal fragend zurück, bevor er die Tür öffnete. Thomas blickte auf und nickte ihm entschlossen und grimmig zu. Mamadou zuckte mit den Schultern, öffnete die Tür und bat den nächsten Anwesenden zum Verhör ins Arbeitszimmer.

    Er bemerkte dabei, dass sich die Gäste näher beisammen gesessen hatten und eifrig diskutierten. Gwang-jo und Björn Ansgar Lykström standen im Mittelpunkt und lieferten sich ein kurzes, aber heftiges Wortgefecht, das sie abrupt beendeten, als sie Mamadou bemerkten. Dieser überlegte, ob er in irgendeiner Weise eingreifen sollte, doch er entschied sich dagegen. Er bat Gadua zu sich, der ihm ohne Gefühlsregung entgegenschritt und sich dennoch mehrmals zu seiner Frau umwandte, die etwas abseits der Gruppe allein saß, sich nicht an den Diskussionen beteiligte und ihrem Mann beinahe gleichgültig hinterher schaute. Sie wirkte fast schon grimmig und unnatürlich kalt, während Gadua ihr zulächelte und so versuchte ihre Stimmung wieder ein wenig aufzubauen. Er scheiterte kläglich, blickte betreten zu Boden und trat rasch in das Arbeitszimmer, wo Mamadou gemächlich die Tür hinter dem Neuankömmling wieder schloss.

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    Kapitel 34: Donnerstag, 13 Uhr 45, Arbeitszimmer


    Erwartungsvoll dreinblickend und äußerlich ruhig nahm Abdullah Gadua Platz. Er hatte einen wirren Dreitagebart und trug seinen weißen Turban, der natürlich hervorstach und ihm etwas Exotisches verlieh. Thomas erinnerte sich zurück an die Schulzeit, als Gadua von vielen Mitschülern belächelt worden war, da er immer konsequent seinen Turban tragen wollte, obwohl er sich auf einer stark christlich geprägten Privatschule befand. Selbst die Lehrer hatten ihm versucht dies auszureden, doch es war ihnen erst gelungen, nachdem der Direktor ein ernsthaftes Gespräch mit dem Vater des Katarers geführt hatte. Die Schule war damals auf die großzügigen Spenden des ehrgeizigen Ölscheichs angewiesen und niemand wollte ihm vor den Kopf stoßen, doch auf der anderen Seite drohte sich die Schule lächerlich zu machen. Thomas dachte mit Schmunzeln an zwei jüngere Journalisten, die tagelang Mitschüler ausgefragt hatten und vom Lehrerkollegium mehrmals entrüstet des Geländes verwiesen wurden. Selbst das hatte wenig genützt, denn Thomas und seine beiden besten Freunde hatten sich in ihrer heimlichen Stammkneipe mit den Schreiberlingen getroffen und einige Dinge erzählt. Immerhin hatten sie somit der spießigen Direktion einen Denkzettel verpasst, genossen ein wenig Prestige und hatten für ihre Aussagen sogar ein wenig Geld eingesteckt. Zu der Veröffentlichung des Artikels war es aus zwei Gründen nicht gekommen. Zum Einen hatte Abdullah Gadua nach einer Diskussion mit seinem Vater eingewilligt seinen Turban auf dem Schulgelände nicht mehr zu tragen und sich besser anzupassen und zum Anderen hatte der Direktor, der von der Sache doch irgendwie Wind bekommen hatte, dem Chefredakteur der betroffenen Zeitung eine nicht unbeachtliche Summe Geld zukommen lassen, damit dieser den Artikel nicht veröffentlichte. Tragischerweise wurden die beiden betroffenen Journalisten kurze Zeit später sogar entlassen. Thomas hatte mit ihnen sogar Kontakt gehalten. Während der friedlichere Schreiberling die Gegend verlassen und eine neue Anstellung in Paisley bekommen hatte, versuchte der rebellischere der beiden Journalisten, die korrumpierten Hintergründe seiner Entlassung an die Öffentlichkeit zu zerren. Der Gerichtsprozess war irgendwann im Sande verlaufen und der Journalist hatte das Land verlassen und schrieb mittlerweile für ein Kulturmagazin in Nordirland.

    Gadua hatte sich im Verlauf der Jahre gut in der Schule integriert und oftmals die allerbesten Noten erzielt. Im Gegensatz zur konservativen Paola Francesca Gallina und dem arroganten Einzelgänger Gwang-jo Park, die ebenfalls viele Bestnoten erzielt hatten, schaffte es der Katarer nach anfänglichen Schwierigkeiten sich einen Freundeskreis aufzubauen und konnte auch bei diversen Frauen gut landen.

    An all diese Dinge dachte Thomas, als ihm der neue Tatverdächtige gegenüber saß. Abdullah Gadua war immer ein heimlicher Provokateur gewesen. Das Tragen des Turbans im Schloss des Direktors ließ er sich nicht verbieten, denn er war unabhängig und genoss seine Möglichkeiten. Er wollte sich für niemanden verstellen. Trotz seiner religiösen, traditionellen Haltung war Abdullah Gadua ein lebenslustiger Mensch, der sich auch nicht zu schade dafür war gelegentlich schmutzige Witze zu reißen oder sich ausschweifend zu amüsieren. Es gab da aber auch noch das andere Gesicht des Abdullah Gadua, welches er jetzt präsentierte. In diesen Momenten wirkte er aufmerksam, konzentriert und dennoch in sich gekehrt, beinahe in einer meditativen Stille. Er verharrte regungslos zusammengekauert einige Minuten auf dem Ledersessel und atmete gemächlich und tief ein und aus.

    Thomas sah sein Gegenüber genau an. Konnte dieser Mensch ein gewissenloser Mörder sein? Eigentlich wollte Thomas vehement dagegen protestieren, doch wer fast von einem Moment auf den Anderen sich von einem vulgären Partylöwen in einen introvertierten, betenden Menschen verwandeln konnte, der war vielleicht sogar fähig, auf geradezu schizophrene Art und Weise, sich von einem gewissenlosen Killer in ein scheinbares Unschuldslamm zu verwandeln. Thomas schüttelte resigniert den Kopf. Er wusste einfach nicht wie er sein Gegenüber nun einschätzen sollte. Seine Trauer oder Wut bezüglich des Verrates seiner geliebten französischen Affäre waren verflogen und hatten einer quälenden Ratlosigkeit Platz gemacht. Er fragte sich, ob Mamadou und er mit diesen Verhörmethoden überhaupt entscheidend weiterkommen würden. Zwar hatten sie viele neue, verblüffende Informationen enthalten, doch dem wahren Täter waren sie kaum auf die Schliche gekommen.

    Schließlich war es sein ghanaischer Kollege, der das ungewohnte, fast bedrückende Schweigen brach und sich an den Neuankömmling wandte. Der Afrikaner war es Leid geworden und wollte Klartext sprechen.

    „Abdullah Gadua, erzählen Sie uns von Ihrer Beziehung mit Jeanette und dem Treffen mit ihr von letzter Nacht!“, forderte er ihn erbarmungslos heraus und suchte auf dem Gesicht des Katarers nach verräterischen Reaktionen.

    Gadua tat ihm den Gefallen nicht, sah ich erwatungsvoll und freundlich an und hob leicht die Augenbraunen. Er blieb ganz ruhig und sprach auch ungewohnt sanft und klar.

    „Wir hatten keine Beziehung miteinander.“, stellte er sachlich fest und blickte nun Thomas entschlossen an.

    Dieser stand auf und trat näher zu dem Katarer, blickte ihm ernst in die Augen und schüttelte lachend und fassungslos den Kopf.

    „Hör mir mal zu, Abdullah. Ich darf dich doch duzen?“

    „Das sollten wir hier alle untereinander tun. Diese künstlichen Zwänge waren mir noch nie geheuer. Respekt ist nicht nur eine Frage der Ansprache oder Kleidungsart.“, bemerkte sein Gegenüber ruhig und beharrlich.

    Thomas schnaubte verärgert, er wollte sich nicht durch Unwichtigkeiten ablenken lassen. Ärgerlich stemmte er seine Hände auf die Schreibtischplatte und senkte den Blick.

    „In Ordnung. Hör mir zu. Wir haben Zeugen, die dich gestern Nacht bei ihr gesehen haben.“, entgegnete ihm Thomas mit unterschwelliger Frustration.

    „Das streite ich auch nicht ab.“, erwiderte Gadua sachlich und süffisant lächelnd.

    „Du bist der Letzte, der sie gesehen hat, bevor sie von den giftigen Pralinen nahm.“, erklärte Mamadou, der sich ruhig erhoben hatte und an die linke Seite seines schottischen Kollegen trat, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte.

    „Möglich.“, antwortete Gadua ruhig lächelnd.

    „Du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es geht hier um einen Mord.“, fuhr Thomas ihn energisch an.

    „Ich weiß. Aber ich habe damit nichts zu tun.“, antwortete der Katarer immer noch ruhig, aber dennoch sehr bestimmt.

    Thomas trat rasch auf ihn zu und hob drohend seine Hand. Die ganze Situation machte ihm mehr zu schaffen, als er geglaubt hatte. Die Anwesenden beschuldigten sich alle gegenseitig oder redeten sich heraus und er hatte das ungute Gefühl, dass sie dem wahren Täter doch nicht auf die Schliche kommen würden. Zudem war er erzürnt, als er an die junge Französin dachte, der er sehr nahe gestanden hatte. Ihm stieß es übel auf, dass ihr möglicher Täter oder vielleicht auch nur Geliebter so locker über ihren Tod sprach und sich jede Antwort aus der Nase ziehen ließ. Thomas wollte sich nicht länger hinhalten lassen.

    „Sag uns was du weißt, verdammt noch mal!“, fuhr Thomas den Katarer an, der auf diesen emotionalen Ausbruch weiterhin gelassen reagierte und Thomas fast mitleidig anlächelte, was diesen noch rasender machte.

    Mamadou legte seine Hand wieder einmal behutsam, aber entschlossen auf die Schulter seines provisorischen Kollegen, um eine Eskalation zu vermeiden.

    „Ich weiß nicht mehr, als ich bereits gesagt habe, Thomas.“, gab Abdullah kalt zurück. Seine gewohnte Lockerheit war verschwunden und war einer berechnenden Ruhe gewichen. Nichts erinnerte mehr an den exotischen Spaßvogel aus der Schulzeit.

    „Warum bist du überhaupt zu Jeanette ins Zimmer gegangen?“, fragte Mamadou sachlich.

    „Ich war abends noch bei meiner Frau, der es nicht gut ging. Auf dem Rückweg traf ich Jeanette im Gang. Sie hatte sich übergeben, war richtig bleich und zitterte. Sie hatte vor nach draußen zu gehen, um frische Luft zu schnappen. Der Mord an Malcolm hatte sie mental sehr mitgenommen. Da ich mich mit psychischen Problemen gezwungenermaßen gut auskenne, habe ich mich ihrer angenommen und verhindert, dass sie bei dem Wetter nach draußen gegangen wäre.“, gab Abdullah emotionslos und präzise zu Protokoll.

    „Wie lange warst du bei ihr?“, hakte Mamadou nach.

    „Etwa zwei Stunden. Sie hat mit mir über ihre Probleme geredet, es tat ihr sichtbar gut mit einer außenstehenden Person über gewisse Dinge reden zu können. Wir saßen fast zwei Stunden zusammen, bevor ich auch sehr müde wurde und gegangen bin.“, führte Abdullah fort und fixierte die beiden Polizisten erwartungsvoll.

    „Worüber habt ihr denn so geredet?“, fragte Thomas verbittert und leicht aggressiv.

    „Das ist Privatsphäre, die auch dich nichts angeht, sonst hätte sie sich dir anvertraut.“, gab Abdullah ebenso gehässig zurück und war damit einen Schritt zu weit gegangen.

    Thomas konnte sich nicht mehr unter Kontrolle halten. Wütend sprang er auf den Befragten zu, packte ihm an den Kragen und zerrte ihn mit beiden Armen gewaltsam aus dem Ledersessel. Abdullah, der bis jetzt die Ruhe selbst gewesen war, ließ sich dies nicht bieten und stieß Thomas mit einem wuchtigen Schlag gegen den Brustkorb zurück. Thomas taumelte zurück und schnappte verblüfft nach Luft. Rudernd landete er in den Armen seines Kollegen, der ihn sofort in einen Polizeigriff nahm und zurückzerrte, während Thomas versuchte sich wie ein Stier mit dem Kopf voran aus der Umklammerung zu lösen. Mamadou hatte jedoch energisch zugegriffen und stieß seinen Partner wütend zur Seite. Mit einer raschen Handbewegung hebelte sich Thomas aus der Umklammerung heraus und wich einige Schritte von den beiden anderen Männern weg.

    Alle drei Anwesenden verharrten in einer bedrohlichen Stille. Mamadou stand mit verschränkten Armen in der Nähe des Tisches und zwischen den beiden Streithähnen. Thomas blickte finster zu Abdullah herüber, sein Gesicht war puterrot geworden und er hatte sich nur mühsam unter Gewalt. Sein Halsschlagader war bedrohlich angeschwollen und sein Puls rasant in die Höhe geklettert. Abdullah taxierte den schottischen Polizisten in einer Mischung aus arroganter Abscheu und Mitleid. Bewusst ruhig und provokativ stellte er seinen Kragen wieder richtig und wischte sich den Staub von seinen Hemdarmen, genau dort, wo Thomas ihn gepackt hatte.

    „Du nimmst dir ganz schön etwas heraus. Ein solch emotionaler und unverantwortungsbewusster Mensch wie du sollte nicht Polizist sein. Wer sagt uns denn, dass nicht du dahinter steckst? Nach einer solchen Reaktion würde es mich nicht wundern, wenn du deine untreue Geliebte und ihre potentiellen Lover kalt gemacht hättest. Willst du als Nächstes vielleicht mich umbringen?“, fragte Abdullah und war inzwischen immer lauter geworden.

    Thomas schwieg und begegnete auch dem Blick seines Kollegen, der ihn mahnend ansah. Der Schotte blickte zu Boden, doch sein Partner ergriff noch einmal überraschend für ihn Partei.

    „Abdullah, ich denke, dass du einsehen musst, dass bei uns allen die Nerven blank liegen. Zwei Morde, jede Menge Konfliktstoff, viele Beschuldigungen und noch dazu ein gemeingefährlicher Wolf, der dieses Schloss zu umkreisen scheint. Wir sollten und wie erwachsene Menschen verhalten und uns entschuldigen. Wenn wir uns alle gegenseitig zerfleischen und beschuldigen kann der skrupellose Mörder nur davon profitieren. Wir können weitere Taten allerdings nur dann verhindern, wenn wir uns ein umfassendes Bild machen. Daher ist es durchaus wichtig, dass du uns sagst, über was du mit Jeanette gesprochen hast. Wovor hatte sie Angst?“, hakte Mamadou nach und sein Gegenüber ging langsam nickend auf den versöhnlichen Versuch ein, wobei er Thomas erneut mit einem explizit abfälligen Blick bedachte.

    „Es leuchtet doch ein, dass sie Angst hatte zu sterben. Einer ihrer Verehrer war gestorben und sie befürchtete, dass es der Täter auf sie abgesehen haben könnte. Sie glaubte an einen fanatischen Liebhaber, der die Konkurrenz ausschalten wollte. Sie war sich über ihre Gefühle nicht mehr im Klaren. Sie fragte sich, wen sie wirklich liebte und wer auch aufrichtig dasselbe für sie empfand. Sie sprach davon, dass sie ihren aktuellen Lebensstil hinter sich lassen wollte, um ganz neu zu starten. Sie sprach davon, dass sie ihre große Liebe finden wollte, aber sie zweifelte daran, ob sie überhaupt noch fähig war jemandem treu zu sein.“, berichtete Abdullah nach kurzem Zögern.

    „Hat Jeanette dir denn verraten, ob sie diese große Liebe gefunden hat?“, wollte Mamadou wissen und sein Gegenüber biss sich auf die Lippen und blickte unbehaglich umher.

    „Sie meinte, dass ihr Herz Thomas gehören würde. Aber sie war nach dem Mord verunsichert und hatte die Befürchtung, dass er dahinter stecken könnte.“, gab Abdullah schließlich zu Protokoll und bedachte den Schotten mit einem grimmigen Blick.

    Thomas wusste nicht so recht, wie er auf diese Eröffnung reagieren sollte. Auf der einen Seite rührte es ihn fast wieder zu Tränen, dass die Gefühle der Französin für ihn doch tiefgründiger gewesen waren, als sie selbst immer zugegeben hatte, aber andererseits war er erschrocken darüber, dass sie ihm dennoch so wenig Vertrauen geschenkt und gar als möglichen Mörder in Betracht gezogen hatte. Thomas stiegen die Tränen in die Augen und er konnte mit einem Mal die Verwirrung und Angst der Französin nachvollziehen. Er konnte und wollte ihr keinen Vorwurf mehr machen. Anscheinend war sie ihm trotz allem treu geblieben.

    Missmutig wandte er sich an Abdullah Gadua, senkte den Blick und reichte ihm die Hand. Zögernd und ein wenig überrascht ergriff der Katarer diese nach einigen Momenten des Verharrens. Thomas hob den Kopf und blickte sein Gegenüber aus tränenverschmierten, geröteten Augen an.

    „Es tut mir Leid, dass ich so reagiert habe.“, erwähnte er leise.

    Abdullah Gadua sah in forschend an und erkannte doch die Aufrichtigkeit hinter den Worten des Schotten. Wohlwollend nickend umschloss er mit seiner anderen Hand die des Schotten.

    „Es ist in Ordnung. Die Emotionen schäumen bei uns allen ein wenig über. Wir sollten einen klaren Kopf bewahren, um das wahre schwarze Schaf unter uns zu finden.“, sprach Abdullah Gadua weise und erntete von Mamadou ein respektvolles Nicken.

    „So soll es sein. Du darfst jetzt gehen.“, bemerkte Mamadou und nickte glücklich.

    Abdullah Gadua klopfte Thomas kurz und freundschaftlich auf die Schulter. Er war jetzt wieder der gelassene und gutmütige Kerl, der er sonst auch war. Sein gefühlskalter Ausbruch von vorhin wirkte wie vergessen. Langsam aber zielstrebig trat er zur Tür und verließ geheimnisvoll lächelnd das Arbeitszimmer.

    Thomas wirkte einigermaßen erleichtert, doch sein Kollege wirkte weiterhin nachdenklich. Der aufgewühlte Schotte sprach den grübelnden Ghanaer darauf an.

    „Was ist denn noch los?“

    „Eine Sache leuchtet mir nicht ein. Wenn Abdullah Gadua nur mit der Französin diskutiert hatte, warum verabschiedet sie sich dann mit einem innigen Kuss von ihm?“

    „Na ja, manchmal war dieses annähernde und emotionale Verhalten richtig typisch für sie. Franzosen sind da doch ohnehin weniger pingelig.“, bemerkte Thomas nach einiger Zeit, obwohl ihn der Einwand seines Kollegen durchaus verunsichert hatte und die Aussagen des Katarers für ihn in einem ganz anderen Licht erscheinen ließen.

    „Du glaubst doch wohl selbst kaum was du da sagst!“, bemerkte Mamadou ein wenig empört du blickte Thomas skeptisch an.

    Der Schotte wandte den Blick ab und starrte angestrengt durch das Fenster nach draußen. Sein Kopf wirkte schwer und leer.

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    Kapitel 35: Donnerstag, 14 Uhr 06, Arbeitszimmer


    Thomas Jason Smith brauchte nach diesem Verhör erst einmal eine Pause, die ihm von seinem Kollegen auch zugestanden wurde. Nachdenklich zündete er sich eine seiner russischen Zigaretten an und blies den Rauch in den Raum und starrte ihm verloren nach. Mamadou hatte den Raum leise verlassen und war zur Küche gegangen, wo es einen Kühlschrank gab, der nicht abgeschlossen war. Er holte zwei Flaschen Wasser und zwei Becher und kehrte zurück ins Arbeitszimmer. Er warf einen Blick auf die anwesenden Gäste, die jetzt ruhiger geworden waren, abseits voneinander saßen und ihren Gedanken nachhingen oder ihn erwartungsvoll anblickten. Lediglich der erzürnte österreichische Schlossherr meldete sich energisch zu Wort, was natürlich auch Thomas vernahm.

    „Wer erlaubt Ihnen denn einfach so unbefugt über mein Schloss zu verfügen? Sie können sich doch nicht einfach dort etwas zu trinken herausholen!“, fuhr er ihn an und stand auf.

    „Ich habe den Koch gestern danach gefragt. Er hat gesagt, dass wir jeder Zeit auf den unverschlossenen Kühlschrank Zugriff hätten.“, erwiderte Mamadou gelassen und wahrheitsgetreu.

    „Eine Frechheit ist das. Erst blockieren Sie mein Arbeitszimmer und nun auch noch das! Sie sollten mich fragen und nicht diesen Koch, er ist nur ein dummer Angestellter und hat gar nichts zu bestimmen!“, gab der Schlossheer zurück und blickte den Afrikaner streng an.

    „Das tut mir leid. Ich konnte nicht wissen, dass Sie beide so verschiedene Ansichten haben. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden!“, brach Mamadou das aufkommende Streitgespräch entnervt ab und trat zurück ins Arbeitszimmer.

    Der Direktor blickte ihm erzürnt hinterher und wandte sich wieder zu den restlichen Gästen um und ließ sich demonstrativ in einen der Ledersessel fallen. Gwang-jo war auf das Streitgespräch aufmerksam geworden und witterte eine neue Mordtheorie. Lauernd trat er an den Direktor heran.

    „Sagen Sie, wo befindet sich der Koch eigentlich?“

    „Er hält seinen Mittagsschlaf. Das macht er immer, seitdem ich ihn kenne.“, erwähnte der Direktor knapp und unwirsch ohne sein Gegenüber auch nur anzusehen.

    „Jedenfalls sagt er das. Vielleicht macht er ja etwas ganz Anderes. In jedem Fall ist er bislang nicht befragt worden.“, gab der Koreaner lauernd zurück.

    „Sie meinen doch wohl nicht, dass der alte Mann dahinter stecken könnte?“, rief der Direktor mit einem unechten Lachen und drehte sich erstmals zu seinem Gesprächspartner um, der ihn böse lächelnd anblickte.

    „Nach der Reaktion des Butlers möchte ich gar nichts mehr ausschließen. Vermutlich stecken die beiden unter einer Decke.“, entgegnete der Koreaner kalt.

    „Das hätte ich gemerkt.“, gab der Direktor energisch zurück, als die Tür des Arbeitszimmers wieder aufschwang.

    Die beiden Männer wurden in ihrer Diskussion unterbrochen, denn Thomas, der die letzten Gesprächsfetzen fast schon hilflos kopfschüttelnd mitbekommen hatte, bat mit lautstarker Stimme Marilou Gauthier zu sich, die langsam in Richtung des Arbeitszimmers trottete und niemanden dabei ansah. Der Direktor sah ihr aufmerksam hinterher und konnte sich ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen.

    „Sie gefällt Ihnen, nicht wahr?“ sprach der Koreaner, dem die versteckte Reaktion nicht entgangen war, ihn laut an. Der Direktor fuhr aus seinem Sessel hoch und packte den verduzten Provokateur an den Schultern.

    „Passen Sie ja auf, was Sie sagen!“, herrschte er ihn an und sah aus den Augenwinkeln wie Marilou Gauthier sich langsam zu den beiden umwandte, grimmig den Kopf schüttelte und wieder umdrehte.

    Mamadou blickte grimmig in Richtung der beiden Streithähne, die dies bemerkten, voneinander abließen und sich weit von einander entfernt hinsetzten, aber noch einige Male feindlich anblickten. Abdullah Gadua hatte das kurze Streitgespräch mit Verwirrung verfolgt und schüttelte nachdenklich und unbehaglich den Kopf.

    Mit einem energischen Knall schloss sich die Tür des Arbeitszimmers wieder hinter der Kanadierin. Es kehrte eine unbehagliche Ruhe im Speisesaal ein.

    Marilou Gauthier wirkte beinahe erschreckend emotionslos und kalt, als sie in das Arbeitszimmer trat. Sie sah die beiden Ermittler gar nicht an und setzte sich fast mechanisch auf den Ledersessel. Nachdenklich blickte sie nach vorne, doch sie sah durch die Gesichter der beiden Ermittler hindurch.

    Mamadou sah Thomas nachdenklich an und schickte ihm mit hochgezogen Augenbrauen ein nachdenkliches Kopfschütteln entgegen. Auch Thomas sah die Frankokanadierin mit nachdenklicher Miene an. Ihm war bewusst, dass die junge Frau in den letzten Jahren einige Schicksalsschläge erlitten hatte und gelegentliche Depressionen hatte, von denen auch ihr Mann gesprochen hatte. Thomas bemerkte, dass die unheimliche Dame sich grundsätzlich aus allen Gesprächen heraushielt, selbst die Anwesenheit ihres Mannes zu meiden schien und einen unglücklichen und deplazierten Eindruck bei diesem Treffen machte. Der schottische Polizist war unsicher, wie er das Verhör überhaupt beginnen sollte und stellte sich die begründete Frage, ob die Ehefrau Gaduas überhaupt mit ihnen reden würde. Er wusste nicht so recht, wie er die Frau einschätzen sollte.

    Mamadou wirkte ebenfalls ratlos und kratzte sich nachdenklich an der Stirn. Schließlich versuchte er auf eine einfühlsame, interessierte und freundliche Gesprächsweise mit der mysteriösen Kanadierin ins Gespräch zu kommen. Er räusperte sich leicht um die Aufmerksamkeit der starren Frau zu erhalten, doch diese blickte weiter trist und unbeirrt ins Leere. Der Ghanaer geriet kurz ins Stocken, gab sich aber einen Ruck und fuhr dann doch entschlossen fort.

    „Frau Gauthier. Sie wirken auf uns sehr distanziert und seit dem Beginn dieses Treffens sehr unglücklich. Sie scheinen etwas auf dem Herzen zu haben.“, begann Mamadou vorsichtig und versuchte sich vergeblicherweise in das Blickfeld der Anwesenden zu stellen.

    Die Kanadierin starrte starr an ihm vorbei und zuckte mit den Schultern. Zu einem Gespräch schien sie vorerst nicht bereit zu sein. Mamadou wollte so schnell jedoch nicht aufgeben.

    „Haben Sie ein Problem mit ihrem Mann oder fürchten Sie sich vor einer bestimmten Person, die hier anwesend ist?“, fragte der Afrikaner weiter und war erstaunt, dass er eine unerwartete Antwort enthielt.

    „Ich habe meine Furcht inzwischen abgelegt.“, antwortete sie kalt und mit kratziger Stimme. Mamadou und Thomas schauten sich erstaunt an.

    „Hatten Sie denn schon einmal vor jemandem der Anwesenden Angst?“, wollte Thomas wissen und die Zeugin begegnete ihm mit einem Blick, der ihn frösteln ließ. Ihr Blick wirkte starr und kalt und fast grausam. Der Schotte bekam eine unangenehme Gänsehaut, aber keine Antwort auf seine Frage.

    „Haben Sie vielleicht gestern Nacht etwas Ungewöhnliches bemerkt? Wo haben Sie sich überhaupt aufgehalten?“, fragte Mamadou weiter, obwohl ihm die Situation immer unangenehmer wurde.

    „Nein. Ich schlief. Mir ging es nicht gut.“, gab sie knapp zu Protokoll und starrte wieder emotionslos ins Leere.

    Thomas warf Mamadou erneut einen bedeutungsschweren Blick zu. Sie sahen beide ein, dass sie hier nicht so recht weiterkamen. Der Schotte wollte dennoch nicht aufgeben.

    „Was war denn Ihre Motivation überhaupt an diesem Treffen teilzunehmen?“, wollte er wissen.

    „Ablenkung.“, gab Marilou Gauthier knapp und direkt zurück. Thomas ließ nur dieses eine, barsch und kalt gesprochene Wort wieder frösteln.

    „Wovon wollten Sie sich denn ablenken?“, fragte Mamadou anstelle seines Kollegen.

    „Ich habe eine schwere Zeit hinter mir.“, gab die Kanadierin immer noch gefühllos zurück.

    „Ist Ihnen die Ablenkung hier denn gelungen?“, wollte Mamadou noch wissen.

    „Wir wurden ja alle gewissermaßen gestört.“, erwiderte die Kanadierin und spielte damit auf den mysteriösen Doppelmord an.

    „Sie scheint das ja nicht sonderlich zu treffen.“, stellte Thomas fest, der jetzt auch wieder versuchte der unheimlichen Frau einige Informationen in diesem Verhör abzuverlangen.

    „Ich habe mit der Zeit gelernt mit Schicksalsschlägen umzugehen.“, gab Marilou entnervt und arrogant zurück und wich den Blicken der Ermittler aus.

    „Sind Sie emotional so abgehärtet, dass Sie auch einen Mord begehen könnten?“, brachte Mamadou das Verhör auf den Punkt.

    Marilou blickte zum ersten Mal auf und Mamadou nachdenklich und intensiv an. Auch der Afrikaner empfand dabei ein unangenehmes Schauern, schaffte es jedoch ihrem Blick stand zu halten. Er glaubte in die Tiefen einer verletzten und dunklen Seele zu Blicken, als er sich in den trüben Augen der Kanadierin verlor. In ihrer Jugend war Marilou ein gutaussehendes, aufmerksames Mädchen gewesen, doch in den letzten Jahren war sie unwahrscheinlich gealtert und hatte beinahe die Augen einer Greisin, sodass der Ghanaer nicht umher kam an eine böse alte Hexe aus dem Wald zu denken, die in gewissen Märchen so oft und grausam in Erscheinung tritt. Automatisch dachte er bei diesem Stichwort an die vermummte Gestalt aus dem Dickicht neben dem Schloss und schüttelte unbehaglich den Kopf.

    „Mein Leben ist bereist zerstört und ich weiß wie schlimm dies ist. Warum sollte gerade ich das Leben anderer Menschen ebenso zerstören wollen?“, fragte sie nach einer Weile des drückenden Schweigens und blickte ihr Gegenüber erwartungsvoll an. Thomas glaubte in ihrem Augenwinkel nun doch so etwas wie eine Emotion, eine versteckte Träne zu sehen. Vor ihm saß eine gebrochene Person, die ihm nichts vorspielte.

    Mamadou hingegen war von dem Blick der ungewöhnlichen Frau beinahe paralysiert, doch Thomas sprang jetzt wieder für ihn ein. Die beiden ergänzten sich in dieser schicksalhaften Zwangslage mehr und mehr zu einem soliden Team.

    „Vielleicht aus Rachsucht.“, warf Thomas ein und sein Kollege sah ihn erstaunt an. Die Kanadierin antwortete mit einer gehässigen Lache.

    „Sie spielen auf dieses französische Flittchen an. Ich bin mir bewusst, dass mich mein Mann mal mit ihr betrogen hat. Das ist aber viele Jahre her. Wenn Rachsucht das Motiv wäre, dann gäbe es genug andere Anwesende, die unter noch akuterem Tatverdacht stehen würden.“, gab Marilou zurück und löste sich erstmals von ihrer arroganten Lethargie, die einer bitteren Wut gewichen war.

    „Auf wen spielen Sie denn jetzt an?“, wollte Mamadou wissen.

    „Da gibt es einige Möglichkeiten. Im Gegensatz zu den anderen Anwesenden ziehe ich es allerdings vor niemanden wissentlich anzuschwärzen und wagemutige Vermutungen aufzustellen.“, gab Marilou energisch zurück und blickte die beiden Ermittler grimmig an.

    „Das ist vielleicht auch klüger. Eine Panik könnte dem Täter nur von Nützen sein.“, gab Mamadou zu bedenken.

    „So wie sich einige Anwesende benehmen braucht sich dieser Mörder gar nicht mehr zu bemühen. Die Unruhe entsteht von ganz allein.“, bemerkte Marilou.

    „Sie scheinen ein sehr gutes, analytisches Verständnis zu haben.“, bemerkte Thomas ein wenig beiläufig. Marilou wandte sich ihm zu und blickte ihn herausfordernd an.

    „Wollen Sie damit etwas andeuten?“, fragte sie kalt.

    „Fühlen Sie sich denn herausgefordert?“, wollte Thomas im Gegenzug wissen.

    „Nein, denn ich versuche einfach nur einen kühlen Kopf zu bewahren. Der Täter scheint ja emotionale Menschen mit Vorliebe zu töten. Wer sich nicht auf seine Gefühle einlässt, der wird auch die Gefahren vorhersehen.“, bemerkte die Kanadierin.

    Thomas Jason Smith musste darüber nachdenken. Er gestand sich ein, dass die kühle Kanadierin durchaus richtig lag. Malcolm war vielleicht gestorben, weil er eine heftige Passion für Jeanette empfunden hatte. Jeanette war vermutlich wegen ihrer Liebesbeziehungen zu irgendjemandem gestorben und weil sie das Geschenk eines vermeintlichen Verehrers als romantische Botschaft angesehen hatte, anstatt einen Verdacht zu schöpfen. Thomas dachte darüber nach, welcher der anwesenden Gäste ebenfalls sehr emotional oder leichtgläubig war und auf der nächsten Abschussliste stehen könnte.

    „Eine interessante Theorie. Sie kennen sich gut aus.“, bemerkte nun auch Mamadou in einer Mischung aus Erstaunen und sarkastischem Spott.

    „Glauben Sie mir, ich weiß worauf Sie anspielen. Ich bin keine Mörderin. Ich war gestern die gesamte Zeit mit meinem Mann zusammen oder habe geschlafen, als es mir schlecht ging und er gegangen war. Ich bin einfach nur heilfroh, wenn wir diese Insel gleich verlassen.“, unterbrach die Kanadierin den Ermittler barsch.

    Thomas fiel noch eine letzte Sache in. Er wusste nicht, warum er es bei dieser Frau tat und bei anderen Verdächtigen nicht getan hatte, aber er vertraute auf seine plötzliche Eingebung, seinen polizeilichen Instinkt.

    Er holte den Schlüsselanhänger aus seiner Tasche, der sich inzwischen in einem Plastikbeutel befand. Er nahm ihn und hielt ihn der Kanadierin unter die Nase. Diese sah das Schmuckstück gebannt an und runzelte die Stirn.

    „Was soll ich damit anfangen?“, fragte sie unwirsch und hektisch.

    „Wir haben das im Garten gefunden. Es gehört vermutlich dem Täter, da es bei den Rosen lag, die man der Toten aus den Beeten hatte zukommen lassen.“, erläuterte Thomas nüchtern.

    Draußen hörte man wieder ein dunkles Grollen und einen weiter entfernten Blitzschlag. Es regnete derzeit nicht mehr, aber die Anwesenden würden bald aufbrechen müssen, um von der einigermaßen akzeptablen Wettersituation zu profitieren. Eine Überfahrt zur Küste bei einem neuen Sturm erschien viel zu riskant, da selbst die stabile Yacht bei diesen Wetterverhältnissen leicht kentern konnte.

    „Ich habe das noch nie gesehen. Diesen Mann kenne ich auch nicht. Das könnten alle möglichen Menschen sein. Haben Sie sonst noch Fragen?“, fragte Marilou schnell und drehte ungefragt den Spieß um. Plötzlich wurde sie zur Ermittlerin und Mamadou und Thomas wurden verhört.

    „Nein, vorläufig nicht.“, antwortete der Schotte mit einem Kloß in seinem Hals.

    „Dann werde ich jetzt gehen dürfen?“, hakte Marilou ungeduldig nach.

    „Ja. Bitte schicken Sie noch den Schlossherrn hinein. Sagen Sie ihm auch, dass er den Koch vorher wecken soll und mit ihm hierhin kommen darf.“, gab Mamadou zurück und starrte Marilou in einer Mischung aus Unverständnis und Faszination an.

    „Bin ich die Ermittlerin? Richten Sie es ihm selber aus.“, gab sie ungehorsam zurück, stand unaufgefordert auf und näherte sich der Tür des Arbeitszimmers, die sie schwungvoll aufmachte. Sie wandte sich nicht mehr um und verschwand aus dem Blickfeld der beiden überrumpelten Ermittler.

    Nachdenklich blickte Thomas auf den verpackten Schlüsselanhänger. War er die Lösung, der Schlüssel zum Täter? Sein Instinkt bezüglich Marilou Gauthier schien ihn zumindest getrogen zu haben. Die Frau schien wirklich nichts zu wissen. Aber er konnte sie auch nicht so recht einschätzen. Die kalte Frankokanadierin blieb für ihn ein ungeklärtes Phänomen. Vielleicht würde er diesem eines Tages gezwungenermaßen auf die Spur kommen.

    Mit einem empörten Kopfschütteln verließ Mamadou das Arbeitszimmer, um sich gleich persönlich an einen lamentierenden selbsternannten Schlossherrn und Direktor zu wenden.

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  •  

    Kapitel 36: Donnerstag, 14 Uhr 32, Arbeitszimmer

     

    Thomas und Mamadou saßen an dem soliden Holztisch des Arbeitszimmers und hingen ihren Gedanken nach. Thomas hatte sich eine weitere Zigarette angezündet und blies den Rauch gen Zimmerdecke. Mamadou hustete verhalten und rümpfte ein wenig die Nase.

    Thomas wurde aus Marilou Gauthier einfach nicht schlau. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass sie irgendetwas verbarg. Er dachte aber gleichzeitig auch an andere Anwesenden wie den mysteriösen Butler oder den aufbrausenden Koreaner, die auch etwas zu verbergen hatten. Die ganze Sache wurde immer komplexer und undurchsichtiger. Drei Personen würden sie noch befragen müssen. Dabei handelte es sich um den mürrischen Schlossherrn und Direktor und seinen stillen, alten Koch und um den eher introvertierten Türken Hamit Gülcan, von dem Thomas noch gar kein rechtes Bild hatte. Der Mann wirkte immer unbeteiligt, aber nicht so unhöflich und abweisend wie die Frankokanadierin. Die Offerten der schönen Französin hatte er allerdings immer abgewehrt. Er schien absolut kein Motiv zu haben. Auf der anderen Seite war der Täter aber auch ein guter Beobachter, der die Fehler und Leidenschaften der einzelnen Anwesenden schamlos ausnutzte. Gerade der Türke war ein ruhiger, außenstehender Beobachter und somit doch irgendwie für die Täterfrage prädestiniert. Thomas stützte seinen schweren Kopf auf seine Hände, die er auf den Holztisch gestemmt hatte. Vielleicht gab es ein ganz anderes Motiv, als sie alle glaubten. Vielleicht hatten die beiden Morde gar nichts mit Rachsucht, Neid oder einer verkappten Liebesbeziehung zu tun. Vielleicht befand sich einfach ein Irrer unter ihnen, der aus irgendwelchen Gründen Einen nach dem Anderen hinterhältig um die Ecke bringen wollte. Thomas erschauderte bei dem Gedanken daran und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Wasserflasche.

    Mamadou war inzwischen aufgestanden und musterte die Bücher des Schlossherrn, von denen es zahlreiche gab. Es waren hauptsächlich theologische Bände, aber auch einige geschichtliche und politische Bücher vorhanden. Der Ghanaer blieb schließlich vor einer kleineren Sektion stehen, deren Inhalte ihn mehr interessierten. Es war eine kleine Reihe über die bekanntesten Kriminalverbrecher der Welt. Daneben befanden sich einige Bücher, die sich mit Alchemistik und Chemie beschäftigten. Bei diesem Stichwort musste der Afrikaner unwillkürlich an die vergifteten Pralinen denken und die seltsame Flüssigkeit, die sich an dem Dudelsack befunden hatte. Sicherlich handelte es sich dabei um chemische Zusammensetzungen. Dennoch nahm der Ghanaer zunächst ein Buch der anderen Reihe aus dem Regal und schlug es auf. Nach einigen Seiten entdeckte er Markierungen und Randnotizen. Mamadou sah sich auch einige Zeichnungen an, die zum Teil die Täter oder auch die zerstückelten Opfer meist in schwarz-weiß darstellten. Der Afrikaner durchforstete das Register des ersten Buches nach bekannten Namen. Er las dort von Ted Bundy, der zwischen 1974 und 1978 mindestens 28 junge Frauen und Mädchen vergewaltigt und getötet hatte oder auch von dem Kannibalen Karl Denke, auf dessen Konto mindestens 31 Menschenleben gingen oder auch von dem berühmten Serienmörder Fritz Haarmann, der als Vampir oder Werwolf von Hannover berühmt geworden war.

    Mamadou klappte das Buch zu, als sich die Tür des Arbeitszimmers öffnete. Der Schlossherr trat mit strammen Schritt ein, gefolgt von dem Koch, der noch ein wenig verschlafen wirkte und sich unbeteiligt umsah.

    „Was machen Sie da mit meinen Büchern? Wer hat Sie befugt meine Materialien ansehen zu dürfen?“, herrschte der Österreicher Mamadou an, der das Buch langsam wieder zurück ins Regal stellte.

    Bevor er überhaupt etwas erwidern konnte, hatte sich der hagere Direktor ein weiteres Opfer auserkoren, nämlich Thomas, der auch nicht ungescholten davon kam.

    „Was bilden sie sich ein in meinem Arbeitszimmer zu rauchen? Sie verpesten die ganze Luft. Sobald die ganze Sache vorbei ist, werde ich Sie auf Schmerzensgeld verklagen. Ich habe gute Anwälte, das können Sie mir glauben.“, wetterte er weiter und setzte sich erst nach einer Weile in seinen Ledersessel, über dessen Lehne er fast zärtlich strich. An seinen Einrichtungsgegenständen schien ihm viel zu liegen. Dass der Schlossherr selbst seine Zigarren im Arbeitszimmer rauchte, schien er völlig ausgeblendet zu haben. Er war einfach nur auf eine weitere Provokation aus und wollte sich und den Anwesenden beweisen, dass er der Herr im Hause war. Dabei ging er aber eindeutig zu weit.

    Thomas erwähnte auch einfach nichts und rauchte provokativ weiter. Bevor die Situation eskalieren konnte, griff Mamadou ein und bat seinen Kollegen die Zigarette auszumachen. Thomas befolgte den Rat nur widerwillig. Der Direktor hustet und versuchte mit hektischen Handbewegungen den leichten Rauch zu vertreiben.

    „Herr Wohlfahrt, Sie scheinen sich ja sehr für Serienmörder zu interessieren. Sie haben einige Bücher und diese auch ausführlich durchgearbeitet und markiert.“, stellte Mamadou fest.

    „Sie elender Schnüffler hängen mir gar nichts an. Ich interessiere mich für viele Dinge. Ich wollte über die wichtigsten Kriminalfälle im Zusammenhang mit ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden ein Buch schreiben.“, stellte der Direktor energisch fest.

    „Deshalb scheinen Sie sich so ausgezeichnet mit Elaine Maria da Silva zu verstehen.“, bemerkte Thomas beiläufig.

    „Im Gegensatz zu Ihnen ist sie sehr respektvoll und charmant.“, gab der Schlossherr mit drohendem Unterton zurück.

    „Sie scheinen sich ja vermehrt für jüngere Damen zu interessieren.“, gab Thomas gereizt zurück und mit einem Mal herrschte eine bedrohliche Stille in dem Arbeitszimmer, selbst Mamadou blickte seinen Kollegen überrascht an und auch der Koch war mit einem Mal aufmerksam und interessiert.

    Der Österreicher bebte vor Wut, ballte seine Hände zu Fäusten, sein Gesicht nahm einen bedrohlich rötlichen Farbton an. Er krallte seine Hände in die Lehne des Ledersessels und sprang mit einem Mal behände auf.

    „Nehmen Sie das sofort zurück.“, sagte er leise und bedrohlich und näherte sein Gesicht dem schottischen Ermittler, der grimmig, aber noch ruhig sitzen geblieben war.

    „Ich habe einen wunden Punkt getroffen, wie mir scheint.“, gab Thomas mit einem bösen Lächeln zurück und der Direktor konnte sich nicht mehr beherrschen.

    Er holte mit seiner rechten Hand zu einer schallenden Ohrfeige aus, doch der Schotte sprang selbst auf und blockte den Schlag mit einem schnellen Reflex ab. Der Direktor gab jedoch nicht so schnell auf und wollte ihm mit der anderen Hand einen Kinnhaken verpassen. Der alte Direktor war erstaunlich schnell und kräftig trotz seiner schmächtigen Statur und seines fortgeschrittenen Alters und Thomas hatte große Mühe diesem Angriff noch auszuweichen. Es gelang ihm doch im letzten Moment, da er sein Gesicht zur Seite drehte, sich leicht zur rechten Seite beugte und dabei den Stuhl hinter sich umstieß. Scheppernd fiel der Stuhl zu Boden und Thomas stolperte und fiel ebenfalls der Länge nach hin, während der Schlag selbst ihn nur leicht gestreift hatte.

    Mamadou war inzwischen um den Tisch herumgeeilt und wollte eingreifen, doch dies war nicht mehr nötig. Der Direktor machte auf dem Absatz kehrt und marschiere zielstrebig zur Tür. Mamadou wollte ihn aufhalten, doch der Direktor fuhr herum und blickte ihn böse an. Seine Hand lag bereits am Türgriff.

    „Ich lasse mich in meinem eigenen Haus nicht so behandeln. Verlassen Sie sofort das Zimmer und führen Sie Ihre verdammten Ermittlungen irgendwo anders durch.“, herrschte er den Ghanaer an.

    „Sie leisten Widerstand gegen polizeiliche Ermittlungen.“, gab dieser kalt zurück, doch sein Gegenüber reagierte darauf nur mit einem fiesen und unechten Lachen.

    „Sie sind nicht offiziell hier und zudem habe ich in meinem Haus noch das Sagen.“, stellte Doktor Marcel Wohlfahrt grimmig fest und drückte die Türklinke herunter.

    Auch Thomas hatte sich inzwischen aufgerappelt und eilte auf den Österreicher zu. Er war rasend vor Wut und stieß seinen eigenen Kollegen grob zur Seite.

    „Es ist Ihnen wohl klar, dass Sie ab jetzt der Hauptverdächtige sind. Niemand wird Sie entlasten wollen und können. Außerdem ist das nicht Ihr Haus, sondern das Ihrer Frau. Sie spielen sich als Schlossherr auf, aber in Wirklichkeit sind Sie ein geisteskranker Sadist.“, herrschte Thomas ihn an und näherte sein Gesicht bis auf wenige Zentimeter dem seines Gegenübers.

    Mamadou ergriff den Arm des Schotten und zog ihn resolut zurück. Thomas wehrte sich nicht gegen seinen Kollegen, da er ihn nicht verletzen wollte, doch er wurde von Wohlfahrt weiterhin provoziert. Mit einem fiesen Lachen wies dieser mit seinem linken Zeigefinger auf den erregten Schotten.

    „Sie sind für mich der Hauptverdächtige. Ihre Beziehung zur Toten, ihre emotionalen Ausbrüche, die unglaubwürdige Geschichte mit diesem Wolf. Sie sind der Irre. Sie waren nicht umsonst im Kloster, um dort ihren kranken, gestörten Kopf frei zu kriegen. Es ist mehr als deutlich, dass Sie mit diesem Vorhaben gescheitert sind!“, fuhr Wohlfahrt ihn an, riss die Tür auf und trat energisch in den Speisesaal. Wuchtig schlug er die Tür hinter sich zu und ließ drei verdutzte und empörte Männer in seinem Arbeitszimmer zurück.

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  •  

    Kapitel 37: Donnerstag, 14 Uhr 37, Speisesaal


    Thomas und Mamadou hatten sich trotz dieses aufreibenden Zwischenfalls noch dazu aufgerafft den Koch zu befragen. Dieser stellte sich dumm, wusste von nichts und hatte auch keinen Verdacht. Er wirkte ruhig und beherrscht und erwähnte oftmals, dass die Anwesenden mit der Abfahrt von der Insel auch dem unheimlichen Spuk entrinnen würden. Er blickte mehrmals auf seine edle, goldene Armbanduhr und stellte fest, dass der Augenblick der Abfahrt bald gekommen war.

    Somit verließen die beiden Ermittler das Arbeitszimmer des unsympathischen Direktors mit dem Koch. Thomas war davon überzeugt, dass der Koch unschuldig war, immerhin war er bereits stolze 76 Jahre alt geworden. Er war zwar noch beweglich, aufgeschlossen und rüstig für sein Alter, aber solch kaltblütig ausgetüftelte Morde traute der Schotte dem walisischen Koch einfach nicht zu. Mit der Zeit hatte Thomas seiner Meinung nach ein recht feines Gespür und eine gute Menschenkenntnis entwickelt und vertraute dieser auch im aktuellen Fall.

    Der Direktor, der mittig im Speisesaal stand und tobte, war bereits wieder ungehalten, bat um Ruhe und rief die Anwesenden zur Ordnung. Thomas und Mamadou bedachte er mit einem grimmigen Blick, bevor er zu einer weiteren Rede ausholte.

    „Sehr verehrte Gäste. Jetzt, da auch die mehr als fragwürdigen Verhöre und unproduktiven Ermittlungsmethoden zu einem Ende gekommen sind und auch das Wetter ein bisschen besser geworden ist, werden wir uns nun an die sofortige Abreise machen. Wir werden zurück in das Küstendorf fahren und von dort aus Hilfe anfordern. Solange wir alle beisammen bleiben, kann und wird niemandem mehr etwas geschehen.“, versicherte der selbsternannte Schlossherr energisch.

    Seine Rede fand großen Anklang unter den Zuhörern. Einige nickten grimmig und blickten auch hin und wieder feindselig oder auch verängstigt in Richtung der beiden provisorischen Ermittler. Die beiden Angesprochenen reagierten nicht auf die indirekten Beleidigungen des Direktors, obwohl Thomas Mühe hatte seinen Zorn vollständig zu verbergen. Mamadou blieb die Ruhe selbst und wagte es sogar noch eine Frage zu stellen.

    „Wo Sie gerade das Beisammensein erwähnen. Wo befindet sich eigentlich Hamit Gülcan? Er ist der Einzige, mit dem wir bei den Ermittlungen nicht sprechen konnten.“, stellte der Ghanaer fest.

    Der Direktor wollte erst schnippisch antworten, doch er warf zunächst einen Blick in die Runde und stellte verwundert fest, dass der stille Türke tatsächlich nicht anwesend war. Auch die anderen Gäste blickten sich nervös um und tuschelten miteinander. Sofort ergriff der Koreaner Gwang-jo Park das Wort, versammelte einige Gäste um sich und führte aus, dass der Vermisste hinter den Untaten stecken würde und nun heimlich dabei wäre weitere Missetaten vorzubereiten. Björn Ansgar Lykström ging dazwischen und mahnte zur Ruhe und Vorsicht. Schließlich ergriff Magdalena Osario das Wort.

    „Ich glaube, dass ich weiß wo er ist.“, sagte sie laut und alle Anwesenden wandten unmittelbar ihre Köpfe zu der schönen Spanierin, die ausgelaugt wirkte und ein bleiches Gesicht hatte.

    „Sag es uns schon. Heraus mit der Sprache, du dumme Kuh!“, fuhr ihr Mann sie ungeduldig und fast feindselig an. Die Spanierin senkte den Blick und ließ die erneute Demütigung ohne Protest über sich ergehen. Lediglich ihr schwedischer Liebhaber blickte feindselig zu dem Österreicher.

    „Ich glaube, er wollte sich in Ruhe dein Schiff anschauen. Ich habe es nicht gesehen, aber er sprach unentwegt davon.“, erwiderte die Spanierin mit leiser Stimme.

    „Wie kann er das tun? Wir sollten doch zusammenbleiben.“, herrschte der seine Frau an, als ob sie an dem Fehlverhalten des Türken Schuld tragen würde. Nun ergriff ihr Geliebter für sie Partei und trat auf den unleidlichen Direktor zu.

    „Sie haben es ihm doch selbst erlaubt. Sie sagten zu ihm, dass er jederzeit die Gelegenheit hätte, sich das Schiff anzuschauen. Heute Mittag hat er Sie doch erneut danach gefragt und sie haben seinen Vorschlag nicht abgelehnt!“, stellte der Schwede grimmig fest und sah wie sein Gegenüber zornig nach Luft schnappte.

    „Aber das darf er doch nicht allein!“, gab er keifend zurück und fuhr auf dem Ansatz herum.

    Das war eine Art Startsignal für die Anwesenden, die sich jetzt dem Ausgang oder ihrem Reisegepäck zuwandten. Auch Thomas hatte sein Gepäck bereits vorbereitet gehabt und ergriff seine Sporttasche. Gemeinsam mit seinem afrikanischen Kollegen an der Seite verließ er den Speisesaal und trat in den Eingangsbereich, wo der Butler stand, der soeben die solide Eingangstür geöffnet hatte. Unwillig wurde er von dem Koreaner gemustert, der das Schloss als Erster verließ und die anderen Anwesenden grob zur Seite gedrängelt hatte. Der Butler hielt den Blick gesenkt und hatte seine einstige Sicherheit und Steifheit komplett verloren. Darauf sprach ihn auch sein Chef an, der sich ungehalten zwischen Thomas und Mamadou hindurchzwängte.

    „Nimm sofort Haltung an!“, befahl er barsch und sein Untertan gehorchte, nachdem er ängstlich zusammengezuckt war. Thomas konnte sich auf das nervöse Verhalten des Butlers immer noch keinen Reim machen.

    Allmählich verließen die Gäste nach und nach das Schloss und fanden sich in einer nebligen, grauen Suppe wieder, in der man nicht weiter als fünf Meter blicken konnte. Düster ragte das neogotische Schloss in den grauen Himmel. Weiter hinten erahnte man die soliden Grabsteine, die schief aus dem Erdreich empor zeigten. Ein lautes Grollen fuhr aus dem Himmel und schlug der nervösen Menschenmasse entgegen. Von dem jungen Türken gab es immer noch keine Spur.

    Der Schlossherr wartete, bis zuletzt Magdalena Osario aus dem Eingangsbereich getreten war, schob sie grob zur Seite, keifte seinen Butler an, der sofort das Portal losließ und nahm nun einen großen, schmiedeeisernen Schlüssel aus seiner Jackentasche, mit dem er den Eingangsbereich abschloss.

    Die restlichen Anwesenden warteten auf den Direktor, der in diesen Momenten eine große Machtposition ergriffen hatte, die ihm sichtlich gefiel. Er drängte sich wieder vor, bis er an der Spitze der Gruppe stand und forderte seine Gäste mit einer herrischen Handbewegung dazu auf ihm zu folgen. Energisch schritt er durch den Vorgarten und erreichte alsbald die schmierigen und weichen Holzplanken, die den Bootssteg darstellten.

    „Herr Direktor, ich glaube, ich habe meinen Schminkkoffer im Eingangsbereich vergessen!“, rief Marilou Gauthier plötzlich und der Direktor wandte sich erstaunt um. Auch die anderen Anwesenden blickten die Kanadierin an, die zum ersten Mal überhaupt freiwillig mit der Gruppe gesprochen hatte.

    Der Direktor schien unentschlossen, nestelte in seiner Jackentasche nach seinem Schlüssel und überlegte, wie er auf die unerwartete Forderung reagieren sollte. Schließlich schüttelte er unwillig den Kopf, ergriff den Schlüssel und warf ihn der Kanadierin mit einem gezwungenen Lächeln zu.

    „Beeilen Sie sich gefälligst. Wir warten auf Sie!“, gab er ihr zu verstehen und wandte sich wieder in Richtung des Steges um.

    Dort erblickte er plötzlich die Umrisse einer Gestalt an der nebelverhangenen Bugseite der edlen Yacht. Auch Thomas hatte den Unbekannten erblickt, von dem er nur die Konturen erahnen konnte. Aufgeregtes Gemurmel verbreitete sich unter den Gästen. Thomas dachte darüber nach, ob es sich bei der Erscheinung um dieselbe Person handelte, die Mamadou und er in dem Dickicht so mühsam verfolgt hatten.

    Wie zur Bestätigung seiner These war mit einem Mal ein lautes, schauriges Heulen zu vernehmen. Alle Anwesenden zuckten zusammen und fuhren herum. Die animalischen Klagelaute kamen von der Rückseite des Schlosses. Thomas bekam eine unangenehme Gänsehaut, als sich die Laute noch einmal intensiver wiederholten.

    Die düstere Gestalt auf der Yacht war indes nicht untätig geblieben. Sie bewegte sich auf die Reling zu und sprang behände über die Abgrenzung auf den Steg. Federnd kam die Gestalt auf, obwohl der Steg noch leicht nachbebte. Langsam trat die Gestalt näher, aus den Umrissen schälte sich eine Person und nach wenigen Sekunden erkannte jeder von ihnen, wer der unheimliche Unbekannte war.

    Der Schlossherr stammelte nervös, wandte sich hilfesuchend um und gewann nur allmählich eine Selbstbeherrschung zurück. Er war einige Meter von dem Steg zurückgewichen. Die restlichen Anwesenden hatten sich in einem Halbkreis versammelt und blickten dem Ankömmling ängstlich entgegen. Endlich ergriff der vorlaute Direktor das Wort.

    „Hamit Gülcan, Sie?“, fragte er ungläubig und sah, dass der Ankömmling verwundert stehen blieb und abwehrend die Arme hob und den Kopf schüttelte.

    „Es ist nicht so wie es aussieht. Ich wollte mich nur ein wenig umgucken. Nur aus reinem Interesse.“, versicherte er mit lauter und kräftiger Stimme und ging langsam weiter, während der Schlossherr sich bedrängt fühlte und erneut und hastig nun von dem Steg zurückwich.

    Thomas wusste nicht so recht, wie er sich einen Reim auf das Erscheinen des Türken machen sollte. War Hamit Gülcan wirklich so harmlos wie er sich immer gab? Hatte er nur der beruflichen Neugierde eines Direktors eines Schifffahrtsmuseum nachgegeben oder hatte er den grausamen Tod aller Anwesenden vorbereitet?

    Erneut blieb der Türke stehen und hob beschwichtigend seine Arme, als er die Angst und das Misstrauen bemerkte, was ihm entgegenschlug.

    Von der Seite des Schlosses her ertönte ein weiteres Geräusch. Mit einem schaurigen Quietschen und dumpfen Schlag verschloss Marilou Gauthier das Eingangsportal. Langsam näherte sie sich wieder der Gruppe. Sie trug einen silbrig, metallfarbenen Schminkkoffer in ihren Händen und hatte den klobigen Schlüssel in eine Jackentasche gesteckt.

    Von der anderen Seite des Schlosses ertönte wiederum das unheimliche Heulen des Wolfes. Alle Gäste zuckten fast simultan zusammen. Furcht breitete sich aus. Keiner wagte mehr zu sprechen. Es war eine seltsame Stille eingekehrt. Selbst der Wolf war jetzt kurzzeitig verstummt. Lautlos trat Marilou wieder zur Gruppe und schmiegte sich an die Schulter ihres Mannes. Man merkte ihr die Erleichterung an, dass sie nun diese Insel verlassen würden.

    In diesem Moment zerfetzte ein infernalisches Krachen die unheilvolle Stille. Mit einem Bersten und Krachen stieg ein glutroter Feuerball empor, Planken barsten, Metallgestänge brachen und mit einem markerschütternden Schrei wurde der neugierige Türke zu einem Spielball der Natur.

    Thomas sah noch wie der hilflose Türke von der Feuerbrunst erfasst wurde, in die Luft gewirbelt wurde und mit einem zerfetzten Eisengeländer kollidierte. Dann warf auch der Schotte sich abrupt zu Boden, verschränkte die Hände schützend über seinem Hinterkopf und spürte wie ihm das Feuer die Nackenhaare versengte. Die infernalische Geräuschkulisse wich einem ohrenbetäubenden, monotonen Pfeifton und er befürchtete, dass sein Kopf implodieren würde. Der Schmerz schien sich ins Unermessliche zu steigern und der Schotte wälzte sich schreiend zur Seite.

    Nach wenigen Sekunden war plötzlich alles vorbei. Wrackteile fielen platschend ins Meerwasser. Ein dichter, beißender Rauch verbreitete sich in Sekundenschnelle und hüllte die Anwesenden ein.

    Stöhnend und fluchend stand Mamadou neben Thomas auf und auch dieser erhob sich nach einigen Sekunden und erblickte mit tränenden Augen das unheimliche Ausmaß der überraschenden Zerstörung.

    Irgendjemand oder Irgendetwas hatte die Yacht gesprengt und vollkommen zerfetzt.

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